Franz von Liszt

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Franz von Liszt in jungen Jahren

Franz von Liszt (* 2. März 1851 in Wien; † 21. Juni 1919 in Seeheim a.d. Bergstraße) war ein deutscher Kriminologe, Strafrechtsreformer und Völkerrechtler sowie Kriminalpolitiker. Er lehrte in Gießen, Marburg, Halle (Salle) und Berlin, wo er Professor für Strafrecht und Völkerrecht war (1898-1917). Als führender Vertreter der soziologischen Strafrechtsschule (Strafe als Maßnahme zur Sicherung der Allgemeinheit und Besserung des Verbrechers) befürwortete er die Erweiterung der Strafrechtswissenschaft durch empirische Erforschung der Verbrechensursachen. 1889 war er Mitbegründer der „Internationalen Kriminalistischen Vereinigung“ (IKV). Seine kriminalpolitischen Gedanken fanden in den Strafrechtsreformen des 20. Jahrhunderts Berücksichtigung: Abschaffung kurzer Freiheitsstrafen, Strafaussetzung zur Bewährung, Maßregeln der Besserung und Sicherung, resozialisierender Strafvollzug, besondere Maßnahmen gegenüber dem jugendlichen Straftäter. Keinen großen Einfluss erlangte er als Abgeordneter der Fortschrittlichen Volkspartei im Preußischen Abgeordnetenhaus und im Reichstag.

Zu den Schülern Franz von Listzs gehörten Gustav Aschaffenburg, Hans Walter Gruhle, Berthold Freudenthal, Gustav Radbruch, Rudolf Sieverts, Moritz Liepmann, Franz Exner, Ernst Delaquis, Wolfgang Mittermaier und Ottokar Tesar.


Herkunft

Franz von Liszt

Von Liszt wurde am 2. März 1851 in Wien geboren. Sein Vater war der Karriere-Jurist Eduard von Liszt, der es als Staatsbeamter bis an die Spitze der neugeschaffenen österreichischen Generalstaatsanwaltschaft geschafft hatte. Der berühmte Klaviervirtuose und Komponist Franz Liszt (1811-1886) war sein älterer Cousin und Taufpate.

Die gelegentlich angenommene Herkunft vom Reichsfreiherrn von Listy ist nicht dokumentiert, wohl aber der Urgroßvater Sebastian List, ein Husarenoffizier aus Raijka in Westungarn. Das "von" im Namen des Kriminologen Franz v. Liszt war ein Geschenk seines Cousins. Der Musiker hatte den erblichen Adelstitel für seine Verdienste um Österreich erhalten; als er später die katholische Priesterweihe empfing, liess er ihn auf den Vater des Kriminologen übertragen [1].

Karriere

Von Liszt studierte ab 1869 in Wien, unter anderem bei Rudolf von Jhering, der ihn nachhaltig beeinflusste; später sollte er dessen Gedanken vom "Zweck im Recht" auf das Strafrecht übertragen. 1874 zum Dr. jur. promoviert, strebte Liszt zügig die wissenschaftliche Laufbahn an, die ihn nach seiner Habilitation 1876 in Graz an Lehrstühle nach Gießen, Marburg, Halle und schließlich 1898 am Zenit seiner Laufbahn an die größte Juristenfakultät des Reiches nach Berlin brachte. In den ersten 20 Jahren widmete er sich nahezu ausschließlich dem Strafrecht. So gründete er ab 1882 in Marburg das erste Kriminalistische Seminar, mit einem Kollegen zusammen die Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft und mit zwei Kollegen die Internationale Kriminalistische Vereinigung (IKV).

Neben der Wissenschaft reizte ihn aber auch die praktische Politik. So engagierte er sich in Berlin seit etwa 1900 bei der Fortschrittlichen Volkspartei und wurde Mitglied der Stadtverordnetenversammlung von Charlottenburg, bis er 1908 in das preußische Abgeordnetenhaus und 1912 in der Deutschen Reichstag gewählt wurde. Dabei blieb er allerdings politisch eher ein Hinterbänkler und blieb stets ein Dorn im Auge der Ministerialbürokratie. Als liberaler Außenseiter mit Zivilcourage saß er zu sehr zwischen den Stühlen, so dass er in der etablierten Gesellschaft Preußens und des Reiches wenig Zustimmung fand. Er war somit sicher kein gewöhnlicher Professor seiner Zeit, gleichwohl ein arrivierter Großordinarius, ein German Mandarin (Fritz K. Ringer), ausgestattet mit den Insignien seiner Zunft, Orden und Geheimratstitel, und ein hervorragender Vertreter des Typus des "politischen Professors".

Liszt starb am 21. Juni 1919 nach längerer Krankheit und hinterließ seine Frau Rudolfine und zwei Töchter, die beide unverheiratet blieben. Dieser Zweig der Familie ist seither ausgestorben. Ein Nachlass ist nicht vorhanden. Teile seiner umfangreichen Institutsbibliothek befinden sich in der Liszt-Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin.

Strafrechtliches Werk

Sein 1871 erschienenes Lehrbuch des deutschen Strafrechts, das bis 1932 insgesamt 26 Auflagen erreichte, stellte vom liberal-rechtsstaatlichen Modell ausgehend eine systematische Strafrechtsdogmatik dar. Ausgangspunkt der kriminalpolitischen Wirkungsgeschichte war das „Marburger Programm“ (Der Zweckgedanke im Strafrecht, 1882). Die Konzeption von Strafe und Strafrecht ausgehend von den Methoden und dem Wirtschaftsbegriff des Positivismus richtete sich gegen metaphysische Begründungen der Vergeltungsstrafe. Liszt wollte die bis dahin herrschenden Straftheorien Kants und Hegels überwinden. Er versuchte, die Straftat durch Erforschung der Ursachen des Verhaltens des Straftäters zu erklären. Seine Straftheorie war ausschließlich vom Zweckdenken beherrscht, d.h. der Strafvollzug diente nicht der Vergeltung (Karl Binding), sondern der zweckgerichteten Spezialprävention, weshalb Liszt als Vater der spezialpräventiven Straftheorie mit ihren Strafzwecken Sicherung, Besserung und Abschreckung gilt („Marburger Schule“).

Seine kriminalpolitischen Forderungen lauteten deshalb: Verbesserung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und ein auf konkrete Resozialisierung des Täters ausgestalteter Strafvollzug. In diesem Sinne propagierte er eine Differenzierung der Spezialprävention nach Tätertypen:

  • Gelegenheitstäter sollten eine Bewährungsstrafe als Denkzettel erhalten,
  • verbesserliche Hangtäter eine (längere) Freiheitsstrafe, die von Maßnahmen der Resozialisierung begleitet sein sollte,
  • unverbesserliche Hangtäter sollten dauerhaft verwahrt werden.

Sicherungsverwahrung

"In der Diskussion der Grundlinien des Marburger Programms sollten auch die folgenden Beschreibungen der Sicherungsverwahrung nicht übergangen werden: 'Sie (die Einschließung auf unbestimmte Zeit) besteht in 'Strafknechtschaft' mit strengstem Arbeitszwang und möglicher Ausnutzung der Arbeitskraft; als Disziplinarstrafe wäre die Prügelstrafe kaum zu entbehren; obligatorischer und dauernder Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte müßte den unbedingt entehrenden Charakter der Strafe kennzeichnen. Einzelhaft hätte nur als Disziplinarstrafe, verbunden mit Dunkelarrest und strengstem Fasten, einzutreten' (v. Liszt 1905 I: 170)" (Naucke 1982: 547).

"'Sicherheitshaft für Gewohnheitsverbrecher: Arbeitshaus mit militärischer Strenge ohne Federlesen und so billig wie möglich, auch wenn die Kerle zugrunde gehen. Prügelstrafe unerlässlich ... Der Gewohnheitsverbrecher (der Begriff ist nicht ganz unser technischer: Ich meine den prinzipiellen Gegner der Rechtsordnung) muß unschädlich gemacht werden, und zwar auf seine Kosten, nicht auf die unseren. Ihm Nahrung, Luft, Bewegung usw. nach rationellen Gesichtspunkten zumessen, ist Mißbrauch der Steuerzahler' (1880)" (Brief an Dochow, zit. bei Radbrruch, Elegantiae Iuris Criminalis 1950: 229; zit.n. Naucke 1982: 548).

Völkerrechtliches Werk

Weitgehend in Vergessenheit geraten ist jedoch, dass Liszt mit seinem zwischen 1898 und 1919 in elf Auflagen erschienene Lehrbuch des Völkerrechts mehr zur Verbreitung der Kenntnisse auf diesem Rechtsgebiet beigetragen hat als jedes vorher veröffentlichte Völkerrechtslehrbuch. Er fasste darin das Völkerrecht seiner Zeit zusammen und leistet Anregungen zur Staatengemeinschaft, zum Seekriegsrecht, zum Prisenrecht, zu den völkerrechtlichen Grundrechten sowie zum Auslieferungsrecht. Es gelang ihm darin, eine klassische, vom Souveränitätsdenken des 19. Jahrhunderts ausgehende Idee von der Staatenwelt zu artikulieren und ihr dennoch nicht verhaftet zu bleiben. Er befürwortete die Schaffung eines obligatorischen Schiedsgerichthofes, da er darin den ersten Schritt zu einer effektiven Integration der Staaten zu einem herrschaftlich organisierten Staatenverband sah. Zur nachhaltigen Sicherung des Friedens forderte Liszt eine intensivere Integration der Staatenwelt. Ausgehend von der Zusammenarbeit wirtschaftlich, kulturell und geografisch eng verbundener Staaten sah er ein „Völkerrecht der Staatengruppen“ entstehen. Bereits seit 1914 äußerte er sich zu den Fragen um die Gestaltung eines künftigen Völkerbundes (Liszt: „Völkerareopag“ ). Er forderte einen mit Gerichts- und Zwangsmacht ausgestatteten Völkerbund. Liszt dokumentiert mit seinem völkerrechtlichen Werk die Spannung zwischen klassischem und modernem Völkerrecht wie kaum ein anderer.

Werke

  • Der Zweckgedanke im Strafrecht, Berlin 1882/83
  • Das deutsche Reichsstrafrecht, Berlin 1881
  • Das Strafrecht der Staaten Europas, Berlin 1884
  • Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 22. A., Berlin 1919
  • Das Völkerrecht. Systematisch dargestellt, 11. A., Berlin 1918
  • Das Wesen des völkerrechtlichen Staatenverbandes und der Internationale Prisenhof, in: Festgabe der Berliner juristischen Fakultät für Otto von Gierke zum Doktorjubiläum 21. August 1910, Bd. 3, Breslau 1910 (ND Frankfurt am Main 1969), S. 21 ff.
  • Ein mitteleuropäischer Staatenverband als nächstes Ziel der deutschen auswärtigen Politik, Leipzig 1914
  • Nibelungentreue, in: Österreichische Rundschau 42 (1915), S. 87 ff.
  • The Reconstruction of International Law, in: Pennsylvania Law Review 64 (1916), S. 765 ff.
  • Vom Staatenverband zur Völkergemeinschaft. Ein Beitrag zur Neuorientierung der Staatenpolitik und des Völkerrechts, München u. Berlin 1917
  • Gewaltfrieden oder Völkerbund. Ein Mahnwort in letzter Stunde, in: NZZ Nr. 1428 v. 27.10.1918, S. 1

Literatur

  • Wolfgang Naucke: Die Kriminalpolitik des Marburger Programms 1881., in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) 94, 1982: 525-564.

Weblinks