Kriminologie im Nationalsozialismus: Unterschied zwischen den Versionen

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'''[[Kriminologie]] im Nationalsozialismus''' war zum großen Teil eine um Nähe zur Politik bemühte [[Kriminalbiologie]]. Roland Freisler würdigte die Kriminologie 1942 als "unentbehrliche und gleichwertige Grundlage erfolgreicher Strafrechtspflege". Kriminologische Kritik an Gesetzesvorhaben gab es im Rahmen der Mitarbeit von [[Edmund Mezger]] und [[Franz Exner]] am [[Gemeinschaftsfremdengesetz]]. Die Großverbrechen des NS-Regimes einschließlich des [[Nationalsozialistischer Terrorismus|nationalsozialistischen Terrorismus]] wurden von der Kriminologie nicht analysiert, sondern legitimiert. Aus der Wissenschaft von der Kriminalität wurde im Nationalsozialismus in mancher Hinsicht eine kriminelle Wissenschaft. 


== Kriminalpolitischer Kontext ==


Die '''[[Kriminologie]] im "Dritten Reich"''' zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass sie unter weitgehender Zurückdrängung [[Kriminalsoziologie|soziologischer]] und psychologischer Aspekte der [[Kriminalität]] den Schwerpunkt auf [[Kriminalbiologie|kriminalbiologische]] Erklärungsansätze legte. Kennzeichnend war, dass diese primär kriminalbiologische Ausrichtung nunmehr auch von solchen Forschern vertreten wurde, die wie [[Franz Exner]] noch während der Weimarer Zeit in der Hauptsache kriminalsoziologisch argumentiert hatten. Rein äußerlich trat die zunehmend kriminalbiologische Ausrichtung der Kriminologie durch die Umbenennung der "[[Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform]]" ab 1937 in "Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform", sowie deren fortschreitende Institutionalisierung in Erscheinung.
Von 1934-1945 fällte der Volksgerichtshof rund 5.200 Todesurteile.  
== Situation der Kriminologie zu Beginn des Nationalsozialismus ==
Die [[Kriminologie]] war bereits zur Zeit der Weimarer Republik stark naturwissenschaftlich, positivistisch und sozialdarwinistisch  geprägt. Insbesondere aufgrund der rasanten Entwicklung verschiedener Wissenschaftszweige, vor allem der Medizin, die sich in unzählig verliehenen Nobelpreisen in jener Zeit widerspiegelte, nahm  Wissenschaft per se einen wesentlichen Stellenwert in der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung ein. So stand die [[Kriminologie]] unter dem Einfluss von Medizinern und  Psychiatern, aber auch von Juristen, die vornehmlich den Blick auf den Täter richteten, kriminogene Faktoren als angeboren und ursächlich erachteten.  


[[Franz von Liszt]] (1851 – 1919), der als Strafrechtsreformer gesellschaftliche Einflüsse als vordergründig betrachtete, überkam zwar mit einem „Sowohl-als-auch“ von Anlage- und Umweltfaktoren bereits vor der Jahrhundertwende zunächst den vorherrschenden [[Anlage-Umwelt-Streit]] (s. hierzu auch: [[Kriminologie im deutschen Kaiserreich (1871-1918)]]
Sondergerichte (seit März 1933 gegen politische Gegner, seit 1938/39 auch gegen schwere und mittlere Kriminalität) wurden zu Instrumenten eines regelrechten Justizmassakers. Wahrscheinlich sprachen allein die 34 Sondergerichte mit Standort auf westdeutschem Gebiet mindestens 11.000 Todesurteile aus.
). Dennoch blieb vornehmlich  eine kriminalbiologische Ausrichtung dominant, deren beginnende Institutionalisierung sich bereits 1927 mit der  Gründung der kriminalbiologischen Vereinigung manifestierte.
Die politische Ausrichtung des Nationalsozialismus zu Beginn des Dritten Reiches führte zu einer Wechselwirkung zwischen dem  totalitären Staat auf der einen und dem Wissenschaftszweig der [[Kriminologie]] auf der anderen Seite. Das dominierende Anlagedenken konnte einerseits als Legitimation unter dem Deckmantel der Wissenschaft ideologisch genutzt werden, zumal Gesellschaftsschutz unter Aspekten von Reinhaltung der Rasse eine wesentliche strafrechtliche Ausrichtung im Nationalsozialismus war. Andererseits bot sich aus Sicht der [[Kriminologie]] die Durchsetzung wissenschaftlicher Konzepte an, die unter der parlamentarischen Demokratie Weimars nur schwer umsetzbar waren.
So war eine Konzentration auf erbbiologisches Denken mit einem politischen  und wissenschaftlichen Konsens Terrain der [[Kriminalpolitik]], welche im Verlauf des Hitlerregimes eskalierte, indem sie sich  unter dem Aspekt der  Rassenhygiene zunächst auf den Täter und später schließlich auf ganze Bevölkerungsgruppen verdichtete.
==Rassenhygiene==
Der Begriff der Rassenhygiene wird meist ausschließlich mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Der Rassediskurs entwickelte sich jedoch schon zu Ende des 19. Jhd. auf der Grundlage der Lehre Charles Darwins von der Entstehung der Arten und etablierte sich als Wissenschaft. Der Begriff der [[Lebensunwertes Leben|Eugenik]], geprägt durch den britischen Anthropologen Francis Galton (1822-1911), stellt seit 1883 einen separaten Wissenschaftszweig der Genetik dar, der ursprünglich die Idee verfolgte, humangenetische Erkenntnisse u.a. auf Gesundheitspolitik anzuwenden, positive Erbanlagen sollten maximiert, negative minimiert werden. Der  Mediziner Alfred Ploetz (1860-1940) führte sodann 1895 den deutschen  Begriff der Rassenhygiene ein. Erst im Verlauf des Dritten Reiches wurde die Idee der Auslese hochwertiger Erbanlagen ideologisch für eine "Züchtung der arischen Rasse" genutzt, sodass schließlich führende Nationalsozialisten auf der Grundlage wissenschaftlicher und später vor allem auch kriminologischer Erkenntnisse Entscheidungen darüber fällten, wer ein Recht auf Leben und wer ein Recht auf Kinder haben sollte.
==Kriminologische Wegbereiter==
Insbesondere [[Edmund Mezger]], (1983-1962) und [[Franz Exner]] (1881-1947), prägten den kriminologischen Diskurs zur Zeit des Nationalsozialismus. Beide werden in der Literatur vielfach in einem Atemzug genannt, unterscheiden sich dabei jedoch in ihrem Denken und Schaffen erheblich. So war [[Franz Exner|Exner]] als Schüler [[Franz v. Liszt]]s insbesondere während der Weimarer Zeit eher kriminalsoziologisch, zur Zeit des dritten Reichs dann jedoch schwerpunktmäßig anlageorientiert ausgerichtet. Exner war nie Mitglied der NSDAP, stand rechtsphilosophisch in der Tradition Max Webers und hatte Kontakte  mit US-amerikanischen Kriminologen, wie Edwin H. Sutherland. Bis weit nach Kriegsende wirkten die verschiedenen Auflagen seines Lehrbuchs „Kriminalbiologie“ richtungsweisend. Darin enthaltene rassistische Passagen wurden auch  in einer letzten Auflage von 1949 weder durch den veränderten  Buchtitel „Kriminologie“, noch durch konsequente Streichungen eliminiert. Die Rolle Exners  bleibt bis heute  umstritten.  [[Edmund Mezger|Mezger]], in erster Linie Jurist und Strafrechtsdogmatiker, war zunächst als Rechtsanwalt, später als Staatsanwalt und Richter tätig. Bereits zur Weimarer Zeit lehrte er u.a. Straf- und Strafverfahrensrecht, erst von 1942 an auch Kriminologie. Mit seinem 1931 erschienenen Strafrechtslehrbuch verschaffte sich Mezger einen Namen. Er wirkte als Mitglied der Strafrechtsreformkommission an verschiedenen Gesetzesvorhaben  und -änderungen  mit. So brachte er die sogenannte Analogienovelle von 1935 (Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 28.05.1935) mit auf den Weg, die das „[http://de.wikipedia.org/wiki/Analogieverbot Analogieverbot]“ aufhob und „[http://de.wikipedia.org/wiki/Gesundes_Volksempfinden das gesunde Volksempfinden]“ maßgeblich für eine Bestrafung werden ließ (§ 2 StGB-damals).


Auch [[Gustav Aschaffenburg]] (1866-1944) und [[Hans von Hentig]] (1887 – 1974), Begründer bzw. Mitherausgeber der „Monatsschrift“ und später aufgrund politischer Verstrickung im Exil lebend,  wirkten in jener Zeit nachhaltig mit ihren Arbeiten. Als Gerichtsmediziner und Rassehygieniker wird [[Ferdinand von Neureiter]] (1893-1946) vielfach in der Literatur benannt. Er leitete in der Zeit von 1937 – 1939  die kriminalbiologische Forschungsstelle; in dieser Funktion war er Vorgänger von [http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Ritter Robert Ritter] (1901-1951) und stand damit im Dienst des Reichsgesundheitsministeriums.
Unklare Zahl von Todesurteilen durch die ab Februar 1945 eingerichteten Standgerichte.
==Forschungsfelder==
[[Exner]],  [[Edmund Mezger|Mezger]] und [[Ferdinand von Neureiter|von Neureiter]] vertraten Vorstellungen, die Erbanlagen als Ursachen von Verbrechensentstehung und kriminellen Persönlichkeiten sahen. Ihre Ideen bauten auf Forschungen auf, die bereits während der Weimarer Republik stattfanden und ab 1933 neuen Aufwind bekamen:
*'''Vererbungs- und Sippenforschung'''
Sippenuntersuchungen wurden vielfältig durchgeführt. So sah  [http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Ritter Robert Ritter] (1901-1951) 1937 die „Gaunereigenschaft“ als vererblich an. Die Psychologin [http://www.ffmhist.de/ffm33-45/portal01/portal01.php?ziel=t_ak_ritter_justin Eva Justin](1909-1966), engste Mitarbeiterin Ritters, kam zu dem Ergebnis, dass das Erbschicksal  „artfremd erzogener Zigeunerkinder und ihrer Nachkommen“ nicht eine Integration sondern Unfruchtbarmachung nach sich ziehen sollte. Ludwig Kuttner forderte aufgrund seiner Studien ebenfalls Unfruchtbarmachung, Heinrich W. Kranz untersuchte 1941 das „[http://de.wikipedia.org/wiki/Asoziale_(Nationalsozialismus) Asozialenproblem]“. [http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/zeitgeschichte/site/browse.php?arttyp=k&l1=2&l2=1004&l3=1021&l4=1032 Friedrich Stumpfl] legte neben Ergebnissen zur Zwillingsforschung in seiner 1936 publizierten Studie „Erbanlage und Verbrechen“ auch Resultate seiner Sippenforschung dar. So verglich er Schwerverbrecher und Leichtkriminelle hinsichtlich Kriminalität und psychischer Störungen, wobei Stumpfl zufolge die Sippen der Schwerverbrecher ein erhöhtes Maß an beidem auswies.
*'''Zwillingsforschung'''
Mit der [[Chromosom|Zwillingsforschung]] hatte Johannes Lange (1891-1938) 1929 erstmalig Erbeinfluss auf kriminelles Verhalten untersucht.  Lange verglich in seiner Studie an  kriminellen Zwillingen eineiige und zweieiige Zwillingspaare, wobei sich eine höhere Konkordanz bei den eineiigen Paaren herausstellte, sodass er Erbanlage als Verbrechensursache schlussfolgerte. Er sah „Verbrechen als Schicksal“, wie dem Titel seiner damaligen Studie  zu entnehmen ist und stellte gar Verhütungsforderungen auf. Zu ähnlichen Ergebnisse kamen Heinrich Kranz („Lebensschicksale krimineller Zwillinge“ - 1936) und Friedrich Strumpfl („die Ursprünge des Verbrechens“ – 1936) mit differenzierteren Untersuchungen. Wenngleich die damalige Zwillingsforschung als Wegbereiter kriminalbiologischer Theorie gesehen werden kann, ist ihre Aussagekraft insbesondere aufgrund geringer Fallzahlen nicht zu hoch zu bewerten.
*'''Konstitutionsbiologie'''
Die Lehre des deutschen Psychiaters [http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Kretschmer Ernst Kretschmer] (1888 – 1964) über die Zusammenhänge zwischen Körperbau und Charakter war für die Kriminologie, insbesondere für Mezger und Exner, wegweisend. Sie folgerten, dass insbesondere psychische Merkmale den Abweichler zu einem Anlageverbrecher machten.
*'''Psychopathie'''
Die Lehre [http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Schneider Kurt Schneiders] (1887- 1967 ),  ebenfalls deutscher Psychiater,  der psychopatische Persönlichkeiten kategorisierte und nicht nur das individuelle Leiden des Abweichlers, sondern auch das Leiden der Gesellschaft unter dem Abweichler in den Vordergrund stellte, wurde von den Kriminologen  mit  der Formel „Gewohnheitsverbrecher sind Psychopaten“ übernommen.
Stumpfl, Mezger und Exner nahmen die Gedanken Schneiders auf. So waren für Stumpfl Rückfallverbrecher  Psychopaten; für Exner befand sich eine hohe Zahl an Psychopaten bei den Schwerverbrechern und Mezger sah in dem psychopatischen Verbrecher einen besonders gefährliche Verbrecher. Des Weiteren sahen Exner und Stumpfl Psychopathie als Erbkrankheit an. Stumpfl forderte gar rassenhygienische Maßnahmen. Diese  Einschätzung  führte letztendlich  zu Forderungen von  „Gegenmaßnahmen“ wie Eheverbot, Sterilisation und Sicherungsverwahrung (vgl. Dölling, 1989; Streng 1993).
*'''andere Strömungen'''
Die damalige Kriminologie beschränkte  sich nicht ausschließlich auf einen biologischen Diskurs. So fallen [[Exner]]s Prognoseforschung bezüglich Rückfälligkeit, sowie Ansätze der Viktimologie und Dunkelfeldforschung ebenfalls in diese Zeit. Geisteswissenschaftlich orientierte Ansätze von [http://de.wikipedia.org/wiki/Hellmuth_Mayer Hellmuth Mayer] (1895-1980), [http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Sauer_(Jurist) Wilhelm Sauer ] (1879-1962) und auch von [[Edmund Mezger|Mezger]] waren zu verzeichnen, nahmen jedoch keinen bedeutenden Stellenwert in jener Zeit ein.


==Institutionalisierung der Kriminologie==
Allein von deutschen Militärgerichten wurden wahrscheinlich zwischen 25.000 und 30.000 Todesurteile wegen Wehrkraftzersetzung, Fahnenflucht oder Kriegsverrat gegen Wehrmachtsangehörige verhängt; mehr als 19.600 davon wurden nachweislich vollstreckt.
Die Gründung der [[kriminalbiologische Gesellschaft|kriminalbiologischen Gesellschaft]] am 06.06.1927 in Wien, dessen erster Präsident und späterer Ehrenvorsitzende  [[Adolf Lenz]] (1868-1959) war, ging mit dem ersten zunächst in Bayern gegründeten [[kriminalbiologischen Dienst]] einher, wodurch sich mehr und mehr die Institutionalisierung der [[Kriminalbiologie]] etablierte. 1937 wurde der kriminalbiologische Dienst schließlich landesweit eingerichtet. Er umfasste 73 kriminalbiologische  Untersuchungsstellen, die in den Strafanstalten integriert waren, sowie 9 kriminalbiologische Sammelstellen, die wiederum für die Erstellung von Gutachten und die Evaluation der Untersuchungen zuständig waren. Zudem wurden rassenhygienische und kriminalbiologische Forschungsstellen des Reichsgesundheitsamtes, sowie das kriminalbiologische Institut der Sicherheitspolizei ins Leben gerufen.  


Zweck der [[kriminalbiologische Gesellschaft|kriminalbiologischen Gesellschaft]], bestehend aus Juristen, Mediziner, Psychologen und Pädagogen aus Theorie und Praxis,  war u.a. die biologische Betrachtung des Verbrechers in Wissenschaft und Strafrechtspflege. Dieser Zweck war in ihrer Gründungssatzung dokumentiert, die bereits 1927 [[Kriminalsoziologie|kriminalsoziologische]] Vorstellungen gänzlich ausgeklammert hatte (vgl. Schöch, 1986, S.362; Streng 1993, S. 144). Die Satzung hatte bis 1967 Gültigkeit. Die Gesellschaft entwickelte sich durch ihre Fachtagungen, Veröffentlichungen und nicht zuletzt durch ihre politische und wissenschaftliche Vernetzung seinerzeit schnell zu DER kriminologischen deutschen Vereinigung.
Die Angeklagten vor einem dieser Gerichte waren von elementaren Grundrechten des Strafverfahrens abgeschnitten: Richterablehnung, Beweisantragsrecht und Wahl des Verteidigers waren eingeschränkt oder aufgehoben, mündliche Verhandlung über den Haftbefehl, gerichtliche Voruntersuchung, Eröffnungsbeschluss sowie Berufungsinstanzen abgeschafft. Fristen konnten minimiert werden, um „kurzen Prozess“ zu machen.


== Tätertypologie und die Rolle des Strafrechts ==
Historiker gehen von weit über 30.000 Todesurteilen deutscher Gerichte aus.
Mit den bereits im 19. Jhd. geprägten Begrifflichkeiten des „geborenen Verbrechers“ durch [[Lombroso ]] und der später durch [[Franz v. Liszt]] vorgenommenen Klassifizierung in „Abschreckbare,  Besserungsfähige und unverbesserliche Täter“  stand nicht nur die biologisch geprägte Kriminologie in der Tradition der [[Tätertypologien|Tätertypologie]]. So spiegeln die im Dritten Reich auch kriminalpolitisch und strafrechtlich genutzten Bezeichnungen des „Gewohnheits-, Zustands- oder Gelegenheitsverbrechers“, des „Mehrfach- oder  Hangtäters“ nicht nur anlagebedingtes Denken,  sondern  auch die nationalsozialistische Ideologie des Gemeinschaftsschutzes und demzufolge die hierfür notwendige Ausgrenzung devianter Personengruppen wider. Zudem war insbesondere das damalige Strafgesetzbuch seinerzeit nicht nur mit tätertypisierenden Begriffen versehen, wenn etwa die Rede war vom „gefährlichen Sittlichkeitsverbrecher“ - gleichzeitig wurde eine beschreibende Abwertung vorgenommen. In der Zeit des Nationalsozialismus erlassene oder verifizierte Gesetze, zeigen somit kriminalbiologisches und tätertypologisiertes Denken auf:


So sah das '''Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung''' vom 24.11.1933 Sicherheitsverwahrung und Entmannung für gefährliche Gewohnheitsverbrecher vor. Das '''Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses''' vom 14.07.1933 ermöglichte die Sterilisation bzw. Unfruchtbarmachung von Erb- und schwer Alkoholkranken.
Aus den Gefängnissen und Zuchthäusern wurden zusätzlich 15.000 bis 20.000 Justizhäftlinge "zur Vernichtung durch Arbeit" in die Konzentrationslager überstellt.
Im '''Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes''' vom 18.10.1935 war ein Eheverbot zum Schutz der Volksgemeinschaft und zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ enthalten. Mit der '''Änderung des Reichsstrafgesetzbuches''' vom 04.11.1941 ging eine Verschärfung gegen "gefährliche Täter" einher. Demnach  drohte gefährlichen Gewohnheits- und Sittlichkeitsverbrechern die Todesstrafe, wenn Sühne oder Gesellschaftsschutz dies erforderten. Die am 04.10.1939 verabschiedete '''Verordnung zum Schutz gegen jugendliche Schwerverbrecher''' ließ bei entsprechender geistiger Reife eine Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf Jugendliche ab 16 zu.  § 20 des Reichsjugendgerichtsgesetzes vom 06.11.1943  verschärfte das Jugendstrafrecht weiter. Danach konnte auch auf Minderjährige ab 14  Erwachsenenstrafrecht angewandt werden, und zwar unabhängig von ihrer geistigen Reife unter Hervorhebung des Gesellschaftsschutzes, was Exner seinerzeit begrüßte (vgl. Dölling, 1989).  


Neben dem [[Gemeinschaftsfremdengesetz]], das als förmliches Gesetz nie zustande kam, existierten [http://www.uni-kassel.de/~ayass/inhalt.html unzählige Erlasse], Protokolle, Verfügungen oder Vollzugsvorschriften, die von "hartem Vorgehen gegen Wohnungslose" über "Anweisungen zu verschärfenden Strafvorschriften von Bettlern oder Prostituierten" zu "Vernichtung Asozialer als Aufgabe der Justiz" reichten und inhaltlich den Gemeinschaftsfremden typologisierten. Gegen die Tätertypenlehre hatte sich bereits 1943 der Psychiater [http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Walter_Gruhle  Hans Walter Gruhle] (1880-1959) insbesondere wegen ihrer Vagheit, Unbestimmtheit und der daraus resultierenden Vernachlässigung von Tatbeständen zugunsten eines "völkischen Täterstrafrechts" ausgesprochen (vgl. Streng, 1993, S. 158). Denn die Konzentration auf Tätertypen zog [[Strafvollzug im Dritten Reich|strafprozessuale]] Folgen nach sich. Nicht die Tat, sondern der Täter stand im Mittelpunkt, wodurch sich letztendlich ein [http://de.wikipedia.org/wiki/Feindstrafrecht Feindstrafrecht] etablierte. Der Täter wurde zum Gesellschaftsfeind, dieses Feindbild wurde schließlich auf ganze  Bevölkerungsgruppen übertragen. So beschäftigte sich [[Exner]] während seines Aufenthalts in den USA  mit „Negerkriminalität“. Er schrieb „den Negern“ aufgrund ihrer Rasse ein hohes Maß an Kriminalität zu und folgerte aus dem  Arischsein der Norddeutschen ein geringes Aufkommen von Kriminalität. Weiterhin bestand nach Exner die jüdische Straffälligkeit im Begriff des „Gewinnsuchtverbrechertums“. Die folgenschwere Schlussfolgerung „Judentum ist Erbverbrechertum“ ebnete wohl mit den Weg zum  [[Holocaust]] (vgl. Dölling, 1989).
== Forschung und Lehre==
=== Personalpolitik zwischen Vertreibung und Selbstgleichschaltung ===


== Kriminologie im Dienste der Kriminal- und Rassenpolitik ==
====Emigration====
Die Gesetzesentwürfe des [[Gemeinschaftsfremdengesetz]]es in der Zeit von 1941 - 1944 stellten den Eskalationshöhepunkt des kriminalbiologischen Diskurses im damaligen Strafrecht dar, wobei insbesondere der letzte Enwurf das Zusammenwirken von Kriminolgie und Kriminalpolitik aufzeigte.
[[Gustav Aschaffenburg]], [[Curt Bondy]], [[Max Grünhut]], [[Hermann Mannheim]] und [[Hans von Hentig]].
Insgesamt existierten 3 Entwürfe zum geplanten aber nie durchgesetzten [[Gemeinschaftsfremdengesetz]], dessen wahrhaftige Bedeutung im Begriff des Gemeinschaftsfremden  an sich lag. Ein erster Entwurf scheiterte 1941 am Widerstand des Reichsjustizministers [http://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Georg_Thierack Otto Georg Thierak] (1889-1946), der einen Kompetenzverlust der Justiz gegenüber polizeilichen Maßnahmen entgegenwirken wollte. Der zweite Entwurf scheiterte 2 Jahre später an [http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Goebbels Joseph Goebbels] (1897-1945), der die geplante Klassifizierung in u.a. "Schmarotzer, Versager, Taugenicht" ablehnte, da diese im Volksmund gebraucht und der Typologisierung in  den geplanten gesetzlichen Bestimmungen nicht entsprachen und damit irreführten. Ein letzter Entwurf erschien 1944, er sah eine  Einteilung der Gemeinschaftsfremden u.a. in "Versager, Arbeitsscheue und Liederliche" vor. Die Unfruchtbarmachung Gemeinschaftsfremder hätte mit diesem letzten Entwurf umsetzbar werden sollen. Dieser letzte Gesetzesentwurf bezog sich konkret auf Erblehre und [[Kriminalbiologie]]. [[Exner]] und [[Edmund Mezger|Mezger]] waren nicht nur inhaltlich maßgeblich beteiligt gewesen, sie sollten, so das Reichsjustizministerium, zudem kriminalbiologische Schulungskurse abhalten (vgl. Werle, 1989). Schließlich scheiterte das Gesetzesvorhaben aufgrund der Kapitulation Deutschlands.  


Der Tendenz zur Verpolizeilichung des Strafrechts standen [[Exner]] und [[Edmund Mezger|Mezger]] jedoch nicht unkritisch gegenüber. So forderte [[Edmund Mezger|Mezger]] einen „justizmäßig klaren Gesetzesaufbau“ und [[Exner ]] „scharfe und reinliche Gesetzesbegriffe“ (vgl. Werle, 1989). Dennoch bleibt die Rolle [[Edmund Mezger|Mezgers]] umstritten. In verschiedenen Auflagen seines Werkes  "Kriminalpolitik auf kriminologischer Grundlage" zwischen 1934 bis 1944 schrieb er der [[Kriminalpolitik]] die Aufgabe der "rassenmäßigen Aufartung  des Volkes" zu, "der entartete Schädling solle ausgemerzt werden".
====Arten der Anpassung====
Nach Langewiesche (1997) lassen sich vier Anpassungstypen unterscheiden.  


== Auseinandersetzung mit der Kriminologie nach Kriegsende und in der Spätmoderne ==
=====Eigensinnige Selbstbehauptung=====
Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg fand keine Auseinandersetzung mit den Verstrickungen der [[Kriminologie]] während der Zeit des Dritten Reiches  statt. Stillschweigend wurden durch [[Exner]] und [[Edmund Mezger|Mezger]] Literatur umbenannt oder Inhalte pseudo-modifiziert. [[Exner]] trat während der [[Nürnberger Prozesse]] als Verteidiger auf, während [[Edmund Mezger|Mezger]] seines Amtes enthoben, in den Nachkriegsjahren jedoch vollständig rehabilitiert wurde.
[[Gustav Aschaffenburg]] wirkte während der 1930er Jahre noch als Mitherausgeber der Monatsschrift, bevor er ins Exil ging.
In Vergessenheit gerieten lange Zeit Kriminologen wie [[Hans von Hentig]], der wegen seiner politischen Opposition 1935 seine  Professur  verlor (s. auch: [[Kieler Schule]]), in die USA emigrierte und nach dem Krieg erneut in Bonn lehrte. Er gilt heute als entscheidender Wegbereiter der Viktimologie. Auch die jüdischen Kriminologen [[Herbert Mannheim]] und [[Max Grünhut]] gerieten  in Vergessenheit,   die letztendlich dem nationalsozialistischen  Diskurs ihrer Kollegen zum Opfer fielen und nach Flucht bzw. Emigration an britischen Eliteuniversitäten Fuß fassten. So resümiert [[David Garland]] den großen Verdienst  Mannheims und Grünhuts an der Entwicklung der [[Kriminologie]] als eigenständige Wissenschaft in Großbritannien [http://bjc.oxfordjournals.org/cgi/content/abstract/44/4/469  (vgl. Oxfordjournal)].


Eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Verstrickungen der [[Kriminologie]] während des Dritten Reiches begann erst im späten 20 Jhd. Während sich vereinzelt Autoren kritisch mit den Machenschaften [[Exner]]s und [[Edmund Mezger|Mezger]]s auseinandersetzen (u.a.: Ina Pfennig, Francisco Munoz Conde, Gerit Thulfaut), reflektieren andere die Zusammenhänge zwischen [[Kriminologie]] als Wissenschaft und dem nationalsozialistischen Diskurs oder betreiben  analytische Ursachenforschung (u.a.: [[Dieter Dölling|Dölling]], [[Franz Streng|Streng]]). So hebt beispielsweise  Streng in einem ganzen Kapitel kritisch auf die weichenstellende Rolle [[Franz v. Liszt]] s ab. Dölling reflektiert die allmähliche Entwicklung des Schulterschlusses zwischen kriminologischem und politischem Diskurs, den auch Werle am Beispiel der Entwicklung des Gemeinschaftsfremdengesetzes umfassend erläutert.
=====Illusionäre Selbstgleichschaltung=====
Der bekannteste nicht-emigrierte deutsche Kriminologe der NS-Zeite war [[Franz Exner]], der schon wegen seiner Arbeiten aus den 1920er Jahren auch international hohes Ansehen genoss und der mit seinem Lehrbuch "Kriminalbiologie" im Jahre 1939 eine Art Zwischenbilanz seines Schaffens zog - die nicht ohne erhebliche Konzessionen an die rassenideologischen Vorgaben der Zeit zu haben war, aber in der dritten Auflage unter dem Titel "Kriminologie" (1949) noch bis weit in die Jahre der Bundesrepublik hinein wirkte.


== Rückblick/Ausblick ==
=====Nachholende Selbstgleichschaltung=====
Sowohl eine Überbetonung des kriminalbiologischen Diskurses als auch  aufkommende Sympathie für nationalsozialistische Gesellschaftsveränderungen durch wissenschaftliche Randfiguren und Stimmführer führten zur Anfälligkeit für Missbrauch der damaligen, in der biologischen Tradition der Weimarer Zeit stehenden [[Kriminologie]]. Mit oftmals auf schmaler empirischer Basis gestelltem wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn, damit verbundenem Wissenschaftsmissbrauch unter Außerachtlassung von Ethik und Moral, wurde die [[Kriminalbiologie]] zur Legitimationswissenschaft, zum „Stützpfeiler oder zur Garnitur des Unrechts“ (Streng, 1993) der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Im Bann der ideologischen Anziehungskraft des Nationalsozialismus  versäumte es ein ganzer Wissenschaftszweig,  den damaligen Zeitgeist  ausreichend zu hinterfragen (vgl. Dölling, 1989, Streng, 1993).
[[Adolf Lenz]] konstatierte 1937, dass die Kriminalbiologie "zur autoritären Staatsführung ihr Scherflein beizutragen" habe (Streng 1993: 143)


Derzeit hinterfragt insbesondere die [[kritische Kriminologie]] die sporadisch immer wieder auflebende Renaissance des biologischen Diskurses, von dem eine "eigentümliche Faszination" auszugehen scheint (vgl. Kunz, 2004).
=====Identifizierende Selbstgleichschaltung=====
[[Edmund Mezger|Mezger]] publizierte 1931 ein Lehrbuch des Strafrechts, 1934 ein Buch namens "Kriminalpolitik auf kriminologischer Grundlage". In diesem Buch erklärte er (1934: v): "Im neuen Strafrecht werden zwei Ausgangspunkte wesentlich sein ...: Der Gedanke der Verantwortung des Einzelnen vor seinem Volk und der Gedanke der rassenmäßigen Aufartung des Volkes als eines Ganzen." Die "Forderung nach rassenhygienischen Maßnahmen zur Ausrottung krimineller Stämme" sei "unabweislich" (21 f.).
 
Mezger brachte die sogenannte Analogienovelle von 1935 (Gesetz zur Änderung des :Strafgesetzbuches vom 28.05.1935) mit auf den Weg, die das „[http://de.wikipedia.org/wiki/Analogieverbot Analogieverbot]“ aufhob und „[http://de.wikipedia.org/wiki/Gesundes_Volksempfinden das gesunde Volksempfinden]“ maßgeblich für eine Bestrafung werden ließ (§ 2 RStGB).
 
[[Theodor Viernstein]] erklärte als neugewählter Vorsitzender der Kriminalbiologischen Gesellschaft 1937: "In diesem gewaltigen Umbau des Denkens und Handelns zu neune Grundlagen der Gemeinschaftsbeziehngen erhält zwangsläufig die Kriminalbiologie eine ihre gerichtshelferische Ausgangsrolle übersteigende Bedeutung, weil sie eine wissenschaftlich begründete Behandlung gerade jener abgrenzbaren Bevölkerungsschicht an die Hand gibt, die zum Teil nicht allein sozial abträglich, sondern zugleich auch erb- und rassenwertlich schädlich ist und insoweit eienr planmäßigen Ausschaltung zugeführt werden muß" (Streng 1993: 143).
 
 
Der Gerichtsmediziner und Rassehygieniker [[Ferdinand von Neureiter]] (1893-1946), der von 1937 – 1939  die kriminalbiologische Forschungsstelle leitete und in dieser Funktion im Dienst des Reichsgesundheitsministeriums stand und Vorgänger von [http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Ritter Robert Ritter] war.
 
=== Abkehr von Psychoanalyse und Gesellschaftskritik ===
Die Abkehr von der Psychoanalyse wurde unter anderem damit begründet, dass sie "von jüdischer Seite begründet und vertreten" worden sei. Ihr Verstehens- und Erziehungs-Ansatz galt zudem als ungeeignet, da das Strafrecht kriminalpolitisch "ein Kampfrecht zum Schutze und zur Entfaltung des Volkes" darstelle: "Erziehungsmaßnahmen vermögen allein dessen besondere Aufgabe nicht zu erfüllen" (Mezger 1942: 74, 78; zit.n. Streng 1993: 142).
 
=== Kriminalbiologische Schwerpunktbildung ===
'''Vererbungs- und Sippenforschung'''
[http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Ritter Robert Ritter] (1937) und seine Mitarbeiterin, die Psychologin [http://www.ffmhist.de/ffm33-45/portal01/portal01.php?ziel=t_ak_ritter_justin Eva Justin], sahen die Gaunereigenschaft als vererblich an und forderten die Unfruchtbarmachung „artfremd erzogener Zigeunerkinder und ihrer Nachkommen“ (ähnlich: Ludwig Kuttner).
 
Heinrich W. Kranz untersuchte 1941 das „[http://de.wikipedia.org/wiki/Asoziale_(Nationalsozialismus) Asozialenproblem]“. [http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/zeitgeschichte/site/browse.php?arttyp=k&l1=2&l2=1004&l3=1021&l4=1032 Friedrich Stumpfl] äußerte sich in seiner Studie über „Erbanlage und Verbrechen“ (1936) über Zwillings- und Sippenforschung.
 
'''Zwillingsforschung'''
Mit der [[Chromosom|Zwillingsforschung]] hatte Johannes Lange (1891-1938) 1929 erstmalig Erbeinfluss auf kriminelles Verhalten untersucht. Eineiige kriminelle Zwillingspaare hatten ihm zufolge eine höhere Konkordanz aufzuweisen als zweieiige kriminelle Zwillingspaare, so dass er Erbanlage als Verbrechensursache schlussfolgerte. Er sah „Verbrechen als Schicksal“. Zu ähnlichen Ergebnisse kamen Heinrich Kranz („Lebensschicksale krimineller Zwillinge“ - 1936) und Friedrich Strumpfl („die Ursprünge des Verbrechens“ – 1936).
 
'''Konstitutionsbiologie'''
Die Lehre des deutschen Psychiaters [http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Kretschmer Ernst Kretschmer] (1888 – 1964) über die Zusammenhänge zwischen Körperbau und Charakter, wurde von der Kriminologie für die Konstruktion des Anlageverbrechers aufgegriffen.
 
'''Psychopathie'''
Die Lehre [http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Schneider Kurt Schneiders] (1887- 1967 ),  der psychopatische Persönlichkeiten kategorisierte und nicht nur das individuelle Leiden des Abweichlers, sondern auch das Leiden der Gesellschaft unter dem Abweichler in den Vordergrund stellte, wurde von den Kriminologen  mit  der Formel „Gewohnheitsverbrecher sind Psychopaten“ übernommen. Stumpfl sah die Psychopathen unter den Rückfallverbrechern überrepräsentiert; Exner vermutete eine hohe Zahl derselben unter den Schwerverbrechern; Mezger sah die psychopathischen als besonders gefährliche Verbrecher an. Exner und Stumpfl sahen zudem die Psychopathie als Erbkrankheit an. Stumpfl forderte rassenhygienische Maßnahmen. Diese  Einschätzung  führte letztendlich  zu Forderungen von  „Gegenmaßnahmen“ wie Eheverbot, Sterilisation und Sicherungsverwahrung (vgl. Dölling, 1989; Streng 1993).
Die Abwendung vom Tatstrafrecht und die Hinwendung zum Täterstrafrecht (eines der Merkmale der NS-Kriminologie) hatte schon zu Ende des 19. Jahrhunderts stattgefunden (vgl. [[Lombroso]] und [[Franz v. Liszt]]). Diese Traditionslinien schlugen sich auch in den [[Tätertypologien|Tätertypologie]] der NS-Zeit. Bezeichnungen wie Gewohnheits-, Zustands- oder Gelegenheitsverbrecher, Mehrfach- oder  Hangtäter etc. wurden in der Kriminologie wie in der Kriminalpolitik und in Gesetzen benutzt. Sie bezogen sich zudem auf die nationalsozialistische Ideologie des Gemeinschaftsschutzes und die entsprechenden Ausgrenzungs- und Ausmerzungsvorhaben. Auch das Strafgesetzbuch arbeitete mit tätertypisierenden Begriffen („gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher“; "Mörder" etc.).
 
'''Tätertypologie und Kriminalpolitik'''
*Das ''Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung'' vom 24.11.1933 sah die Sicherheitsverwahrung und Entmannung für gefährliche Gewohnheitsverbrecher vor. Das ''Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses'' vom 14.07.1933 ermöglichte die Sterilisation bzw. Unfruchtbarmachung von Erb- und schwer Alkoholkranken.
*Im ''Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes'' vom 18.10.1935 war ein Eheverbot zum Schutz der Volksgemeinschaft und zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ enthalten. Mit der ''Änderung des Reichsstrafgesetzbuches'' vom 04.11.1941 ging eine Verschärfung gegen "gefährliche Täter" einher. Demnach  drohte gefährlichen Gewohnheits- und Sittlichkeitsverbrechern die Todesstrafe, wenn Sühne oder Gesellschaftsschutz dies erforderten. Die am 04.10.1939 verabschiedete ''Verordnung zum Schutz gegen jugendliche Schwerverbrecher'' ließ bei entsprechender geistiger Reife eine Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf Jugendliche ab 16 zu.  § 20 des Reichsjugendgerichtsgesetzes vom 06.11.1943  verschärfte das Jugendstrafrecht weiter. Danach konnte auch auf Minderjährige ab 14  Erwachsenenstrafrecht angewandt werden, und zwar unabhängig von ihrer geistigen Reife unter Hervorhebung des Gesellschaftsschutzes, was Exner seinerzeit begrüßte (vgl. Dölling, 1989).
 
Neben dem [[Gemeinschaftsfremdengesetz]], das als förmliches Gesetz nie zustande kam, existierten [http://www.uni-kassel.de/~ayass/inhalt.html unzählige Erlasse], Protokolle, Verfügungen oder Vollzugsvorschriften, die von "hartem Vorgehen gegen Wohnungslose" über "Anweisungen zu verschärfenden Strafvorschriften von Bettlern oder Prostituierten" zu "Vernichtung Asozialer als Aufgabe der Justiz" reichten und inhaltlich den Gemeinschaftsfremden typologisierten. Gegen die Tätertypenlehre hatte sich bereits 1943 der Psychiater [http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Walter_Gruhle  Hans Walter Gruhle] (1880-1959) insbesondere wegen ihrer Vagheit, Unbestimmtheit und der daraus resultierenden Vernachlässigung von Tatbeständen zugunsten eines "völkischen Täterstrafrechts" ausgesprochen (vgl. Streng, 1993, S. 158). Denn die Konzentration auf Tätertypen zog [[Strafvollzug im Dritten Reich|strafprozessuale]] Folgen nach sich. Nicht die Tat, sondern der Täter stand im Mittelpunkt, wodurch sich letztendlich ein [http://de.wikipedia.org/wiki/Feindstrafrecht Feindstrafrecht] etablierte. Der Täter wurde zum Gesellschaftsfeind, dieses Feindbild wurde schließlich auf ganze  Bevölkerungsgruppen übertragen. So beschäftigte sich [[Exner]] während seines Aufenthalts in den USA  mit „Negerkriminalität“. Er schrieb „den Negern“ aufgrund ihrer Rasse ein hohes Maß an Kriminalität zu und folgerte aus dem Arischsein der Norddeutschen ein geringes Aufkommen von Kriminalität. Weiterhin bestand nach Exner die jüdische Straffälligkeit im Begriff des „Gewinnsuchtverbrechertums“ (vgl. Dölling, 1989).
 
Die Gesetzesentwürfe des [[Gemeinschaftsfremdengesetz]]es in der Zeit von 1941 - 1944 stellten den Eskalationshöhepunkt des kriminalbiologischen Diskurses im damaligen Strafrecht dar, wobei insbesondere der letzte Enwurf das Zusammenwirken von Kriminolgie und Kriminalpolitik aufzeigte. Insgesamt existierten 3 Entwürfe zum geplanten aber nie durchgesetzten [[Gemeinschaftsfremdengesetz]], dessen wahrhaftige Bedeutung im Begriff des Gemeinschaftsfremden  an sich lag. Ein erster Entwurf scheiterte 1941 am Widerstand des Reichsjustizministers [http://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Georg_Thierack Otto Georg Thierak] (1889-1946), der einen Kompetenzverlust der Justiz gegenüber polizeilichen Maßnahmen entgegenwirken wollte. Der zweite Entwurf scheiterte 2 Jahre später an [http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Goebbels Joseph Goebbels] (1897-1945), der die geplante Klassifizierung in u.a. "Schmarotzer, Versager, Taugenichtse" ablehnte, da diese im Volksmund gebraucht und der Typologisierung in  den geplanten gesetzlichen Bestimmungen nicht entsprachen und damit irreführten. Ein letzter Entwurf erschien 1944, er sah eine  Einteilung der Gemeinschaftsfremden u.a. in "Versager, Arbeitsscheue und Liederliche" vor. Die Unfruchtbarmachung Gemeinschaftsfremder hätte mit diesem letzten Entwurf umsetzbar werden sollen. Dieser letzte Gesetzesentwurf bezog sich konkret auf Erblehre und [[Kriminalbiologie]]. [[Exner]] und [[Edmund Mezger|Mezger]] waren nicht nur inhaltlich maßgeblich beteiligt gewesen, sie sollten, so das Reichsjustizministerium, zudem kriminalbiologische Schulungskurse abhalten (vgl. Werle, 1989). Schließlich scheiterte das Gesetzesvorhaben aufgrund der Kapitulation Deutschlands.
 
*Der Tendenz zur Verpolizeilichung des Strafrechts standen [[Exner]] und [[Edmund Mezger|Mezger]] jedoch nicht unkritisch gegenüber. So forderte [[Edmund Mezger|Mezger]] einen „justizmäßig klaren Gesetzesaufbau“ und [[Exner ]] „scharfe und reinliche Gesetzesbegriffe“ (vgl. Werle, 1989). Dennoch bleibt die Rolle [[Edmund Mezger|Mezgers]] umstritten. In verschiedenen Auflagen seines Werkes  "Kriminalpolitik auf kriminologischer Grundlage" zwischen 1934 bis 1944 schrieb er der [[Kriminalpolitik]] die Aufgabe der "rassenmäßigen Aufartung  des Volkes" zu, "der entartete Schädling solle ausgemerzt werden".
 
=== Praxisorientierung ===
*Das '''Anlagedenken''' trat in den Vordergrund und wurde mit ökonomischen und rassistischen Elementen verknüpft. Man suchte nach Vererbung (Zwillinge), nach psychischen Merkmalen (Psychopathie) und verknüpfte sie mit Verbrechertypen wie z.B. dem Gewohnheitsverbrecher: "Gewohnheitsverbrecher - so wurde angenommen - sind in der Regel Psychopathen. Nach Stumpfl handelte es sich bei den von ihm untersuchten Rückfallverbrechern fast ausnahmslos um Psychopathen. Das dürfte nach seiner Auffassung 'wohl in Deutschland von der überwiegenden Merhzahl aller Schwerkriminellen gelten (...) Mezger führte aus: 'Denn der psychopathische Verbrecher, den seine krankhafte Veranlagung immer wieder zum Verbrechen treibt, ist in der Regel ein ganz besonders gefährlicher Verbrecher'" (Dölling 1989: 200).
 
*Lehre von den '''Unverbesserlichen'''. Die Unterscheidung zwischen Gelegenheitstätern und Gewohnheitsverbrechern führte dazu, dass Gewohnheitsverbrecher als Sondergruppe aufgefasst wurden, "die nur noch wenige Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen" aufwies. "Dies begründete dann die Gefahr einer besonders intensiven Sanktionierung dieser Sondergruppe." Schon 1928 hatte Mezger (MschrKrim 19: 385, 393) erklärt: "Es gibt Verbrecher, die vermöge ihrer erbbiologisch bedingten Anlage anders sind und zeitlebens anders bleiben als andere Menschen. Sie sind nicht geisteskrank ..., aber sie sind dauernd unfähig, am normalen sozialen Zusammenleben der Menschen gleichberechtigt teilzunehmen. Insofern sind sie 'unverbesserlich' und bedürfen der 'Ausscheidung aus der menschlichen Gemeinschaft'"(Dölling 1989: 203).
 
*'''Minderwertigkeit'''. Fickert (Rassenhygienische Verbrechensbekämpfung 1938, 3, 82) erklärte, "einen wissenschaftlichen Beitrag zum Problem einer rassenhygienischen Schädlingsbekämpfung zu lesiten" und postulierte: "Bei diesen Schädlingen wird die psychopathische Abartigkeit tatsähclich zu einer 'psychpathischen Minderwertigkeit'; diesen Ballastexistenzen ehat sich das ganze Interesse der Erb- und Rassenhygiene zuzuwenden."
 
*Schon 1934 hatte der Strafrechtler Siegert die''' Tötung als Sicherungsmaßnahme''' befürwortet: "Schließlich ist für die Zukunft noch zu prüfen, ob der nationalsozialistische Staat auch zur letzten Sicherung gegen einen entarteten Volksgenossen, zur Tötung schreiten soll. Die Frage der Vernichtung lebensunwerten Lebens gewinnt heute eine ganz andere Bedeutung als früher, da der Einzelne nicht mehr als Einzelwesen, sondern in seiner Bedeutung als Glied der Gemeinschaft gewertet wird. ...Das kommende Strafgesetzbuch müßte also die Möglichkeit schaffen, bei unheilbaren, gefährlich geisteskranken Rechtsbrechern, die ohne jeden, auch ethischen Wert für die Allgemeinheit sind, auf Tötung zu erkennen, sofern sie ein schweres Verbrechen begehen" (zit.n. Dölling 1989: 207 f.).
 
*Volkszugehörigkeit und Kriminalität. Die Bewohner Nordwestdeutschlands "haben nun in der Tat ihr besonderes körperliches und geistiges Gepräge. Es ist die nordische und die nordisch-fälische Rasse, die hier überwiegend zu finden ist. In ihrer körperlichen Erscheinung sind es die schlanken und die schweren blonden Deutschen" (Exner erklärte so die niedrigere Kriminalitätsbelastung in dieser Gegend).
 
*'''Vernichtung und Ausrottung.''' Johann von Leers, Die Verbrechernatur der Juden (1944: 8): ".. ist auch die menschliche Gesellschaft ... berechtigt ..., das erbkriminelle Volk auszutilgen, ja es entsteht sogar die Pflicht der Rechtsverfolgung hinter den Juden durch alle Länder hindurch, um sie zu vernichten und auszurotten ...".
 
=== Nicht-Thematisierungen ===
 
 
=== Anknüpfungspunkte innerhalb der Kriminologie ===
Die Kriminologie hatte sich in Deutschland unter dem Einfluss von [[Franz v. Liszt]] und der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (IKV) als Hilfswissenschaft des Strafrechts gerade erst im akademischen Überschneidungsraum von Strafrecht, Strafvollzug, Psychiatrie sowie Rechts- und Sexualmedizin etabliert, als der Erste Weltkrieg ihre internationalen Verbindungen kappte. Bevor die Zeit der NS-Herrschaft begann, gab es aber schon eine Reihe von Anknüpfungspunkten:
*Die "moderne Schule" hatte der Auffassung zum Durchbruch verholfen, dass das Strafrecht eine soziale und politische Funktion zu erfüllen habe - die Sicherung der Lebensbedingungen des Einzelnen und der Gesellschaft. Jede Zeit müsse selbst wissen, was sie als Lebensbedingungen definiere. Franz v. Liszt (Der Zweckgedanke im Strafrecht, in: Strafr. Aufsätze und Vorträge, Bad. 1, Berlin: J. Guttentag 1905: 126 ff.) hatte erklärt: "Jene Handlungen, welche für dieses Volk zu dieser Zeit als Störungen seiner Lebensbedingungen erscheinen, sind unter Strafe zu stellen ... der Zweckgedanke allein zieht die Grenzlinie."
*Die "moderne Schule" hatte keine Skrupel, wenn es um "unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher" ging. Sie verlangte vom Staat, die Gesellschaft gegen den Anpassungsunfähigen zu schützen, "indem man ihn aus der Gesellschaft ausscheidet" (v. Liszt, Mitteilungen der IKV, Bd. 19, 1912: 377 ff.). Die Einschließung auf unbestimmte Zeit sollte in einer Art Strafknechtschaft bestehen "mit strengstem Arbeitszwang" und "Ausnutzung der Arbeitskraft". Als Disziplinarstrafe sollte Einzelhaft möglich sein: "verbunden mit Dunkelarrest und strengstem Fasten" (v. Liszt 1905: 170).
*Für Gewohnheitsverbrecher hatte v. Liszt vorgeschlagen: "Arbeitshaus mit militärischer Strenge ohne Federlesens und so billig wie möglich, wenn auch die Kerle zugrundegehen. Prügelstrafe unerlässlich ... Der Gewohnheitsverbrecher (der Begriff ist nicht ganz unser technischer: Ich meine den prinzipiellen Gegner der Rechtsordnung) muß unschädlich gemacht werden, und zwar auf seine Kosten, nicht auf die unseren. Ihm Nahrung, Luft, Bewegung usw. nach rationellen Grundsätzen zumessen, ist Mißbrauch der Steuerzahler" (aus einem Brief an Dochow 1880, zit. bei Radbruch, Elegantiae Iuris Criminalis, 2. Aufl. 1950: 229).
*v. Liszt wünschte, man hätte den Mut, "unsere Strafgesetzbücher durch den einzigen Paragraphen zu ersetzen: 'Jeder gemeingefhrliche Mensch ist im Interesse der Gesamtheit so lange als nötig unschädlich zu machen" (zit. n. Naucke, Die Kriminalpolitik des Marburger Programms 1882, ZStW 1982: 540).
 
*In den 1920er Jahren hatte sich die [[Kriminalbiologie]] entwickelt: in Bayern sammelte seit 1924 der Kriminalbiologische Dienst in den Strafanstalten die physischen Merkmale von Gefangenen; 1927 veröffentlichte [[Adolf Lenz]] aus Graz seinen "Grundriss der Kriminalbiologie" und gründete die Kriminalbiologische Gesellschaft. 1929 hatte Johannes Lange seine Zwillingsuntersuchungen veröffentlicht ("Verbrechen als Schicksal. Studien an kriminellen Zwillingen"; ein Exner-Schüler hatte 1930 die "erbbiologische Kartei" im Dresdener Justizministerium im Hinblick auf erbliche Belastungen bei Vermögensverbrechern ausgewertet.
 
*Schon 1926 gab es gewaltsame Störungen von Veranstaltungen jüdischer Professoren; vielerorts war die Studentenschaft in den letzten Jahren der Weimarer Republik bereits militant nationalsozialistisch eingestellt.
== Beitrag der Kriminologie zur Kriminalität ==
 
== Sieben Thesen ==
'''(1) Im NS-Staat verlor die deutsche Kriminologie die Verbindung mit der Entwicklung der Wissenschaft.''' Viele der Einseitigkeiten, die sich seither - auch in der kritischen Variante - zeigten, sind gerade diesem bis heute noch nicht überwundenen Provinzialismus geschuldet.
 
'''(2) Eine wissenschaftliche Kriminologie hat dem Staat und seiner Kriminalpolitik nicht zu gehorchen.''' Sie hat sie nicht zum Ausgangspunkt ihrer Forschungen zu machen, sondern zu deren Gegenstand. Sie hat sie auch nicht zu beraten, sondern zu analysieren. Ihr Untersuchungsobjekt ist die selektive staatliche Definition von Kriminalität, die staatliche Begehung von Kriminalität und die selektive, d.h. zum Teil durch Dramatisierung, zum Teil durch Vernachlässigung gekennzeichnete staatliche Prävention und Repression von Kriminalität. Staatliche Statistiken sind ebenso zu behandeln. Staatliche Rechtsauffassungen sind von der Rechtslage zu unterscheiden. Themen der Kriminologie wären dann vor allem: konforme Kriminalität, Gehorsamstaten, der Prozess der Kriminalisierung, das Verhältnis von Maßnahmenstaat und Normenstaat. Vorbilder können sein: Nils Christie, Louk Hulsman, Herbert Jäger, Stanley Milgram, Wayne Morrison, Philip Zimbardo.
 
'''(3) Die Kriminologie verschloss die Augen vor der großen Kriminalität in Staat und Gesellschaft:''' vor den politischen Morden während der Weimarer Republik und vor der politischen Justiz, vor den Morden in den KZs und den Vernichtungslagern, vor der Folterung durch die Gestapo, durch SA und SS, vor den Kriegsverbrechen und den im Schatten des Krieges begangenen Verbrechen. Sie sah die außerjustizielle (polizeiliche) Verschleppung, Folterung, Exekution vielleicht auch gerade deshalb nicht als ihr Thema an, weil man sich als Kriminologe auf die Strafgesetzgebung und die Strafjustiz sowie den regulären Strafvollzug zu konzentrieren pflegte.
 
'''(4) Schwerpunkte des Versagens waren:'''
 
*Sie ignorierte den [http://www.kriminologie.uni-hamburg.de/wiki/index.php/Nationalsozialistischer_Terrorismus NS-Terrorismus]
*Sie versagte nicht wegen des Positivismus, sondern wegen ihrer Politisierung
*Sie wurde selbst zum Instrument der Makro-Kriminalität
*Sie versagte bei der Analyse der Gesetzgebung/Normgenese wie auch bei der Beschreibung und Analyse von "Kriminalität" und "Sanktionen" im Bereich der Justiz und im Bereich der Polizei (KZ; Gestapo; Militär- und Strafurteile; Todesurteile).
*Ohne die Kriminologie wäre der Definitions- und Eliminations-Prozess nicht so reibungslos gelaufen. Insofern hat sie historisch wohl einen negativen Saldo: mehr geschadet als genutzt.
 
'''(5) Die kriminologische Aufklärung (Beccaria, v. Liszt) zeigte im NS-Staat die Ambivalenz der Moderne.''' Die NS-Kriminologie war nichts "ganz anderes", sondern nur die Radikalisierung einer vorhandenen Vorstellung von Kriminalität, Kriminellen und den Aufgaben der Kriminalpolitik. Ausgerechnet die positiv konnotierten Modernisierungen des Strafrechts (Beccaria, v. Liszt) schufen Anknüpfungspunkte für die Etikettierung und Eliminierung von Unverbesserlichen.
 
'''(6) Die Kriminologie bedarf einer realistischen Konzeption des Staates als Untersuchungsobjekt'''. Dafür eignet sich die Figur des Doppelstaates (Ernst Fraenkel).
 
'''(7) Aufgrund ihrer Politik- und Praxisnähe sowie aufgrund ihrer historischen Verstrickungen muss die Kriminologie eine „moralische Phantasie“ ausbilden''', also das Gefühl für die Wahrnehmung des „Undenkbaren“ schulen, um Folgen abschätzen und den von Günther Anders formulierten universellen hippokratischen Eid ablegen zu können: keine Arbeiten annehmen und durchführen, ohne diese zuvor darauf geprüft zu haben, ob sie direkte oder indirekte Vernichtungsarbeiten sind; die Arbeiten, an denen wir gerade teilnehmen, aufzugeben, wenn diese sich als solche direkten oder indirekten Vernichtungsarbeiten erweisen sollten (Anders, Die atomare Bedrohung, 137)


== Literatur ==
== Literatur ==
*Wolfgang Ayaß, ''"Gemeinschaftsfremde". Quellen zur Verfolgung von "Asozialen" 1933 - 1945''. Koblenz: Bundesarchiv (Materialien aus dem Bundesarchiv, 5) - 1998
*Ayaß, Wolfgang ''"Gemeinschaftsfremde". Quellen zur Verfolgung von "Asozialen" 1933 - 1945''. Koblenz: Bundesarchiv (Materialien aus dem Bundesarchiv, 5) - 1998
*Imanuel Baumann, ''Dem Verbrechen auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminologie und Kriminalpolitik in Deutschland 1880 bis 1980'', Göttingen 2006
*Baumann, Imanuel ''Dem Verbrechen auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminologie und Kriminalpolitik in Deutschland 1880 bis 1980'', Göttingen 2006
*Dieter Dölling, ''Kriminologie im "Dritten Reich"'', in: Ralf Dreier und Wolfgang Sellert (Hrsg.), ''Recht und Justiz im "Dritten Reich"'', Frankfurt a.M. 1989, S. 194-225.
*Dölling, Dieter ''Kriminologie im "Dritten Reich"'', in: Ralf Dreier und Wolfgang Sellert (Hrsg.), ''Recht und Justiz im "Dritten Reich"'', Frankfurt a.M. 1989, S. 194-225.
*Franz Streng, ''Der Beitrag der Kriminologie zur Entstehung und Rechtfertigung staatlichen Unrechts im "Dritten Reich"'', in: ''Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform'' 76 (1993), S. 141-168.  
*Freisler, Roland (1942) Kriminologie – unentbehrliche und gleichwertige Grundlage erfolgreicher Strafrechtspflege. In: Deutsches Strafrecht 7/8 (1942) 97–107.
*Richard F. Wetzell, ''Inventing the Criminal. A History of German Criminology 1880-1945'', Chapel Hill und London 2000, insbs. S. 179-231.
*Kaiser, Günther ''Kontinuität und Diskontinuität in den Diskursen über Kriminalität und strafrechtliche Sozialkontrolle im Lichte wissenschaftshistorischer Betrachtung'' in ''Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform'' 89 (2006), S. 314-327.
*Günther Kaiser, ''Kontinuität und Diskontinuität in den Diskursen über Kriminalität und strafrechtliche Sozialkontrolle im Lichte wissenschaftshistorischer Betrachtung'' in ''Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform'' 89 (2006), S. 314-327.
*Kunz, Karl-Ludwig ''Kriminologie - eine Grundlegung'' Bern, 2004
*Gerhard Werle, ''Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich'' Berlin 1989, S. insbs. 636-658
*Langewiesche, Dieter (1997) Die Universität Tübingen in der Zeit des Nationalsozialismus: Formen der Selbstgleichschaltung und Selbstbehauptung. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft 23.618-646.
*Gerit Thulfaut, ''Kriminalpolitik und Strafrechtslehre bei Edmund Mezger - Eine wissenschaftsgeschichtliche und biographische Untersuchung'', Baden-Baden, 2000
*Rafter, Nicole (2008) Criminology's Darkest Hour: Biocriminology in Nazi Germany Australian & New Zealand Journal of Criminology August 2008 41: 287-306.
*Heinz Schöch, ''Die gesellschaftliche Organisation der deutschsprachigen Kriminologie, Ausblick und Rückblick'' in ''Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann,'' Berlin 1986, S.355-372
*Schöch, Heinz ''Die gesellschaftliche Organisation der deutschsprachigen Kriminologie, Ausblick und Rückblick'' in ''Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann,'' Berlin 1986, S.355-372
*Karl-Ludwig Kunz, ''Kriminologie - eine Grundlegung'' Bern, 2004
*Schütz, Reinhard ''Kriminologie im Dritten Reich. Erscheinungsformen des Faschismus in der Wissenschaft vom Verbrechen'', 1972
*Reinhard Schütz, ''Kriminologie im Dritten Reich. Erscheinungsformen des Faschismus in der Wissenschaft vom Verbrechen'', 1972
*Simon, Jürgen  ''Kriminalbiologie und Zwangssterilisation. Eugenischer Rassismus 1920 - 1945'',  Münster: Waxmann (Internationale Hochschulschriften, 372) - 2001
*Jürgen Simon, ''Kriminalbiologie und Zwangssterilisation. Eugenischer Rassismus 1920 - 1945'',  Münster: Waxmann (Internationale Hochschulschriften, 372) - 2001
*Streng, Franz ''Der Beitrag der Kriminologie zur Entstehung und Rechtfertigung staatlichen Unrechts im "Dritten Reich"'', in: ''Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform'' 76 (1993), S. 141-168.
*Jan Telp, ''Ausmerzung und Verrat. Zur Diskussion um Strafzwecke und Verbrechensbegriffe im Dritten Reich'', Frankfurt am Main: Lang (Rechtshistorische Reihe, 192) - 1999
*Telp, Jan ''Ausmerzung und Verrat. Zur Diskussion um Strafzwecke und Verbrechensbegriffe im Dritten Reich'', Frankfurt am Main: Lang (Rechtshistorische Reihe, 192) - 1999
*Thulfaut, Gerit ''Kriminalpolitik und Strafrechtslehre bei Edmund Mezger - Eine wissenschaftsgeschichtliche und biographische Untersuchung'', Baden-Baden, 2000
*Werle, Gerhard ''Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich'' Berlin 1989, S. insbs. 636-658
*Wetzell, Richard F. ''Inventing the Criminal. A History of German Criminology 1880-1945'', Chapel Hill und London 2000, insbs. S. 179-231.


== weblinks ==
== Weblinks ==
*[https://bwv-verlag.de/Zeitschriften/JoJZG/JoJZG_Heft1-07_gesamt.pdf Journal der Juristischen Zeitgeschichte, insb. S. 1 - 16]
*[https://bwv-verlag.de/Zeitschriften/JoJZG/JoJZG_Heft1-07_gesamt.pdf Journal der Juristischen Zeitgeschichte, insb. S. 1 - 16]
*[http://www.socialnet.de/rezensionen/3888.php Rezension Immanuel Baumann, dem Verbrechen auf der Spur]  
*[http://www.socialnet.de/rezensionen/3888.php Rezension Immanuel Baumann, dem Verbrechen auf der Spur]  

Aktuelle Version vom 3. Januar 2012, 23:23 Uhr

Kriminologie im Nationalsozialismus war zum großen Teil eine um Nähe zur Politik bemühte Kriminalbiologie. Roland Freisler würdigte die Kriminologie 1942 als "unentbehrliche und gleichwertige Grundlage erfolgreicher Strafrechtspflege". Kriminologische Kritik an Gesetzesvorhaben gab es im Rahmen der Mitarbeit von Edmund Mezger und Franz Exner am Gemeinschaftsfremdengesetz. Die Großverbrechen des NS-Regimes einschließlich des nationalsozialistischen Terrorismus wurden von der Kriminologie nicht analysiert, sondern legitimiert. Aus der Wissenschaft von der Kriminalität wurde im Nationalsozialismus in mancher Hinsicht eine kriminelle Wissenschaft.

Kriminalpolitischer Kontext

Von 1934-1945 fällte der Volksgerichtshof rund 5.200 Todesurteile.

Sondergerichte (seit März 1933 gegen politische Gegner, seit 1938/39 auch gegen schwere und mittlere Kriminalität) wurden zu Instrumenten eines regelrechten Justizmassakers. Wahrscheinlich sprachen allein die 34 Sondergerichte mit Standort auf westdeutschem Gebiet mindestens 11.000 Todesurteile aus.

Unklare Zahl von Todesurteilen durch die ab Februar 1945 eingerichteten Standgerichte.

Allein von deutschen Militärgerichten wurden wahrscheinlich zwischen 25.000 und 30.000 Todesurteile wegen Wehrkraftzersetzung, Fahnenflucht oder Kriegsverrat gegen Wehrmachtsangehörige verhängt; mehr als 19.600 davon wurden nachweislich vollstreckt.

Die Angeklagten vor einem dieser Gerichte waren von elementaren Grundrechten des Strafverfahrens abgeschnitten: Richterablehnung, Beweisantragsrecht und Wahl des Verteidigers waren eingeschränkt oder aufgehoben, mündliche Verhandlung über den Haftbefehl, gerichtliche Voruntersuchung, Eröffnungsbeschluss sowie Berufungsinstanzen abgeschafft. Fristen konnten minimiert werden, um „kurzen Prozess“ zu machen.

Historiker gehen von weit über 30.000 Todesurteilen deutscher Gerichte aus.

Aus den Gefängnissen und Zuchthäusern wurden zusätzlich 15.000 bis 20.000 Justizhäftlinge "zur Vernichtung durch Arbeit" in die Konzentrationslager überstellt.

Forschung und Lehre

Personalpolitik zwischen Vertreibung und Selbstgleichschaltung

Emigration

Gustav Aschaffenburg, Curt Bondy, Max Grünhut, Hermann Mannheim und Hans von Hentig.

Arten der Anpassung

Nach Langewiesche (1997) lassen sich vier Anpassungstypen unterscheiden.

Eigensinnige Selbstbehauptung

Gustav Aschaffenburg wirkte während der 1930er Jahre noch als Mitherausgeber der Monatsschrift, bevor er ins Exil ging.

Illusionäre Selbstgleichschaltung

Der bekannteste nicht-emigrierte deutsche Kriminologe der NS-Zeite war Franz Exner, der schon wegen seiner Arbeiten aus den 1920er Jahren auch international hohes Ansehen genoss und der mit seinem Lehrbuch "Kriminalbiologie" im Jahre 1939 eine Art Zwischenbilanz seines Schaffens zog - die nicht ohne erhebliche Konzessionen an die rassenideologischen Vorgaben der Zeit zu haben war, aber in der dritten Auflage unter dem Titel "Kriminologie" (1949) noch bis weit in die Jahre der Bundesrepublik hinein wirkte.

Nachholende Selbstgleichschaltung

Adolf Lenz konstatierte 1937, dass die Kriminalbiologie "zur autoritären Staatsführung ihr Scherflein beizutragen" habe (Streng 1993: 143)

Identifizierende Selbstgleichschaltung

Mezger publizierte 1931 ein Lehrbuch des Strafrechts, 1934 ein Buch namens "Kriminalpolitik auf kriminologischer Grundlage". In diesem Buch erklärte er (1934: v): "Im neuen Strafrecht werden zwei Ausgangspunkte wesentlich sein ...: Der Gedanke der Verantwortung des Einzelnen vor seinem Volk und der Gedanke der rassenmäßigen Aufartung des Volkes als eines Ganzen." Die "Forderung nach rassenhygienischen Maßnahmen zur Ausrottung krimineller Stämme" sei "unabweislich" (21 f.).

Mezger brachte die sogenannte Analogienovelle von 1935 (Gesetz zur Änderung des :Strafgesetzbuches vom 28.05.1935) mit auf den Weg, die das „Analogieverbot“ aufhob und „das gesunde Volksempfinden“ maßgeblich für eine Bestrafung werden ließ (§ 2 RStGB).

Theodor Viernstein erklärte als neugewählter Vorsitzender der Kriminalbiologischen Gesellschaft 1937: "In diesem gewaltigen Umbau des Denkens und Handelns zu neune Grundlagen der Gemeinschaftsbeziehngen erhält zwangsläufig die Kriminalbiologie eine ihre gerichtshelferische Ausgangsrolle übersteigende Bedeutung, weil sie eine wissenschaftlich begründete Behandlung gerade jener abgrenzbaren Bevölkerungsschicht an die Hand gibt, die zum Teil nicht allein sozial abträglich, sondern zugleich auch erb- und rassenwertlich schädlich ist und insoweit eienr planmäßigen Ausschaltung zugeführt werden muß" (Streng 1993: 143).


Der Gerichtsmediziner und Rassehygieniker Ferdinand von Neureiter (1893-1946), der von 1937 – 1939 die kriminalbiologische Forschungsstelle leitete und in dieser Funktion im Dienst des Reichsgesundheitsministeriums stand und Vorgänger von Robert Ritter war.

Abkehr von Psychoanalyse und Gesellschaftskritik

Die Abkehr von der Psychoanalyse wurde unter anderem damit begründet, dass sie "von jüdischer Seite begründet und vertreten" worden sei. Ihr Verstehens- und Erziehungs-Ansatz galt zudem als ungeeignet, da das Strafrecht kriminalpolitisch "ein Kampfrecht zum Schutze und zur Entfaltung des Volkes" darstelle: "Erziehungsmaßnahmen vermögen allein dessen besondere Aufgabe nicht zu erfüllen" (Mezger 1942: 74, 78; zit.n. Streng 1993: 142).

Kriminalbiologische Schwerpunktbildung

Vererbungs- und Sippenforschung Robert Ritter (1937) und seine Mitarbeiterin, die Psychologin Eva Justin, sahen die Gaunereigenschaft als vererblich an und forderten die Unfruchtbarmachung „artfremd erzogener Zigeunerkinder und ihrer Nachkommen“ (ähnlich: Ludwig Kuttner).

Heinrich W. Kranz untersuchte 1941 das „Asozialenproblem“. Friedrich Stumpfl äußerte sich in seiner Studie über „Erbanlage und Verbrechen“ (1936) über Zwillings- und Sippenforschung.

Zwillingsforschung Mit der Zwillingsforschung hatte Johannes Lange (1891-1938) 1929 erstmalig Erbeinfluss auf kriminelles Verhalten untersucht. Eineiige kriminelle Zwillingspaare hatten ihm zufolge eine höhere Konkordanz aufzuweisen als zweieiige kriminelle Zwillingspaare, so dass er Erbanlage als Verbrechensursache schlussfolgerte. Er sah „Verbrechen als Schicksal“. Zu ähnlichen Ergebnisse kamen Heinrich Kranz („Lebensschicksale krimineller Zwillinge“ - 1936) und Friedrich Strumpfl („die Ursprünge des Verbrechens“ – 1936).

Konstitutionsbiologie Die Lehre des deutschen Psychiaters Ernst Kretschmer (1888 – 1964) über die Zusammenhänge zwischen Körperbau und Charakter, wurde von der Kriminologie für die Konstruktion des Anlageverbrechers aufgegriffen.

Psychopathie Die Lehre Kurt Schneiders (1887- 1967 ), der psychopatische Persönlichkeiten kategorisierte und nicht nur das individuelle Leiden des Abweichlers, sondern auch das Leiden der Gesellschaft unter dem Abweichler in den Vordergrund stellte, wurde von den Kriminologen mit der Formel „Gewohnheitsverbrecher sind Psychopaten“ übernommen. Stumpfl sah die Psychopathen unter den Rückfallverbrechern überrepräsentiert; Exner vermutete eine hohe Zahl derselben unter den Schwerverbrechern; Mezger sah die psychopathischen als besonders gefährliche Verbrecher an. Exner und Stumpfl sahen zudem die Psychopathie als Erbkrankheit an. Stumpfl forderte rassenhygienische Maßnahmen. Diese Einschätzung führte letztendlich zu Forderungen von „Gegenmaßnahmen“ wie Eheverbot, Sterilisation und Sicherungsverwahrung (vgl. Dölling, 1989; Streng 1993). Die Abwendung vom Tatstrafrecht und die Hinwendung zum Täterstrafrecht (eines der Merkmale der NS-Kriminologie) hatte schon zu Ende des 19. Jahrhunderts stattgefunden (vgl. Lombroso und Franz v. Liszt). Diese Traditionslinien schlugen sich auch in den Tätertypologie der NS-Zeit. Bezeichnungen wie Gewohnheits-, Zustands- oder Gelegenheitsverbrecher, Mehrfach- oder Hangtäter etc. wurden in der Kriminologie wie in der Kriminalpolitik und in Gesetzen benutzt. Sie bezogen sich zudem auf die nationalsozialistische Ideologie des Gemeinschaftsschutzes und die entsprechenden Ausgrenzungs- und Ausmerzungsvorhaben. Auch das Strafgesetzbuch arbeitete mit tätertypisierenden Begriffen („gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher“; "Mörder" etc.).

Tätertypologie und Kriminalpolitik

  • Das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 sah die Sicherheitsverwahrung und Entmannung für gefährliche Gewohnheitsverbrecher vor. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.07.1933 ermöglichte die Sterilisation bzw. Unfruchtbarmachung von Erb- und schwer Alkoholkranken.
  • Im Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes vom 18.10.1935 war ein Eheverbot zum Schutz der Volksgemeinschaft und zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ enthalten. Mit der Änderung des Reichsstrafgesetzbuches vom 04.11.1941 ging eine Verschärfung gegen "gefährliche Täter" einher. Demnach drohte gefährlichen Gewohnheits- und Sittlichkeitsverbrechern die Todesstrafe, wenn Sühne oder Gesellschaftsschutz dies erforderten. Die am 04.10.1939 verabschiedete Verordnung zum Schutz gegen jugendliche Schwerverbrecher ließ bei entsprechender geistiger Reife eine Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf Jugendliche ab 16 zu. § 20 des Reichsjugendgerichtsgesetzes vom 06.11.1943 verschärfte das Jugendstrafrecht weiter. Danach konnte auch auf Minderjährige ab 14 Erwachsenenstrafrecht angewandt werden, und zwar unabhängig von ihrer geistigen Reife unter Hervorhebung des Gesellschaftsschutzes, was Exner seinerzeit begrüßte (vgl. Dölling, 1989).

Neben dem Gemeinschaftsfremdengesetz, das als förmliches Gesetz nie zustande kam, existierten unzählige Erlasse, Protokolle, Verfügungen oder Vollzugsvorschriften, die von "hartem Vorgehen gegen Wohnungslose" über "Anweisungen zu verschärfenden Strafvorschriften von Bettlern oder Prostituierten" zu "Vernichtung Asozialer als Aufgabe der Justiz" reichten und inhaltlich den Gemeinschaftsfremden typologisierten. Gegen die Tätertypenlehre hatte sich bereits 1943 der Psychiater Hans Walter Gruhle (1880-1959) insbesondere wegen ihrer Vagheit, Unbestimmtheit und der daraus resultierenden Vernachlässigung von Tatbeständen zugunsten eines "völkischen Täterstrafrechts" ausgesprochen (vgl. Streng, 1993, S. 158). Denn die Konzentration auf Tätertypen zog strafprozessuale Folgen nach sich. Nicht die Tat, sondern der Täter stand im Mittelpunkt, wodurch sich letztendlich ein Feindstrafrecht etablierte. Der Täter wurde zum Gesellschaftsfeind, dieses Feindbild wurde schließlich auf ganze Bevölkerungsgruppen übertragen. So beschäftigte sich Exner während seines Aufenthalts in den USA mit „Negerkriminalität“. Er schrieb „den Negern“ aufgrund ihrer Rasse ein hohes Maß an Kriminalität zu und folgerte aus dem Arischsein der Norddeutschen ein geringes Aufkommen von Kriminalität. Weiterhin bestand nach Exner die jüdische Straffälligkeit im Begriff des „Gewinnsuchtverbrechertums“ (vgl. Dölling, 1989).

Die Gesetzesentwürfe des Gemeinschaftsfremdengesetzes in der Zeit von 1941 - 1944 stellten den Eskalationshöhepunkt des kriminalbiologischen Diskurses im damaligen Strafrecht dar, wobei insbesondere der letzte Enwurf das Zusammenwirken von Kriminolgie und Kriminalpolitik aufzeigte. Insgesamt existierten 3 Entwürfe zum geplanten aber nie durchgesetzten Gemeinschaftsfremdengesetz, dessen wahrhaftige Bedeutung im Begriff des Gemeinschaftsfremden an sich lag. Ein erster Entwurf scheiterte 1941 am Widerstand des Reichsjustizministers Otto Georg Thierak (1889-1946), der einen Kompetenzverlust der Justiz gegenüber polizeilichen Maßnahmen entgegenwirken wollte. Der zweite Entwurf scheiterte 2 Jahre später an Joseph Goebbels (1897-1945), der die geplante Klassifizierung in u.a. "Schmarotzer, Versager, Taugenichtse" ablehnte, da diese im Volksmund gebraucht und der Typologisierung in den geplanten gesetzlichen Bestimmungen nicht entsprachen und damit irreführten. Ein letzter Entwurf erschien 1944, er sah eine Einteilung der Gemeinschaftsfremden u.a. in "Versager, Arbeitsscheue und Liederliche" vor. Die Unfruchtbarmachung Gemeinschaftsfremder hätte mit diesem letzten Entwurf umsetzbar werden sollen. Dieser letzte Gesetzesentwurf bezog sich konkret auf Erblehre und Kriminalbiologie. Exner und Mezger waren nicht nur inhaltlich maßgeblich beteiligt gewesen, sie sollten, so das Reichsjustizministerium, zudem kriminalbiologische Schulungskurse abhalten (vgl. Werle, 1989). Schließlich scheiterte das Gesetzesvorhaben aufgrund der Kapitulation Deutschlands.

  • Der Tendenz zur Verpolizeilichung des Strafrechts standen Exner und Mezger jedoch nicht unkritisch gegenüber. So forderte Mezger einen „justizmäßig klaren Gesetzesaufbau“ und Exner „scharfe und reinliche Gesetzesbegriffe“ (vgl. Werle, 1989). Dennoch bleibt die Rolle Mezgers umstritten. In verschiedenen Auflagen seines Werkes "Kriminalpolitik auf kriminologischer Grundlage" zwischen 1934 bis 1944 schrieb er der Kriminalpolitik die Aufgabe der "rassenmäßigen Aufartung des Volkes" zu, "der entartete Schädling solle ausgemerzt werden".

Praxisorientierung

  • Das Anlagedenken trat in den Vordergrund und wurde mit ökonomischen und rassistischen Elementen verknüpft. Man suchte nach Vererbung (Zwillinge), nach psychischen Merkmalen (Psychopathie) und verknüpfte sie mit Verbrechertypen wie z.B. dem Gewohnheitsverbrecher: "Gewohnheitsverbrecher - so wurde angenommen - sind in der Regel Psychopathen. Nach Stumpfl handelte es sich bei den von ihm untersuchten Rückfallverbrechern fast ausnahmslos um Psychopathen. Das dürfte nach seiner Auffassung 'wohl in Deutschland von der überwiegenden Merhzahl aller Schwerkriminellen gelten (...) Mezger führte aus: 'Denn der psychopathische Verbrecher, den seine krankhafte Veranlagung immer wieder zum Verbrechen treibt, ist in der Regel ein ganz besonders gefährlicher Verbrecher'" (Dölling 1989: 200).
  • Lehre von den Unverbesserlichen. Die Unterscheidung zwischen Gelegenheitstätern und Gewohnheitsverbrechern führte dazu, dass Gewohnheitsverbrecher als Sondergruppe aufgefasst wurden, "die nur noch wenige Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen" aufwies. "Dies begründete dann die Gefahr einer besonders intensiven Sanktionierung dieser Sondergruppe." Schon 1928 hatte Mezger (MschrKrim 19: 385, 393) erklärt: "Es gibt Verbrecher, die vermöge ihrer erbbiologisch bedingten Anlage anders sind und zeitlebens anders bleiben als andere Menschen. Sie sind nicht geisteskrank ..., aber sie sind dauernd unfähig, am normalen sozialen Zusammenleben der Menschen gleichberechtigt teilzunehmen. Insofern sind sie 'unverbesserlich' und bedürfen der 'Ausscheidung aus der menschlichen Gemeinschaft'"(Dölling 1989: 203).
  • Minderwertigkeit. Fickert (Rassenhygienische Verbrechensbekämpfung 1938, 3, 82) erklärte, "einen wissenschaftlichen Beitrag zum Problem einer rassenhygienischen Schädlingsbekämpfung zu lesiten" und postulierte: "Bei diesen Schädlingen wird die psychopathische Abartigkeit tatsähclich zu einer 'psychpathischen Minderwertigkeit'; diesen Ballastexistenzen ehat sich das ganze Interesse der Erb- und Rassenhygiene zuzuwenden."
  • Schon 1934 hatte der Strafrechtler Siegert die Tötung als Sicherungsmaßnahme befürwortet: "Schließlich ist für die Zukunft noch zu prüfen, ob der nationalsozialistische Staat auch zur letzten Sicherung gegen einen entarteten Volksgenossen, zur Tötung schreiten soll. Die Frage der Vernichtung lebensunwerten Lebens gewinnt heute eine ganz andere Bedeutung als früher, da der Einzelne nicht mehr als Einzelwesen, sondern in seiner Bedeutung als Glied der Gemeinschaft gewertet wird. ...Das kommende Strafgesetzbuch müßte also die Möglichkeit schaffen, bei unheilbaren, gefährlich geisteskranken Rechtsbrechern, die ohne jeden, auch ethischen Wert für die Allgemeinheit sind, auf Tötung zu erkennen, sofern sie ein schweres Verbrechen begehen" (zit.n. Dölling 1989: 207 f.).
  • Volkszugehörigkeit und Kriminalität. Die Bewohner Nordwestdeutschlands "haben nun in der Tat ihr besonderes körperliches und geistiges Gepräge. Es ist die nordische und die nordisch-fälische Rasse, die hier überwiegend zu finden ist. In ihrer körperlichen Erscheinung sind es die schlanken und die schweren blonden Deutschen" (Exner erklärte so die niedrigere Kriminalitätsbelastung in dieser Gegend).
  • Vernichtung und Ausrottung. Johann von Leers, Die Verbrechernatur der Juden (1944: 8): ".. ist auch die menschliche Gesellschaft ... berechtigt ..., das erbkriminelle Volk auszutilgen, ja es entsteht sogar die Pflicht der Rechtsverfolgung hinter den Juden durch alle Länder hindurch, um sie zu vernichten und auszurotten ...".

Nicht-Thematisierungen

Anknüpfungspunkte innerhalb der Kriminologie

Die Kriminologie hatte sich in Deutschland unter dem Einfluss von Franz v. Liszt und der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (IKV) als Hilfswissenschaft des Strafrechts gerade erst im akademischen Überschneidungsraum von Strafrecht, Strafvollzug, Psychiatrie sowie Rechts- und Sexualmedizin etabliert, als der Erste Weltkrieg ihre internationalen Verbindungen kappte. Bevor die Zeit der NS-Herrschaft begann, gab es aber schon eine Reihe von Anknüpfungspunkten:

  • Die "moderne Schule" hatte der Auffassung zum Durchbruch verholfen, dass das Strafrecht eine soziale und politische Funktion zu erfüllen habe - die Sicherung der Lebensbedingungen des Einzelnen und der Gesellschaft. Jede Zeit müsse selbst wissen, was sie als Lebensbedingungen definiere. Franz v. Liszt (Der Zweckgedanke im Strafrecht, in: Strafr. Aufsätze und Vorträge, Bad. 1, Berlin: J. Guttentag 1905: 126 ff.) hatte erklärt: "Jene Handlungen, welche für dieses Volk zu dieser Zeit als Störungen seiner Lebensbedingungen erscheinen, sind unter Strafe zu stellen ... der Zweckgedanke allein zieht die Grenzlinie."
  • Die "moderne Schule" hatte keine Skrupel, wenn es um "unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher" ging. Sie verlangte vom Staat, die Gesellschaft gegen den Anpassungsunfähigen zu schützen, "indem man ihn aus der Gesellschaft ausscheidet" (v. Liszt, Mitteilungen der IKV, Bd. 19, 1912: 377 ff.). Die Einschließung auf unbestimmte Zeit sollte in einer Art Strafknechtschaft bestehen "mit strengstem Arbeitszwang" und "Ausnutzung der Arbeitskraft". Als Disziplinarstrafe sollte Einzelhaft möglich sein: "verbunden mit Dunkelarrest und strengstem Fasten" (v. Liszt 1905: 170).
  • Für Gewohnheitsverbrecher hatte v. Liszt vorgeschlagen: "Arbeitshaus mit militärischer Strenge ohne Federlesens und so billig wie möglich, wenn auch die Kerle zugrundegehen. Prügelstrafe unerlässlich ... Der Gewohnheitsverbrecher (der Begriff ist nicht ganz unser technischer: Ich meine den prinzipiellen Gegner der Rechtsordnung) muß unschädlich gemacht werden, und zwar auf seine Kosten, nicht auf die unseren. Ihm Nahrung, Luft, Bewegung usw. nach rationellen Grundsätzen zumessen, ist Mißbrauch der Steuerzahler" (aus einem Brief an Dochow 1880, zit. bei Radbruch, Elegantiae Iuris Criminalis, 2. Aufl. 1950: 229).
  • v. Liszt wünschte, man hätte den Mut, "unsere Strafgesetzbücher durch den einzigen Paragraphen zu ersetzen: 'Jeder gemeingefhrliche Mensch ist im Interesse der Gesamtheit so lange als nötig unschädlich zu machen" (zit. n. Naucke, Die Kriminalpolitik des Marburger Programms 1882, ZStW 1982: 540).
  • In den 1920er Jahren hatte sich die Kriminalbiologie entwickelt: in Bayern sammelte seit 1924 der Kriminalbiologische Dienst in den Strafanstalten die physischen Merkmale von Gefangenen; 1927 veröffentlichte Adolf Lenz aus Graz seinen "Grundriss der Kriminalbiologie" und gründete die Kriminalbiologische Gesellschaft. 1929 hatte Johannes Lange seine Zwillingsuntersuchungen veröffentlicht ("Verbrechen als Schicksal. Studien an kriminellen Zwillingen"; ein Exner-Schüler hatte 1930 die "erbbiologische Kartei" im Dresdener Justizministerium im Hinblick auf erbliche Belastungen bei Vermögensverbrechern ausgewertet.
  • Schon 1926 gab es gewaltsame Störungen von Veranstaltungen jüdischer Professoren; vielerorts war die Studentenschaft in den letzten Jahren der Weimarer Republik bereits militant nationalsozialistisch eingestellt.

Beitrag der Kriminologie zur Kriminalität

Sieben Thesen

(1) Im NS-Staat verlor die deutsche Kriminologie die Verbindung mit der Entwicklung der Wissenschaft. Viele der Einseitigkeiten, die sich seither - auch in der kritischen Variante - zeigten, sind gerade diesem bis heute noch nicht überwundenen Provinzialismus geschuldet.

(2) Eine wissenschaftliche Kriminologie hat dem Staat und seiner Kriminalpolitik nicht zu gehorchen. Sie hat sie nicht zum Ausgangspunkt ihrer Forschungen zu machen, sondern zu deren Gegenstand. Sie hat sie auch nicht zu beraten, sondern zu analysieren. Ihr Untersuchungsobjekt ist die selektive staatliche Definition von Kriminalität, die staatliche Begehung von Kriminalität und die selektive, d.h. zum Teil durch Dramatisierung, zum Teil durch Vernachlässigung gekennzeichnete staatliche Prävention und Repression von Kriminalität. Staatliche Statistiken sind ebenso zu behandeln. Staatliche Rechtsauffassungen sind von der Rechtslage zu unterscheiden. Themen der Kriminologie wären dann vor allem: konforme Kriminalität, Gehorsamstaten, der Prozess der Kriminalisierung, das Verhältnis von Maßnahmenstaat und Normenstaat. Vorbilder können sein: Nils Christie, Louk Hulsman, Herbert Jäger, Stanley Milgram, Wayne Morrison, Philip Zimbardo.

(3) Die Kriminologie verschloss die Augen vor der großen Kriminalität in Staat und Gesellschaft: vor den politischen Morden während der Weimarer Republik und vor der politischen Justiz, vor den Morden in den KZs und den Vernichtungslagern, vor der Folterung durch die Gestapo, durch SA und SS, vor den Kriegsverbrechen und den im Schatten des Krieges begangenen Verbrechen. Sie sah die außerjustizielle (polizeiliche) Verschleppung, Folterung, Exekution vielleicht auch gerade deshalb nicht als ihr Thema an, weil man sich als Kriminologe auf die Strafgesetzgebung und die Strafjustiz sowie den regulären Strafvollzug zu konzentrieren pflegte.

(4) Schwerpunkte des Versagens waren:

  • Sie ignorierte den NS-Terrorismus
  • Sie versagte nicht wegen des Positivismus, sondern wegen ihrer Politisierung
  • Sie wurde selbst zum Instrument der Makro-Kriminalität
  • Sie versagte bei der Analyse der Gesetzgebung/Normgenese wie auch bei der Beschreibung und Analyse von "Kriminalität" und "Sanktionen" im Bereich der Justiz und im Bereich der Polizei (KZ; Gestapo; Militär- und Strafurteile; Todesurteile).
  • Ohne die Kriminologie wäre der Definitions- und Eliminations-Prozess nicht so reibungslos gelaufen. Insofern hat sie historisch wohl einen negativen Saldo: mehr geschadet als genutzt.

(5) Die kriminologische Aufklärung (Beccaria, v. Liszt) zeigte im NS-Staat die Ambivalenz der Moderne. Die NS-Kriminologie war nichts "ganz anderes", sondern nur die Radikalisierung einer vorhandenen Vorstellung von Kriminalität, Kriminellen und den Aufgaben der Kriminalpolitik. Ausgerechnet die positiv konnotierten Modernisierungen des Strafrechts (Beccaria, v. Liszt) schufen Anknüpfungspunkte für die Etikettierung und Eliminierung von Unverbesserlichen.

(6) Die Kriminologie bedarf einer realistischen Konzeption des Staates als Untersuchungsobjekt. Dafür eignet sich die Figur des Doppelstaates (Ernst Fraenkel).

(7) Aufgrund ihrer Politik- und Praxisnähe sowie aufgrund ihrer historischen Verstrickungen muss die Kriminologie eine „moralische Phantasie“ ausbilden, also das Gefühl für die Wahrnehmung des „Undenkbaren“ schulen, um Folgen abschätzen und den von Günther Anders formulierten universellen hippokratischen Eid ablegen zu können: keine Arbeiten annehmen und durchführen, ohne diese zuvor darauf geprüft zu haben, ob sie direkte oder indirekte Vernichtungsarbeiten sind; die Arbeiten, an denen wir gerade teilnehmen, aufzugeben, wenn diese sich als solche direkten oder indirekten Vernichtungsarbeiten erweisen sollten (Anders, Die atomare Bedrohung, 137)

Literatur

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  • Freisler, Roland (1942) Kriminologie – unentbehrliche und gleichwertige Grundlage erfolgreicher Strafrechtspflege. In: Deutsches Strafrecht 7/8 (1942) 97–107.
  • Kaiser, Günther Kontinuität und Diskontinuität in den Diskursen über Kriminalität und strafrechtliche Sozialkontrolle im Lichte wissenschaftshistorischer Betrachtung in Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 89 (2006), S. 314-327.
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  • Rafter, Nicole (2008) Criminology's Darkest Hour: Biocriminology in Nazi Germany Australian & New Zealand Journal of Criminology August 2008 41: 287-306.
  • Schöch, Heinz Die gesellschaftliche Organisation der deutschsprachigen Kriminologie, Ausblick und Rückblick in Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann, Berlin 1986, S.355-372
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  • Simon, Jürgen Kriminalbiologie und Zwangssterilisation. Eugenischer Rassismus 1920 - 1945, Münster: Waxmann (Internationale Hochschulschriften, 372) - 2001
  • Streng, Franz Der Beitrag der Kriminologie zur Entstehung und Rechtfertigung staatlichen Unrechts im "Dritten Reich", in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 76 (1993), S. 141-168.
  • Telp, Jan Ausmerzung und Verrat. Zur Diskussion um Strafzwecke und Verbrechensbegriffe im Dritten Reich, Frankfurt am Main: Lang (Rechtshistorische Reihe, 192) - 1999
  • Thulfaut, Gerit Kriminalpolitik und Strafrechtslehre bei Edmund Mezger - Eine wissenschaftsgeschichtliche und biographische Untersuchung, Baden-Baden, 2000
  • Werle, Gerhard Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich Berlin 1989, S. insbs. 636-658
  • Wetzell, Richard F. Inventing the Criminal. A History of German Criminology 1880-1945, Chapel Hill und London 2000, insbs. S. 179-231.

Weblinks