Strafvollzug im Dritten Reich

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Der Strafvollzug des „Dritten Reichs“ umfasste den Freiheitsentzug an Zivilisten und Soldaten aufgrund eines gerichtlichen Urteils zwischen 1933 und 1945. Es existierten mehrere Strafvollzugsapparate nebeneinander, die unterschiedlichen Organen des NS-Staates unterstanden. Diese Strafvollzugsformen wiederum sind nicht zu verwechseln mit dem Konzentrationslager-System und verschiedenen anderen, meist polizeilich kontrollierten, Lagern.

Ausgangslage und Änderungen unter der NS-Herrschaft ab 1933

Gefängnis für Frauen in Bromberg-Fordon, um 1940.

Im Januar 1933 übernahm die Hitler-Regierung ein von den einzelnen Ländern des Deutschen Reiches verwaltetes Strafvollzugssystem, das die Vollzugsformen Zuchthaus, Gefängnis und Festungshaft kannte (Laubenthal 2011: 60 f.). Eine reichsweit geltende, länderübergreifende Regelung des Vollzuges existierte zwar aufgrund einer Länder-Vereinbarung ab 1923, umfasste aber lediglich einige grundsätzliche Bestimmungen (Calliess/Müller-Dietz 2008: 2). Durch drei aufeinanderfolgende Gesetze zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich wurde der Strafvollzug ab dem 5. Dezember 1934 komplett auf das Reichsjustizministerium übertragen (RGBl. 1934 I, 91; 1934 I, 1214, 1935 I, 68). Die zentrale Lenkung oblag dort ab Januar 1935 der „Abteilung für Strafvollzug“ (Marx 1943: 80).

Festungshaft- und Zuchthausstrafen konnten als lebenslange oder als zeitige Strafen bis zu 15 Jahren verhängt werden. Die Gefängnisstrafe war hingegen auf ein Höchstmaß von fünf Jahren beschränkt. Die Zuchthausstrafe galt als die schwerste Form der Freiheitsstrafe und als ehrlos. Sie war außerdem verbunden mit Zwangsarbeit. Zuchthausgefangene wurden nicht mit dem Namen sondern mit einer Zahl angesprochen, zudem wurden ihre Haare kurzgeschoren und sie mussten eine besondere Anstaltskleidung tragen (Möhler 1996: 52).

Der zivile Strafvollzug

Ausgangspunkt für eine neue Strafvollzugspolitik war zunächst die schroffe Ablehnung der Bedingungen in den Vollzugsanstalten der Weimarer Republik, die als zu liberal und nachgiebig abgetan wurden. Hans Frank, der "Reichsrechtsführer" und Präsident der Akademie für Deutsches Recht, formulierte die künftige Entwicklung des Strafvollzuges wie folgt: Das Gefängnis müsse ein „Haus des Schreckens“ werden (Wachsmann 2006: 65).

Die Inhaftierten wurden fortan in zwei Kategorien eingeteilt, in „Verdorbene“ und Unverdorbene“. Die Bestimmung in eine dieser beiden Gruppen hatte Auswirkungen auf die Behandlung im Vollzug (Gürtner 1939: 979 f.). Während für alle Häftlinge eine Arbeitspflicht bestand, die als „Rückgrat“ des Strafvollzuges ausgewiesen wurde, sollte insbesondere die zweite Häftlingsgruppe, die im Sinne des NS-Systems als „besserungsfähig“ angesehen wurde, außerdem „erzogen“ werden (Möhler 1996: 23).

Rasch erhöhten sich die gerichtlichen Freiheitsentzüge unter den Nationalsozialisten. Bereits 1933 kam es zu einer Steigerung der Häftlingszahlen zum Vorjahr um 50%. Mitte 1934 befanden sich 100.000 Menschen im Strafvollzug, bis Frühjahr 1937 stiegen die Zahlen weiter auf über 120.000, um dann bis Kriegsbeginn auf diesem Niveau zu verbleiben und bis 1944 auf 200.000 anzuwachsen (Wachsmann 2006: 59 und 228).

Der Strafvollzug wurde Ende 1933 durch Einführung der Maßregeln der Sicherung und Besserung (RGBl. 1933 I, 995) erweitert. Zwischen 1934 und 1939 wurden aufgrund dieser Bestimmungen annähernd 10.000 Personen inhaftiert (Angermund 1990: 163).

Ab 1937 wurde der Strafvollzug in den Vier-Jahresplan einbezogen, der Deutschland autark machen und im weiteren Sinne der Rüstungswirtschaft dienen sollte (Marx 1943: 80 f.). Ab Herbst 1938 wurde versuchsweise die Haftanstalt Werl mit unmittelbaren Rüstungsaufgaben betraut. 700 dort Inhaftierte wurde für die Fertigung von Granaten herangezogen (Wehrwirtschaftsinspektion an das Oberkommando der Wehrmacht betr. Arbeitseinsatz von Justizgefangenen vom 2.12.1938, Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg RW 19/2127, Bl. 10). Im Verlauf des Krieges wurde der Strafvollzug praktisch ausschließlich in den Dienst der Kriegsindustrie gestellt; im Sommer 1944 waren dort 90% der Gefangenen beschäftigt(Arbeitseinsatz der Gefangenen, Bundesarchiv Berlin R 3001/25016, Bl. 1 ff.).

In den zivilen Strafvollzug wurden auch Soldaten der Wehrmacht übernommen, wenn diese zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden waren. Dies hatte seine Ursache darin, dass nach einer Bestimmung des Wehrgesetzes von 1935 eine Zuchthausstrafe zur „Wehrunwürdigkeit“ und damit zur Entlassung aus den Streitkräften führen musste (RGBl. 1935 I, 375). Ab Oktober 1939 sollten diese Verurteilten, da sie aufgrund der Verurteilung nicht mehr ihrem Wehr- bzw. Kriegsdienst genügten, nach Möglichkeit in ein Straflager der Justizverwaltung übergeben werden, wo besonders harte Arbeiten zu verrichten waren. Insbesondere kamen dafür die Straflager bei Papenburg in Betracht, deren Häftlinge zur Moorkultivierung herangezogen wurden (Ausländer 1995: 58 ff.). Ab 1942 wurden aus dem Häftlingsbestand dieser Emslandlager zwei Außenlager in Frankreich und Nordnorwegen gebildet. Die dort eingesetzten Verurteilten mussten unter widrigsten Umständen Bunker errichten und Straßen bauen. Die Sterblichkeit war hier extrem hoch und kostete hunderten von Häftlingen das Leben, so dass sich die Zahl der eingesetzten Sträflinge innerhalb von zwei Jahren mehr als halbierte (Möhler 1996: 87).

Im September 1942 kam es zu einer Übereinkunft zwischen Vertretern des Reichsjustizministeriums und des Reichssicherheitshauptamtes, wonach als „asozial“ eingestufte Häftlinge aus dem Strafvollzug ausgesondert werden sollten, um sie der SS zur „Vernichtung durch Arbeit“ zu überstellen. Neben der individuellen Bestimmung von Inhaftierten als „asozial“ fielen darunter ganze Gruppen, wie etwa Sinti und Roma, polnische, ukrainische oder russische Staatsangehörige, wenn Strafen von mehr als drei Jahren vorlagen (Wachsmann 2006: 310 f.).

Jüdische Menschen kamen ab Juli 1943 nicht mehr in den Strafvollzug. Die „Strafverfolgung“ ging gänzlich auf die Sicherheitspolizei über, die in den Haftanstalten befindlichen Juden wurden an die Gestapo übergeben (Möhler 1993: 20).

Der militärische Strafvollzug

Die Streitkräfte, die im Januar 1934 eine Militärgerichtsbarkeit erhalten hatten, bauten ab 1936 einen eigenen Vollzugsapparat auf. So entstanden zahlreiche Wehrmachtgefängnisse in Deutschland und ab 1939 in den besetzten Gebieten Europas und der Sowjetunion. Der Vollzug dort war im Wesentlichen wie eine militärische Einheit organisiert. Die Gefangenen hatten Arbeiten zu leisten und wurden militärisch gedrillt. Dergestalt wurden vornehmlich deutsche Soldaten inhaftiert, während verurteilte Zivilisten – deutscher oder einer ausländischen Staatsangehörigkeit – zumeist mit der Bitte um Übernahme des Vollzuges an das Reichsjustizministerium übergeben wurden (Seidler 1991: 117 ff. und 131). Da sich verurteilte Soldaten in den Augen der militärischen Führung vor dem Wehrdienst und dem Fronteinsatz drückten, galt noch stärker als im zivilen Strafvollzug das Prinzip von Sühne und Abschreckung. Auch hier wurde indes unterteilt: Als besserungsfähig angesehene Häftlinge sollten nach Verbüßung eines Teils der Strafe wieder in den Militärapparat zurückkehren. Die als unverbesserlich Kategorisierten wurden häufig in Straflager-Kompanien der Wehrmachtgefängnisse zusammengefasst, in denen ein minimaler Verpflegungssatz ausgeteilt wurde und es immer wieder zu willkürlichen Misshandlungen durch das Wachpersonal kam (Eberlein/Haase/Oleschinski 1999: 42 ff). Im Frühjahr 1942 wurde der militärische Strafvollzug stärker an die Belange der Kriegführung angepasst und Feld-Straf-Einheiten aufgestellt, die als streng bewachte Arbeitseinheiten an der Front lebensgefährliche Arbeiten auszuführen hatten, wie das Räumen von Sprengkörpern und Schanzarbeiten in besonders umkämpften Kampfgebieten. In diesen Abteilungen und Feld-Straflagern fand wiederum eine Auslese statt, nach der Häftlinge, die sich renitent oder ungehorsam zeigten, an die Gestapo übergeben werden konnten, um in ein Konzentrationslager überführt zu werden (Messerschmidt 2005: 350 ff.).

Sonstige Vollzugsformen

In den von Deutschland besetzten Gebieten existierten zum Teil Zivilverwaltungen, die ihrerseits einen eigenen Behördenapparat und Gerichte unterhielten. Sie verfügten zumeist auch über eigene Haftapparate, die dann auch nicht dem Reichsjustizministerium des Deutschen Reiches unterstanden. So bestanden Strafvollzugsorganisationen für das besetzte Territorium der Sowjetunion oder die Niederlande (Kalmbach 2015: 40).

Strafvollzug und Bewährung

Verurteilte Wehrmachtangehörige sowie Häftlinge, die grundsätzlich der Wehrpflicht unterlagen, konnten, wenn sie als „besserungsfähig“ eingestuft wurden, nach einer Teilverbüßung der Strafe zur Bewährung an die Front entlassen werden. Da reguläre Militäreinheiten als nur bedingt geeignet angesehen wurden, stellte die Wehrmacht ab 1941 zunehmend Bewährungsbataillone auf, die zu gefährlichen Einsätzen herangezogen wurden. Für besondere Kampfleistungen, Verwundung oder Tod (!) wurde ein Straferlass in Aussicht gestellt (Wüllner/Ausländer 1990: 82 ff.).

Zusammenbruch des Strafvollzugs 1944/45

Ab Ende 1944 wurden die zivilen und militärischen Haftanstalten vor den heranrückenden Fronten geräumt. Die Häftlinge wurden zumeist auf Gewaltmärschen in das Innere des Reiches getrieben, um dort in anderen Strafeinrichtungen unterzukommen (Wachsmann 2006: 363 ff.). Bei diesen „Evakuierungen“ wurden zahllose Häftlinge erschossen, die zu schwach waren, um weiter zu laufen (Götte 2003: 437; Eberlein/Haase/Oleschinski 1999: 88 f.). In einigen Justizvollzugsanstalten, wie dem Zuchthaus Sonnenburg, kam es darüber hinaus zu Massentötungen an Insassen, um zu verhindern, dass die Gefangenen von den Alliierten befreit werden konnten (Wachsmann 2006: 373 ff.).

In den Strafanstalten der Justizverwaltung starben schätzungsweise 20.000 Insassen an Krankheiten und Gewalteinwirkungen (Wachsmann 2006: 265). Nicht einbezogen ist dabei die Zahl der zum Tode verurteilten und Hingerichteten. Weitere 20.000 Justizgefangene wurden in Konzentrationslagern ermordet, die zwecks „Vernichtung durch Arbeit“ dorthin übergeben worden waren (Wachsmann 2006: 326).

Literatur

  • Angermund, Ralph (1990): Deutsche Richterschaft 1919-1945. Krisenerfahrung, Illusion, politische Rechtsprechung. Frankfurt a.M.
  • Ausländer, Fietje (1995): „Zwölf Jahre Zuchthaus! Abzusitzen nach Kriegsende!“. Zur Topographie des Strafgefangenenwesens der Deutschen Wehrmacht. In: Haase Norbert; Paul, Gerhard. Die anderen Soldaten. Wehrkraftzersetzung, Gehorsamsverweigerung und Fahnenflucht im Zweiten Weltkrieg. Frankfurt a.M. (1995: 50-65).
  • Calliess, Rolf-Peter; Müller-Dietz, Heinz (2008): Strafvollzugsgesetz, 11. Aufl. München.
  • Götte, Petra (2003): Jugendstrafvollzug im „Dritten Reich“, diskutiert und realisiert – erlebt und erinnert. Bad Heilbronn.
  • Gürtner, Franz (1939): Grundgedanken des kommenden deutschen Strafrechts und Strafvollzugs. In: Deutsche Justiz, 977-980.
  • Kalmbach, Peter Lutz (2015): Besatzungsgerichtsbarkeit und Besatzungsstrafrecht. In: Bade, Claudia; Skowronski, Lars; Viebig, Michael. NS-Militärjustiz im Zweiten Weltkrieg. Disziplinierungs- und Repressionsinstrument in europäischer Dimension. Göttingen (2015: 25-43).
  • Laubenthal, Klaus (2011): Strafvollzug. 6. Aufl. Heidelberg.
  • Marx, Rudolf (1943): Der Strafvollzug. In: Deutsche Justiz, 80-82.
  • Messerschmidt, Manfred (2005): Die Wehrmachtjustiz 1933-1945. Paderborn.
  • Möhler, Rainer (1993): Volksgenossen und „Gemeinschaftsfremde“ hinter Gittern. Zum Strafvollzug im Dritten Reich. In: Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, 17-21.
  • Möhler, Rainer (1996): Strafvollzug im „Dritten Reich“. Nationale Politik und regionale Ausprägung am Beispiel des Saarlandes. In: Jung, Heike; Müller-Dietz, Heinz. Strafvollzug im „Dritten Reich“. Am Beispiel des Saarlandes. Baden-Baden (1996: 9-301).
  • Seidler, Franz (1991): Die Militärgerichtsbarkeit der Deutschen Wehrmacht 1939-1945. München.
  • Wachsmann, Nikolaus (2006): Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat. München.
  • Wüllner, Fritz; Ausländer, Fietje (1990): Aussonderung und Ausmerzung im Dienste der „Manneszucht“. Militärjustiz unter dem Hakenkreuz. In: Ausländer, Fietje. Verräter oder Vorbilder?. Deserteure und ungehorsame Soldaten im Nationalsozialismus. Bremen (1990: 65-89).

Weblinks