War on Drugs

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Der Begriff War on Drugs (Krieg gegen die Drogen) bezeichnete ursprünglich umfangreiche staatliche Maßnahmen der US-amerikanischen Regierung zur Bekämpfung der illegalen Herstellung und des Handels mit Betäubungsmitteln. Der Begriff wurde 1972 durch den US-Präsidenten Richard Nixon geprägt.

Mittlerweile wird der Begriff als Synonym für Maßnahmen der repressiven und militärischen Durchsetzung der Drogenprohibition weltweit genutzt, so beispielsweise für die derzeitige Drogenpolitik der Philippinen. Dort begann mit Amtsantritt des Präsidenten Rodrigo Duterte im Juli 2016 eine Welle ungesetzlicher Tötungen von vermeintlichen Drogendelinquenten, in deren Zuge nach Schätzungen von Amnesty International bis Februar 2017 bereits über 6.000 Menschen getötet wurden. [1]

Die Wirkung der Maßnahmen des War on Drugs sind umstritten, Kritik an dem repressiven Ansatz zur Bekämpfung des Rauschgiftkonsums wird gerade in der jüngeren Vergangenheit immer lauter.

Geschichte der Internationalen Drogenkontrolle

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die ersten internationalen Drogenkontrollabkommen beschlossen, die bis dahin legale und zum Teil als Medizin frei verkäufliche Stoffe als gesundheitsschädlich einstuften und international verboten. Insgesamt wurden neun internationale Drogenkontrollabkommen unterzeichnet, bis diese 1961 durch das Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel der Vereinten Nationen ersetzt wurden. In den darauf folgenden Jahren weiteten die Vereinten Nationen die Drogenprohibition durch die Konvention über psychotrope Substanzen (1971), die Betäubungsmittel wie Amphetamin, Methamphetamin, LSD, etc., die im Einheitsabkommen nicht abgedeckt wurden, ebenfalls unter internationale Kontrolle stellte, aus. Weiterhin wurde 1988 das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen unterzeichnet, in dem Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen, illegalen Betäubungsmittelhandels festgelegt wurden (z.B. Kontrolle von Vorläufersubstanzen und Herstellungsmaterialien, Vernichtung von pflanzlichen Ausgangsstoffen, etc.).

Die drei Übereinkommen bilden noch heute die Grundlage der weltweiten Drogenkontrolle.

War on Drugs in den USA

Trotz der Einführung internationaler Vorgaben für die Drogenkontrolle und daraus resultierender nationaler Gesetzgebung nahm der Konsum von Betäubungsmitteln in den USA insbesondere in den 60er Jahren dramatisch zu. (UNODC 2008, S.62).

Als Reaktion auf steigende Kriminalitätsraten und Drogenabhängige legte Richard Nixon den Schwerpunkt seiner US-Innenpolitik Anfang der 70er Jahre auf die Durchsetzung von Recht und Gesetz („law and order“). Am 17. Juni 1971 bezeichnete Nixon in einer besonderen Ansprache an den Kongress Drogen als „Staatsfeind Nummer 1“ und rief den “Krieg gegen die Drogen“ aus. [2] [3] Infolge dieser Ankündigung dehnte die US-Regierung ihre internationalen Maßnahmen im Bereich der Drogenbekämpfung massiv aus (McCoy, S. 516 ff.). Bis heute betreibt die US-amerikanische Drogenpolitik umfangreiche Maßnahmen in Herkunftsländern von Rauschgift, die von Repression und militärischen Interventionen über technische Unterstützung und Entwicklungshilfe bis hin zu Eradikationsmaßnahmen reichen.

Bekannte Maßnahmen des internationalen War on Drugs der USA sind die „Operation Just Cause“ in Panama (Johns 1992, S. 159 ff.), der „Plan Colombia“ in Kolumbien [4] und die „Merida Initiative“ in Mexiko (Maihold/Brombacher 2013, S.275 ff.).

Neben den Anstrengungen im Rahmen der US-Außenpolitik läutete Nixon auch eine radikale nationale Offensive gegen Verbrecher und insbesondere Drogenkonsumenten ein. Durch Einführung des Comprehensive Drug Abuse Prevention and Control Acts 1970 wurden bereits bestehende Bundesgesetze verschärft und die US-Bundesbehörden erhielten weitreichende repressive Befugnisse bei der Verfolgung von Rauschgifthändlern und Rauschgiftkonsumenten. [5] 1973 richtete Nixon die Drug Enforcement Administration (DEA) ein, deren einzige Zuständigkeit und Aufgabe die permanente Bekämpfung und Verfolgung von Rauschgift im In- und Ausland der USA war. (McCoy 2003, S.518)

Nixons Nachfolger Ronald Reagan setzte diesen Krieg gegen die Drogen noch umfassender und radikaler fort. Durch das Aufkommen von Crack Mitte der 80er Jahre rechtfertigte er weitreichende finanzielle Ausgaben im Strafvollzugssektor und eine weitere umfangreiche Aufrüstung der Strafverfolgungsbehörden durch die US-Regierung. [6]

Insbesondere die Einführung des Anti-Drug Abuse Act in 1986, wodurch 29 obligatorische gesetzliche Mindeststrafen für Drogendelikte eingeführt wurden, die von fünf Jahren Mindeststrafe bis zu lebenslang reichten, führte zu massenhaften Inhaftierungen von Drogenhändlern und Drogenkonsumenten. [7]

Auch die Politik der nachfolgenden US-Präsidenten George Bush und Bill Clinton war maßgeblich ausgerichtet auf die Durchsetzung von Recht und Gesetz („Law and Order“) und geprägt durch Repressions- und Inhaftierungsgedanken. (Alexander 2010, S.49 ff.) Dieses langfristige, repressive Vorgehen der US-Regierungen gegen Drogendelinquenten ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass die USA weltweit die höchste Inhaftierungsquote im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung aufweisen: Mit einem Anteil von 5% an der Weltbevölkerung weisen die USA 25% alle Gefängnisinsassen weltweit auf. [8]

Bis heute betreibt die US-Regierung umfangreiche repressive und militärische Maßnahmen im In- und Ausland. Schätzungen gehen davon aus, dass in den vergangenen 40 Jahren ca. 1 Billion US-Dollar für den „War on Drugs“ durch die USA ausgegeben wurden. Weltweit werden die jährlichen Ausgaben für Drogenprohibition auf 100 Milliarden US-Dollar geschätzt (Alternative World Drug Report, S. 92-93).

Kriminologische Relevanz

Howard S. Becker entwickelte als Erklärungsansatz für die Kriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen durch herrschende Klassen die Theorie der Moralunternehmer („moral entrepeneurs“). Diese Moralunternehmer wollen ein aus ihrer Sicht negatives Verhalten oder Übel durch die Schaffung und Durchsetzung von Normen verhindern. Individuen oder Gruppen, die das durch die neuen Gesetzte nun kriminalisierte Verhalten weiterhin zeigen, werden stigmatisiert und kriminalisiert und dadurch letztendlich zu „Außenseitern“ (Becker 1963, S. 147 – 163) Der War on Drugs in den USA kann als plakatives Beispiel für diese Vorgehensweise der Kriminalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen durch Setzung und Durchsetzung neuer Gesetze betrachtet werden.

Auch nach der Abschaffung der Sklaverei in den USA durch die Einführung des 13. Verfassungszusatzes in 1865 blieb die afroamerikanische Bevölkerung benachteiligt und insbesondere in den Südstaaten der USA weiterhin unterdrückt. Erst durch den Civil Rights Act (1964) und den Voting Rights Act (1965) erreichte die afroamerikanische Bevölkerung die vollen Bürgerrechte. Zur selben Zeit stieg die Kriminalitätsrate in den USA drastisch an, was überwiegend mit dem Erwachsenwerden der sogenannten „Baby-Boomer-Generation“ nach dem Zweiten Weltkrieg zu erklären war. In der Öffentlichkeit wurde der Anstieg der Kriminalitätsraten jedoch in erster Linie mit dem Civil Rights Movement und dem Zugewinn an Rechten der afroamerikanischen Bevölkerung assoziiert. Die daraus resultierende „Law-and-Order“-Politik Richard Nixons und seiner Nachfolger, insbesondere in Bezug auf die Kriminalisierung des Drogenkonsums und –handels, traf in erster Linie die afroamerikanische Bevölkerung und Mitglieder der Antikriegsbewegungen, da der Konsum von Drogen in diesen Gruppen besonders verbreitet war. (Alexander 2010, S. 40 ff.) 2016 wurden in der Zeitschrift „Harpers“ Aufzeichnungen des Journalisten Dan Baum zu einem Interview mit John Ehrlichman, Nixons ehemaligem Chefberater, aus dem Jahr 1994 veröffentlicht, in denen Ehrlichman zugab, der „War on Drugs“ habe als einziges Ziel gehabt, Afroamerikaner und Anti-Kriegsaktivisten in großem Stil zu inhaftieren. [9]

Insbesondere der von Ronald Reagan eingeführte Anti-Drug Abuse Act führte diese Stigmatisierung der afroamerikanischen Bevölkerung per Gesetz fort, vor allem durch die unterschiedliche Handhabung der Bestrafung des Besitzes von Kokain und Crack. Während der Besitz von 100 Gramm Kokainpulver mit einer Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren bestraft wurde, reichten bei Crack bereits 5 Gramm aus, um ebenfalls für mindestens fünf Jahre inhaftiert zu werden. [10] Da Crack überwiegend von der afroamerikanischen Bevölkerung und Kokainpulver von der weißen Bevölkerung konsumiert wurde, führte dies zu einer überproportionalen Inhaftierung von Afroamerikanern auf Basis des Anti-Drug Abuse Acts. (Alexander 2010, S. 4 ff.)

Die Zusammenhänge der in den USA praktizierte Ausweitung des Strafrechtsstaats („prison state“), der damit einhergehenden gezielten Inhaftierung von bestimmten Bevölkerungsgruppen und wirtschaftlichen Regierungsinteressen beschreibt der Soziologie Loïc Wacquant in seinen Publikationen umfangreich (vgl. ebd. 2001).

Kritik

Häufige Kritikpunkte an der Drogenprohibition und am War on Drugs sind, dass trotz enormer Aufwendungen für repressive Maßnahmen das globale Angebot und der Konsum von Drogen nicht zurückgegangen seien. Stattdessen habe die Drogenprohibition weltweit massive gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Probleme verursacht. Darüber hinaus werde der Handel mit Drogen für das Organisierte Verbrechen erst durch die Prohibition lukrativ. Kritiker der Drogenprohibition fordern darüber hinaus bei der Diskussion des „weltweiten Drogenproblems“ eine scharfe Trennung zwischen Problemen, die durch den Drogenkonsum entstehen, wie Abhängigkeit oder Überdosierung, und Problemen, die durch repressive Maßnahmen verursacht werden, wie Gewalt, Kriminalität und soziale Ausgrenzung. Diese Trennung wird weltweit nur von den wenigsten Regierungen beachtet. (Weltkommission für Drogenpolitik 2014, S.11)

2012 forderten die Präsidenten von Mexiko, Kolumbien und Guatemala die Vereinten Nationen auf, eine internationale Konferenz auszurichten, um eine Reform der internationalen Weltdrogenpolitik herbeizuführen und so die negativen Folgen des War on Drugs zu minimieren. Auf Basis dieser Forderung wurde 2016 die Zweite Sondersitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGASS) einberufen.[11] Wenngleich wichtige Festlegungen in Bezug auf die Adressierung des Weltdrogenproblems beschlossen wurden, wie z.B. die Stärkung der Menschenrechte im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Drogen, so hielt die Generalversammlung weiterhin an dem Gedanken des repressiven Bekämpfungsansatzes und der Prohibition von Betäubungsmitteln fest. [12]

Die Weltkommission für Drogenpolitik bezeichnet den weltweiten Krieg gegen die Drogen als gescheitert, mit verheerenden Folgen für Menschen und Gesellschaften. Aus dem Scheitern der weltweiten Drogenprohibition leitet sie die Notwendigkeit eines Umdenkens bei der weltweiten Drogenpolitik ab und fordert eine Abkehr vom repressiven Ansatz hin zu einer Schwerpunktsetzung auf Entkriminalisierung und gesundheits- und sozialpolitischen Maßnahmen. (Bericht der Weltkommission für Drogenpolitik 2011, S.2 ff.)

Der Alternative World Drug Report der Count the Costs Initiative beschreibt die negativen Auswirkungen der weltweiten Drogenprohibition umfangreich und stellt positive Beispiele des alternativen Umgangs mit Drogenkonsumenten vor. Deutschland wird in diesem Zusammenhang neben anderen europäischen Ländern wie Portugal oder der Schweiz als positives Beispiel für einen alternativen Umgang mit Drogenkonsumenten genannt, beispielsweise wegen des Angebots von Drogenkonsumräumen, Spritzentausch- und Substitutionsprogrammen Alternative Drug Report 2016, S. 34, 182).


Literatur

  • Alexander, Michelle (2010): The New Jim Crow. Mass Incarceration in the Age of Colorblindness. New York.
  • Brombacher, Daniel und Maihold, Günther (2013): Gewalt, Organisierte Kriminalität und Staat in Lateinamerika. Berlin.
  • Becker, Howard (1963): Outsiders. Studies in the Sociology of Deviance. New York.
  • Johns, C J (1992) Power, Ideology, and the War on Drugs: Nothing Succeeds Like Failure. Praeger.
  • McCoy, Alfred W. (2003): Die CIA und das Heroin. Weltpolitik durch Drogenhandel. Frankfurt am Main.
  • Wacquant, Loïc (2001): „Deadly Symbiosis. When ghetto and prison meet and mesh.“ In: Punishment and Society 3, S. 95 – 133. [13]

Weblinks

Dokumentationen

  • 13th. Regie: DuVernay, Ava. USA 2016.
  • The War on Drugs. Regie: Sebastian J.F. Österreich 2007. [14]

Weiterführende Literatur

  • Goffman, Alice (2015): On The Run. Die Kriminalisierung der Armen in Amerika. München.
  • Hari, Johan (2015). Drogen. Frankfurt am Main.