Schweigepflicht

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Die Schweigepflicht (auch Verschwiegenheitspflicht) im engeren Sinn ist die rechtliche Verpflichtung bestimmter Berufsgruppen, ihnen anvertraute Geheimnisse nicht an Dritte weiterzugeben. Verpflichtet sein können sowohl Private (Berufsgeheimnisträger), wie auch Amtsträger des Staates selbst verpflichtet sind (sog. Amtsgeheimnis).

Im weiteren Sinn ist die Verschwiegenheitspflicht eng mit dem Datenschutz verknüpft, da der Verschwiegenheitspflicht nicht nur anvertraute Geheimnisse, sondern auch personenbezogene und andere Daten, wie z. B. Geschäftsgeheimnisse unterliegen können.


Geschichtliches

Was immer ich sehe und höre, bei der Behandlung oder außerhalb
der Behandlung im Leben der Menschen, so werde ich von dem,
was niemals nach draußen ausgeplaudert werden soll, schweigen
indem ich alles derartige als solches betrachte, das nicht ausgesprochen werden darf”
(Eid des Hippokrates von Kos, um 460 bis 375 v.Chr.)


Joseph ducreux - le discret1.jpg

Joseph Ducreux, "le discret", 1790


Am Beispiel der Mediziner lässt sich am besten die lange Tradition der beruflich motivierten Schweigepflicht nachvollziehen.

Schon rund 800 v. Chr. findet sich in der Ayur Veda des Charaka ein ärztliches Schweigegebot(1).

Der oben abgedruckte Eid des Hippokrates hat für Mediziner bis heute nicht seine Gültigkeit verloren. Während die ärztliche Schweigepflicht jedoch zunächst moralisch begründet wurde, fand sie ihre rechtliche Bestätigung erstmals im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 niedergeschrieben.

Dort stand eine Strafandrohung gegen „Medizinalpersonen“ bei Bruch der Verschwiegenheit.

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich aus der „Berufspflicht“ eine Rechtspflicht.(2)

Formell wurde dies 1871 mit der Einsetzung des StGB für das Deutsche Reich und dem Inkrafttreten der StPO 1877 abgeschlossen.

Auch für die Berufsgruppe der Rechtsanwälte existiert bereits seit 1495 in der Reichskammergerichtsordnung ein Verschwiegenheitsgebot.

Zweck

Der Sinn der Schweigepflicht liegt in der Notwendigkeit bestimmter Personen-und Berufsgruppen, sehr intime Informationen zur Bewältigung ihrer Aufgaben zu kennen. Es handelt sich dabei größtenteils um Berufe, die davon leben, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen dem jeweiligen Vertreter der Berufsgruppe und seinem Kunden oder Patienten besteht. Die Vertreter der Berufgruppen erfahren auf diesem Wege intime Details, die an sich unter das so genannte Recht auf informationelle Selbstbestimmung(s.u.) fallen.

Die Weitergabe dieser Informationen an Unberechtigte soll durch die Schweigepflicht verhindert werden.

Rechtliche Grundlagen

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung zum Volkszählungsgesetz (1983)[1] das Recht auf informationelle Selbstbestimmung postuliert, welches

"die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen" gewährleistet.

Es hat auf diese Weise die verfassungsrechtliche Dimension datenschutzrechtlicher Fragen neu bestimmt.

Einschränkungen des aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG [2] in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG [3]) abgeleiteten Rechtes sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse auf verfassungsgemäßer gesetzlicher Grundlage zulässig, welche dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt und das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit seinem Wesen unangetastet läßt. Schließlich ist der Grundsatz der Zweckbindung der Daten zu berücksichtigen. (3)

Die Schweigepflicht dient dem Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereichs (Privatsphäre) einer Person, die sich bestimmten Berufsgruppen oder bestimmten staatlichen oder privaten Institutionen anvertraut. Sie setzt somit das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch.


Der Gesetzgeber stellt daher die Verletzung von Privatgeheimnissen im § 203 StGB unter Strafe. [4]

Hierbei handelt es sich um ein Vergehen und ein relatives Antragsdelikt. [5]

Schweigepflichtiger Personenkreis des § 203 StGB

Zur Verschwiegenheit verpflichtet sind unter anderem die Angehörigen folgender Berufe:

  • Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert(z.B. Rettungssanitäter),( § 203 I Nr. 1 StGB )
  • Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlußprüfung ( § 203 I Nr. 2 StGB )
  • Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Verteidiger in einem gesetzlich geordneten Verfahren, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte oder Organe oder Mitglieder eines Organs einer Rechtsanwalts-, Patentanwalts-, Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder Steuerberatungsgesellschaft, ( § 203 I Nr. 3 StGB )
  • Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist. ( § 203 I Nr. 4 StGB)
  • Mitglieder oder Beauftragte einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes,(§ 203 I Nr. 4a StGB)
  • staatlich anerkannte Sozialarbeiter oder staatlich anerkannte Sozialpädagogen ( § 203 I Nr. 5 StGB)
  • Angehörige eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen, steuerberaterlichen oder anwaltlichen Verrechnungsstelle ( § 203 I Nr. 6 StGB)

Geheimnisse im Sinne des §203 StGB

Unter dem Schutz des Gesetze stehen fremde Geheimnisse, also alle Tatsachen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind, einschließlich der Tatsache, daß PatientInnen einen Geheimnisträger aufsuchen. Keine Geheimnisse sind beispielsweise gegenwärtig in der Öffentlichkeit diskutierte Angelegenheiten bestimmter Person oder die im Verlauf einer öffentlichen Gerichtsverhandlung bekanntgewordenen personenbezogenen Tatsachen.

Ein Geheimnis im Sinne der Vorschrift ist jede Tatsache, die nur einem begrenzten Kreis bekannt ist und an deren Geheimhaltung der Patient ein schutzwürdiges Interesse hat, zum Beispiel:

  • eine unheilbare Krankheit
  • wirtschaftliche Unternehmensinterna
  • Vermögens- oder Verwandtschaftsverhältnisse

Dieses Geheimnis muss dem Schweigepflichtigen anvertraut worden oder sonst bekannt geworden sein.

Das bedeutet, dass nicht alles, was der Geheimnisträger im Einsatz erfährt, automatisch von seiner Schweigepflicht umfasst wird. Vielmehr muss das Geheimnis dem Schweigepflichtigen gerade in seiner Eigenschaft als Angehörigem seiner Berufsgruppe mitgeteilt worden sein.

Zudem gilt die Schweigepflicht nur in dem Umfang, in dem der Schweigepflichtige die Tatsachen in beruflicher Eigenschaft erfahren hat. Diesbezügliches, das er schon vorher wusste oder erst nachher erfahren hat, kann nicht zur Schweigepflicht hinzugezogen werden.


Verletzung der Schweigepflicht

§ 203 gilt nicht absolut.

Die prinzipielle Möglichkeit, daß vom grundsätzlichen in § 203 normierten Verbot Ausnahmen gemacht werden können, impliziert schon der Wortlaut der Norm, der nur die “unbefugte” Weitergabe mit Strafe bedroht.

Die Offenbarung erfolgt unbefugt, wenn weder das Einverständnis der Betroffenen vorliegt noch ein Rechtfertigungsgrund

Vorliegen eines Einverständnisses

Der Betroffene kann den Geheimnisträger von dessen Schweigepflicht entbinden.

Rechtfertigungsgründe

  • mutmaßliche Einwilligung

Eine mutmaßliche Einwilligung zur Offenbarung kann unterstellt werden, wenn diese im (mutmaßlichen) Interesse der Betroffenen liegt, dieser aber nicht gefragt werden kann, so beispielsweise im Fall der Information der Angehörigen eines bewußtlosen Patienten.


  • Offenbarungspflicht aufgrund besonderer Gesetze:
  • Anzeigepflicht § 138 StGB (Sonderregelung § 139 Abs. 3 StGB: Straffreiheit bei ernsthaftem Bemühen, den

Täter von seiner Tat abzuhalten für ÄrztInnen und neu auch für Psychologische PsychotherapeutInnen und Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen)


  • prozessuale Zeugnispflicht (§ 53 StPO, § 383 ZPO)
  • Erziehungsrecht der Eltern aus dem BGB (begrenzt durch das Selbstbestimmungsrecht der Heranwachsenden ab dem 14. Lebensjahr)
  • Infektionsschutzgesetz,
  • Geschlechtskrankheitengesetz


  • Offenbarungsbefugnis aufgrund gesetzlicher Bestimmungen (SGB V)
  • Übermittlung von Daten an die KV zum Zweck der Abrechnung (§ 295 SGB V)
  • Wirtschaftlichkeitsprüfung (§§ 296, 297 SGB V),
  • Qualitätssicherung (§ 298 SGB V),
  • Übermittlung an die KK: Arbeitsunfähigkeitbescheinigung (§ 284 i.V.m. 295 SGB V),
  • Übermittlung an den medizinischen Dienst (§§ 276, 277 SGB V)


  • Mangelnde Einsichtsfähigkeit

Ein Recht zur Geheimnisoffenbarung gibt es z.B. bei Kindern und jugendlichen Patienten. Hier kann es durchaus Einschränkungen der Schweigepflicht geben, solange diese wegen ihres Alters nicht oder nicht ausreichend einsichts- und damit entscheidungsfähig sind.


  • Sozialadäquanz

In unserer modernen, arbeitsteilig strukturierten Gesellschaft läßt es sich ersichtlich vielfach in alltäglichen Situationen gegenüber Praxisangehörigen, Mitarbeiter in Krankenhäusern und Angehörigen anderer Heilberufe oder Krankenkassen und Versicherungen gar nicht vermeiden, daß diese von Geheimnissen i.S.d. § 203 StGB Kenntnis erlangen. Je dichter das Netz der sozialen Fürsorge und je perfekter die arbeitsteilige, apparative Technik, um so gefährdeter sind das Arztgeheimnis und die Persönlichkeitssphäre des Patienten. Daher dürfen in sozialadäquatem Rahmen Informationen weitergegeben werden, soweit dies nötig oder unvermeidbar ist.


  • Selbstschutz des Arztes

Gelegentlich besteht die Möglichkeit oder sogar Notwendigkeit, daß der Arzt zur Wahrung eigener Rechte, z.B. bei der Verteidigung im Regreßprozeß, bei Honorarseinklagungen oder zur Selbstverteidigung im Strafprozeß, die Schweigepflicht soweit erforderlich durchbrechen darf. Wenn der Arzt nur durch Offenlegung an sich geschützter Geheimnisse seine Rechte wahrnehmen oder durchsetzen kann, muß die Schweigepflicht zurücktreten.


  • rechtfertigender Notstand § 34 StGB

Als Notstand wird eine gegenwärtige Gefahrenlage für ein geschütztes Rechtsgut bezeichnet, die nur unter Beeinträchtigung fremder Interessen, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, abgewendet werden kann (Güterabwägungsprinzip).

Unter den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes wird ein Verhalten gerechtfertigt, das ansonsten tatbestandsmäßig d.h. mißbilligt i.S. eines bestimmten Straftatbestandes wäre.

Ein Arzt handelt “befugt” in dem er Berufsgeheimnisse verrät, wenn die Voraussetzungen des § 34 vorliegen.

Dies ist immer dann der Fall, wenn der Patient durch seine nicht Offenbarung andere Personen gefährdet. Meißt handelt es sich hier um die Verheimlichung ansteckender Krankheiten.

Wegen des hohen Stellenwertes, den die ärztliche Schweigepflicht und das darin geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient in unserer Gesellschaft und damit auch in unserer Rechtsordnung innehat, darf das Recht zur Geheimnisoffenbarung aber nur restriktiv gehandhabt werden. Auch wenn es im Rahmen des § 34 gerechtfertigt ist, darf es immer nur als letztes Mittel, quasi als “ultima ratio” eingesetzt werden. Der Arzt muß zunächst mit allem Nachdruck versuchen, den Patienten “zur Vernunft zu bringen”, d.h. zur Krankheitseinsicht und zum verantwortungsvollen Umgang mit der Krankheit selbst und den Risiken, die sie für seine Umgebung birgt. Nur wenn dies fehlschlägt, der Mediziner also davon ausgehen muß, daß der “gefährliche” Patient nicht aus eigener Initiative die als gefährdet in Betracht kommenden Personen in seinem Umfeld aufklären wird und diese deshalb Gefahr laufen, infiziert zu werden, darf er seine Schweigepflicht brechen und auch Dritte von der Erkrankung und dem daraus für sie resultierenden Risiko informieren.

Literatur

1 (Haeser, s.15): Haeser, Heinrich, Lehrbuch der Geschichte der Medizin, Band 1, 3. Auflage, Jena 1875

2 (LK/Jähnke, §203, Rn.13): Leipziger Kommentare, Strafgesetzbuch 10.Auflage, Hrsg.: Jescheck,Hans-Heinrich/ Ruß, Wolfgang/ Willms, Günther,Berlin 1989

3 "Volkszählungsurteil" 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83 (NJW 1984, 419)


Weblinks

http://www.servat.unibe.ch/law/dfr/bv065001.html

http://dejure.org

http://www.recht-im-rettungsdienst.de/de/im_einsatz/strafrecht_im_rettungsdienst/ausgewaehlte_straftatbestaende/verletzung_von_privatgeheimnissen_203_stgb/?PHPSESSID=gskhbs08m0u66fptp7t62kuav4