K.U.R.S. Niedersachsen

K.U.R.S. Niedersachsen ist die Kurzbezeichnung für die im November 2007 der Öffentlichkeit vorgestellte "Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern und Sexualstraftäterinnen in Niedersachsen". Die Konzeption bezweckt eine Einteilung (entlassener) Täter auf der Grundlage einer vereinheitlichten Methode der Erstellung von Rückfallprognosen. Die Polizei soll sich Wissen der Haftanstalten über die einzelnen Täter zunutze machen können. Davon erhofft man sich eine bessere Überwachung der Entlassenen und die Vermeidung von Wiederholungstaten.

Trotz ungeklärter und womöglich fehlender Rechtsgrundlagen wurde K.U.R.S. schon in Betrieb genommen. Die von K.U.R.S. vorgesehene Weitergabe von höchstpersönlichen Informationen von (ehemaligen) Gefangenen über deren sexuelle Orientierung, deren Kontaktpersonen und so weiter bleibt aber problematisch. Denn grundsätzlich ist die Strafanstalt nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit der Datenübermittlung selbst zu überprüfen, wenn die Anforderung von einer anderen Behörde kommt. Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn besonderer Anlass zur Prüfung besteht. In diesem Fall, in dem unsicher ist, ob der im ministeriellen Erlass vorgesehene Datenaustausch überhaupt eine gesetzliche Grundlage im geltenden Recht findet, ist die Anstalt sogar dazu verpflichtet, die Rechtmäßigkeit des zu überprüfen, bevor sie entsprechende Schritte zur Umsetzung des ministeriellen Erlasses zur Etablierung von K.U.R.S. unternimmt (§ 180 Abs. 11 Satz 3 StVollzG).


Das K.U.R.S. - System

Die Zentralstelle KURS nahm am 1.10.2007 im Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen (mit zwei Mitarbeiterinnen) ihre Arbeit auf. Das Justizministerium erklärte: "Aufgabe der Zentralstelle ist es, die übermittelten Informationen der Justiz und des Maßregelvollzuges auszuwerten, mit Erkenntnissen aus den polizeilichen Datenquellen anzureichern und in der neu eingerichteten Datei zu speichern. Das LKA leitet die Informationen nach der erfolgten Aufbereitung über die regional betroffenen Polizeidirektionen an die örtlich zuständigen Polizeiinspektionen weiter. Dort entscheiden spezielle KURS–Sachbearbeiter für den jeweiligen Einzelfall lageabhängig über geeignete gefahrenabwehrende Maßnahmen. Dazu gehört grundsätzlich immer die Ansprache der betroffenen Person, um eine präventive Wirkung zu erzielen. Zur wirksamen Erfüllung des Überwachungsauftrages der Führungsaufsicht und der Gefahrenabwehraufgabe der Polizei ist ein möglichst differenziertes Bild des Täters erforderlich. KURS soll eine bessere Informationssammlung und eine Optimierung der Maßnahmen von Justiz und Polizei bewirken. Im Justiz- und Maßregelvollzug wird fortan im Rahmen der Entlassungsvorbereitung ein Risikoprofil nach einem einheitlichen Muster erstellt. Das Risikoprofil wird durch erfahrene Psychologen des Prognosezentrums im Vollzug erstellt. Der Polizei, der Führungsaufsicht und der Bewährungshilfe steht damit zukünftig eine mittels moderner wissenschaftlicher Methoden erstellte Rückfallprognose zur Verfügung." Von verfassungsrechtlichen Problemen war nicht die Rede. Von Problembewußtsein zeugte die Presseerklärung ebenfalls nicht. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland könnte sich jedoch als Hindernis erweisen.


Hindernisse

Die wichtigsten Risiken und Probleme für K.U.R.S. Niedersachsen und ähnliche Programme in anderen Bundesländern (z.B. HEADS in Bayern oder SURE in Hamburg) werden womöglich nicht solche technisch-zweckrationaler Art sein, also Probleme der Mitarbeiterschulung, der Entwicklung der passenden Software usw., sondern solche rechtlicher Art.

Dafür spricht der Mangel an denkbaren Rechtsgrundlagen für die lediglich auf ministeriellen Anweisungen, nicht aber auf regulären Gesetzen fußenden Konzeptionen und Programme.

Denkbare Rechtsgrundlagen wären § 180 (Absatz 1, Satz 1; Absatz 2, Nr. 4; Abs. 2 Nr. 2; Abs 2 Nr. 3; Abs. 9) oder § 182 des Strafvollzugsgeseztes bzw. seiner Entsprechungen in den Ländergesetzen. Keine dieser denkbaren Rechtsgrundlagen dürfte jedoch hinreichen, um die Datenübermittlungen, die in K.U.R.S. Niedersachsen und in den entsprechenden Programmen anderer Bundesländer vorgesehen sind, zu erlauben. Unzulässig ist jedenfalls die Weitergabe von Informationen, die ein Gefangener in der Haft einem Arzt, einem Psychologen, Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter anvertraut hat und in deren Weitergabe er nicht ausdrücklich eingewilligt hat.

Da es aber insbesondere um solche Daten geht, handelt es sich bei Konzeptionen wie "K.U.R.S." mit einiger Wahrscheinlichkeit um ministerielle Erlasse ohne gesetzliche Grundlage. Sie dürften deshalb gegen die Verfassung verstoßen und dürften deshalb auch nicht befolgt werden.

Anstalten kommt in einem solchen Fall wahrscheinlich ein Recht zur Verweigerung (Remonstration) zu.

Anstaltsperson, insbesondere Anstaltsleitungen, von denen gleichwohl die (unrechtmäßigen) Erlasse befolgt werden, setzen sich u.U. dem Risiko der Strafverfolgung aus.

In der Praxis dürfte es nicht lange dauern, bis sich einzelne Anstalten (Anstaltsleitungen) gerichtlich wegen strafbarer Verletzung der Rechtsgüter anderer zu verantworten hätten.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Gefangenen ergibt sich aus Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 des Grundgesetzes und hat Verfassungsrang. Um dieses Recht wirksam einzuschränken, bedürfte es eines (verfassungsmäßigen) Gesetzes und auf keinen Fall lediglich einer Rechtsverordnung aus einem Ministerium - und sei es das Ministerium der Justiz.

Wahrscheinlich würden ehemalige Gefangene oder andere Betroffene gegen die Übermittlung ihrer Daten aus dem Strafvollzug an Staatsanwaltschaft und Polizei gerichtlich vorgehen. Die Rechtslage macht es wahrscheinlich, dass die Strafvollstreckungskammern die inkriminierten "Konzeptionen" und deren Implementierung sodann als rechtswidrig erkennen und aufgrund der Schwere der Grundrechtsverletzungen für null und nichtig erklären würden.

Dem jeweiligen Bundesland - in diesem Fall Niedersachsen - wäre es dann unbenommen, einen die Verfassung respektierenden Gesetzgebungsvorgang einzuleiten und zu versuchen, das erstrebte Ziel im Einklang mit dem Grundgesetz und den darin verankerten Grundrechten zu verfolgen.

In einem Rechtsstaat wäre es bis zum Vorliegen eines die Grundrechte respektierenden Gesetzes, das als Rechtsgrundlage für ein K.U.R.S.-System dienen kann, vom Recht nicht erlaubt, sich an der Umsetzung einer rechtsgrundlagelosen, d.h. rechtswidrigen, Konzeption zu beteiligen.

Links