Dunkelfeld

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Der Begriff des Dunkelfeldes (engl.: „dark figure“, „dark field“; port.: „cifra escura“; span.: „cifra negra“; frz.: „champ obscure“; ndl.: „verborgen criminaliteit“) bezeichnet die im Dunkeln gebliebene, nicht aufgedeckte Devianz oder Kriminalität. Gelegentlich wird (aus der Labeling Perspektive) bestritten, dass der Begriff überhaupt sinnvoll sei, da es ein Dunkelfeld unentdeckter Kriminalität gar nicht geben könne.

Definition(en)

Der Begriff „Dunkelfeld“ wird in der Literatur uneinheitlich verwendet. Allen gemein sind aber diejenigen Aspekte, welche sich aus dem Wort selbst ergeben:

  • das Wort „Dunkel“ gibt einen Hinweis darauf, dass weder Ausmaß noch Inhalt qualitativ als auch quantitativ, ohne die Formulierungen weiterer eingrenzender Kriterien oder bestimmter methodologischer Vorgehensweisen, offen ersichtlich sind, sondern im Verborgenen liegen
  • „Feld“ deutet an, dass es sich auf einen bestimmten abgrenzbaren Aspekt einer übergeordneten Kategorie oder Größe bezieht

Ferner stimmen alle Definitionen darin überein, dass es sich beim Dunkelfeld um Erscheinungen handelt, die sich auf die Sichtbarkeit und Sichtbarmachung kriminellen Verhaltens beziehen. In diesem Sinne bezieht sich das Dunkelfeld auf die Diskrepanz zwischen einer objektiv vorhandenen Realität und dem erkannten, benannten, registrierten oder bearbeiteten Teil derselben. Es beschreibt daher eine objektiv vorhandene Realität, über die sämtliche personen- und sachbezogenen realitätsbeschreibenden Informationen fehlen. Deshalb ist die „angenommene“ Realität auch nicht sichtbar, ihr tatsächliches Vorhandensein kann, bzw. wird, lediglich vermutet (vgl. Fritz Sack, 1985). Je nach Verwendung des Begriffs lässt sich dieses Paradox jedoch auch auflösen. So können politische Morde, die während einer Diktatur unentdeckt blieben, später aufgedeckt und bestimmten Tätern zugeordnet werden. Dann lässt sich sagen, dass sie während der Erstellung der polizeilichen Statistiken im Dunkelfeld geblieben waren und erst mit gewissem zeitlichen Abstand ins Hellfeld gehoben wurden. Rückblickend kann man dann sogar sagen, welche personen- und sachbezogenen Informationen während der Diktatur im Dunkelfeld geblieben waren.


Übersicht über die in der Literatur verwendeten Definitionen

Das Dunkelfeld ist/ kann beinhalten:

a) die Summe jener Delikte, die den Strafverfolgungsorganen nicht bekannt werden und deshalb in der Kriminalstatistik auch gar nicht erscheinen (unbekannte Straftaten)
b) die Summe jener Delikte, die den Strafverfolgungsbehörden zwar bekannt werden, bei denen aber der Täter unbekannt bleibt (unbekannte Täter)
c) die Summe jener Delikte, die den Strafverfolgungsbehörden zwar bekannt werden, bei denen jedoch der vermutliche Täter nicht abgeurteilt werden kann (nicht abgeurteilte Täter)
d) die Summe jener Delikte, die den Strafverfolgungsbehörden zwar bekannt werden, bei denen jedoch der (vermutliche) Täter nicht verurteilt werden konnte (nicht verurteilte Täter)
e) die Zahl aller tatsächlich begangenen, aber nicht abgeurteilten Straftaten (a + b + c)
f) die Zahl aller tatsächlich begangenen, aber nicht geahndeten Straftaten (a + b + c + d)
Die Definitionen a, e und f sind am gebräuchlichsten. (Schwind, 1975, auch. Rupprecht, 1995, Pfeiffer/Scheerer, 1979)

Begriffsgeschichte

Der Dunkelfelddiskurs steht im Zusammenhang mit der Entwicklung der Kriminalstatistiken, da diese als Sammelstation für offiziell registrierte Kriminalität (welche als Hellfeld bezeichnet wird), gewissermaßen die Folie schufen, vor welcher sich die Frage aufdeckte, wie es wohl um Umfang und Erscheinungsformen der nicht registrierten Kriminalität bestellt sei.

Hierbei ist der Hinweis von Bedeutung, das es aus erkenntnistheoretischer Sichtweise problematisch ist, das Dunkelfeld als die Gesamtheit der nicht registrierten Kriminalität zu bezeichnen, denn Kriminalität ist keine Eigenschaft an sich, sondern ein Verhaltensattribut, das in einem Selektions- und Definitionsprozess von Seiten der offiziellen sozialen Kontrolle konstituiert wird. Daher ergibt sich die Frage, wie man ein vermutetes Verhalten als Delikt und dessen Protagonisten als Straftäter bezeichnen kann, wenn das Wissen um beide Aspekte den gesetzlich dazu berufenen Institutionen des Rechtsapparates nicht zur Verfügung steht.

Für die Dunkelfeldkriminalität werden daher dieselben Konstruktionskriterien herangezogen, welche auch auf die offiziell bekannten Verhaltensweisen angewendet werden, welche dadurch als Kriminalität in die offiziellen Kriminalstatistiken eingehen. (vgl. Kunz, 1994) Daraus ergibt sich ein weiterer wichtiger Aspekt, denn die Legaldefinition von Kriminalität beinhaltet zu unterschiedlichen Zeiten und Kulturen unterschiedliche Klassen von Verhaltensweisen, soll heißen, dass die normative Realität relativ ist (Scheerer/ Pfeiffer, 1979). Deshalb ist auch das Dunkelfeld relativ und selbigen Schwankungen unterworfen.

Bereits die frühen Denker der Kriminologie, (z.B. Quetelet 1836, Ferri 1896) hatten keinen Zweifel daran, dass die in den Kriminalstatistiken ausgewiesenen bekannt gewordenen, ab- und verurteilten Straftaten und –täter nur einen Bruchteil der tatsächlich existierenden Kriminalität darstellten. (Heinz, 1972) Die Kriminologie war eine lange Zeit von der Annahme geprägt, dass es ein konstantes Verhältnis zwischen Hell- und Dunkelfeld gäbe. So formulierte Adolphe Quetelet 1869 in seinem Werk „Physique sociale ou essai sur le développement des facultés de l'homme“, dass dieses (konstante) Verhältnis notwendig sei, da ansonsten alles was bis dato über Verbrechen aufgrund der statistischen Unterlagen ausgesagt wurde falsch und absurd sei. (vgl. Schwindt 2001)

Adolphe Quetelet ging dabei davon aus, das die Konstanz der Hell- Dunkelfeldbeziehung vor allem von der Gleichmäßigkeit der Strafverfolgung, einer gleich bleibenden Effizienz der Behördentätigkeit, der Anzeigebereitschaft der Bevölkerung, deren Wissen um eine erlittene Schädigung, von der gleich bleibenden Exaktheit der statistischen Erfassung und vom unveränderten Fortbestand der Gesetze abhängig ist. Auch Enrico Ferri (1896) ging von einem konstanten Verhältnis aus. Er unterschied zwischen:

  • criminalità reale = alle wirklich begangenen Delikte
  • criminalità apparente = die den Behörden bekanntgewordenen Delikte
  • criminalità legale = die ab- und verurteilten Delikte

Ferris Annahme bezüglich eines konstanten Verhältnisses bezog sich dabei auf eine Konstanz zwischen criminalità reale und apparente. Den vermuteten Zusammenhang betitelte Wadler 1908 als das „Gesetz der konstanten Verhältnisse“. (Heinz, 1972) Mithilfe dieser, nie empirisch bewiesenen theoretischen Grundannahme, wurden in der Folgezeit mit Hilfe der Kriminalstatistiken Rückschlüsse auf die Struktur, den Umfang und die Bewegung der Gesamtkriminalität gezogen, da diesen dank der vermuteten Konstanz repräsentative Aussagekraft zugeschrieben wurde. Dadurch wurde eine Verbrechenswirklichkeit geschaffen, die einer empirischen Überprüfbarkeit entbehrte, trotzdem immensen Einfluss auf die kriminologische Wissenschaft und Kriminalpolitik hatte. „So half sich die Kriminologie, Kriminalistik und Kriminalpolitik über das Dilemma des Dunkelfeldes bislang (grundsätzlich) mit der Hypothese von der Konstanz der Verhältnisse zwischen registrierter und tatsächlicher Delinquenz hinweg…“ (Schwindt, 2001) Ergebnisse der Dunkelfeldforschungen entlarvten aber das Gesetz der konstanten Verhältnisse in seiner ursprünglichen undifferenzierten Form als Mythos und führten zu entsprechenden Modifikationen. Dementsprechend zeigte sich, dass:

  • sich die Vermutung der konstanten Verhältnisse bezogen auf einen bestimmten geografischen Raum erstens nur bei schweren Straftaten und zweitens nur innerhalb von Streubreiten (Zufallsbereichen) zu bestätigen scheint und drittens nur für Zeiträume, die in politischer Hinsicht (noch) zusammengehören, z.B. (gleich bleibende) Anzeigebereitschaft
  • sich die Verhältnis zwischen Hell- und Dunkelfeld innerhalb eines Stadtgebietes bei bestimmten Delikten (z.B. Diebstahl) voneinander derart unterscheiden, dass neben hohen Hellfeldzahlen auch Dunkelfeldzahlen stehen bzw. umgekehrt neben niedrigen Hellfeldzahlen grundsätzlich auch niedrige Dunkelfeldzahlen festgestellt werden können. (Schwindt, 2001)

Somit kam es zu einer erneuten Umdefinition der Bedeutung der Kriminalstatistiken. Weg von einem repräsentativen Messinstrument der Kriminalitätswirklichkeit, hin zu einem Indikator für die Art, Struktur und Wandlung der strafrechtlichen Sozialkontrolle und einem damit zusammenhängenden Herstellungs- und Ausfilterungsprozess.
Den Einzug in den deutschen Sprachgebrauch hielt das Dunkelfeld durch den japanischen Staatsanwalt Oba im Jahre 1908 in seiner deutschen Dissertation. Er verwendete zunächst den Begriff „Dunkelziffer“. Dies tat er aufgrund eines Übersetzungsfehlers, da er den im Englischen verwendeten Begriff „Dark Number“ mit „Dunkelziffer“ und nicht mit „Dunkelzahl“ übersetzte. Eine Ziffer ist ein geschriebenes Zeichen, dass für eine Zahl steht. Trotzdem hielt der Begriff „Ziffer“ Einhalt in die deutsche Literatur und wird mitunter bis heute verwendet. Im Jahre 1956 setzte sich Hans von Hentig in seinem gleichnamigen Werk mit der „Psychologie der Einzeldelikte“ auseinander und wies hierbei darauf hin, dass der Begriff Dunkelziffer suggerieren würde, dass diese exakt zu bestimmen wäre, was nicht möglich ist. Er schlug den Begriff „Dunkelfeld“ vor, welcher heute von der überwiegenden Zahl der Autoren verwendet wird.

Zusammenhänge mit anderen Begriffen

Hellfeld

Als Hellfeld bezeichnet man diejenige Kriminalität, welche bei den offiziellen Behörden bekannt geworden ist und dadurch in den Kriminalstatistiken erfasst wird. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass das sog. Hellfeld nicht eine objektive Verbrechenswirklichkeit abbildet, da z.B. Justizirrtümer, die in den Statistiken als kriminielle Handlungen erfasst werden, verfälschend wirken.

Dunkelzifferrelation

Da eine Angabe über die Größe des Dunkelfeldes als absolute Zahl nicht sinnvoll, bzw. nicht möglich ist, wurde versucht zumindest ein Verhältnis zwischen Hell- und Dunkelfeld, im Format 1:x (eine registrierte Tat zu x nicht registrierten Taten), anzugeben.

Dunkelfeldforschung

Die „Erhellung“ des Dunkelfeldes hat sich die „Dunkelfeldforschung“ zur Aufgabe gemacht. Das Ziel der Dunkelfeldforschung war und ist es, wirklichkeitsnahe und von den Strukturen der offiziellen Sozialkontrolle unabhängige Daten zu Umfang, Struktur, Entwicklung und Entstehungsbedingungen von Kriminalität zu erhalten. Auf die Dunkelfeldforschung wird vertiefend im nächsten Abschnitt eingegangen.

Absolutes vs. relatives Dunkelfeld

Kann das Dunkelfeld weder durch die Kriminalstatistiken noch durch die Dunkelfeldforschung erfasst bzw. aufgehellt werden, wird es als "absolut" bezeichnet.

Der Begriff "relativ" kennzeichnet dagegen ein Dunkelfeld, welches nicht durch die Kriminalstatistiken erfasst, aber durch die Dunkelfeldforschung aufgehellt werden kann.

Anzeigeverhalten

Das Anzeigeverhalten der Bevölkerung ist für die Dunkelfeldproblematik von immenser Bedeutung, denn 90% der in der Polizeilichen Kriminalstatistik registrierten Straftaten sind auf Anzeigen von Privatpersonen zurückzuführen. Daher ist das Anzeigeverhalten ein maßgeblicher Faktor, der die Differenz zwischen tatsächlich verübten und registrierten Straftaten bestimmt. Die Erforschung des Anzeigeverhaltens ist daher auch ein wesentlicher Teil der Dunkelfeldforschung. Dabei konnte die Annahme bestätigt werden, dass das Anzeigeverhalten unter anderem von temporalen, deliktspezifischen und individuellen Einflüssen abhängig ist.

Zusammenhänge in der materiellen Realität

Am offensichtlichsten ist der Einfluss des Dunkelfeldes auf die materielle Realität wohl anhand der Dunkelfeldforschung zu erkennen, jener Wissenschaft, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Dunkelfeld zu durchleuchten und empirisch messbar zu machen. Dabei gibt es eine Reihe von Ansätzen, welche sich im Laufe der Zeit stark verändert haben:

Blind- und Erfahrungsschätzungen

Eine systematisch durchgeführte Dunkelfeldforschung begann erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Hiervor gab es lediglich so genannte Blind- und Erfahrungsschätzungen, die im beträchtlichen Maße in ihren Aussagen variierten. Anschaulich lässt sich das z.B. an den geschätzten Dunkelzifferrelationen für Abtreibung zeigen: Heindl 1929, 1:1000; Sauer 1933, 1:2000, Meyer 1941, 1:100; Wehner 1952, 1:300. Hierbei ist zu beachten, dass Wehners Schätzung eine andere Definition des Dunkelfeldes zugrunde lag als den anderen, nämlich Definition a, bei den anderen Definition f (siehe: Definition des Dunkelfeldes) (Schwind, 1975) Die Schwäche der Blind- und Erfahrungsschätzungen liegt daher in ihrer geringen Validität.

Das Experiment

Hierunter wird eine wiederholbare Beobachtung unter kontrollierten Bedingungen verstanden, wodurch eine zuvor aufgestellte Hypothese, überprüft werden soll. Schwind bezeichnet ein solches Vorgehen in der empirischen Sozialforschung als durchaus üblich, weist aber darauf hin, dass sich dieses Vorgehen in der Dunkelfeldforschung nicht durchsetzen konnte, da die Kontrolle über alle möglichen Variablen und Störeinflüsse unmöglich erscheint. (Schwind, 2001)

Die teilnehmende Beobachtung

Dies ist die im Vorfeld geplante Beobachtung des Verhaltens von Personen in deren natürlicher Umgebung durch einen Beobachter, der an der Interaktion teilnimmt und von den anderen Personen als ein Teil ihres Handlungsfeldes angesehen wird. (vgl. Friedrichs, 1973, nach Müller 1978) Als Beispiele für diese Vorgehensweise könne u.a. genannt werden: Humphrey (1973) der als vermeintlich homosexueller „Aufpasser“ sexuelle Begegnungen in öffentlichen Toiletten beschrieb; Haferkamp (1975) der Mitarbeiter in Gruppen von Ladendieben, Drogenabhängigen und Rockern einschleusen konnte; Kürzinger (1978) der Verkleidet als Polizist beobachten wollte, wie sich der Prozess der Anzeigeerstattung in der Praxis abspielte; Schwind/ Fetchenhauer (1998) haben zusammen mit Studenten Kaffeefahrten auf kriminelle Praktiken hin überprüft. Die Kritik an teilnehmenden Beobachtungen beinhaltet sowohl die fehlende Option zur Verallgemeinerung der Ergebnisse, da sich diese nur auf eine kleine Gruppe beziehen, aber auch die praktischen Probleme, welche im Zusammenhang mit dem „verdeckten“ Beobachten stehen. Metzger- Prediger (1974) weist darüber hinaus darauf hin, dass sich der Wissenschaftler bei diesem Vorgehen, hinsichtlich seiner ethisch/ moralischen Verantwortung, dreifach schuldig macht, da er 1. dem Opfer nicht beisteht, 2. seinem Beobachtungsobjekt eine möglicherweise immense Strafe nicht erspart und 3. sich selbst gegenüber Schuldig macht, was seine eigene strafrechtliche Verantwortung betrifft. (Schwind, 2001)

Befragung

Die Befragung ist heutzutage das gebräuchlichste Verfahren der empirischen Sozialforschung um das Dunkelfeld aufzuhellen. Diese werden entweder in mündlicher Form im Rahmen von Interviews persönlich oder per Telefon oder in schriftlicher Form per Post durchgeführt. Grundsätzlich lassen sich Befragungen in Täter-, Opfer-, und Informantenbefragungen unterteilen. Mitunter werden die Verschiedenen Grundtypen auch kombiniert, dann spricht man von „kombinierten Befragungen“.

  • Täterbefragungen (self- report studies)

Hierbei werden Versuchpersonen befragt, ob sie überhaupt oder innerhalb eines bestimmten Zeitraumes bestimmte Straftaten begangen haben. Die Probanden entstammen meist einer repräsentativen Zufallsstichprobe der zu untersuchenden Population (Schüler/ Studenten/ Gefängnisinsassen/ Gesamtbevölkerung). Der Zeitraum, auf den sich die Befragungen erstrecken, variiert, meist umfasst dieser aber ein Jahr. (Müller, 1978)

  • Opferbefragung

Opferbefragungen werden entweder als „Crime Survey“ mit dem Ziel, das Dunkelfeld aufzuhellen, oder als „Victim Survey“ mit dem Ziel, opferbezogene Erkenntnisse zu gewinnen, durchgeführt. (Schwind, 2001) Hierbei werden die Versuchspersonen befragt, ob sie selbst oder andere ihnen bekannte Personen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes Opfer von Straftaten wurden. (Pfeiffer/ Scheerer, 1979)

  • Informantenbefragung

Hierbei werden die Versuchpersonen danach befragt, ob sie Auskünfte über kriminelle oder delinquente Verhaltensweisen anderer Personen geben können. Diese Art der Befragung ist nie alleiniger Teil der Untersuchung, sondern ist in den meisten Fällen an eine Täterbefragung gekoppelt, in wenigen ausnahmen auch an eine Opferbefragung. In allen Untersuchungen dient sie dabei als Mittel der Wahrheitsüberprüfung der in der Täter-, bzw. Opferbefragung gesammelten Aussagen.

Obwohl sich die Befragung als gebräuchlichstes Mittel zur Erhellung des Dunkelfeldes durchgesetzt hat, ist sie nicht frei von methodologischen Mängeln, welche ihre Aussagekraft bezüglich einer Allgemeingültigkeit trüben. Bei den Befragungen wird nicht direktes soziales Verhalten erfasst, sondern lediglich verbales Verhalten. Es ist davon auszugehen, dass die hierdurch gesammelten Informationen bereits durch einen sozialen, bzw. individuellen Verzerrungsprozess verändert wurden. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Validität der Befragungen. Es ist z. B. nicht als selbstverständlich zu betrachten, das die Versuchsperson die an ihn gerichteten Fragen in dem Sinne versteht, wie sie vom Interviewer verstanden werden wollen, was mitunter zu Verzerrungen im Hinblick auf komplizierte Sachverhalte führt, wie z.B. bei der Abgrenzungen zwischen spezifischen Deliktsformen. Des Weiteren spielt die Zusicherung von Anonymität eine Rolle. Es ist davon auszugehen, dass besonders bei Täterbefragungen die Anonymität der Befragten einen Einfluss auf den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen hat. Dies ist auch das Hauptargument gegen Täterbefragungen, weshalb heutzutage Opferbefragungen bevorzugt werden. Ferner spielen Gedächtnisfehler eine Rolle als Verzerrungsfaktor, da sich die Befragungen immer auf Ereignisse aus der Vergangenheit beziehen. Es wird z.B. angenommen, dass schwer wiegende Delikte länger im Gedächtnis bleiben als Bagatelldelikte. Dieser Umstand führt also zu einer Überrepräsentation von schweren Delikten, zu Lasten der leichten Delikte. Auch die Repräsentativität der Stichprobe ist nicht ohne weiteres gewährleistet, denn nur in den seltensten Fällen ist es möglich, alle Elemente einer Grundgesamtheit in der repräsentativen Stichprobe mit einzubeziehen, wie z.B. Menschen die nicht offiziell gemeldet sind, oder keinen festen Wohnsitz haben. (vgl. Müller, 1978)

Neben den hier genannten, gibt es noch eine Vielzahl von weiteren Verzerrungsfaktoren, welche mit dazu beitrugen, das die Dunkelfeldforschung ihr großes Ziel, die Beschreibung einer realistischeren Verbrechenswirklichkeit, nie erreicht hat. Stattdessen produzieren und konstituieren Dunkelfeldforschungen ein anderes Bild der Kriminalitätsrealität, nämlich die der Befragten und der informellen sozialen Kontrolle. (Steffen, 1993) Schwind hat die Ergebnisse der Dunkelfelduntersuchungen welche im In- und Ausland durchgeführt wurden wie folgt zusammengefasst:

  • es werden grundsätzlich weniger Straftaten angezeigt als nicht angezeigt, d.h. das Dunkelfeld ist bei allen bisher untersuchten Deliktsarten größer als das Hellfeld
  • es besteht ein von Delikt zu Delikt variierendes Dunkelfeld
  • im Dunkelfeld sind leichte Delikt weit überproportional vertreten
  • besonders große Dunkelfelder gibt es im Bereich der Kinder- und Jugenddelinquenz
  • mitzunehmender Delinquenzhäufigkeit wächst die Wahrscheinlichkeit polizeilich erfasst zu werden
  • die Relation zwischen den Geschlechtern (männlich: weiblich) ist im Hinblick auf die Deliktshäufigkeit im Dunkelfeld mit 1: 2 geringer als im Hellfeld mit 1:3.
  • die geographischen Kriminalitätsschwerpunkte im Dunkelfeld scheinen sich zumindest in Großstädten mit denen des statistischen Hellfeldes zu decken (Schwind, 2001)

Abschließend ist festzuhalten, dass die Kombination, der Vergleich, die Abwägung und die differenzierte Interpretation, sowohl der Erkenntnisse der offiziellen Kriminalstatistiken als auch der Ergebnisse der Dunkelfeldforschung, die bis dato beste Möglichkeit darstellen, die Kriminalitätswirklichkeit mit den uns heute zur Verfügung stehenden Mitteln, zu beschreiben.

Kriminologische Relevanz

Ganz allgemein ausgedrückt, beschäftigt sich die Kriminologie (unter anderem) mit der Struktur und den spezifischen Charakteristika des Verbrechens. Wie soll sie sich aber hiermit beschäftigen können, wenn nicht einmal quantifizierte Aussagen über das tatsächliche quantitative Ausmaß ihres Forschungsgegenstandes gemacht werden können?!?

Aus dieser Perspektive scheint es zunächst wünschenswert, wäre die Dunkelfeldforschung in der Lage, genau dieses Defizit durch die Neu- und Weiterentwicklung von empirischen Techniken der Sozialforschung zu beheben. Doch selbst diesem Standpunkt, obwohl er zunächst einleuchtend erscheinen mag, wird im kriminologischen Diskurs nicht uneingeschränkt zugestimmt.

Eine konträre Meinung vertritt u.a. Heinrich Popitz in seinem Aufsatz „Über die Präventivwirkung des Nichtwissens“ (1968). Popitz verteidigt hierbei das Vorhandensein des Dunkelfeldes und die hierzu notwendigen Selektionsprozesse innerhalb der Gesellschaft.

Popitz geht davon aus, das der Funktionalität der Sanktionspraxis für das Normensystem, als Bewahrer des sozialen Friedens einer Gesellschaft, Grenzen gesetzt sind. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen steht dabei die Annahme, dass sich die Strafe ihre soziale Wirksamkeit nur bewahren kann, wenn der Großteil der Straftäter „nicht bekommt was er verdient.“ Um dies aufzuzeigen, formuliert er drei Annahmen, welche das Bestreben der völligen Durchleuchtung des Dunkelfeldes in absurdum führen:

  • Das nicht Vorhandensein eines Dunkelfeldes bedarf einer totalen Verhaltenstransparenz. Das bedeutet, dass formelle oder informelle Instanzen über kurz oder lang alles was ein Individuum tut oder unterlässt erfahren. Dies ist nach Popitz nicht möglich, denn in einer Gesellschaft herrscht immer nur ein partielles Wissen voneinander vor, ein Teil des individuellen Verhaltens bleibt auch in den engsten sozialen Bindungen im Verborgenen, ganz zu schweigen von der Bereitschaft bestimmte Informationen an Institutionen wie z.B. Polizei oder Gerichte weiterzugeben.
  • Popitz wirft die Frage auf, ob ein soziales Normsystem überhaupt in der Lage wäre, die Masse an Normbrüchen auszuhalten, ohne dabei seine eigene Existenzberechtigung in Frage zu ziehen. Das bedeutet, das die Geltungsberechtigung einzelner Normen und als deren Summe, die des ganzen Normsystems zusammenbrechen würde, wenn sich die einzelnen Gesellschaftsmitglieder über das wahre Ausmaß der Normbrüche im Klaren wären.
  • Die Notwendigkeit eines Dunkelfeldes zeigt sich bei Popitz am Deutlichsten in dem von ihm aufgezeigten Zusammenhang zwischen Normbruch und Sanktion. Denn die Sanktion ist der entscheidende Faktor, welcher zur Aufrechterhaltung der Normgültigkeit beiträgt. Das Sanktionssystem wäre aber mit der Fülle der tatsächlich begangenen Normbrüche zweifelsohne überfordert, was zu einem Zusammenbruch führen würde. Nach Popitz ist daher die Nichtentdeckung von Normbrüchen zur Entlastung der Sanktionskomponente wesentlich. Doch auch wenn das Sanktionssystem diese Mehrbelastung tragen könnte, würden die Sanktion und auch der Normbruch ihren Ausnahmecharakter verlieren, was wiederum die Geltungsstruktur der Normen in Frage stellt, wodurch die Schutzfunktion des Sanktionssystems hinfällig wird. (Popitz, 1968)

Die Bedeutung des Dunkelfeldes für die Geltungsstruktur von Normen diskutiert auch Klaus Lüderssen in seiner Schrift „Strafrecht und Dunkelziffer“ (1972) Dabei geht er auf die Funktionen ein, welche dem Dunkelfeld in der Diskussion um das Strafbedürfnis bei einzelnen Delikten zugesprochen werden. So ist das Dunkelfeld: ~- in der Diskussion um den §218 (Abtreibung) und §175 (Homosexualität) ein willkommenes Argument um die Gültigkeit dieser Straftatbestände in Frage zu stellen. Denn diese haben keinerlei Überzeugungskraft, wenn die verbotenen Handlungen von „zahllosen Bürgern“ begangen werden und nur Einzelne, wie durch Zufall ausgewählt, bestraft würden. ~- im Zusammenhang mit der „Weiße- Kragen- Kriminalität“ (White Collar Crime) ein Indiz dafür, das der Strafrechtsapparat teilweise zu grobmaschig gestrickt ist und der Staat progressiver agieren muss. Das Dunkelfeldargument wird also auf ganz unterschiedliche Art und Weise verwendet. Einmal soll es dazu führen, das Normen gestrichen, auf der anderen Seite verschärft, erweitert oder neu gefasst werden. Und diese Dialektik zeigt sich auch an anderen Stellen in der kriminalpolitischen Diskussion. So widerspricht es der allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellung, wenn nur ganz bestimmte Täter gefasst und Sanktioniert werden, andere aber wiederum unerkannt im Dunkelfeld abtauchen. Dadurch wird auch das oft postulierte Gleichheitsprinzip (z.B. Art. 3 GG) ausgehebelt. Dabei stellt sich die frage, wie man dieser Problematik begegnet. Soll man vor dem Hintergrund eines hohen Dunkelfeldes niemand mehr bestrafen und somit dem Gleichheitsprinzip gerecht werden? Nach Lüddersen zeigt sich diese Tendenz bei der Abtreibung und bei den meisten Sittlichkeitsverbrechen. Oder soll man angesichts eines hohen Dunkelfeldes versuchen, möglichst alle Täter zu bestrafen? Dieser Trend, so Lüderssen, zeigt sich bei der Wirtschaftskriminalität. Hierbei spielt auch der damit aufkommende Vorwurf der Ungleichbehandlung eine Rolle, welcher sich nicht auf die unzureichende Arbeit der Instanzen der sozialen Kontrolle beschränkt, sondern sich auch in der unterschiedlichen Bewertung von zu missbilligendem Verhalten widerspiegelt. Laut Lüddesen zeigt sich hierin für manchen Betrachter der Klassencharakter des Strafrechts. (vgl. Lüddersen, 1972)

Ein weiterer Aspekt der kriminologischen Relevanz des Dunkelfeldes, zeigt sich bei dessen Bedeutung hinsichtlich des Ausfilterungs- und Selektionsprozesses der Instanzen der offiziellen sozialen Kontrolle bei deren Umgang mit Kriminalität. So sind viele der kriminalpolitischen Interventionen, hinsichtlich des Erlasses neuer Gesetze, der Anwendung der bestehenden Gesetzte in der Praxis und der ermittlungstechnischen Arbeit von Seiten der Polizei und der Ermittlungs- und Strafverfolgungsorgane, lediglich auf Erkenntnisse über die Struktur der Kriminalität, welche sich aus den offiziellen Kriminalstatistiken ergeben, zurückzuführen. Doch wie schon erwähnt, stellen diese für die Kriminologie nur einen Indikator für den Ausfilterungs- und Selektionsprozess der sozialen Kontrolle dar. Hierauf bezieht sich auch die Kritik des „Labeling Approach“, denn demnach sind diejenigen Bedingungen und Fakten, die zur kriminalstatistischen Erfassung geführt haben, nicht zwangsweise identisch mit denen, welche zur Tat geführt haben. (Müller, 1978) Drastischer formuliert, handelt es sich beim Dunkelfeld um eine durch diesen Selektionsprozess „systematisch produzierte Regelmäßigkeit“ (Sack, 1969)

So weisen die offiziellen Statistiken z.B. einen überproportional hohen Anteil von Delinquenten aus den sozial schwächeren Schichten auf. Die Vertreter des Labeling Approach führen diese Diskrepanz auf eben jenen Selektions- und Stigmatisierungsprozess zurück, welcher sich zum Nachteil dieser Gesellschaftsschichten auswirkt. (Wittich, 1998) Dieser Ungleichverteilung widerspricht auch die Ubiquitätsannahme, welche besagt, dass Kriminalität in allen Gesellschaftsschichten nahezu gleichmäßig verteilt ist. Und die Dunkelfeldforschung war in der Lage, diese Annahme zumindest für die Kinder- und Jugendkriminalität zu bestätigen. Generellere Aussagen könne noch nicht getroffen werden, da es nach wie vor, besonders in Deutschland, an regelmäßig durchgeführten, die offiziellen Kriminalstatistiken begleitenden, Dunkelfelduntersuchungen mangelt. (Steffen, 1993)

Literatur

zur Einführung

  • Filsner, F.: Einführung in die Kriminalsoziologie, Ferdinand Schöning, Paderborn 1983
  • Kaiser, G.: Kriminologie 9. Auflage, C. F. Müller Juristischer Verlag, Heidelberg 1993
  • Kaiser, Kerner, Sack, Schellhoss: Kleines Kriminologisches Wörterbuch, C. F. Müller Juristischer Verlag, Heidelberg 1985
  • Kunz, K.L.: Kriminologie, Verlag Paul Haupt Berne, Stattgart 1994
  • Rupprecht, R.: Polizei Lexikon, Kriminalistik Verlag, Heidelberg 1995
  • Sack, Fritz: Probleme der Kriminalsoziologie, Handbuch der empirischen Sozialforschung, Stuttgart 1969
  • Schwindt, H. D.: Kriminologie: eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen, Kriminalistik Verlag, Heidelberg 2001

Weiterführende Literatur

  • Heinz, W.: Bestimmungsgründe der Anzeigebereitschaft des Opfers, Inaugural Dissertation, Freiburg 1972
  • Hentig, H. von: Die unbekannte Straftat, Springer Verlag, Berlin, Göttingen, Heidelberg 1964
  • Leder, H.C..: Dunkelfeld: Bemerkungen aus devianz- und kriminalsoziologischer, kriminologischer und wissenschaftstheoretischer Sicht, Peter Lang GmbH, Frankfurt a. M. 1998
  • Lüderssen, K.: Strafrecht und „Dunkelziffer“, Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart 412, J.C.B. Mohr, Tübingen 1972
  • Meyer, Kurt: Die unbestraften Verbrechen, Dr. Ernst Wiegand, Leipzig 1941
  • Müller, L.: Dunkelfeldforschung, Inaugural- Dissertation, Druckerei Johannes Krause, Freiburg 1978
  • Pfeiffer,Scheerer: Kriminalsoziologie, W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart 1979
  • Schwindt, H. D.: Dunkelfeldforschung in Göttingen 1973/ 74, BKA- Forschungsreihe, Hrsg. vom BKA, Wiesbaden 1975
  • Steffen, W.: Lehr- und Studienbriefe Kriminologie Nr. 4, Hrsg. von Burghard/Hamacher, Verlag Deutsche Polizeiliteratur GmbH, Düsseldorf 1993
  • Steffen, W.: Lehr- und Studienbriefe Kriminologie Nr. 5, Hrsg. von Burghard/Hamacher, Verlag Deutsche Polizeiliteratur GmbH, Düsseldorf 1993
  • Wehner, B.: Die Latenz der Straftat, BKA Wiesbaden, 1957
  • Wittich, U.: Wenn zwei das gleiche berichten, Forum Verlag Godesberg GmbH, Mönchengladbach 1998
  • Pilkington, Andy (1995). "Measuring Crime", Sociology Review, November 1995, pages 15-18.
  • Moore, S. (1996). Investigating Crime and Deviance. Harpers Collins. ISBN 0003224392, pages 211–220.
  • Coleman, C., & Moynihan, J. (1996). Understanding crime data: haunted by the dark figure. Open University Press. ISBN 0335195199.