Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch

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Präventionsprogramme und -projekte des sexuellen Missbrauchs von Kindern zielen auf die Vermeidung von Sexualdelinquenz an Kinder bzw. Kindesmisshandlung durch sexuellen Missbrauch in den unterschiedlichen Phasen primärer (ursachenorientierter), sekundärer (gelegenheitsorientierter) und tertiärer (nachtatorientierter) Prävention.


Sexueller Missbrauch

Eine allgemeingültige Definition sexuellen Missbrauchs an Kindern kann es nicht geben, da das Verständnis sexueller Ausbeutung einem historischen Wandel, andererseits kulturellen Unterschieden unterliegt (Marquardt-Mau 1995: 31). Hinweise geben u. a. § 174 StGB , § 176 StGB, sowie Schneider 2001: 91ff.

Zielgruppenorientierte Präventionsprogramme und -projekte

Zielgruppe: Pädophile Männer: Projekt "Dunkelfeld"

Im Rahmen des Gesamtprojektes "Kein Täter werden" innerhalb des Forschungsprojekts des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité - Universitätsmedizin Berlin - Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD) - finden seit Juni 2005 Männer, die auf Kinder gerichtete sexuelle Fantasien haben, aber keine (ggf. weiteren) Übergriffe begehen wollen, d. h. Männer, die noch keine sexuellen Übergriffe begangen haben oder deren Übergriffe (noch) nicht rechsbekannt sind, kostenlose Beratung und ambulante therapeutische Unterstützung. Ein wesentlicher Kern des Projektes ist die Schweigepflicht und das auf das Dunkelfeld ausgerichtete Projekt.

Ausgehend von zwei Grundmustern - Neigungstaten und Ersatzhandlungen - und einer lebenslangen pädophilen Neigung ab der Jugend bei ca. einem Prozent der männlichen Bevölkerung (Hellfeld: ca. 15.000 Fälle, Dunkelfeld: ca. 60.000 Fälle jährlich) und von der Annahme, dass es potentielle Täter gibt, die eigenverantwortlich Hilfe suchen, richtet sich das Projekt an betroffene Männer. Von über als 700 Interessierten, die sich bis 2008 an das Institut gewandt haben, konnte annähernd 150 Betroffenen ein Therapieplatz angeboten werden. Mehr als 30 Teilnehmer haben die Therapie an der Charité abgeschlossen, weitere befinden sich in Behandlung, viele warten auf einen Therapieplatz. Bisher lässt die Größe der Stichprobe keine statistisch aussagekräftige Evaluierung der Daten zu. In etwa drei Jahren hofft das Institut über eine Datenmenge zu verfügen, die näheren Aufschluss gibt über die Problematik und die richtigen Therapieansätze für die präventive Behandlung von Betroffenen. Vor dem Hintergrund des Finanzbedarfs ist eine Weiterführung des Therapieangebotes nach 2010 noch nicht gesichert (Stand: Juni 2010).

Ziele des Projektes:

  • Vorbeugende Behandlung potentieller Täter
  • Nachweis, dass es eigenverantwortlich therapeutische Hilfe suchende Mäner gibt,
  • Durchführung einer differenzierten Diagnostik,
  • Nachweis wirksamer Behandlungsmöglichkeiten bei richtiger Behandlung und sachverständiger Durchführung,
  • Initiierung einer flächendeckenden Versorgung,
  • Vermeidung einer Kriminalisierung aufgrund sexueller Präferenzen ohne rechtswidriger Verhaltensweisen

Zielgruppe: Sexualstraftäter: z. B. Behandlungsprogramme für Sexualstraftäter (BPS)

Das BPS wurde im niedersächsischen Strafvollzug in Anlehnung an Teile des englischen Programmes von Marshall und Eccles (1996) Sex Offender Treatment Programm (SOTP) von Wischka et al. (2001) entwickelt und wies in einigen Studien eine Wirkung zur Verhinderung von zukünftigen Gewalt- und Sexualdelikten nach (vgl. Friendship, Mann & Beech 2001, Rooke 2001). BPS umfasst einen deliktunspezifischen und einen deliktspezifischen Programmteil mit insgesamt 80 ca. 90-minütigen Sitzungen in einer Behandlungsdauer nicht unter 18 Monate. Im deliktunspezifischen Teil werden beispielsweise Selbst- und Fremdwahrnehmung, Stressmanagement, Kontakt- und Kommunikation, moralisches Handeln und Empathie geübt. Der deliktspezifische Teil befasst sich mit dem Ablauf der Straftat (Deliktkreis), kognitiven Verzerrungen, Risikosituationen und Rückfallprävention, der Kontrolle sexueller Fantasien und Opferempathie (Spöhr 2009: 39).

Zielgruppe: Kinder und Eltern / Erziehungsberechtigte

Die herkömmliche Prävention bereite geradezu den Boden für Missbrauch, denn fehlinformierte, unsichere, angepasste und abhängige Kinder seien ideale Opfer. Sinnvolle Prävention dagegen müsse Kinder stark machen, sie in die Lage versetzen, sexuelle Übergriffe zu erkennen, einzuordnen und sich dagegen zu wehren, sich selbst zu schützen. Prävention müsse die Stärke von Kindern aufbauen, die Unabhängigkeit der Kinder fördern, die Mobilität der Kinder erweitern und die Freiheit von Kindern vergrößern. Prävention dürfe auf keinen Fall Angst machen, da Angst Schwäche erzeuge und Angst lähme. Angst entstehe aus Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit. Kindern müsse das Wissen um ihre Stärke und Handlungsmöglichkeiten vermitteltwerden, da Wissen Macht bedeute. Fünf Themenbereiche werden danach als zentral für eine präventive Erziehung gesehen (vgl. Fey 1988: 189, 218):

  • Mein Körper gehört mir. Der eigene Körper ist wertvoll, jedes Kind hat das Recht, ihn zu schützen.
  • Intuition: Maßstab für Mädchen und Buben sind ihre eigenen Gefühle; "ich kann mich auf meine Gefühle verlassen".
  • Berührungen: Kinder lernen zwischen "guten" und "schlechten" sowie "merkwürdigen" Berührungen zu unterscheiden und die beiden letzteren abzuweisen.
  • Neinsagen: Kinder dürfen und müssen in bestimmten Situationen Grenzen ziehen und Nein zu den Anforderungen Erwachsener sagen. Sie haben die Erlaubnis, nicht zu gehorchen und sich zu wehren.
  • Geheimnisse: Kinder lernen adäquate Geheimnisse, wie zum Beispiel Überraschungen, von schlechten, beängstigenden Geheimnissen zu unterscheiden. Wenn Heimlichkeiten unheimlich werden, ist es besser, sich Freunden und/oder Erwachsenen mitzuteilen.

Aus diesen Prinzipien geht hervor, dass sinnvolle Prävention sich niemals nur auf punktuelle Warnungen beschränkt, sondern immer eine Erziehungshaltung ist, die kontinuierlich wirkt. Dies bedeutet, dass präventive Aspekte in die Gesamterziehung integriert werden müssen. Kinder sollen in den oben angeführten Bereichen gestärkt werden, ohne dass gewaltsame sexuelle Übergriffe direkt angesprochen werden müssen. Damit wird vermieden, dass Kinder in dem Gefühl aufwachsen, dass Sexualität und Gewalt zusammengehören und so ein negatives Verständnis von Sexualität entwickeln. Dies hat außer dem präventiven Effekt noch eine weitere Auswirkung: die betroffenen Kinder fühlen sich angesprochen, möglicherweise bekommen sie den Mut, sich gegen sexuelle Übergriffe zu wehren, vielleicht erhalten sie Handlungsperspektiven. Zumindest merken sie, dass es Erwachsene gibt, die von dem Problem wissen. Spiele, Geschichten, Bilderbücher, Lieder, etc. können Gesprächsanlass sein, sodass eine Atmosphäre der Offenheit entsteht, die betroffene Kinder ermutigt, sich anzuvertrauen.

Zielgruppe: Schulen

Obwohl die schulischen Präventionsmaterialien und Bemühungen nicht in der Lage sein werden, Kinder vor dem Leid sexueller Misshandlungen zu beschützen, können sie helfen, Leid zu minimieren. Ein Unterlassen schulischer Präventionsbemühungen wird als schlechte Alternative betrachtet (Marquardt-Mau 1995: 23), da

  • schulische Prävention offensichtlich in der Lage ist, relevantes Wissen (Arten der sexuellen Misshandlung, Hilfe zu holen) zu vermitteln,
  • schulische Prävention offenbar dazu beitragen kann, dass misshandelte Kinder sich LehrerInnen anvertrauen,
  • Schule bei einem Versagen des ersten pädagogischen Milieus der "sichere Hafen" für Kinder werden könnte, der ihnen positive zwischenmenschliche Beziehungen ermöglicht.

Die Kultusministerkonferenz hat im April 2010 zur Vorbeugung und Aufarbeitung von sexuellen Missbrauchsfällen und Gewalthandlungen in Schulen und schulnahen Einrichtungen im Zusammenhang mit den Vorfällen sexuellen Missbrauchs u. a. in Bildungseinrichtungen 28 Punkte umfassende Handlungsempfehlungen beschlossen.

Katalog mit kindbezogenen, umgebungsbezogenen, gesellschaftlichen und kulturellen Risiko- und Schutzfaktoren

Einen multifaktorellen Ansatz, der kind-, umgebungsbezogene, gesellschaftliche und kulturelle Faktoren beinhaltet - sich auf Kindesmisshandlung und -missbrauch bezieht - zeigt der "Katalog der Risiko- und Schutzfaktoren bei Kindesmisshandlung und -missbrauch". Er enthält relevante risikoerhöhende bzw. –mildernde Faktoren i. Z. m. Kindesmisshandlung und -missbrauch in drei Tabellen:

  • Tabelle A: Kindbezogene Faktoren (Vulnerabilität – Resilienzfaktoren)
  • Tabelle B: Umgebungsbezogene Faktoren (Risikofaktoren - Schutzfaktoren)
  • Tabelle C: Gesellschaftliche und kulturelle Faktoren


Konzeptionen zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern in Deutschland

Spektakuläre und tragische Einzelfälle führten auch in Deutschland zum Ruf nach Strafverschärfung und härterem Umgang mit Sexualstraftätern. Entgegen einem verbreiteten Eindruck sind jedoch Missbrauchsfälle mit steigender Anwendung von Urlaub, Freigang und anderen Lockerungen in der Regel prozentual nicht gestiegen, sondern umgekehrt zurückgegangen (Bundesministerium des Innern / Bundesministerium der Justiz 2006: 122).

Seit 2006 entstanden in den Bundesländern - beginnend mit Bayern - unterschiedliche Konzeptionen, die dieses Phänomen zum Regelungsgegenstand machten.

Zielgruppen der Konzeptionen sind Personen, die sich nicht allein im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch von Kindern strafbar gemacht haben, sondern die

  • wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 174c, 176 bis 180 und 182 StGB) oder
  • wegen eines Tötungsdeliktes (§§ 211, 212 StGB) mit sexueller Motivation, auch wenn diese erst nach der Verurteilung erkennbar geworden ist, oder
  • wegen Begehung einer der vorgenannten Taten wegen vorsätzlichen Vollrausches (§ 323a StGB)

verurteilt worden sind und bei ihrer Entlassung aus dem Strafvollzug kraft Gesetzes (§ 68f Abs. 1 Satz 1 StGB) oder infolge gerichtlicher Anordnung (§ 68 Abs. 1 StGB) unter Führungsaufsicht stehen. Hinzu kommen wegen einer der o. g. Straftaten Verurteilte, die kraft Gesetzes gemäß § 67b Abs. 2, § 67c oder § 67d Abs. 2 bis 6 StGB unter Führungsaufsicht stehen.


Während so genannte „Nothing Works“-Thesen dem positiven Sinn von Behandlungs- und Präventionsprogrammen stark zusetzten, ging zeitgleich eine Zunahme der Straflust in der Bevölkerung mit einer punitiven Tendenz in der Kriminalpolitik einher, mit der Folge der kontinuierlichen Verschärfung des Erwachsenen- sowie Jugendstrafrechts (vgl. Thomas et al. 2006: 80 ff.). Dies trifft insbesondere die Delikte der Vergewaltigung mit und ohne Todesfolge sowie den sexuellen Kindesmissbrauch, die als Entwicklung einer "sektoralen Punitivität" – einer Strafverschärfung bei spezifischen Taten und Tätergruppen betrachtet werden (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2000: 145). Die zunehmende staatliche Repression und wachsende ‚Lust auf Strafe’ werden als zwei parallele Prozesse und Entwicklungen gesehen, die sich in allen post-modernen Gesellschaften beobachten lassen und denen sich Politiker und deren Parteien fügen und unterwerfen, ihn instrumentalisieren, wenn nicht sogar schüren (Sack 2006).


Bayern: HEADS in Bayern: Haft-Entlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter (ab 01.10.2006)

HEADS entstand, weil es zu einem Aufsehen erregenden, sexuell motivierten Tötungsdelikt durch einen nach 9jähriger Haft Entlassenen an einem Jungen kam, wobei in einer Nachbereitung der Bedarf einer besseren Zusammenarbeit der einzelnen Stellen auffiel, der durch HEADS u. a. bewerkstelligt werden sollte. Hierbei entstand 2006 in Bayern als erstem Bundesland ein Konzept, welches 2009 erweitert wurde. HEADS in Bayern stellt ein mehrstufiges Verfahren dar, wobei Sexualstraftäter zunächst von der Staatsanwaltschaft als „Risikoproband Sexualstraftäter“ eingestuft werden. In der Bewährungshilfe werden die Risikofaktoren in statische (anamnestische Daten, Vorstrafen, Vorgeschichte), dynamische (Arbeit, Unterkunft, Sucht) und stabil-dynamische Risikofaktoren (Forensisch-psychiatrische Begutachtung) eingeteilt. Als Ziele werden benannt, dass der Kontroll- und Unterstützungsprozess mit den Methoden der Sozialarbeit das Rückfallrisiko minimieren, Gefährdungsmomente und Rückfallrisiken erkennen und situationsadäquat reagieren soll. Der Bewährungshelfer soll bei der Beobachtung der Lebensführung des Probanden auch einen Blick auf die Gefährdungsmomente und Rückfallrisiken werfen. Die Entscheidungen des Bewährungshelfers orientieren sich dabei nicht an der rein intuitiven Ebene, um die Kriterien der Gefährdungsmomente und Rückfallrisiken herauszuarbeiten, sondern setzen sich aus zwei Komponenten zusammen: zum einen einer Einschätzung darüber, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmter Täter erneut Straftaten begeht (so genannte „Wahrscheinlichkeitsaussage“) und zum anderen einer Einschätzung darüber, welche Arten von Taten zu erwarten sind (so genannte „Tatbestandsaussage“).

Niedersachsen: K.U.R.S. Niedersachsen, "Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern/innen" (ab 01.10.2007)

Als zweites Bundesland führte Niedersachsen K.U.R.S. Niedersachsen ein. Das Ziel ist die Verhinderung von Rückfällen von Sexualstraftätern, die aus der Haft entlassen wurden und unter Führungsaufsicht stehen. Damit sollen der Überwachungsauftrag der Führungsaufsicht und die Gefahrenabwehraufgabe der Polizei vereint werden. In der Zentralstelle von KURS werden übermittelte Informationen der Justiz und des Maßregelvollzuges ausgewertet, mit Erkenntnissen aus den polizeilichen Datenquellen angereichert und in der neu eingerichteten Datei gespeichert. Das LKA leitet die Informationen an die örtlich zuständigen Polizeiinspektionen weiter. Dort entscheiden spezielle Sachbearbeiter über geeignete gefahrenabwehrende Maßnahmen, wie z. B. die Ansprache der betroffenen Person, um eine präventive Wirkung zu erzielen.

Hamburg: SURESicherheits- und Risikomanagement für Entlassene (seit 01.01.2008)

Durch ein „Maßnahmenpaket“ zum Schutz der Bürger - „SURE“ (Sicherheits- und Risikomanagement für Entlassene) - für gefährliche und rückfallgefährdete Straftäter soll die strafrechtliche Kontrolle nicht mit der Entlassung aus der Haft oder dem Maßregelvollzug enden. Hierzu wird dem Probanden ein besonders qualifizierter Bewährungshelfer zur Seite gestellt zudem wird er unter dem SURE-Konzept intensiv betreut und kontrolliert. Bereits in der Phase der Entlassungsvorbereitung nimmt der Bewährungshelfer Kontakt zum Risikoprobanden auf und erstellt eine Gefährdungsanalyse. Nach der Unterstellung bewertet der Bewährungshelfer laufend die psychische und soziale Entwicklung des Risikoprobanden, um Rückfallrisiken frühzeitig zu erkennen und stabilisierende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig werden Programme der forensischen Ambulanz zur Nachbetreuung von Verurteilten gestellt und eine zentrale Risikostraftäterdatei geschaffen (vgl. Presseartikel in WELT ONLINE vom 20.11.07). Des Weiteren wurde innerhalb der Polizei in Hamburg die Arbeitsgruppe „T.O.P.“ (Täterorientierte Gewaltprävention) als Teil des Gesamtkonzeptes eingerichtet. T.O.P. soll Maßnahmen bündeln zu einem systematischen Konzept, um Rückfälle besonders gefährlicher Sexual- und Gewaltstraftäter zu vermeiden und weitere Straftaten zu verhindern. Ziel ist es, durch ein eng abgestimmtes Vorgehen von Justiz, Polizei, Führungsaufsichtsstelle und Bewährungshilfe den Informationsfluss zu verbessern, Zeichen für einen Rückfall frühzeitig zu erkennen, gemeinsam Strategien zur Intervention vorzubereiten und rechtzeitig Maßnahmen zu koordinieren (vgl. Pressemitteilung der Hamburger Justizbehörde vom 19.03.2010).

Brandenburg; HEADS - Haft-Entlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter (ab 04.01.2008)

HEADS soll den Informationsaustausch und das Zusammenspiel zwischen den an der Betreuung und Überwachung beteiligten Stellen - Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde, Justizvollzug, Führungsaufsichtsstelle bei den Landgerichten, Bewährungshilfe, Polizei- und Ordnungsbehörden - verbessern. Das LKA entscheidet nach Auswertung der "eingegangenen Informationen", ob ein Täter in HEADS aufgenommen wird . Die Zentralstelle informiert nachgeordnete Polizeibehörden, damit auf den Einzelfall abgestimmte Maßnahmen veranlasst und auf lokaler Ebene umgesetzt werden können. In besonders kritischen Fällen kann jede Justiz- und Polizeibehörde zu einem „Runden Tisch" einladen, in dem der Einzelfall fachübergreifend diskutiert wird. Die in der Datenbank zusammengestellten Informationen stehen zweckbezogen allen speziellen HEADS-Ansprechpartnern bei den zuständigen Behörden zur Verfügung. Justizministerin Beate Blechinger unterstreicht jedoch: "man muss sich allerdings im Klaren darüber sein, dass auch HEADS die Wiederholung von Sexualstraftaten - leider - nicht ausschließen kann. Ein Restrisiko würde immer bleiben, wenn Risikoprobanden ihre Strafe verbüßt haben und eine zielgerichtete Sozialkontrolle nur in gewissen Grenzen möglich sei, die von der Verfassung gezogen werden."

Hessen: ARGUS - Auskunftsdatei rückfallgefährdeter Sexualstraftäter und Sicherheitsmanagement (23.01.2008)

Ein enges Überwachungsnetz über gefährliche Sexualstraftäter soll die Bevölkerung vor gefährlichen Sexualtätern schützen und Sexualtätern eindeutige Botschaften der Kontrolle vermitteln. Das Sicherheitsmanagement erfolgt durch spezialisierte Bewährungshelfer, die für die Betreuung und Überwachung von Sexualtätern besonders geschult werden.Der Sicherheitsmanager beginnt seine Arbeit während der Haft, so soll er früh über die Gefährlichkeit unterrichtet sein und könne notwendige Maßnahmen vorbereiten. Der Sicherheitsmanager solle im Falle einer Haftentlassung für eine umfassende Betreuung und Kontrolle des Täters im Rahmen der Bewährungs- oder Führungsaufsicht sorgen. Im Kern geht es um eine engmaschige Vernetzung von Justiz, Polizei und Maßregelvollzug, welche eine enge und intensive Überwachung und Betreuung von Sexualstraftätern durch den Sicherheitsmanager vorsieht. Im Rahmen von ARGUS wurde eine Zentralstelle zur Überwachung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter eingerichtet (ZÜRS) geschaffen, die die Gefährdungsanalyse aus dem Vollzug, Maßnahmen und Einschätzungen des Sicherheitsmanagers, Vorstrafen und Aufenthaltsorte des Täters enthält. Polizeiliche Maßnahmen, wie regelmäßig neue Lichtbilder, Fingerabdrücke und DNA-Proben, Wohnsitzüberprüfungen sowie Gefährderansprachen sollen stattfinden (vgl. Pressemitteilung des Hess. Justizministeriums vom 23.01.2008).

Sachsen: ISIS - Informationssystem zur Intensivüberwachung besonders rückfallgefährdeter Sexualstraftäter (01.09.2008)

Das sächsische Informationssystem zur Intensivüberwachung besonders rückfallgefährdeter Sexualstraftäter (ISIS) soll die Überwachung und das Risikomanagement im Umgang mit haftentlassenen, rückfallgefährdeten Sexualstraftätern verbessern. ISIS schafft ein Informationssystem, das alle Beteiligten (Führungsaufsicht, Staatsanwaltschaft, Justizvollzugsanstalt, Bewährungshelfer und das Jugendamt) zur geregelten Intensivüberwachung in einem starken Netz miteinander verbindet. Im Rahmen von Fallkonferenzen soll beurteilt werden, ob eine besondere Rückfallgefahr von den Personen ausgeht. Zusätzlich wird die Polizei vor Ort den Risikoprobanden aufsuchen, Fragen stellen und mit ihm seine Lebenssituation abklären. Diese Maßnahmen sollen abschreckend wirken und zeigen, dass der potenzielle Rückfalltäter unter Beobachtung steht (Gefährderansprache). Die Polizei kontrolliert die Einhaltung von Weisungen und Auflagen und darf bei entsprechender Gefahr Observationen und andere Ermittlungsmaßnahmen auslösen (vgl. Pressemitteilung des sächsischen Justizministeriums vom 15.07.2008).

Schleswig-Holstein: KSKS - Kieler Sicherheitskonzept Sexualstraftäter (seit 01.10.2008)

Am 01.10.2008 trat das KSKS in Kraft, welches als so genanntes „Maßnahmenpaket“ zum Umgang mit verurteilten Sexualstraftätern vorgestellt wurde und im Kern eine bessere Vernetzung zwischen Justiz, Strafvollzug, Betreuungseinrichtungen und Polizei vorsieht. Ein wesentlicher Bestandteil des Sicherheitskonzeptes ist, dass die Polizei solche rückfallgefährdeten Sexualstraftäter überwacht und über die betreffenden Stellen der Justiz beziehungsweise des Maßregelvollzuges auf Grundlage des geltenden Rechts mit den dafür notwendigen Informationen ausgestattet wird.

NRW: K.U.R.S. NRW (seit 13.01.2010)

Das KURS-NRW-Konzept zielt auf die Verringerung des Rückfallrisikos von unter Führungsaufsicht stehenden Sexualstraftätern durch Standardisierung und verbindliche Ausgestaltung der "bereits bestehenden Zusammenarbeit und des Informationsaustausches zwischen Strafvollzug, Maßregelvollzug, Vollstreckungsbehörde, Bewährungsaufsicht, Führungsaufsicht und Polizei". Die Einstufung in die Risikogruppen A, B und C erfolgt nach täterbezogenen und tatbezogenen Kriterien und der vollzuglichen Entwicklung. In dem Netzwerk unterrichten sich die beteiligten Stellen zur Organisation und Umsetzung der Kontrolle, Gefährderansprachen und Fallkonferenzen. Beim Landeskriminalamt NRW wurde eine Zentralstelle zur Koordination eingerichtet.

Baden-Würtemberg: K.U.R.S. - Konzept zum Umgang mit besonders rückfallgefährdeten Sexualtätern (seit 01.04.2010)

Durch die Verwaltungsvorschrift KURS soll die Allgemeinheit bestmöglich vor diesen besonders rückfallgefährdeten Sexualstraftätern geschützt werden. Dies soll insbesondere durch eine Optimierung des Informationsflusses zwischen der Justiz, dem Maßregelvollzug und der Polizei sowie durch eine Intensivierung und stärkere Verzahnung der führungsaufsichts- und gefahrenabwehnechtlichen Maßnahmen erfolgen. Beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg wurde eine Gemeinsame Zentralstelle (GZS KURS) eingerichtet, bei welcher für die nähere Kategorisierung vonRisikoprobanden und für ein abgestimmtes Vorgehen paritätisch aus Vertretern von Justiz und Polizei besetzte Bewertungsbesprechungen stattfinden.

Kriminologischer Diskurs zu Konzeptionen zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern in Deutschland

  • Die Konzeptionen begründen ihre Notwendigkeit mit steigender Probandenzahl, bisheriger Unwirksamkeit bezüglich der Rückfallprophylaxe sowie einem gesteigertem Sicherheitsbedürfnis in der Gesellschaft, während die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) im Verlauf der letzten 22 Jahre eher rückläufige, gleichbleibende oder kaum angestiegene registrierte Fallzahlen aufweist (vgl. PKS 2009).
  • Die Schwerpunkte und Ansätze der Konzeptionen sind verschieden, während die Ausrichtung auf eine systematische Kontrollfunktion, die Schaffung bzw. Verbesserung der Vernetzung der Justizorgane sowie eine Verlängerung bzw. Erweiterung polizeilicher Eingriffe sich gleichen.
  • Der Focus der Konzeptionen liegt auf den Mikrobereich der jeweiligen Probanden, d. h. auf Rückfallindikatoren der Sexualstraftäter. Der Makrobereich findet keine Berücksichtigung.
  • Kennzeichnend sind vorrangig Risikomanagementprozesse, die eine Faktorisierung der Risikoprobanden zum Gegenstand haben und sich an der Rückfallgefahr anstatt an der sozialen Integration orientieren. Dies wirkt sich auch auf die staatliche Straffälligenhilfe aus, innerhalb der eine risikoorientierte Kontrollbetreuung in den Vordergrund rückt und sozialpädagogische Hilfsprozesse eine untergeordnete Rolle spielen (vgl. Klug 2008: 167 ff.).
  • Im KURS-Modell soll der so genannte Sicherheitsmanager das Risikopotenzial seiner Probanden identifizieren, analysieren und bewerten ohne sozialpädagogische Methoden anzuwenden. Der sozialarbeiterische Hilfsprozess wird hierbei in den Hintergrund verlagert, während im Gegenzug eine Konzentration auf die Kontroll- und Überwachungsfunktionen erfolgt. Dabei wird der Verlust des Erkennens bzw. Verhinderns erneuter Sexualdelinquenz durch den Bewährungshelfer durch die dominante Kontrollfunktion in Kauf genommen.

Literatur

  • Bange, D. (1992): Die dunkle Seite der Kindheit. Sexueller Mißbrauch an Mädchen und Jungen, Ausmaß - Hintergründe - Folgen, Köln
  • Bundesministerium des Innern / Bundesministerium der Justiz (2006): Behandlungsvollzug und Sicherheit der Allgemeinheit vor Straftaten, In: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht. Berlin
  • Klug, Wolfgang (2008): Risikoorientierte Bewährungshilfe – ein Modell? Auseinandersetzung mit einem Züricher Konzept. In: Bewährungshilfe Heft 2/2008, S. 167- 179
  • Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang (2000): Warum und wie die Strafjustiz spart. In: Rottleuthner, H. (Hrsg.) (2000): Armer Rechtstaat. Beiträge zur Jahrestagung der Vereinigung für Rechtssoziologie in Innsbruck 1998. Baden-Baden.
  • Marquardt-Mau, B. (1995): Schulische Prävention gegen sexuelle Misshandlung, Weinheim, München
  • Rehn, G. et al. (2001): Behandlung "gefährlicher Straftäter". Grundlagen, Konzepte, Ergebnisse. Herbolzheim
  • Scheufele (2005): Sexueller Missbrauch - Mediendarstellung und Medienwirkung, Wiesbaden
  • Spöhr, M. / Bundesministerium der Justiz (Hg.) (2009): Sozialtherapie von Sexualstraftätern im Justizvollzug: Praxis und Evaluation, Godesberg
  • Thomas, Jürgen et al. (2006): Freie Straffälligenhilfe unter Veränderungsdruck. In: Neue Praxis. Heft 1/2006, S. 80-98
  • Weber, M. & Rohleder, C. (1995): Sexueller Missbrauch. Jugendhilfe zwischen Aufbruch und Rückschritt, Münster
  • Wischka, B. (2004): Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter: BPS, Lingen

Weblinks