Honduranische Staatskrise (2009)

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Die seit Anfang des Jahres 2009 schwelende Honduranische Staatskrise erreichte ihren Höhepunkt am 28.06.2009, als der damalige Präsident Manuel Zelaya aus seiner Residenz entführt wurde: ein Sonderommando der honduranischen Armee entwaffnete seine Leibgarde und brachte den nur mit seinem Schlafanzug bekleideten Präsidenten von dessen Schlafzimmer auf einen Luftwaffenstützpunkt, von wo aus er per Militärmaschine nach Costa Rica ausgeflogen und auf dem Flughafen von San José ausgesetzt wurde. Der Vorgang wurde international als Putsch bzw. Staatsstreich verurteilt (u.A. von der UNO, der Organisation amerikanischer Staaten OAS, EU, USA und Russland). Kolumbien und Israel verurteilten die Aktion nicht. Die Staatskrise endete spätestens mit der Rückkehr Zelayas nach Honduras im Mai 2011.


Vorgeschichte

Nach dem Wahlsieg der Liberalen Partei von 2005 waren der zunächst der politischen Rechten zuneigende Zelaya Anfang 2006 zum Präsidenten und Roberto Micheletti zum Parlamentspräsidenten gewählt worden. Der als Freund der USA geltende Zelaya profilierte sich u.a. mit der Forderung nach einer Verdopplung der Polizeistärke im Lande und nach einer stärkeren Bekämpfung der Korruption. Gemäßigte Positionen vertrat er bezüglich des Umgangs mit Mareros (Ausbildungsprogramme), zudem forderte er die Einführung direktdemokratischer Elemente. [1][2]

Im Amt näherte er sich schnell neo-sozialistischen Positionen an, setzte eine Reihe von Sozialprogrammen durch, z.B. die Erhöhung des Mindestlohns um 60%, die Reduzierung von Bankzinsen, kostenlose Elektrizitätslieferungen für Bedürftige, kostenlose Schulspeisung und geförderte Kredite für Kleinbauern etc.[3] Er sicherte sich dadurch die Unterstützung von Gewerkschaften und anderer, der politischen Linken zuzuordnender Gruppierungen. Nichtsdestotrotz verschlechterten sich seine Zustimmungswerte rapide. Laut einer Umfrage waren im Oktober 2008 nur 25% der Honduraner der Meinung, Zelaya mache seine Arbeit gut.[4] Gleichzeitig kam es zunehmend zu Spannungen mit konservativen Kreisen innerhalb und außerhalb seiner eigenen Partei.

Am 22. Juli 2008 verkündete Zelaya seinen Plan, Honduras der durch Venezuela dominierten Bolivarischen Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA) beitreten zu lassen. Am 25. August wurde die entsprechende Beitrittserklärung von Zelaya unterschrieben. Der Betritt wurde am 9. Oktober durch das honduranische Parlament ratifiziert.[5]

Bereits seit einiger Zeit gab es in Honduras Diskussionen über Verfassungsänderungen. Zelaya sprach sich in diesem Zusammenhang unter Anderem für die Möglichkeit mehrerer präsidentieller Amtszeiten aus.

Am 30. September 2008 veranlasste Zelaya per Dekret die Freigabe von 30.000.000 Lempira (ca. $1,5 Mio.) für die Bewerbung eines nicht bindenden Referendums (Volksbefragung) über die Abhaltung eines zweiten, bindenden Referendums (Cuarta Urna, Volksentscheid, zeitgleich mit den nächsten Präsidentschaftswahlen), das wiederum der Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung dienen sollte.

Am 11. November machte Zelaya seine entsprechenden Pläne publik.

Am 17. Februar 2009 verkündete er die Einberufung eines bindenden Referendums (s.o.) zeitgleich mit den kommenden Präsidentschaftswahlen am 29.11.2009.

Die Begrenzung auf eine Amtszeit stellt entsprechend der honduranischen Verfassung einen geschützten (nicht veränderlichen) Artikel dar. Die Verfassung (nicht aber die geschützten Artikel) kann lediglich durch den Kongress verändert werden. Referenden über die entsprechenden Regelungen sind explizit ausgeschlossen (s.u., 'Gegenseitige Illegalitätsvorwürfe/ Vorwürfe gegen Zelaya).

Am 27. Mai wurde Zelayas Plan durch ein Verwaltungsgericht für illegal befunden.

Am 3. Juni verabschiedete das honduranische Parlament eine Resolution, die Zelaya aufforderte, sein Handeln verfassungsgemäß zu korrigieren.

Am 10. Juni kam der Verwaltungsrat der honduranischen Anwaltskammer überein, dass Zelayas Aktivitäten illegal sein. Zudem wurde eine Empfehlung an öffentliche Amtsträger ausgegeben, damit im Zusammenhang stehende Anweisungen nicht auszuführen.

Ab dem 11. Juni waren zahlreiche Demonstrationen (bis zu 120.000 Demonstranten auf einer Einzelveranstaltung in San Pedro Sula am 23. Juni) gegen Zelayas Pläne zu verzeichnen. Am 24. Juni kam es dabei zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Zelaya-Unterstützern.

Am 23. Juni verabschiedete das honduranische Parlament ein Gesetz, dass die Durchführung von Referenden ab 180 Tagen vor einer nächsten Wahl verbietet.

Das Militär ist in Honduras für die Sicherung und Logistik von Wahlen zuständig. Am 24. Juni wurde der Generalstabschef Romeo Vásquez von Zelaya entlassen, da er sich unter Verweis auf die Illegalität des Referendums weigerte, entsprechende Wahlvorbereitungen zu unternehmen. Daraufhin traten der Verteidigungsminister sowie die Chefs der honduranischen Teilstreitkräfte zurück. Am 25. Juni ordnete der Oberste Gerichtshof die Wiedereinsetzung von General Vásquez an.[6]

Am 25. Juni landete ein Flugzeug aus Venezuela in Tegucigalpa (honduranische Hauptstadt). An Bord befanden sich Wahlzettel zur Durchführung des Referendums. Auf Anordnung der Wahlkommission wurde das Material konfisziert und auf dem militärischen Teil des Hauptstadtflughafens gelagert. Zelaya betrat daraufhin mit einer Menschenmenge von ca. 100 Unterstützern den Luftwaffenstützpunkt, nahm die Wahlzettel in Besitz und verbrachte sie in den Präsidentenpalast.[7] Im Umkreis des honduranischen Parlaments begann die Mobilisierung von Militär.

Am 26. Juni begann das honduranische Parlament mit Beratungen über die Absetzung von Zelaya. Mögliche Ansätze waren hierbei etwaig begangene Verfassungsbrüche und 'Geisteskrankheit'. Auf Veranlassung des Generalstaatsanwaltes erließ der Oberste Gerichtshof einen Haftbefehl gegen Zelaya.[8]

Ban Ki Moon und John Kerry (Vorsitzender des U.S.-Senatsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten) äußerten Besorgnis bzgl. der Entwicklungen.

Am 28. Juni kam es zur Stürmung des Präsidentenpalastes und anschließenden Außerlandesschaffung Zelayas (s.o.). Das honduranische Parlament kam zu einer Sondersitzung zusammen, wobei ein Rücktrittsgesuch Zelayas angenommen wurde. Zelaya bestreitet, dieses Rücktrittsgesuch verfasst zu haben. Roberto Micheletti wurde - in seiner Eigenschaft als Parlamentspräsident entsprechend der verfassungsmäßig geregelten präsidentiellen Sukzession - zum Übergangspräsidenten gewählt.[9][10]

Entwicklung nach der Außerlandesschaffung Zelayas

Die Vorgänge am 28. Juni wurden international als Putsch verurteilt (u.A. von der UNO, der Organisation amerikanischer Staaten OAS, EU, USA, Russland/ Gegenpositionen wurden u.A. von Kolumbien, Israel und z.T. China vertreten).[11][12]

Per Dekret verfügte Micheletti Ausgangssperren, die immer wieder verlängert wurden. Das Parlament verabschiedete am 1. Juli Notstandsdekrete, die u.A. nächtliche Ausgangssperren und die Einschränkung verfassungsmäßig garantierter Freiheiten beinhaltete (Versammlungsfreiheit, Schutz der Wohnung, Rechte im Strafverfahren).[13] Zahlreiche honduranische Medien wurden in ihrer Arbeit behindert (El Tiempo, Canal 11), von Militär umstellt oder vorübergehend geschlossen (Cable Color, Radio Globo). Der Empfang ausländischer Medien(CNN, teleSUR) wurde unterbrochen.[14]

Unmittelbar nach der Außerlandesschaffung Zelayas kam es zu ersten Demonstrationen von Zelaya-Unterstützern. Höhepunkte mit über 200.000 Teilnehmern waren am 5.7.09, 15.9.09 und am 27.1.10 zu verzeichnen. Die Bewegung formierte sich in Gestalt der Frente Nacional contra el Golpe de Estado en Honduras FNGE und hat sich mittlerweile in Frente Nacional de Resistencia Popular FNRP. Forderungen beinhalteten u.A. die Wiedereinsetzung Zelayas und Änderungen der Verfassung.[15] Über einen Zeitraum von mehreren Monaten kam es zu täglichen Demonstrationen von Zelaya-Unterstützern und -Gegnern.[16]

Am 5. Juli versuchte Zelaya, an Bord eines venezolanischen Flugzeugs nach Honduras zurückzukehren. Der Landeanflug auf den Flughafen in Tegucigalpa wurde seitens der Übergangsregierung Micheletti durch Besetzung der Landebahn unterbunden.[17]

Am 21. September kehrte Zelaya heimlich im Kofferraum eines Wagens aus Nicaragua nach Honduras zurück[18] und hielt sich von da an vier Monate in der brasilianischen Botschaft auf.[19]

Am 29. November 2009 fanden turnusmäßig landesweite Wahlen statt. Porfirio Lobo, Kandidat der konservativen Partido Nacional de Honduras (PNH), wurde bei einer Wahlbeteiligung von ca. 60% mit 56,5% der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Zugleich gewann die PNH die absolute Mehrheit der Sitze im Nationalkongress.[20] Die Durchführung der Wahlen wurde durch internationale Beobachter als free and fair bezeichnet.[21][22] Die Wahlen wurden international weitgehend anerkannt, nicht aber durch Kuba und die meisten südamerikanischen Staaten, allen voran Brasilien, Argentinien und Venezuela.[23]

Vermittlungsversuche durch Óscar Arias [24], Präsident von Costa Rica, und sonstige internationale Bemühungen zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Honduras (Wiedereinsetzung Zelayas) blieben erfolglos.[25]

Per Exekutivdekret PCM-11-2020 wurde im Mai 2010 eine Wahrheitskommission mit dem Namen La Comisión de la Verdad y La Reconciliación (CVR Honduras) gegründet. Zum Vorsitzenden wurde der ehemalige guatemaltekische Vizepräsident Eduardo Stein berufen. Aufgabe der Kommission ist die Aufarbeitung der im Rahmen der Staatskrise zu verzeichnenden Vorgänge, insbesondere der Menschenrechtsverletzungen. Am 7. Juli 2011 legte die Kommission ihren Abschlussbericht vor und kam darin zu dem Schluss, dass es sich bei der Entmachtung Zelayas um einen Putsch gehandelt habe. Zudem wurde eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen unterbreitet, die u.A. die Aufnahme direktdemokratischer Elemente sowie eines geregelten Amtsenthebungsverfahrens in die Honduranische Verfassung beinhalten.[26]

Unter Vermittlung durch die Präsidenten Kolumbiens und Venezuelas konnte am 22.5.2011 eine Einigung über die Rückkehr Zelayas nach Honduras erzielt werden. Etwaig begangene Rechtsbrüche durch Zelaya und die Putschisten-Koalition fallen unter Amnestie.[27]

Illegitimitätsvorwürfe gegen Zelaya

Zelayas Präsidentschaft war seit Beginn durch Spannungen mit oberschichtlichen Kreisen und insbesondere den honduranischen Medien gekennzeichnet. Die zunehmend linksgerichtete Politik Zelayas sowie ein durch honduranische Medien umfangreich berichteter Korruptionsskandal (s.u.) können hierbei als Ausgangspunkt gelten.

Am 24. Mai 2007 ordnete Zelaya die Sendung von 10 zweistündigen Regierungsansprachen (Cadenas) über honduranische Medienanstalten an.[28] Den Schritt begründete er mit der Voreingenommenheit der honduranischen Medienlandschaft zu seinen Ungunsten. Nach heftiger Kritik durch Journalistenverbände und die Opposition, die ihm u.A. den Vorwurf eines autoritären bzw. autoritaristischen Führungsstils einbrachten, wurden schließlich eine einstündige und zwei halbstündige Cadenas ausgestrahlt. Ein Report der OAS wies im Kontext dieser und begleitender Ereignisse (u.A. Platzierung von 'government ads', Zahlungen an ausgewählte Journalisten, Vorenthalten öffentlicher Informationen) auf eine Form von schleichender Zensur hin, die ggf. ein zukünftiges Zensurmodell darstelle.[29]

Zusammenfassend beinhalten die Illegtimitätsvorwürfe gegen Zelaya zum Einen den plötzlichen Wandel seiner Politik - gewählt wurde er als eher konservativer und US-freundlicher Vertreter der liberalen Partei, näherte sich aber nach kurzer Zeit neo-sozialistischen Positionen an[30] und führte Honduras in den durch Venezuela dominierten Staatenbund ALBA. Es lässt sich daraus eine Form von Wählertäuschung konstruieren. Zum Anderen wird Zelaya ein autoritärer Führungsstil vorgeworfen, wobei der Einsatz legaler Mittel, sodenn er der Sicherung freundlicher Berichterstattung oder sonstigen persönlichen Zielen dient (politische/persönliche Instrumentalisierung legaler Mittel), wenigstens als illegitim zu bezeichnen ist. Das gilt für die Sendung der Cadenas und zudem auch für durch Zelaya betriebene Strafverfolgung von Journalisten anhand von Beleidigungstatbeständen (Strafandrohung von 3-6 Jahren, Art. 354, Codigo Penal de Honduras[31]).

Obgleich die Sendung von Cadenas als solche üblich und legal ist, bezeichnete das Committee to protect Journalists Zelayas Plan zur massenhaften Anwendung als "a plan that violates the right to free expression as enshrined in the Honduran constitution", also illegal. [32]

Illegalitätsvorwürfe gegen Zelaya

Die Illegalitätsvorwürfe gegen Zelaya beziehen sich unmittelbar auf seine Bestrebungen zur Abhaltung eines Referendums über die Einberufung einer vefassungsgebenden Versammlung.[33] Hierbei wird angenommen, dass es Zelaya um die Möglichkeit mehrerer Amtszeiten ging. Dieser Verdacht nähert sich einerseits aus einzelnen ihm zugeschrieben Äußerungen.[34] Zum Anderen machte Zelaya seine Pläne zur Durchführung des Referendums unmittelbar nach dem Beitritt Honduras zur ALBA öffentlich. Außer in Kuba, dass eine diktatorische Staatsform inne hat, wurden entsprechende Änderungen im Zeitraum zwischen September 2008 und November 2009 in allen ALBA-Mitgliedsstaaten durchgeführt. Die Begrenzung auf eine Amtszeit stellt entsprechend der honduranischen Verfassung einen geschützten (nicht veränderlichen) Artikel dar. Verschärfend heißt es: "Wer das Gebot [Begrenzung auf eine Amtszeit] bricht oder seine Abänderung vorschlägt – sowie alle, die ihn dabei direkt oder indirekt unterstützen – sind unmittelbar von ihren Ämtern entbunden und für den Zeitraum von zehn Jahren von der Bekleidung jeglichen öffentlichen Amtes ausgeschlossen." (Art. 239)[35] Befürworter der Entmachtung Zelayas argumentieren, dass auf Grundlage dieser Bestimmung keine gerichtliche Amtsenthebung nötig sei, die entsprechende Amtsenthebung bzw. Wahl eines Nachfolgers durch den Nationalkongress also rechtmäßig sei.[36]

Zelayas fortwährende Bemühungen zur Abhaltung eines Referendums wurden von allen maßgeblichen honduranischen Institutionen für illegal befunden (s.o.). Die Illegalitätsvorwürfe gegen Zelaya beziehen sich also nicht lediglich auf die Pläne zur Abhaltung des Referendums sondern auf die im Fortgang zu verzeichnende Übertretung des demokratischen Prinzips der Gewaltenteilung und damit usurpative Akte.

Der honduranische Kongress listet in einem Amnestieentwurf für Zelaya (im Kontext des gescheiterten Guaymuras-Dialogs zu einer Beilegung der Krise im Januar 2010) folgende Verstöße auf[37]:

  • zu amnestierende politische Verbrechen (delitos políticos): Hochverat/Vaterlandsverat, Aufstand, Terrorismus, Rebellion und Angriff auf die verfassunsmäßige Ordnung;
  • zu amnestierende Verbrechen, die damit verbunden sind (delitos conexos): Autoritätsmissbrauch, Unfolgsamkeit gegenüber verfassungsmäßigen Garantien und Rechten und entsprechende Beauftragung und Anstiftung von Privatpersonen und Amtsträgern;
  • nicht zu amnestierende allgemeine Verbrechen (delitos comunes): Veruntreuung/Unterschlagung von staatlichen Geldern, widerrechtliche Bereicherung

Kriminalitätsvorwürfe

Micheletti hat Zelayas Bemühungen um die geplante Abhaltung des Referendums als "crimes against the constitution and the law" bezeichnet.[38] Zudem ist eine Reihe weiterer Anschuldigungen gegen Zelaya zu verzeichnen, die sich auf Kriminalität im engeren Sinne beziehen und wenigstens seine mittelbare Täterschaft implizieren. Zu etwaigen Verurteilungen ist es nicht gekommen.

So beschuldigt der ehemalige kalte Krieger Otto Reich Zelaya, im Zusammenhang mit einer Affäre um die staatliche honduranische Telefongesellschaft Hondutel Korruption zugelassen oder begünstigt zu haben.[39] Über die Affäre wurde innerhalb der honduranischen Medien rege berichtet. Der CEO von Hondutel, Zelayas Neffe Marcelo Chimirri, trat im Zuge der Vorgänge zurück.

Die rege Berichterstattung bzgl. der Hondutel-Affäre hat den Konflikt mit den honduranischen Medien um die Regierungsansprachen heraufbeschworen (sh. Illegitimitätsvorwürfe). Im weiteren Verlauf ist es im Rahmen dieses Konflikts zu Mordanschlägen auf Journalisten gekommen. Am 18. Oktober 2007 wurde Carlos Salgado, ein Journalist des regierungskritischen Radiosenders RCV, erschossen -- Täter unbekannt. Der Direktor des Senders ging auf Grund von Morddrohungen ins Exil. Auf einen anderen Journalisten wurde ein Mordanschlag verübt, zahlreiche weitere erhielten Morddrohungen. Zelaya hat sich von diesen Anschlägen und Bedrohungen öffentlich distanziert und ist auch nicht direkt belastet worden. Allerdings sind sie seinem Lager zuzuordnen. Honduranische Menschenrechtsgruppen sprechen davon, dass dieses Vorgehen toleriert würde durch "government officials in response to media reports on government corruption" [40].

Auf dem Youtube-Account von Juanapueblo finden sich Mitschnitte über Telefonate zwischen Zelaya, Chimirri, Zelayas Privatsekretär Raúl Valladares sowie Zelayas Berater Enrique Flores. Aus dem Inhalt der Gespräche gehen unter Anderem Manipulationspläne bzgl. des Umgangs mit dem Hondutel-Skandal hervor, einige gekaufte Journalisten werden namentlich genannt.[41][42]

Eine honduranische Journalistin berichtet davon, dass sie persönlich von Zelaya bedroht worden sei. Im Rahmen eines Interview habe dieser ihr gesagt: "If I was Hugo Chavez, I would have had this radio station shut down a long time ago." [43]

Micheletti hat die Exekutive im Mai 2009 beschuldigt, Killer zu seiner Ermordung angeheuert zu haben. [44]

Am. 26.6.2009 ist es in der honduranischen Zentralbank zu einer mutmaßlich illegalen Bargeld-Abhebung in Höhe von 40 Mio. Lempiras (ca. 1,5 Mio. €) gekommen, wobei das Geld anschließend in den Präsidentenpalast verbracht worden sein soll.[45]

Enrique Ortez, Außenminister während der Übergangsregierung Micheletti, hat Zelaya Verwicklungen in den organisierten Drogenhandel vorgeworfen. Die DEA sei bzgl. Zelayas Verbindungen zur organisierten Kriminalität informiert. Entsprechende Erkenntnisse bzw. Ermittlungen wurden seitens der DEA weder bestätigt noch zurückgewiesen. [46]

In einem geheimen Wikileaks Cable des ehemaligen US-Botschafters in Honduras, Charles A. Ford, ist bzgl. krimineller Verwicklungen Zelayas Folgendes zu lesen:

"There also exists a sinister Zelaya, surrounded by a few close advisors with ties to both Venezuela and Cuba and organized crime. Zelaya's desperate defense of former telecommunications chief Marcelo Chimirri (widely believed to be a murderer, rapist and thief) suggests that Chimirri holds much over Zelaya himself. Zelaya almost assuredly takes strong medication for a severe back problem and perhaps other drugs as well. His vehement attacks on the press have reportedly endangered journalists opposed to Zelaya's policies. His style and tone in order to get his way is one of intimidation and bullying, threatening tax inspections and worse rather than substantive debate on issues. Zelaya's inability to name a Vice Minister for Security lends credibility to those who suggest that narco traffickers have pressured him to name one of their own to this position. Due to his close association with persons believed to be involved with international organized crime, the motivation behind many of his policy decisions can certainly be questioned. I am unable to brief Zelaya on sensitive law enforcement and counter-narcotics actions due my concern that this would put the lives of U.S. officials in jeopardy."[47]

Illegitimitätsvorwürfe gegen die Putschisten-Koalition

Die Gegnerschaft Zelayas lässt sich als breite, oberschichtlich geprägte Koalition bezeichnen, die alle maßgeblichen staatlichen Institutionen sowie parteipolitische und wirtschaftliche Kreise, insbesondere auch den Großteil der honduranischen Main-Stream-Medien, beinhaltet (nicht aber Gewerkschaften, Campesinos, Indígenas).[48] Z.T. werden US-amerikanische und israelische Kräfte sowie deutsche politische Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FDP-nahe) hinzugezählt (s.u.). Aus der Tatsache heraus, dass Honduras nach Haiti und Nicaragua das ärmste Land der westlichen Hemisphäre ist[49] und sich durch ein hohes Maß ungleichverteilten Reichtums auszeichnet, ist zu erklären, dass sich etwaige Illegitimitätsvorwürfe vornehmlich an der sozialen Lage von Zelayas Gegnerschaft festmachen.[50]

Diese Illegitimitätsvorwürfe lassen sich insofern von Illegalitätsvorwürfen trennen, als dass sie auch dann gelten, wenn man den Argumentationsmustern der Putschisten-Koalition bzgl. der verfassungsrechtlichen Begründetheit der Entmachtung Zelayas folgt. In diesem Kontext werden nicht zuletzt die strengen Vorschriften der Honduranischen Verfassung selbst kritisiert[51], die, aus der Feder oberschichtlicher Kreise, lediglich zur Aufrechterhaltung sozialer Ungerechtigkeit diene und Honduras bestenfalls den Anschein demokratischer Ordnung verleihe. Auf dieser Kritik beruht einerseits die Befürwortung von Verfassungsänderungen, zudem ergibt sich aus Sicht von Zelaya-Befürwortern daraus eine Legitimitätsquelle nicht verfassungskonformer Überwindung der Verfassung, also ein revolutionäres Moment.[52]

Illegalitätsvowürfe gegen die Putschisten-Koalition

Illegalitätsvorwürfe gegen die Putschisten-Koalition beziehen sich vornehmlich auf die Absetzung Zelayas durch den Kongress. Per Dekret 141-2009 missbilligte dieser Zelayas Verhalten und stellte Verfassungsbrüche fest. Zudem wurde Zelaya seines Amtes enthoben und Micheletti zum Präsidenten befördert. Laut einer verfassungsrechtlichen Analyse durch den seinerzeitigen honduranischen Botschafter in Deutschland, Roberto Martínez, obliegt es allerdings einzig der Judikative, Verfassungsbrüche festzustellen. Zudem gebe es kein Recht des Parlaments, den Präsidenten seines Amtes zu entheben. Dies erfolge vielmehr automatisch, wenn etwaige Schuld gerichtlich festgestellt worden sei. Abgesehen davon, dass die Einsetzung eines Parlamentspräsidenten als Präsident (präsidiale Sukzession) keine Beförderung darstelle, ergebe sich auch die Nichtigkeit dieses Aktes unmittelbar aus der illegalen Absetzung Zelayas. Die Illegalität der Absetzung Zelayas ergebe sich zudem bereits daraus, dass der Kongress nicht ordnungsgemäß zusammengekommen sei bzw. geheim getagt habe, um das betreffende Dekret zu beschließen. Vor der Abstimmung wurde zudem ein offenkundig gefälschtes Rücktrittsgesuch von Zelaya verlesen.[53] Es ist von einem einstimmigen Beschluss die Rede (angeblich 100% Anwesenheit), allerdings gibt es keinerlei Aufzeichnungen über die Abstimmung, z.B. namentliche Anwesenheitslisten, Protokoll etc.[54] Einige linksgerichtete Abgeordnete berichten, dass sie an der Teilnahme gehindert worden seien.

Zudem wird die Position vertreten, dass alle offiziellen Handlungen (Verhängung des Notstandes, jegliche Festnahmen etc.) durch die Übergangsregierung Micheletti illegal gewesen seien, da dieser nicht legal an die Macht gekommen sei.[55] Diese Vorwürfe beziehen sich z.T. auch auf die Wahlen, die turnusmäßig am 29.11.2009 stattgefunden haben und durch internationale Wahlbeobachter als fair bezeichnet wurden (s.o.).

Kriminalitätsvorwürfe

Die erhobenen Kriminalitätsvorwürfe gründen einerseits auf der vorgeworfenen Illegalität des Übergangsregierung, andererseits ist eine Reihe von Vorkommnissen zu verzeichnen, die auch jenseits der Frage legaler Herrschaft als kriminell zu bezeichnen ist.

Der Umstand, der bzgl. der Entmachtung Zelayas letztlich zum Label Putsch geführt hat, ist seine Außerlandesschaffung durch das honduranische Militär. Sodenn Zelayas Festnahme legal und auf Anordnung des obersten Gerichtshofes durchgeführt worden sein sollte (was gemeinhin nicht angenommen wird), ist doch die Expatriierung eines Honduraners zum Einen durch die honduranische Verfassung verboten. Zum Anderen ist damit wohl der Tatbestand einer Entführung erfüllt. Die internationale Gemeinschaft ist sich in der Verurteilung der Außerlandesschaffung Zelayas als kriminellen Akt einig (s.o.). Der Modus der Kritik ist dabei, dass das illegale und ggf. kriminelle Verhalten eines Präsidenten seine gesetzmäßige Absetzung, nicht aber extralegale Maßnahmen rechtfertigt. Auch durch das Micheletti-Regime wurde die Außerlandesschaffung Zelayas als illegal anerkannt, zugleich aber als eigenmächtiges Unternehmen des Militärs bezeichnet. Hugo LLorens, Botschafter in Honduras, bezeichnet diese Sicht der Dinge bzgl. eines Auswegs aus der Staatskrise als mögliche "seeds for a solution" und "face-saving 'out' for the two opposing sides".[56]

Im Zuge des durch das Micheletti-Regime verhängten Ausnahmezustands ist es zu zahlreichen Übergriffen auf und Festnahmen von Pro-Zelaya-Demonstranten durch Militär und Polizei gekommen. Amnesty International spricht von häufiger unverhältnismäßiger Gewalt gegen Demonstranten, Einschüchterungen und Angriffen auf Angehörige und Einrichtungen der Opposition, rechtswidrigen Tötungen, sexueller Gewalt gegen Frauen sowie Hinweisen darauf, dass die Zahl der Morde an Transgender-Frauen im Juni 2009 unverhätlnismäßig angestiegen sei.[57] In Anbetracht der Willkür und Breite der Taten ließe sich ggf. von Staatsterrorismus oder staatsverstärktem Terrorismus sprechen.

Die Botschafter Nicaraguas, Kubas und Venezuelas behaupten, in Gewahrsam genommen und dort verprügelt worden zu sein.

Das Komittee der Angehörigen verschwundener Verhafteter in Honduras (COFADEH) listet 42 Tote als Opfer der Putschisten-Koalition. Laut COFADEH handelt es sich dabei in den meisten Fällen um extralegale Hinrichtungen.[58] Zudem ist es laut eines Berichts der internationalen Menschenrechtskommission zu Honduras in wenigstens zwei Fällen zu erzwungenem Verschwindenlassen gekommen. Betitelt ist der Bericht mit "Systematische Menschenrechtsverletzungen in Honduras nach dem Putsch".[59]

Reaktivierung des Bataillons 3-16?

Das Bataillon 3-16 war eine als Todesschwadron zu bezeichnende Einheit des honduranischen Militärs, die von der CIA in den 1980er Jahren zur Bekämpfung des Kommunismus in Mittelamerika ausgebildet und eingesetzt wurde. Neben physischen Foltermethoden, extralegalen Tötungen sowie Verschwindenlassen beinhaltete das Fähigkeitsprofil des Bataillons 3-16 insbesondere auch psychische Foltermethoden.[60]

Mindestens sieben ehemalige Mitglieder des Bataillons 3-16 bekleideten während der Präsidentschaft Zelayas wichtige Ämter. Hierbei sind insbesondere Alvaro Romero und Billy Joya zu nennen. Ersterer wurde unter Zelaya Sicherheitsminister, letzterer Sicherheitsberater im Sicherheitsministerium.[61] Unter Micheletti wurde Joya zum besonderen Berater bestellt und wird in dieser Eigenschaft von einigen als Drahtzieher der Repressionen während der Micheletti-Regierung bezeichnet.[62][63] In einem Interview vom 31.7.2009 gab Zelaya an, dass das Bataillon 3-16 für die Putschisten-Koalition unter anderem Namen wieder aktiv sei.[64]

Anschuldigungen gegen Israel/Antisemitismus

Während Zelayas Aufenthalt in der brasilianischen Botschaft wurden Vorwürfe bzgl. eines Giftgasanschlags auf die Botschaft erhoben. Zudem war von Angriffen mit Schallkanonen die Rede. Damit in Verbindung zu bringende gesundheitliche Beeinträchtigungen der in der Botschaft Anwesenden konnten nicht nachgewiesen werden. Im Zuge der Anschuldigungen wurden ein israelischer Staatsbürger sowie der Staat Israel belastet, sich an usurpativen Akten zur Entmachtung Zelayas zu beteiligen. Das Gas sowie die Schallkanonen seien aus israelischer Produktion, zudem würden die Israeli Defence Forces das honduranische Militär im Zuge der Bekämpfung von Zelaya-Unterstützern trainieren und beraten. Chavismus wird oftmals mit Antisemitismus in Verbindung gebracht.[65]. Einige Autoren gehen im Kontext der Anschuldigungen denn auch von Antisemitismus aus, offensichtlich antisemitische Äußerungen durch Zelaya-Befürworter sind belegt.[66] Bekanntermaßen stellt jüdische Weltverschwörung ein wiederkehrendes antisemitisches Motiv dar (man denke an die Protokolle der Weisen von Zion).

Im Rahmen von linker Kritik (s.o.) am Staatsstreich ist bzgl. honduranischer Medien oft von Konzentration in den Händen weniger reicher Familien die Rede. Dass Antisemitismus im Kontext des Staatsstreichs ein Thema ist, lässt sich ggf. auf die Rolle der Familie Rosenthal in Honduras zurückführen. Diese ist jüdischstämmig, reich, u.A. im Besitz der großen honduranischen Tageszeitung El Tiempo sowie des TV-Senders Canal 11. Yani Rosenthal, Sohn der Familie, war zudem ehemaliger Wahlkampfkoordinator während Zelayas Präsidentschaftskampagne und bis Ende 2007 Ministerpräsident unter Zelaya. Im Rahmen der honduranischen Staatskrise hat er sich auf die Seite von Micheletti begeben. Es ist aber zu bedenken, dass es Berichte über Repressalien gegenüber El Tiempo und Canal 11 im Rahmen des durch das Micheletti-Regime verhängten Ausnahmezustands gibt.

Ingo Niebel schreibt in einem augenscheinlich gut begründeten (wenn auch sehr politischen) Artikel für das Magazin GEHEIM davon, dass die Antisemitismus-Debatte lanciert sei, um von israelischer Unterstützung (Mossad) für den Staatsstreich abzulenken. Thema sind dabei auch Kontakte israelischer Söldner zu Todesschwadronen in Mittelamerika. Der Artikel findet sich hier[67]

Gegenläufige Interpretationen der Ereignisse

Wie bereits angesprochen, ist der vornehmliche Modus der internationalen Verurteilung des Staatsstreichs, dass das illegale und ggf. kriminelle Verhalten eines Präsidenten seine gesetzmäßige Absetzung, nicht aber extralegale Maßnahmen rechtfertige.

Auch wenn man davon ausgehen würde, dass eine verfassungsmäßige Entmachtung Zelayas stattgefunden hat, so ist doch wenigstens von außerordentlichen handwerklichen Mängeln und Dilettantismus zu sprechen. Aus rechtlicher Sicht, aber auch in Anbetracht der seinerzeit günstigen politischen Verhältnisse im Parlament und obersten Gerichtshof, stellt sich die Frage, warum ein geordneter Prozess nicht möglich war.[68]

In einem geheimen Wikileaks-Kabel kommt der seinerzeitige US-Botschafter in Honduras, Hugo Llorens, diesbezüglich zu folgender Einschätzung:

"The analysis of the Constitution sheds some interesting light on the events of June 28. The Honduran establishment confronted a dilemma: near unanimity among the institutions of the state and the political class that Zelaya had abused his powers in violation of the Constitution, but with some ambiguity what to do about it. Faced with that lack of clarity, the military and/or whoever ordered the coup fell back on what they knew -- the way Honduran presidents were removed in the past: a bogus resignation letter and a one-way ticket to a neighboring country."[69]

Eine Zelaya-feindlichere Interpretation der Ereignisse lautet, dass es keinen Putsch gegeben hat, sondern eine chaotisch verlaufende Entmachtung, deren Ursache einerseits in den mangelnden rechtsstaatlichen Kapazitäten Honduras, einer schlecht gearbeiteten Verfassung sowie der hohen politischen Polarisierung zu finden sei. Die Außerlandesschaffung Zelayas sei eine kriminelle, wenn auch eigenmächtige Handlung des Militärs gewesen, wobei damit jedoch keine illegale und schon gar keine illegitime Übernahme der Macht verbunden gewesen sei. Die Entmachtung sei weder überraschend gewesen, noch handele es sich bei der Gegnerschaft Zelayas um eine kleine Gruppe, vielmehr um alle maßgeblichen gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen (Medien, Parlament, Gerichte, Kirche) sowie einen beachtlichen Teil der Bevölkerung. Zelaya habe einen Putschversuch unternommen und sei damit gescheitert.

Zelaya-feindliche Interpretationen wurden in verschiedenen Abstufungen u.A. von der Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP-nahe) in Kooperation mit Die Welt[70][71], der Hanns-Seidel-Stiftung[72] (CSU-nahe), dem Wall Street Journal[73][74] sowie erzkonservativen/reaktionären Kreisen in den USA vertreten.[75][76] Politologisch anschlussfähig ist eine Zelaya-feindliche Interpretation der Ereignisse ggf. anhand von Theorien über Wehrhafte/Streitbare Demokratie.

Generell fiel die Interpretation der Ereignisse zu Ungunsten der Putschisten-Koalition aus, Zelayas Verfehlungen wurden dabei eher am Rande berichtet. Das ist ggf. auch darauf zurückzuführen, dass die offenkundig durch die Putschisten-Koalition begangenen Verbrechen im Kontext der Entmachtung Zelayas - gerade auch vor dem Hintergrund der Geschichte Lateinamerikas - eine differenzierte Interpretation moralisch fragwürdig erscheinen lassen.

Ausgesprochen Zelaya-freundliche Interpretationen wurden insbesondere durch Befürworter der Bolivarischen Revolution (Chavismus) vertreten. Z.T. wird dabei behauptet, dass Zelaya in keiner Weise illegal gehandelt habe,[77], z.T. wird auf legitimen Kampf gegen Neoliberalismus und die USA verwiesen (z.B. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Portal amerika21).[78][79]

Kriminologische Relevanz

Der Staatsstreich in Honduras beinhaltet entsprechend der von Hess vorgestellten Kasuistik sowie typologischen Charakteristika alle Elemente repressiver Verbrechen. Auch ließen sich Zelayas Aktivitäten anhand der typologischen Charakteristika als repressive Verbrechen konstruieren, allerdings nur im Widerspruch mit der Logik der Kasuistik. Bzgl. einer Theorie über Repressives Verbrechen ergeben sich daraus ggf. theoretische Implikationen.

Theorien über Regierungskriminalität, State Corporate Crime und/oder Political Crime lassen sich auf die Vorgänge in Honduras anwenden.

In seinem vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin gehaltenen Vortrag "Staatsstreiche in historischer und kriminologischer Sicht", argumentiert der Rechtswissenschaftler Wolf Middendorff in Richtung notwendiger Differenzierungen bzw. einer Typologie von Putschen und Staatsstreichen. Seine kriminologische Sicht beinhaltet zudem das Verständnis eines Putsches/Staatsstreiches als Verbrechen. Zum Einen lassen sich damit ätiologische Kriminalitätstheorien auf Putschisten applizieren, die Abläufe während eines Putsches wiederum beträfe Forschung über die Abläufe von Verbrechen. Als Elemente seiner historischen und kriminologischen Sicht benennt Middendorff u.A. prognostizierbare Faktoren eines Staatsstreiches (darunter das Verhalten der Opfer), Regeln und Ausführungen sowie die Persönlichkeit der Verschwörer.

Eventuell wäre die Frage zu stellen, ob sich im Raum internationaler Beziehungen eine Praxis des Verurteilens und Strafens eingestellt hat, die analog den Gegebenheiten innerstaatlicher Strafverfolgung funktioniert. Unter Berücksichtigung des Labeling Approach oder der Sündenbocktheorie könnte man fragen, ob Honduras vornehmlich ob seiner Unfähigkeit, ein geordnetes Amtsenthebungsverfahren durchzuführen, also in seiner Eigenschaft als Bananenrepublik kriminalisiert (Verbale Verurteilung, Ausschluss aus internationalen Organisationen, Abzug der Botschafter, Einfrieren von Entwicklungszusammenarbeit etc.) worden sei.

Verbal vollzog sich der Konflikt in Honduras maßgeblich anhand von Aussagen bzgl. der eigenen Legitimität/Legalität bzw. Illegitimität/Illegalität/Kriminalität des Gegners. Diese Konfliktebene lässt sich ggf. als gegenseitige Anwendung von Neutralisationstechniken fassen.

Die Beilegung sowie Aufarbeitung der Staatskrise stellt einen interessanten Fall für das zunehmend kriminologisch behandelte Thema Transitional Justice/Restorative Justice (s.o.: Wahrheitskommission) dar.

Trivia

  • "Im November 2010 kündigte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs an, er werde in Bezug auf Berichte über weit verbreitete und systematische Menschenrechtsverletzungen während der Herrschaft der De-facto-Regierung Vorermittlungen einleiten."[80]
  • Bevor Roberto Micheletti 2006 Parlamentspräsident wurde, war er Direktor von Hondutel. Zelayas Neffe Marcelo Chimirri wurde unter Zelaya Direktor von Hondutel, musste aber im Zuge des Korruptionskandals (s.o.) zurücktreten. Der durch Zelaya kurzzeitig entmachtete, sodann für die Außerlandesschaffung von Zelaya verantwortlich zeichnende ehemalige Generalstabschef von Honduras, General Vásquez, wurde unter Porfirio Lobo, dem aktuellen Präsidenten Honduras, als Direktor von Hondutel eingesetzt.[81]
  • Bisher hat es in Honduras mehr als 100 versuchte und erfolgreiche Putsche gegeben,[82] siebzehn alleine zwischen 1920 und 1923.
  • Patricia Rodas, Außenministerin unter Zelaya, gilt als überzeugte Marxistin und Schlüsselfigur bzgl. des politischen Wandels von Zelaya. Der honduranische Putsch von 1963 galt ihrem Vater, seinerzeit Parlamentspräsident und aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat.[83]
  • Manuel Zelaya, reicher Großgrundbesitzer und gleichnamiger Vater des späteren Präsidenten Manuel Zelaya wurde für die Urheberschaft der extralegalen Tötung von bis zu 15 Studenten, Kirchenamtsträgern und Bauern im Rahmen des Los Horcones Massacre (1975) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach einem Jahr wurde er entlassen, der Rest der Strafe wurde in eine geringe Geldstrafe umgewandelt.
  • Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland schaffte es Honduras am 26.11.2009 als Tagesordnungspunkt in eine Plenarsitzung des Deutschen Bundestages.[84]
  • Der Begriff Bananenrepublik geht auf Honduras zurück.[85]

Quellen/Literatur

  • Hess, Henner (1976) Repressives Verbrechen. Kriminologisches Journal 8: 1-22.
  • Middendorff, Wolf (1988) Staatsstreiche in historischer und kriminologischer Sicht: Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 10. Februar 1988. Walter de Gruyter

Weblinks

Fußnoten

(jeweils zugegegriffen zwischen dem 11. und 20. August 2011)

  1. Wahlen in Honduras: José Manuel Zelaya Rosales von der Liberalen Partei neuer Präsident, Konrad-Adenauer-Stiftung
  2. ZELAYA ADMINISTRATION'S FIRST 45 DAYS - PRO-U.S, US Embassy Diplomatic Cable, Wikileaks
  3. Zelaya fordert "sozialistischen Liberalismus", Red Globe
  4. President Zelaya Drops to 25% in Honduras, VisionCritical
  5. Honduras se incorpora al ALBA, Youtube
  6. Honduras Präsident Zelaya unterliegt vor Gericht, Focus
  7. Zelaya seizes ballots for referendum, Aeortiz
  8. Justizkreise torpedieren Versöhnung in Honduras, vdj
  9. Honduran Military Coup Timeline, CRLN
  10. Chronology of the 2009 Honduran Constitutional Crisis, Wikipedia
  11. Reuters Factbox: Reaction to Coup in Honduras, Reuters
  12. Inernational Reaction to the 2009 Honduran Coup, Wikipedia
  13. Krawalle in Honduras: Ausgangssperre soll Demonstranten stoppen, Spiegel
  14. HONDURAS: HUMAN RIGHTS AND THE COUP D’ÉTAT, Inter-American Commission on Human Rights
  15. Frente Nacional de Resistencia Popular (English)
  16. Demonstrationen für und gegen Zelaya, Die Welt
  17. Prohiben aterrizaje en Honduras al avión que traslade a Manuel Zelaya, Noticias 24 (mit Video)
  18. Zelaya, refugiado en Embajada de Brasil, gestiona diálogo con gobierno de facto, La Prensa Gráfica
  19. Zelaya abandona Embajada de Brasil después de cuatro meses, RTVE (Foto)
  20. Porfirio Lobo gana las elecciones de Honduras, El País
  21. 2010 Human Rights Report: Honduras, US Department of State
  22. Europäische Volkspartei verabschiedet Resolution zu Wahlen in Honduras, Konrad-Adenauer-Stiftung
  23. Summit Does Not Recognize Elections in Honduras, Common Dreams
  24. Clinton y Zelaya acuerdan mediación de Óscar Arias para retomar hilo constitucional, TeleSur
  25. Honduras' Parlament stimmt gegen Zelayas Rückkehr, NZZ
  26. Recomendaciones de la Comisión de la Verdad, El Heraldo
  27. Colombia: Lobo and Zelaya put an end to political crisis in Honduras, Santos Chavez and guarantors (in English), Toda Noticia
  28. Zelaya impone diez cadenas de radio y televisión en Honduras, Radio La Primerísima
  29. Government Advertising Allocation as "Subtle Censorship", Inter Press Service News Agency
  30. Mels wundersame Wandlung, FAZ
  31. Leyes de desacato, Archivo del portal de recursos para estudiantes
  32. CPJ urges president to reverse broadcast order, Committe to protect Journalists CPC
  33. OPEN AND SHUT: THE CASE OF THE HONDURAN COUP, US Embassy dplomatic cable (Wikileaks)
  34. Mel Zelaya did propose reelection, La Gringas Blogcito
  35. Honduras Constitution - English translation
  36. Honduras removal of President Legal - Constitution has Vaccine, NowPublic
  37. Manuel Zelaya saldría “limpio” con amnistía, La Prensa
  38. UN Backs Manuel Zelaya, Ousted Honduran Leader, The Huffington Post
  39. OTTO REICH'S FINGERPRINTS ON HONDURAS COUP?, The Shadow
  40. Free press under attack in Honduras, Upsidedownworld
  41. Juanapueblo, youtube
  42. Same Old, Same Old for Hondurans Under "Leftist" Regime, Kari Lydersen
  43. Same Old, Same Old for Hondurans Under "Leftist" Regime, Kari Lydersen
  44. Roberto Micheletti presenta pruebas de atentado en su contra, El Heraldo
  45. 40 millones Robados en Honduras, TeleNoticias (youtube)
  46. Arrest order for ousted Honduran leader, MSNBC
  47. PRESIDENT JOSE MANUEL ZELAYA ROSALES: PERSONAL REFLECTIONS OF AMBASSADOR FORD, US Embassy Diplomatic Cable, Wikileaks
  48. Coup Coalitions and the Collective Defence of Democracy in the Americas: The Honduran Paradox, Latin American Studies Association
  49. Honduras ist eines der ärmsten Länder Lateinamerikas, Der Standard
  50. sh. z.B. Honduras: Kann ein Militär-Putsch legitim sein?, Direkte Aktion: Freiheit stirbt mit Sicherheit
  51. That Wacky Honduran Constitution
  52. sh. z.B. Honduras: Interview with Carlos H. Reyes trade union leader
  53. Honduran Congress names provisional president, CNN World
  54. Honduras: Golpe de estado desde la perspectiva constitucional, Frente de Reforma Universitaria
  55. Golpe de Estado en Honduras, Un Analisis Jurídico por Edmundo Orellana, Vosel Soberano
  56. OPEN AND SHUT: THE CASE OF THE HONDURAN COUP, US Embassy Diplomatic Cable, Wikilekas
  57. Jahresbericht Honduras 2010, Amnesty International
  58. Muertos del Golpe, COFADEH
  59. Systematische Menschenrechtsverletzungen in Honduras nach dem Putsch
  60. Is there a torture manual?, HowStuffWorks
  61. Human Rights Workers Denounce Battalion 3-16 Participation in Zelaya Government Mesoamerica
  62. Kreuze in Honduras - Mit den Präsidentenwahlen ist der Übergang zur Nicht-Demokratie vollzogen, Le Monde Diplomatique
  63. Alleged death squad returns to spotlight, The Miami Herald
  64. Zelaya speaks, ZNet
  65. Die Zahnpasta der Weisen von Zion, Lizas Welt
  66. Antisemitismo en Honduras en cinco actos: el zelayusmo desenmascarado, Por Israel. Contra la mentira y el antisemitismo
  67. Israeli Connection - Unterstützung für die Putschisten in Honduras, GEHEIM
  68. Honduras - A Comedy of Errors, Contacto Magazine
  69. OPEN AND SHUT: THE CASE OF THE HONDURAN COUP, US Embassy Diplomatic Cable, Wikilekas
  70. Warum Europa und UN bei Honduras flasch liegen, Die Welt
  71. Das Märchen vom Staatsstreich in Honduras, Die Welt
  72. Quartalsbericht Lateinamerika 2009, Hanns-Seidel-Stiftung
  73. Honduras Defends its Democracy, Wall Street Journal
  74. US Media fail in Coup Reporting, nacla
  75. Republican Backers of Honduras Coup, Havana Times
  76. Honduras: right-wing propaganda machine in pro-coup offensive, World War 4 Report
  77. Weshalb Zelayas Handlungen in Honduras sowohl legal als auch verfassungsmässig waren Womblog
  78. Der Staatstreich in Honduras – neue Strategie der USA?, RLS
  79. Honduras: Nachrichten, aktuelle Informationen, Hintergrund und Analysen, Portal amerika21
  80. Jahresbericht Honduras 2011, Amnesty International
  81. General Velasquez in Charge of HONDUTEL, Honduras News
  82. Political exclusion , D + C
  83. The President in His Ticket, Revista Envío
  84. Plenarsitzung vom 26.11.2009, TOP 9: Honduras, Video
  85. Chapman, Peter. Bananas: How the United Fruit Company Shaped the World, Cannongate, New York, 2008; pp. 68-69, 108 ("O. Henry was the first to use the term 'banana republic'...")