Gemeinschaftsfremdengesetz

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Das „Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder“, bekannt auch als Gemeinschaftsfremdengesetz, wurde durch die nationalsozialistische Führung in der Zeit des zweiten Weltkriegs initiiert. Mit der Planung und Ausfertigung waren führende Kriminologen und Strafrechtssexperten der Nazis beauftragt. Durch das Gesetzes sollten rechtliche Grundlagen gegen „gemeinschaftsfremde“ Personen geschaffen werden. Es sollte am 30. Januar 1945 in Kraft treten, dies wurde jedoch durch die Kriegsentwicklungen verhindert. Offiziel wurde das Gesetz demnach nie verabschiedet. Es wurden lediglich fertige Gesetzesentwürfe erstellt, die nichtsdestoweniger zu praktischer Anwendung fanden.

Das Gesetz hielt einen großen Spielraum für subjektive Auslegungen offen. Die Definition des „Gemeinschaftsfremden“ war relativ weit auszulegen. Innerhalb der nationalsozialistischen Führung unterlag der Begriff den verschiedensten Interpretationen, so dass sich das Gesetz als „Gummiparagraph“ bezeichnen lässt (Giordano, 1989).

Wortlaut

Nach Artikel I des Gesetzes galt als „gemeinschaftsfremd“,


1.
wer sich nach Persönlichkeit und Lebensführung, insbesondere wegen außergewöhnlicher Mängel des Verstandes oder des Carakters außerstande zeigt, aus eigener Kraft den Mindestanforderungen der Volksgemeinschaft zu genügen.


2.
wer
a) aus Arbeitsscheu oder Liederlichkeit ein nichtsnutzes, unwirtschaftliches oder ungeordnetes Leben führt und dadurch andere der die Allgemeinheit belastet oder gefährdet, oder einen Hang oder eine Neigung zum Betteln oder Landstreichen, zu Arbeitsbummelei, Diebereien, Betrügereien oder anderen nicht ernsten Straftaten oder Ausschreitungen in der Trunkenheit betätigt oder aus solchen Gründen Unterhaltspflichten verletzt,
oder
b) aus Unverträglichkeit oder Streitlust den Frieden der Allgemeinheit hartnäckig stört.


3.
wer nach seiner Persönlichkeit und Lebensführung erkennen lässt, dass seine Sinnesart auf die Begehung von ernsten Straftaten gerichtet ist.


In praktischer Anwendung ließen sich als „gemeinschaftsfremd“ somit drei Personengruppen grob eingrenzen (Wagner, 1996):


1.
Die Versagergruppe
Menschen, die nach ihrer Persönlichkeit und Lebensführung, insbesondere infolge von außergewöhnlichen Defekten des Intellekts oder des Charakters erkennen lassen, dass sie nicht imstande sind, aus eigener Kraft den Mindestanforderungen der Volksgemeinschaft zu genügen.


2.
Die Gruppe der Arbeitsscheuen und Liederlichen
Menschen, die bald als Tunichtgute oder Schmarotzer ein nichtsnutzes, unwirtschaftliches oder ungeordnetes Leben führen und damit andere oder die Allgemeinheit belasten oder gefährden, bald als Taugenichtse einen Hang zum Betteln oder Landstreichen, zu Arbeitsbummelei, Diebereien, Betrügereien oder anderen kleinen Straftaten an den Tag legen; zu dieser Gruppe können auch Personen gerechnet werden, die aus Unverträglichkeit oder Streitlust den Frieden anderer oder der Allgemeinheit wiederholt stören und die der Entwurf deswegen als Störenfriede bezeichnet.


3.
Die Verbrechergruppe
Menschen, die nach ihrer Persönlichkeit und Lebensführung erkennen lassen, dass ihre Sinnesart auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist.

Entstehungshistorie

Registrierung der „Asozialen“

Bereits zu Begin der NS-Diktatur wurde im Rahmen der „Erbbiologischen Bestandsaufnahme“ mit dem Aufbau gigantischer Karteien begonnen. In diesen Karteien wurden neben „Geisteskranken“ und Behinderten auch alle Arten von „Asozialen“ aufgenommen. Die Registrierung „Asozialen“ ist als Anfang der systematischen Ächtung bestimmter Personenkreise außerhalb des Strafrechts zu verstehen. Als „Asoziale“ konnten Personen sämtlicher Volksgruppen bezeichnet werden, auch deutscher Herkunft. Bei der Registrierung orientierte man sich primär an den mutmaßlichen Erkenntnissen der NS-Erbbiologie. Fürsorgeeinrichtungen wurden angehalten, verdächtige Personen mit „erbkranken“ Merkmalen zu melden. Hierzu bezog man das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 ein. Mittels der Befugnisse durch dieses Gesetz war es ohne besondere Schwierigkeiten möglich, bereits bei Anzeichen auf „Schwachsinn“ oder „moralischen Schwachsinn“, „Asoziale“ zu sterilisieren, um sie von der Fortpflanzung auszuschließen (Ayaß, 1998). Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen galten „Asoziale“ als „unnütze Esser“. Diese Auffassung verstärkte sich in den Kriegszeiten durch die Engpässe in der Lebensmittelversorgung. Die systematische Verfolgung von „Asozialen“ begann mit einer vom „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ initiierten Verhaftungswelle gegen Bettler und Landstreicher. Die Maßnahmen steigerten sich im Folgenden und richteten sich dabei zum Beispiel gegen Straßenprostituierte und Kleinkriminelle (Benz, Graml & Weiß, 2001). Vor allem gerieten aber auch Personen in den Fokus, die sich aufgrund verschiedener Gegebenheiten nicht als vollwertige Arbeitskräfte präsentierten, oder als Soldaten keine ausreichende Verwendungsbreite aufwiesen.

Ableitung des Begriffs „Gemeinschaftsfremde“

Vor allem durch die an Einfluss gewinnenden Erkenntnisse der Eugenik und der damit verbundenen Rassenhygiene schritt innerhalb der NS-Führung zunehmend das Bedürfnis nach Kontrolle und Steuerung über die unliebsame Gruppe der „Asozialen“ an. Man verfolgte stringent die theoretische Vorstellung des perfekten „Ariers“ und strebte dieses rassenpolitische Ziel mit aller Konsequenz an. Gewissen Personenkreisen, auch wenn diese „rein“ deutscher Herkunft waren, gab man von vornherein keine Möglichkeit, sich dieser Idealvorstellung einzugliedern. Man wollte sie viel mehr aus der Gemeinschaft gänzlich verdrängen. Hierzu waren jedoch effektivere rechtliche Befugnisse, als die bis dahin bestehenden, notwendig. Die angedachten Maßnahmen sollten einen fundierten rechtlichen Ursprung erhalten. Das Synonym „Asoziale“ wurde in diesem Zusammenhang durch den Begriff „Gemeinschaftsfremde“ abgelöst, so dass der Begriff „Gemeinschaft“ nunmehr zentral in den Vordergrund gestellt wurde. Der „Gemeinschaftsfremde“ verhielt sich unter dem Einfluss des Begriffs nun nicht mehr ausschließlich „asozial“, sondern auch der Volksgemeinschaft gegenüber feindlich. Mit dem Begriff der Volksgemeinschaft wurden allgemein geschätzte Werte wie Moral, Gesundheit, Schönheit und Sexualität verbunden, somit sehr hohe Werte, die es unbedingt zu schützen galt (Haug, 1986).

Anfänge der Gesetzesentstehung

In seinem Amt als SS-Obergruppenführer, General der Polizei und Leiter des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) beauftragte Reinhard Heydrich im Jahre 1940 die Ausarbeitung eines „Gemeinschaftsfremdengesetzes“. Über die Benennung der Vorschrift entstanden über Jahre hinweg Unstimmigkeiten. Erst 1944 einigten sich die beteiligten Instanzen unter Anleitung Heinrich Himmlers auf den Wortlaut „Gesetz zur Behandlung Gemeinschaftsfremder“ (Benz, Graml & Weiß, 2001). Zur Einführung des Gesetzes sollte eine einwöchige Präsentationsveranstaltung erfolgen, in der unter anderem ein Vortrag des Münchner Reichsprofessors Edmund Mezger zu der Thematik „Gemeinschaftsfremdengesetz im Lichte der Kriminalbiologie“ angedacht war. Den ersten Überlegungen zum Gesetzesinhalt standen noch Gegensätze im Zusammenhang mit den damit verbundenen Anpassungsänderungen im „Reichsstrafgesetzbuch“ (RStGB) entgegen. Auch tauchten immer wieder Unklarheiten bezüglich der verschiedenen Kompetenzen einzelner Instanzen auf. Diese Korrespondenzen verzögerten das Vorhaben der Gesetzesverabschiedung derart, dass es bis zum Kriegsende nicht mehr offiziell eingeführt werden konnte.


Ideologie des Gesetzes

Der „Rassenhygienische Diskurs“

Die Diskussionen über „ethnische Säuberungen“ bestimmten im Verlaufe der NS-Herrschaft mehr und mehr den politischen Alltag. Die nationalsozialistische Sozialpolitik legte keinen Wert mehr auf die Wohlfahrtspflege. Viel mehr fand die „Volkspflege“ als politischer Fixpunkt Eingang in die Diskussionen. Die Wohlfahrtspflege wurde durch die „Erbgesundheitspflege“ abgelöst. Hiermit war ein drastischer Wechsel der politischen Haltung verbunden. Während die Wohlfahrt noch Wert auf den Einzelnen gelegt hatte, trat nun einzig und alleine die Volksgemeinschaft in den Mittelpunkt des Interesses. Parallel hierzu wurde der Gedanken der Reintegration gemindert. „Volksschädlinge“ sollten fortan mit allen Mitteln bekämpft beziehungsweise „ausgemerzt“ werden. Der „Volkskörper“ wurde als zentrales Grundelement präsentiert. Ihn galt es zu schützen und behutsam von widrigen Personen zu befreien. „Minderwertige“ oder „Asoziale“ konnten dem „Volkskörper“ schaden und mussten aus diesem verbannt werden. Maßnahmen gegen sie wurden mit dem Notwehrrecht begründet. Die Rassenhygienische Diskussion bediente sich vermehrt aus Feststellungen der nationalsozialistischen Erblehre und Kriminalbiologie. Die biologischen Studien gingen davon aus, dass unerwünschtes Verhalten nicht anhand soziologischer Ursachen, sondern eher durch erbgenetische Veranlagungen erklärt werden konnte. Abweichendes Verhalten wurde durch Defekte in der Genetik begründet. Der „gesunde“ Volkskörper sollte deshalb nur aus Personen „reinem“ Erbguts bestehen (Ayaß, 1998).

Gesetzesbegründung

Der Kampf der Nationalsozialisten gegen „Asoziale“ war Teil der umfassenden Rassenpolitik des Systems. Abweichendes Verhalten sollte mit allen Mitteln aus der Gesellschaft verbannt werden. Die Fürsorge wurde weitestgehend als probates Mittel abgelehnt. Es wurde die „biologische Lösung“ gefordert. „Asozialität“ wurde als vererbbar betrachtet. Betroffene Erbkreise sollten deshalb von der Fortpflanzung ausgeschlossen oder zuvor bereits endgültig beseitigt werden. Die herkömmlichen Strategien und Verfahrensweisen waren für diese Vorhaben nicht in ausreichender Weise geeignet. Auch die bisher für die Behandlung von „Gemeinschaftsfremden“ zuständigen Instanzen der Fürsorge erschienen unangemessen befähigt. Die Aufgabe sollte fortan in den Aufgabenbereich der Polizei fallen, um „Gemeinschaftsfremde“ über die unausreichenden Mittel des Fürsorgerechts hinaus in geeigneter Weise zwangsweise in Bewahrung nehmen zu können. In diesem Zusammenhang waren entsprechende Vorschriften notwendig, die dem Polizeiapparat die benötigten Kompetenzen einräumen sollten. Vor allem sollten die Regelungen zur Bewahrung „Gemeinschaftsfremder“ erweitert werden. Ein gänzliches Abschaffen der Fürsorge war zwar nicht angedacht, jedoch sollte diese auf ein Minimum reduziert werden. Vereinzelt konnten „Volksgenossen“ somit noch mit Hilfe durch die Fürsorge rechnen. Für alle anderen waren jedoch Maßnahmen auf den Grundlagen der hierfür entstehenden Rechtsvorschrift angedacht.

Ziel des Gesetzes

Das mit dem Gesetz verbundene Ziel folgte einer endgültigen Beseitigung von abweichendem Verhalten. Im Unterschied zu den von vornherein nicht zum „Volkskörper“ gezählten Juden und „Zigeunern“, mussten die „Gemeinschaftsfremden“ in einem „Aktiven Reinigungsprozess“ aus dem „Volkskörper“ ausgesondert werden. Das Gesetz galt hierbei als nationalsozialistisches Zukunftsprojekt und hätte Wegbereiter zur Euthanasie werden sollen (Munoz Conde, 2007). Die Gründe für die Einweisungsaktionen von „Asozialen" und „Gemeinschaftsfremden“ in Konzentrationslager hatten in erster Linie die Absicht, den im Zuge der Kriegsvorbereitungen eingetreten Arbeitskräftemangel, insbesondere im landwirtschaftlichen Sektor, zu beheben und darüber hinaus die allgemeine Arbeitsdisziplin zu stärken (Grode, 1987). Hinzu kam, dass die „Gemeinschaftsfremden“ im Sinne nationalsozialistischer Vorstellungen genau der Personengruppe entsprachen, mit der sich die Erbauung von Konzentrationslagern rechtfertigen lies. Hierbei wird teilweise auch noch von einem Nebenzweck gesprochen, der jedoch geschichtlich umstritten ist. Die deutschen Konzentrationslager waren in ihrer Gesamtheit zu groß für allein nur politische Häftlinge. Durch die Einweisung einer weiteren Häftlingsgruppe konnten die Lager zumindest vorübergehend aufgefüllt werden (Pingel, 1979).


Praktische Anwendungen

Allgemeines

Das Vorgehen gegen „Gemeinschaftsfremde“ war insgesamt keineswegs einheitlich. Zwar herrschte bei den Nationalsozialisten im Grunde ein gemeinsamer Tenor über die Beseitigung des Problems, die einzelnen Vorstellungen zur praktischen Durchführung unterschieden sich jedoch erkennbar. Es wurden von der NS-Führung keine konkreten Handlungsanweisungen verbreitet. Eine generelle Lenkung der Maßnahmen fand somit nicht statt. Im Gegenteil zur „Judenfrage“ waren die Maßnahmen gegen „Gemeinschaftsfremde“ damit mehr willkürlich als konkret bestimmt und setzten sich aus verschiedenen Einzelmaßnahmen zusammen. An diesen Maßnahmen waren nahezu alle Instanzen und Verwaltungsebenen in unscharfer Befugnisklarheit beteiligt. Hierdurch kam es folglich zu regionalen Unterschieden in den einzelnen Verfahrensweisen mit den betroffenen Personen.

Trotz der eher unklaren Definition des „Gemeinschaftsfremden“ ließen sich in der Praxis mehrere Hauptgruppen einteilen, denen jeweils mit auf sie abgestimmten Maßnahmen begegnet werden sollte. Grundlegend ist dabei zwischen straffälligen und nicht straffälligen Personen zu unterscheiden. Vor allem im Zusammenhang mit der Behandlung von straffälligen Personen entstanden häufig Problematiken, da sich Überschneidungen zwischen dem „Gemeinschaftsfremdengesetz“ und dem „Reichsstrafgesetzbuch“ (RStGB) ergaben. Es wurde nie abschließend geklärt, welche Vorschrift in diesen Fällen das Vorrecht zugesprochen bekäme. Sofern betroffene Personen zwar nicht straffällig geworden waren, jedoch durch Maßnahmen der Fürsorge nicht wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden konnten, waren gegen sie primär polizeiliche Maßnahmen zur Kontrolle angedacht. Hierbei galt der polizeilichen Überwachung die erste Aufmerksamkeit. Blieb dieses Mittel erfolglos, wurden die Betroffenen in einem Lager der Polizei untergebracht. Diese bewahrende Freiheitsentziehung wurde mit dem Grundsatz des vorbeugenden Schutzes der Gemeinschaft gerechtfertigt. Weitaus rigorosere Maßnahmen als die der Freiheitsentzug folgten bei „Abweichungen“, die absolut nicht mit dem Menschenbild der Nationalsozialisten in Einklang zu bringen waren. Hierbei sollte auf jede Form von „Abweichung“ mit entsprechenden Maßnahmen reagiert werden. So zeigten sich deutliche Unterschiede in den Verfahrensweisen mit einzelnen Gruppen.

Kriminelle

Besondere Bedeutung kam der Bekämpfung von straffälligen „Gemeinschaftsfremden“ zu. Kriminalität wurde mit harten Maßnahmen bekämpft. Selbst für kleine Delikte wie Diebstahl konnte von Sondergerichten die Todesstrafe verhängt werden. Den Gerichten oblag im Eigentlichen die Aufgabe, die „Gemeinschaftsfremden“ wieder als nützliche Elemente dem „Volkskörper“ einzugliedern. Gleichzeitig waren sie aber auch für die „Unschädlichmachung“ der Betroffenen zuständig. Da sich im voraus nie überblicken lies, welcher Zeitraum erforderlich war, um den verbrecherischen „Gemeinschaftsfremden“ nach seiner erb- und konstitutionsbiologischen Eigenart so nachhaltig zu beeinflussen, dass er für die Volksgemeinschaft weder mehr eine Gefahr noch eine Last darstellt, musste die Strafe gegen ihn von unbestimmter Dauer sein.

Minderjährige

Betroffene Kinder und Jugendliche sollten primär durch Einrichtungen der öffentlichen Jugendhilfe und den entsprechenden Erziehungsmaßregeln aufgefangen werden. Speziell bei straffällig gewordenen Jugendlichen war als Intervention zuerst der Jugendstrafvollzug angedacht. Polizeiliche Maßnahmen sollten gegen Minderjährige nur dann zulässig sein, wenn nach Einschätzung der Erziehungsbehörde die reintegrative Einordnung des Delinquenten in die Volksgemeinschaft mit den Mitteln der Jugendhilfe aussichtslos sei. Eine unbestimmte Strafe sollte nur verhängt werden, wenn die Voraussetzungen der „Verordnung gegen jugendliche Schwerverbrecher“ oder die der „Verordnung über die unbestimmte Verurteilung Jugendlicher“ vorlagen (Dörner, 1989). Trotz dieser Grenzziehungen wurde eine Vielzahl Kinder und Jugendlicher unter dem Vorwand willkürlicher Gründe durch die Polizei mit schwersten Strafmitteln angegangen und auch ermordet. Vor allem wurden diese Maßnahmen mit der Erblichkeit „abweichenden“ Verhaltens und der damit verbundenen Widersinnigkeit erzieherischer Mittel begründet.

Homosexuelle

Gegen Homosexualität sollte mit aller Härte vorgegangen werden. Vor allem waren hierbei gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern besonders verachtet. Himmler sah in der Homosexualität eine Gefahr für den „Männerstaat“. In dem „Gesetz zur Behandlung von Sittlichkeitsverbrechern“ wurde bereits vor den Entwürfen zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“ die rechtliche Befugnis zur „Entmannung“ von Homosexuellen festgelegt. Durch das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ sollte dieses Recht bereits auf Personen erweitert werden, die sich einer gleichgeschlechtlichen Unzucht nur schon hingaben. Homosexuelle wurden in großer Zahl in Konzentrationslager eingewiesen. Hier erlitten sie zumeist äußerst verachtende Behandlungen. Von den Wärtern gingen gegen sie schwerste Quälereinen und Erniedrigungen aus. Auch wurden sie häufig für medizinische Versuche missbraucht, um den Grund für ihre andersartigen Neigungen zu finden (Benz, Graml & Weiß, 2001).

Zwangssterilisationspolitik

Die NS-Zwangssterilisationspolitik spielt im Zusammenhang mit dem „Gemeinschaftsfremdengesetz“ eine wesentliche Rolle. Zwangssterilisationen waren das angedachte Mittel, um „Gemeinschaftsfremde“ von der Fortpflanzung auszuschließen und sie schlussendlich aus der Gemeinschaft eliminieren zu können. Somit diente die Maßnahme der „Ausmerzung" von ethnisch und eugenisch „Minderwertigen" zum Zwecke der „Aufartung". Die Maßnahmen wurden auf Grundlage der Bestimmungen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ ausgeführt. Die Sterilisationspraxis wurde mit brutaler Härte vollzogen. Viele Opfer überlebten die Eingriffe nicht. In diesem Sinne kann die Zwangssterilisationspolitik nicht nur als Vorstufe, sondern als Beginn und erste Etappe der Massenmorde verstanden werden.


Einfluss kriminologischer Wissenschaft

An der Erstellung der Gesetzesentwürfe waren führende Kriminologen beteiligt. Bei den wohl bekanntesten von ihnen handelt es sich um Franz Exner und Edmund Mezger.

Die Mitwirkung Mezgers

Edmund Mezger verfolgte mit seinen akademischen Tätigkeiten allgemein die Absicht, die nationalsozialistische Lehre näher in das Strafrecht einzuführen. In enger Zusammenarbeit mit SS Chef Himmler strebte er eine Verstärkung der rechtlichen Befugnisse gegen „Gemeinschaftsfremde“ an. Seine Mitwirkung an den Entwürfen zum „Gemeinschaftsfremdengesetz“ erfolgte auf Initiative des Ministerialrat Dr. Rietzsch, der ihn, sowie seinen Kollegen Franz Exner, nach der Niederlage in Stalingrad im Jahre 1943 um Unterstützung bei der Gesetzeserarbeitung bat. Mezger war sich den entstehenden Ausmaßen des Gesetzes bewusst. Ihm war bekannt, dass durch das Gesetz ein totalitäres Sonderstrafrechts geschaffen werden sollte. Er gilt als intellektueller Urheber der Entwürfe. In einem Brief an Ministerialrat Rietzsch vom 13. Februar 1943 schrieb er folgendes (Munoz Conde, 2007):


„Es gibt künftig nach dem Entwurf in Wahrheit zwei „Strafrechte“: ein Strafrecht für die Allgemeinheit, und ein Strafrecht für Sondergruppen bestimmter Persönlichkeiten [...]. Das Entscheidende liegt in der Zuweisung zur Sondergruppe. […] Ist die Zuweisung einmal erfolgt, dann gilt uneingeschränktes „Sonderrecht“. Alle sonst vorhandenen juristischen Schwierigkeiten der Strafbemessung scheiden hier aus – die unbestimmte Zuchthausstrafe usw. verschlingt alle sonstigen Differenzierungen. Auch die Frage Einzelstrafe, Gesamtstrafe usw. spielt dann von vornherein keine Rolle mehr – auch nicht der Vergleich mit Mitverurteilten, denn sie sind ja andere. Diese Trennung nach Personengruppen scheint mir das eigentlich Wesentliche der Neuordnung zu sein; in ihr liegt ein neuer Anfang“


Mezgers Vorstellungen zielten auf die Vernichtung und Ausmerzung „Gemeinschaftsfremder“. Die nicht Resozialisierbaren sollten auf unbestimmte Dauer in Konzentrationslager verwiesen werden. Auch die Anwendung von Sterilisierungsmaßnahmen bei Personen, bei denen „ein für die Volksgemeinschaft unerwünschter Nachwuchs zu erwarten war“, befürwortete er. Hierzu zählen vor allem auch seine angedachten Maßnahmen zur Unfruchtbarmachung von Homosexuellen, für die er als einzige Maßnahme die Kastration empfahl (Munoz Conde, 2007).

Die Mitwirkung Exners

Nachdem auch Franz Exner von Ministerialrat Rietzsch um Mithilfe an der Gesetzeserarbeitung gebeten wurden, wirkte er ab dem Jahre 1943 aktiv an der Erstellung des Gesetzes mit. In Absprache mit Mezger lieferte er diverse eigene inhaltliche Vorschläge und war vor allem an den Formulierungen während des Gesetzesvorbereitungsprozesses beteiligt. Über die Beteiligung Exners bestehen verschiedene geschichtliche Forschungen. Zum einen wird ihm eine starke Beteiligung unter bewusstem und gewolltem Handeln nachgesagt, vor allem weil er über das juristische Kernwissen verfügte, um die Ausmaße des Gesetzes hätte abschätzen zu können. Neueren Studien zufolge hat Exner im Gegensatz zu Mezger jedoch eine eher kritische und distanziertere Meinung zu dem Vorhaben vertreten. Aus der Analyse eines Briefwechsels zwischen Exner und dem Reichsjustizministeriums, der aus einem erst im Jahre 2004 entdeckten Nachlass Exners hervorgeht, habe er dabei „von der Ausdrucksweise her beflissen, in der Sache jedoch kritisch – an der rechtsstaatlich bedenklichen Unbestimmtheit des geplanten Gesetzes Anstoß genommen“. Exner habe sowohl die „bezüglich der Unbestimmtheit der Begriffe eröffneten Spielräume für Willkür als auch die Höhe der geplanten Sanktionen des Gesetzesentwurfes kritisiert“ (Lorenz & Scheerer, 2003). Trotz seiner Kritik an einigen Formulierungen der Entwürfe war Ministerialrat Rietzsch mit Exners Mitarbeit äußerst zufrieden. Neben Mezger habe er sich bei der Erstellung der Entwürfe als äußerst dienlich erwiesen. Beide Wissenschaftler wurden von Rietzsch für ihre Verdienste am Mitwirken der Entwürfe als „zurzeit beste Kenner der Kriminalbiologie“ betitelt. (Munoz Conde, 2007).


Abgrenzung zu anderen Vorschriften

Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ findet seinen Ursprung in verschiedenen Vorschriften des deutschen Rechts, die sich bereits zuvor mit antisozialem oder kriminellen Verhalten befasst haben. So wurde zur Erstellung der Entwürfe auf Erfahrungen und Inhalte anderer Vorschriften zurückgegriffen, die auf Grundlage der nationalsozialistischen Rassenpolitik modifiziert wurden. Besonders enge Bindungen sind dabei zum „Gewohnheitsverbrechergesetz“ und zum „Bewahrungsgesetz“ ersichtlich. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ist jedoch inhaltlich trotz einiger Parallelen zu anderen Vorschriften von diesen grundlegend zu trennen.

Gewohnheitsverbrechergesetz

Als „Gewohnheitsverbrechergesetz“ wird das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung verstanden. Die Vorschrift trat am 1. Januar 1934 in Kraft. Das Gesetz sollte die Maßnahmen gegen „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ verschärfen. Die Sicherungsverwahrung spielte in diesem Zusammenhang eine elementare Rolle. „Gewohnheitsverbrecher“ wurden auf unbefristete Dauer eingesperrt und erst dann wieder in Freiheit entlassen, wenn durch sie die öffentliche Sicherheit nicht mehr gefährdet war. Durch die Nationalsozialisten wurden die Inhalte des Gesetzes zu Gunsten ihrer Rassenpolitik abgeändert (Müller, 1997). In diesem Zusammenhang lassen sich einige Grundlagen des „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ in den Vorschriften des „Gemeinschaftsfremdengesetzes“ wieder finden. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ist dabei als Steigerung des „Gewohnheitsverbrechergesetzes“ zu verstehen, da es auch Befugnisse gegen nicht kriminelle Personen schaffen sollte.

Bewahrungsgesetz

Bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten fanden Diskussion zu einem „Bewahrungsgesetz“ statt. In der Weimarer Republik wurden bereits diverse Entwürfe zu einem solchen Gesetz vorgelegt. Dieses Prozedere setzte sich während der Herrschaft der Nationalsozialisten fort. Das „Bewahrungsgesetz“ wurde offiziell nie verabschiedet, es entstanden lediglich Entwürfe hierzu. Zu Zeiten der Weimarer Republik wurde statt „Bewahrung“ von „Verwahrung“ gesprochen. In Abgrenzung zum Strafgesetz setzte sich nach und nach jedoch der Begriff „Bewahrung“ durch. Das „Bewahrungsgesetz“ sollte als letztes Mittel dienen, um sozial Außenstehenden zu entgegnen. Während der Weimarer Republik konnte die Zielrichtung des Gesetzes nie klar definiert werden. Oft war undeutlich, ob die Freiheitsentziehung dem Wohle des zu Bewahrenden oder dem Schutz der Gesellschaft dienen sollte. Während der NS-Zeit tendierte man schließlich dazu, nicht den Schutz des Betroffenen vor sich selbst, sondern den Schutz der Volksgemeinschaft vor dem Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen. An die Stelle des „Bewahrungsgesetzes“ trat im Verlaufe der Diktatur das „Gemeinschaftsfremdengesetz“. Zu dessen Erstellung wurden elementare Bestandteile aus den Entwürfen des „Bewahrungsgesetzes“ als inhaltliche Vorlagen verwendet. Trotz einiger Parallelen unterschieden sich die Gesetze vom Inhalt her grundlegend. Waren im „Bewahrungsgesetz“ nur die sogenannten „Asozialen“ als Adressaten bestimmt, die vor der polizeilichen Lagerunterbringung zuerst in fürsorgerische Bewahrung genommen werden sollten, erweiterte das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ diesen Kreis um die „Gemeinschaftsfremden“, zu denen vorwiegend Verbrecher und Homosexuelle gehörten. Das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ war im Gegensatz zum „Bewahrungsgesetz“ im Grunde nicht mehr als Fürsorgegesetz gedacht. Es lieferte die Betroffenen nahezu unbegrenzt der Willkür von Polizei und Justiz aus und sollte ihre vollkommende Entrechtung herbeiführen (Willing, 2003). Trotz der inhaltlichen Unterschiede zwischen den Gesetzen wäre das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ ohne die langjährigen Vorarbeiten zum „Bewahrungsgesetz“ vermutlich nicht in der bekannten Form in Entstehung getreten.


Literatur

  • Ayaß, W.: "Gemeinschaftsfremde". Quellen zur Verfolgung von "Asozialen" 1933-1945, Koblenz 1998
  • Bailer, B.: Wiedergutmachung. Kein Thema. Österreich und die Opfer des Nationalsozialismus, Wien* 1993
  • Benz, W. & Graml, H. & Weiß, H.: Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 4. Auflage, München 2001
  • Dörner, K.: Tödliches Mitleid. Zur Frage der Unerträglichkeit des Lebens, Gütersloh 1989
  • Frei, N.: Der Führerstaat, München 1989
  • Giordano, R.: Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte, darin: Die Pläne der Nazis nach dem Endsieg, 1989
  • Giordano, R.: Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte, darin: Der Anschlag auf die Gemeinschaftsfremden, 2000
  • Grode, W.: Ausgrenzung und Normalität – Anmerkungen zur Singer Debatte – vor dem Hintergund der faschistischen Ausgrenzungs- und Vernichtungspolitik, 2005
  • Haug, W: Die Faschisierung des bürgerlichen Subjekts. Die Ideologie der gesunden Normalität und die Ausrottungspolitiken im deutschen Faschismus, Berlin 1986
  • Muñoz Conde, F.: Edmund Mezger - Beiträge zu einem deutschen Juristenleben, Berlin 2007
  • Müller, C.: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933, Berlin 1997
  • Pingel, F.: Häftlinge unter SS-Herrschaft, Widerstand, Selbstbehauptung und Vernichtung im Konzentrationslager, Hamburg 1979
  • Scheerer, S. & Lorenz, D: Zum 125. Geburtstag von Franz Exner (1881–1947). In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform. 89, 2006
  • Schmuhl, H.-W.: Grenzüberschreitungen, Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik 1927 – 1945, 1999
  • Simon, J.: Kriminalbiologie und Zwangssterilisation – Eugenischer Rassismus 1920 – 1945, Münster 2001
  • Wagner, P.: Volksgemeinschaft ohne Verbrecher, 1996
  • Willing, M.: Das Bewahrungsgesetz (1918-1967). Eine rechtshistorische Studie zur Geschichte der deutschen Fürsorge (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts), Tübingen 2003


Weblinks