Cesare Lombroso

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Foto eines zeitgenössischen Ölbildes des Psychiaters Cesare Lombroso

Der aus einer wohlhabenden jüdischen Familie stammende Psychiater und Rechtsmediziner Cesare Lombroso (* 06.11.1835 in Verona; † 19.10.1909 in Turin) war der Begründer der Kriminalanthropologie und der positiven Schule in der Kriminologie, wenn nicht gar der Vater der Kriminologie als Wissenschaft überhaupt. Lombroso war nach eigenen Aussagen Positivist (die meiste Zeit) und Spiritualist (zum Schluß), Rassist, Philosemit, Eugeniker, Sozialist und Kritiker der sozialen und politischen Missstände seiner Zeit; er plädierte für milde Reaktionen auf Straftaten, war aber auch Anhänger der Todesstrafe und hatte andererseits auch wieder viel Verständnis für politische Straftäter (Anarchisten, Terroristen).

Leben

Lombroso wurde am 6.11.1835 Verona in eine jüdische Familie hineingeboren. Er studierte in Padua, Wien und Paris und wurde 1862 Professor in Pavia, ab 1876 war er Professor in Turin. Wie Auguste Comte, in dessen Tradition er stand, betonte er biologische Ursachen für Geisteskrankheiten. Die theoretischen Ergebnisse seiner Studien besagten zudem, dass diejenigen Bevölkerungsteile, die sich kriminell betätigten, auch besonders viele physische, nervöse und mentale Anomalien zeigten, die teilweise auf evolutionäre Rückfälle im Sinne des Atavismus und teilweise auch auf Degeneration zurückzuführen seien. 1880 gründet Lombroso mit Raffaele Garofalo das Archivio di psichiatria, antropologia criminale e scienze penali per servire allo studio dell'uomo alienato e delinquente, das unter verändertem Namen bis 1909 existierte. Gegen Ende seines Lebens wandte sich Lombroso der hypnotischen und spiritistischen Forschung zu (z.B. dem Foto vom Phantom Bebella).

Werk

Mit seinem 1876 erstmals veröffentlichten Werk L´Uomo delinquente begründete er eine neue Theorie in der Kriminologie, den Übergang vom Tat- zum Täterstrafrecht. Seine Lehre vom delinquente nato - dem geborenen Verbrecher - war von Anfang an umstritten. Der Kriminelle wird hier als besonderer Typus der Menschheit beschrieben, der in der Mitte des Geisteskranken und des Primitiven stehe. In deutschsprachigen Ländern wurden seine kriminalbiologischen Theorien unter der Bezeichnung Tätertypenlehre verbreitet. Hier ein Beispiel aus der deutschen Übersetzung von 1894 (S. 229-231)):

„Diebe haben im allgemeinen sehr bewegliche Gesichtszüge und Hände; ihr Auge ist klein, unruhig, oft schielend; die Brauen gefältet und stoßen zusammen; die Nase ist krumm oder stumpf. Der Bart spärlich, das Haar seltener dicht, die Stirn fast immer klein und fliehend, das Ohr oft henkelförmig abstehend (...).
Die Mörder haben einen glasigen, eisigen, starren Blick, ihr Auge ist bisweilen blutunterlaufen. Die Nase ist groß, oft eine Adler- oder vielmehr Habichtsnase; die Kiefer

starkknochig, die Ohren lang, die Wangen breit, die Haare gekräuselt, voll und dunkel, der Bart oft spärlich, die Lippen dünn, die Eckzähne groß (...).

Im allgemeinen sind bei Verbrechern von Geburt die Ohren henkelförmig, das Haupthaar voll, der Bart spärlich, die Stirnhöhlen gewölbt, die Kinnlade enorm, das Kinn viereckig oder hervorragend, die Backenknochen breit – kurz ein mongolischer oder bisweilen negerähnlicher Typus vorhanden“

1876 gründete Lombroso in Turin ein heute noch existierendes kriminalanthropologisches Museum.

Atavismus

Für Lombroso sind (geborene) Verbrecher Vertreter einer früheren Entwicklungsphase des Menschengeschlechts. Sie sind ein Rückschlag der Evolution (Atavismus). Daher zeigen Verbrecher körperliche Merkmale menschlicher Urahnen. Nach Lombrosos eigener Darstellung (die von seiner Tochter Gina noch ausgeschmückt wurde) durchfuhr ihn diese "Entdeckung" wie eine plötzliche Öffenbarung, als er die Hirnschale eines berüchtigten Räubers (Vilella) untersuchte:

"Beim Anblick dieser Hirnschale glaubte ich ganz plötzlich, das Problem der Natur des Verbrechens zu schauen. Ein atavistisches Wesen, das in seiner Person die wilden Instinkte der primitiven Menschheit und der niederen Tiere wieder hervorbringt. So wurden anatomisch verständlich: die enormen Kiefer, die hohen Backenknochen, die bei Verbrechern, Wilden und Affen gefunden werden, die Fühllosigkeit gegen Schmerzen, (...) und die unwiderstehliche Begierde nach Bösem um seiner selbst willen."

Die direkte Verwandtschaft zu den aggressiveren, nicht kulturell domestizierten Vorfahren des heutigen Menschen trete bei manchen Personen in ihren körperlichen Merkmalen offen zutage, so Lombrosos These. Eine bestimmte Schädelform oder zusammengewachsene Augenbrauen sind damit der Verweis auf eine atavistische - damit niedrigere und gewalttätigere - Entwicklungsstufe. Damit deuten äußere Merkmale auf die tief verwurzelten Anlagen zum Verbrecher hin, die auch durch die Aneignung sozialer Verhaltensweisen nicht überdeckt werden können.

Nicht mehr die verbrecherische Tat, sondern der Kriminelle als anthropologisch determinierter Typus wird damit zum Gegenstand einer neuen wissenschaftlichen Disziplin, der forensischen Phrenologie. Die praktischen Reformen, die Lombroso anregte, wollten den Delinquenten, der seiner Theorie zufolge kriminell geboren wurde, eine andere Art der Bestrafung erhalten lassen, als derjenigen, der durch die Umstände zu seinen Taten getrieben wurde.

In der zeitgenössischen Diskussion um das Genie vertrat er die Position, dass es sich hierbei um einen permanenten psychischen Ausnahmezustand handle, der in seinen verschiedenen Ausformungen Analogien zur "Verrücktheit" im Sinne der Ekstase zeige und letztlich biologisch nicht grundsätzlich verschieden von der kriminellen Disposition sei.

Spiritismus

Foto einer unsichtbaren Hand.


Folgen

Unter Berufung auf Lombrosos kriminalbiologische Thesen führten die Nationalsozialisten während des Dritten Reiches in Deutschland im Rahmen ihrer medizinisch-eugenischen Programme umfangreiche Zwangssterilisationen bei Kriminellen und Geisteskranken durch (vgl. hierzu auch den Artikel: Kriminologie im Dritten Reich).

Publikationen von Lombroso

  • L’uomo bianco e l’uomo di colore (dt: Der weiße und der farbige Mann), 1871. Der junge Lombroso versucht eine Lanze für die Rezeption der Theorien Darwins in Italien zu brechen.
  • L'uomo delinquente. In rapporto all'antropologia, alla giurisprudenza ed alle discipline carcerarie, Turin, Bocca, 1876. (dt: Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung, Hamburg 1889)
  • Genio e follia, in rapporto alla medicina legale, alla critica ed alla storia (dt: Genie und Irrsinn in ihren Beziehungen zum Gesetz, zur Kritik und zur Geschichte Leipzig: Reclam 1887)
  • La donna delinquente ... (dt: Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte. Anthropologische Studien, gegründet auf e. Darstellung d. Biologie u. Psychol. d. normalen Weibes mit G. Ferrero. Hamburg: Verlagsanst. u. Dr. A.-G. 1894)
  • Hypnotische und spiritistische Forschungen (1910)
  • Cesare Lombroso. Criminal Man. Durham: Duke University Press, 2006. ISBN 978-0-8223-3711-9 (Übersetzt und kritisch ediert von Mary Gibson and Nicole Hahn Rafter; vgl. auch: [[1]]).

Literatur über Lombroso

  • Bradley, Kate (2010) Cesare Lombroso (1835-1909) in: Keith Hayward, Shadd Maruna, Jayne Mooney, eds.; Fifty Key Thinkers in Criminology. London and New York: Routledge: 25-30.
  • Delia Fringesi: Cesare Lombroso. Turin, Einaudi, 2003, ISBN 88-06-13866-9
  • Mary Gibson: Born to crime : Cesare Lombroso and the origins of biological criminology. Westport, Conn., Praeger, 2002, ISBN 0-275-97062-0
  • Klaus Hofweber: Die Sexualtheorie des Cesare Lombroso. München, Univ. Diss., 1969
  • Rafter, Nicole (2007). Somatotyping, antimodernism, and the production of criminological knowledge. Criminology, 45, 805-833.
  • Regener, Susanne (1996) Frauen, Phantome und Hellseher. Zur Geschichte der Physiognomik des Weiblichen. In: Giesela Schmoelders, Hg., Der exzentrische Blick. Gespraech ueber Physiognomik. Berlin: Akademie Verlag, 187-212 [[2]] (20.10.2010)

Weblinks