Suicide by Cop

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Suicide by Cop (BE: [ˈsuː.ɪ.saɪd bai kop], dt. etwa Selbsttötung durch einen Polizeibeamten, Abk. SBC) beschreibt eine Form des Suizids, bei dem sich eine Person in eine bedrohliche Lage versetzt, um von einem Polizeibeamten getötet zu werden.

Begriff

Etymologie & Definition

Der Suizid (vom neulateinischen „suicidium“ (selbst) und „caedere“ (töten); auch Selbsttötung, Selbstmord oder Freitod) beschreibt die beabsichtigte Beendigung des eigenen Lebens, die durch eine aktive Handlung oder durch eine Unterlassungshandlung (z.B. Nichteinnahme von lebenserhaltenden Medikamenten) herbeigeführt werden kann. Aus der Definition ergibt sich keine Detailvoraussetzung für die Art und Weise des Suizids, allein das Endziel des eigenen Todes muss erfüllt sein. (vgl. Milch 1999: 122)

Bei einem Suicide by Cop handelt es sich um einen Vorfall, bei dem der Suizident ein Verhalten aufweist, das zu erheblichen Verletzungen oder zum Tod führen kann und die Absicht verfolgt, Polizeibeamte dazu zu veranlassen, ihn zu töten. Dabei werden Polizeibeamte, ohne deren Bereitschaft und Einverständnis, in den Verlauf einer suizidalen Handlung eingebunden. (vgl. Mohandie & Meloy 2000: 103)

In Deutschland ist die Bezeichnung Suicide by Cop in Bezug auf die Tötung durch einen Polizeibeamten mittlerweile verbreitet. Der Suicide by Cop wird als Untergruppe des „provozierten Suizids“, der nicht ausschließlich auf Polizeibeamte abzielt, angesehen. Begründet wird die Verwendung des Begriffs "provozierter Suizid" mit dem Argument, dass nicht ausschlaggebend ist, wer bzw. welche (vorzugsweise waffentragende) Berufsgruppe ein Suizident wählt, sondern sein Ziel mit der erwünschten Wirkung der Tötung im Vordergrund steht. Somit erlaubt der Begriff „provozierter Suizid“ auch über die Berufsgattung der Polizei hinaus eine definitorisch vielseitige Ausgangslage. (vgl. Polndorfer 2015: S. 54)

Synonyme

Neben dem mittlerweile gängigen Terminus Suicide by Cop wurden noch weitere Begriffe als Synonyme geprägt und diskutiert. In der internationalen Literatur werden die Begriffe police-assisted suicide (dt. etwa Polizei unterstützte Selbsttötung), victim-precipitated homicid (dt. etwa durch das Opfer verursachte Tötung), hetero-suicide (dt. etwa fremdbestimmter Suizid) oder suicide by proxy (dt. etwa Selbsttötung durch einen Stellvertreter) verwendet.

Bei einem police assisted suicide beabsichtigt die Person ihre Selbsttötung mit der Unterstützung der Polizei durchzuführen. Für dieses Vorgehen wird ebenfalls die Bezeichnung law enforcement-forced-assisted suicide (dt. etwa vom Ordnungshüter durch Zwang unterstützter Suizid) angeführt, da ein Polizeibeamter zwangsweise bei dem Versuch oder der Vollendung der suizidalen Tat involviert wird. (vgl. Hutson et. al. 1998, S.665)

Der Ausdruck victim-precipated-homicid soll die Vorfälle beschreiben, bei denen die Opfer in jeglicher Weise an Handlungen des Täters, die zu ihrem Tod geführt haben, mitgewirkt haben. Diese Bezeichnung steht jedoch nicht nur aufgrund ihrer Verallgemeinerbarkeit in der Kritik, sondern ebenfalls aufgrund der Bedeutung, dass der gemäß dieser Definition angeführte Täter das Opfer ist. Aus polizeilicher Sicht ist der Suizident, der sein Gegenüber bedroht und diesen zwingt, ihn zu erschießen, kein Opfer. Als Opfer gelten hier vielmehr die involvierten Polizeibeamten oder beteiligte Zivilisten.

Abgrenzung zum klassischen Suizid

Im Gegensatz zum klassischen Suizid bezieht der Suizident im Fall eines Suicide by Cop Polizeibeamte in seine Selbsttötungsabsichten mit ein. Diese werden als personifizierte und handlungsunterstützende Werkzeuge missbraucht, um den Suizid des Täters zu vollziehen. Die Polizeibeamten werden durch eine bewusste Täuschung des Suizidenten zu einer Reaktion bzw. zu einem Verhalten genötigt, das geeignet ist, die Übernahme der Tötungshandlung vollziehen zu lassen. Dabei stehen die Polizeibeamten nicht im unmittelbaren Fokus einer konkreten Tötungsabsicht seitens des Suizidentens. Auch wenn die Tötung der eingesetzten Polizeibeamten grundsätzlich nicht das Primärziel des Suizidenten ist, kann dies eine Folge sein. Werden die Polizeibeamten nicht nur in den Suizid als Werkzeug involviert, sondern ist die Tötung Dritter hingegen vorgesehen oder weitgehend geplant, werden die Begriffe "erweiterter Suizid" oder "Mitnahmesuizid" verwendet.

Historie

Das Phänomen eines Suicide by Cop ist seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts empirisch in der Literatur erfasst. (vgl. Heubrock 2009: S.41) Der ehemalige New Yorker Polizist Vernon J. Geberth gilt als Erfinder des Begriffs Suicide by Cop und verwendete ihn im Jahr 1993 in seinem Werk Suicide by Cop: Inviting Death from a Hand of a Police Officer. (vgl. Lord 2004: S.4) Aktuell gibt es insbesondere im deutschsprachigen Raum wenige verwertbare Datensätze und Hinweise auf die Häufigkeit des Phänomens. Vorhandene Daten aus Studien stammen fast ausschließlich aus den USA, Kanada und Großbritannien. Um diese Daten auf den europäischen Raum zu übertragen müssen diese jedoch kritisch betrachtet werden, da beispielsweise der Zugang zu und der Umgang mit Schusswaffen zu bewerten ist. Der Umstand, dass in Deutschland noch keine öffentlich zugängliche zahlenmäßige Erhebung über das Phänomen Suicide by Cop vorliegt, bedeutet nicht, dass es sich – ähnlich wie bei der Betrachtung von Amoktaten – um ein rein amerikanisches Problem handelt. Fälle, in denen Polizeibeamte provoziert werden, einen Menschen zu erschießen, sind auch in Deutschland existent. Zudem kann es an der Einordnung der Vorfälle liegen, dass dieses Phänomen in Deutschland als nahezu unbekannt erscheint. (vgl. Polndorfer 2015: S.50)

Empirische Untersuchungen

H. Range Hutson, Professor der Medizin, et al. führten im größten Polizei-Departement Los Angeles, dem Los Angeles County Sheriff’s Departement (LASD), im Zeitraum vom 1.Januar 1987 bis zum 31. Dezember 1997 Untersuchungen hinsichtlich der sogenannten officer involved shooting (dt. etwa Schusswechsel mit Polizeibeteiligung) durch. Zur Erreichung von validen Ergebnissen wurde die Studie mit Fokus auf folgende Kriterien begutachtet:

  1. Anzeichen des Suizidenten auf suizidale Intentionen.
  2. Anzeichen des Suizidenten, insbesondere von einem Polizeibeamten erschossen zu werden.
  3. Anzeichen des Suizidenten auf den Besitz von tödlichen Waffen oder jenen, die einen Anschein dahingehend machen.
  4. Anzeichen des Suizidenten auf ein beabsichtigtes Aufeinandertreffen mit dem Polizeibeamten, sowie die Provokation einer Eskalation der Situation, in dem der Beamte den Suizidenten aus dem Grund des Selbstschutzes oder des Schutzes von Unbeteiligten erschießt.

In der angeführten Zeitspanne konnten 473 Fälle verzeichnet werden, von denen das Gegenüber durch die Polizei in 237 Fällen (54,2%) angeschossen und in 200 Fällen (45,8 %) getötet wurde. Die Recherchen ergaben, dass 10,5 % (46 Fälle) aller registrierten Vorfälle als provozierte Suicide by Cop-Situation einzustufen waren. Hinsichtlich der Charakterisierung der Suizidenten gewann die Studie von Hutson et al. (1998) folgende Daten der Suizidenten:

Die Psychologin Vivian B. Lord erlangte vergleichbare Ergebnisse aus dem Jahr 2005 bei der Erhebung von Suicide by Cop-Fällen in North Carolina. Hier litten 54 % der Suizidenten unter psychischen Störungen, bei 74% konnte ein akuter Alkohol- und/oder Drogeneinfluss festgestellt werden. Lord stellte zudem fest, dass die Suizidenten bis auf wenige Ausnahmen (8%) feste soziale Bindungen in ihrem Lebensumfeld besitzen.

Die von Hutson et al. ermittelte Altersspanne der Suizidenten liegt zwischen 18 und 54 Jahren. Das Durchschnittsalter liegt bei 35 Jahren. Hutson et al. (1998) kam zu dem Ergebnis, dass sämtliche Suizidenten seiner Studie mindestens eines der vier vorgenannten Kriterien erfüllten. In Bezug auf die Planbarkeit des Suicide by Cop veröffentlichte Hutson et al. in seinen Ergebnissen, dass 33 % die Tat im Vorfeld planten, bei 53% entwickelte sich diese Suizidform situativ, da sie sich durch das Eingreifen der Polizei gestört fühlten und sich aufgrund eines irrationalen und emotional verwirrten Zustands erschießen lassen haben. Von diesen ungeplanten Taten versuchten sich etwa 11,9% einer Festnahme oder anderer polizeilichen Maßnahmen zu entziehen.

Der Waffengebrauch spielt in der empirischen Untersuchung eine bedeutende Rolle. Alle Suizidenten der 46 Vorfälle waren bewaffnet und zeigten diese auch in der Begegnung mit den Polizeibeamten. Bei den genutzten Waffen handelte es sich bei 47,8 % der Suizidenten um eine Schusswaffe, 32,6 % führten ein Messer mit sich. Bei 8 Suizidenten wurde eine Anscheinswaffe festgestellt. Vor diesem Hintergrund wurde durch die Forscher auch die Bedrohung des Suizidenten bzw. der letztendliche Schusswaffengebrauch des Polizeibeamten untersucht. In der Hälfte der Fälle wurden die Polizeibeamten unmittelbar mit der Waffe bedroht, wobei 15% der Suizidenten gezielt auf die Beamten schossen. Bei den mit einem Messer bewaffneten Suizidenten attackierten 26% die Polizeibeamten, 4,3 % warfen das Messer auf die Polizeibeamten. Lediglich 4 % der Betroffenen griffen unbeteiligte Bürger an, nachdem sie der Aufforderung, ihre Waffe fallen zu lassen, nicht nachgekommen sind.

Die zeitliche Komponente vom Eintreffen der Polizeibeamten am Einsatzort bis zum Schusswaffengebrauch reicht gemäß Hutson et al. von 1 Minute bis zu 6 Stunden und 25 Minuten. Die Durchschnittszeit beträgt 15 Minuten, in 69,8 % der Fälle betrug der Zeitrahmen weniger als 30 Minuten. Das zeigt, dass in einer Suicide by Cop-Situation den Polizeibeamten wenig Zeit zur Entwicklung von Verhandlungsstrategien bleibt.

Bekannte Fälle in Deutschland

  • Februar 2015: In Stuttgart meldete ein 34-jähriger Mann über den Notruf, dass er den nächsten Vorbeikommenden töten werde. Beim Eintreffen der Polizeibeamten schoss er sofort auf diese. Während des anschließenden Schusswechsels wurde der 34-Jährige durch den Schuss eines Polizeibeamten im Bauchbereich schwer verletzt. Der 34-Jährige schoss mit einer schwarzen „Taurus PT 92 AF“ auf die Polizeibeamten – eine Softairwaffe, die von einer echten Pistole nicht zu unterscheiden ist. Auf dem Weg ins Krankenhaus gab er zu, dass er sich erschießen lassen wollte, um zu sterben.
  • März 2001: Ali C., der angeblich depressiv war, drängte sich in Köln mit seinem Auto in eine Polizeikolonne, zog an einer Ampel eine Gaspistole und starb durch den Schusswechsel mit den Beamten. Die Polizei sah "Hinweise auf einen Selbstmord".
  • November 1998: Ein 39-jähriger Mann hielt im hessischen Wetter einer Nachbarin eine Machete an den Hals und forderte die Polizei am Telefon auf, sie solle kommen und ihn möglichst schnell "totschießen". Er habe in seinem Leben keinen Sinn mehr gesehen, sagte der Mann später, nachdem ihn Polizeibeamte überwältigt hatten.
  • Februar 1996: Der maskierte Helmut F. nahm zwölf Geiseln in einer Dachauer Zahnarztpraxis und drohte sie umzubringen, wenn ihn kein Scharfschütze der Polizei töte. F. starb beim Einsatz eines SEK.

Bedeutung für die Kriminologie

Die Betrachtung des Phänomens Suicide by Cop ist aus Sicht der Kriminologie von zentraler Bedeutung. Mit Blick auf die beteiligten Akteure und abgelaufenen Prozesse lassen sich Schlussfolgerungen auf die Ursache und Wirkungsweise festlegen. Dies stellt auch für zukünftige Handlungs- und Umgangsmöglichkeiten mit Suizidenten eine hilfreiche Basis dar. Um eine Suicide-by-Cop-Situation als eine derartige zu erkennen, bedarf es höchster Sensibilität der Einsatzkräfte. Ziel ist es dahingehend, im Rahmen einer potentiellen Bedrohungslage, die Sicherheit bedrohter und unbeteiligter Personen zu schützen.

Indikatoren und Methoden einer Suicide by Cop-Situation

Nach einer analytischen Auswertung der Suicide by Cop-Lagen haben sich einige Merkmale herauskristallisiert, die auch das methodische Vorgehen eines Suizidenten aufzeigen können. Aufgrund der Komplexität des Phänomens sind diese nicht als abschließend zu betrachten.

Verbale Verhaltensmerkmale

Personen, die eine Tötung durch Polizeibeamte erzielen wollen, suchen die Konfrontation mit der Polizei und fordern diese offen auf, sie zu erschießen. Zur Erreichung des Ziels sprechen sie Drohungen gegenüber den Beamten oder Unbeteiligten aus und/oder richten eine Waffe auf die anwesenden Polizeibeamten. Dabei positionieren sie sich als lebendige Zielscheibe in Sichtweite der Polizeibeamten, gehen entschlossen auf sie zu oder begeben sich auf die Ebene einer direkten Verhandlung. In einigen Fällen wird den anwesenden Polizeibeamten eine Frist zur Tötung gesetzt und bei Nichteinhaltung mit einer Geiselnahme oder der Tötung einer unbeteiligten Person gedroht. Sobald der Suizident seinen Tatentschluss gefasst hat, ist er bereit, ein Verbrechen, wie die Tötung anderer, zu begehen. Insbesondere dann, wenn er zuvor bereits Gewalttaten gegenüber Personen verübt hat.

Ein markantes Merkmal in Bezug auf einen Suicide by Cop ist die Verbalisierung des Täters, sinngemäß auf eine besonders „männliche“ bzw. „aufrechte“ Art und Weise sterben zu wollen. In der Literatur der Analyse zur Gewaltkriminalität wird dies mit den englischen Worten „going out in a big way“ (dt. etwa auf eine besondere Weise sterben) beschrieben. (vgl. Van Zandt 1993: 13)

Ein weiteres Merkmal zur Einschätzung einer bevorstehenden Suicide by Cop-Situation ist, sofern es zu einer Verhandlungssituation kommt, der Wunsch des Suizidenten seinen Besitz und weitere persönliche Angelegenheiten geregelt zu haben. Ebenso kann der Fall eintreten, dass Suizidenten bereits nach mehreren Suizidversuchen aufgrund einer psychiatrischen Vorgeschichte explizit gegenüber einem Familienangehörigen oder Bekannten die Absicht äußert, sich von einem Polizeibeamten erschießen zu lassen.

Nonverbale Verhaltensmerkmale

Weitere Merkmale, die nicht zwingend einer verbalen Kommunikation seitens des Suizidenten bedürfen, können das demonstrative Zeigen oder das auf sich Richten von geladenen, nicht geladenen oder scheinbaren Waffen sein, in dem der Suizident durch konkludentes Handeln den Polizeibeamten einen Hinweis auf eine Suicide by Cop-Situation geben kann. Der Suizident weigert sich, Verhandlungen mit der Polizei zu führen und stellt keinerlei Forderungen oder jene, die nicht mit Flucht oder Freiheit zusammenhängen. Die Motivation diesbezüglich kann in einer bevorstehenden Festnahme aufgrund vorangegangener Verbrechen liegen, die zu einer Haftstrafe führen können. Hierbei handelt der Suizident, um einer drohenden Haftstrafe und der Angst vor den Haftbedingungen zu entgehen.

Persönlichkeitsprofil

Wie in der empirischen Forschung bereits dargestellt wurde, konnte anhand der in den USA und in Großbritannien durchgeführten Studie übereinstimmende Persönlichkeitsmerkmale festgestellt werden. Zusammengefasst sind die Täter vorwiegend männlich, ihr Alter sowie die ethnische Zugehörigkeit variieren enorm, so dass dahingehend keine festen Merkmale genannt werden können. Als einen Risikofaktor gelten Personen mit Vorstrafen. Zudem steht ein deutlicher Anteil der Suizidenten während des Vorfalls unter dem Einfluss von Drogen und Medikamenten, viele leiden an psychischen Erkrankungen, wie Depressionen.

Während eine Vielzahl der Merkmale das Profil eines Suizidenten widerspiegelt, hat Van Zandt sich das Ziel gesetzt, ein spezifisches Suicide by Cop-Profil zu erstellen. Dieses basiert nicht nur auf demographischen Faktoren, sondern bezieht auch die psychosozialen Faktoren mit ein. Demnach sind in der Vorgeschichte dieses Tätertyps Aggressivität, sowie eine verminderte Problemlösungsfähigkeit auffällig. Das Fehlen dieser Fähigkeit stellt sich in einer Suicide by Cop-Situation in der Form dar, dass der Wille nach dem Sterben als Folge einer Depression auftritt oder die Umwelt für erlittene Kränkungen mit dem eigenen Ableben betraft wird. Der typische Täter eines Suicide by Cop empfindet einen klassischen Suizid, aufgrund seiner grundsätzlich aggressiven Lebensstimmung und seinem geringen Selbstwertgefühl, nicht als sozial adäquate Lösung. Stattdessen sucht er bewusst die Konfrontation mit der Polizei und inszeniert die Umstände so, dass er – seines Erachtens – als Opfer der Gewalt anderer hervortritt. Dies bezeichnet Van Zandt als Schuld-These. Diese These erhält eine andere Dimension, wenn der Suicide by Cop-Täter vor seiner eigenen Selbsttötung eine unbeteiligte Person tötet, die ihm in seinem Leben nahe gestanden hat. In diesem Fall sei das Selbstwertgefühl dieser Täter dermaßen gering, dass nur durch einen gewaltsamen Tod, herbeigeführt von einem Polizeibeamten als Repräsentant der Gesellschaft, Sühne von der Gesellschaft erwarten kann. (vgl. Van Zandt 1993: 12)

Motive

In einer Suicide by Cop-Situation kann es für das Verhandlungsgespräch mit dem Suizidenten hilfreich sein, Kenntnisse über die Motivlage für sein Vorgehen zu erlangen. Problematisch ist, dass eine Befragung dahingehend jedoch im Rahmen des Einsatzes meist nicht möglich ist. Grundsätzlich gelten auch bei einem Suicide by Cop als eine Form des Suizids Motive wie eine Depression mit als unerträglich empfundenem psychischen Schmerz, Selbstbestrafung, die Bestrafung anderer oder die eigene Kontrolle der Situation „bis zuletzt“, beispielsweise im Fall einer unheilbaren Krankheit. Darüberhinaus kommt die Frage auf, ob sich der Suicide by Cop in der Motivlage von anderen Suizidarten unterscheidet.

Betrachter des Phänomens unterscheiden diesbezüglich Motive, die in folgende Kategorien gegliedert werden können:

Praktische Motive

Der Suizident ist aufgrund einer Behinderung oder Erkrankung nicht mehr in der Lage, sich selbst zu töten und nutzt somit die für ihn einzig mögliche Methode des Suicide by Cop. Darüber hinaus können auch finanzielle Motive diese Methode begünstigen, um beispielsweise den Angehörigen die Auszahlung einer Lebensversicherung zuzusichern, die im Fall eines klassischen Suizids nicht ausgezahlt werden würde.

Normen- und Werte bezogenen Motive

Hier spielen neben dem Scham- und Schuldmotiv Religiosität und Moral eine entscheidende Rolle. In vielen Kulturen gilt eine Selbsttötung als Tabu, sodass der Scham eines Selbstmordes nicht nur in der eigenen Moral verankert wird, sondern ebenso mit den Wertvorstellungen nahestehender Personen. Ob bei religiösen oder moralischen Motiven geht der Gedanke des Suizidenten dahingehend über, dass er sich im Falle eines Suicide by Cop als Opfer eines Mordes sieht, was wiederum mit der Religion oder der Moral vereinbar scheint.

Manipulative Motive

Einige Suizidenten wollen mit ihrem Handeln öffentliche Botschaften an eine bestimmte Person, an mehrere Personen oder auch an die Öffentlichkeit richten. Der Suizident versucht damit, die Verantwortung für seine Gefühle auf andere zu übertragen und möchte – oftmals auch nach der Tat – als Opfer, das unfreiwillig gestorben ist, dargestellt werden. Somit verfolgen sie das Ziel, die Öffentlichkeit von ihrem empfundenen Unrecht in Kenntnis zu setzen und einen sogenannten Märtyrerstatus auferlegt zu bekommen.

Sucht nach Aufmerksamkeit als Motiv

Im Gegensatz zu den manipulativen Motiven steht hier die Botschaft an die Öffentlichkeit im Hintergrund. Einige Suizidenten sind aufgrund einer Persönlichkeitsstörung davon überzeugt, dass es keinen „männlicheren“ Weg zum Sterben gibt, als von einem Polizeibeamten erschossen zu werden. In dieser Situation ist ein enormes Gewaltpotential gegen die Polizeibeamten zu erwarten, da auch hier mediale Aufmerksamkeit erzeugt werden möchte, um das für den Suizidenten glamourös erscheinende Ende aufzuzeigen.

Ambivalenz zwischen Leben und Tod

Das Provozieren einer Suicide by Cop-Situation wird hier zum Mittel der Entscheidung genutzt. Die Suizidenten überlassen einer anderen Person, ob sie weiterleben oder sterben wird. Es tritt der Anschein hervor, dass es dem potentiellen Suizidenten gleichgültig erscheint, wie diese Entscheidung ausgeht, da er davon ausgeht, dass ein vom Leben bedrohter Polizeibeamter eine qualifizierte Entscheidung dahingehend fällt.

Spontane Entscheidung

In den häufigsten Fällen der untersuchten Suicide by Cop-Situationen liegt kein konkretes und geplantes Motiv vor, sondern sie folgt aus einem spontanen Entschluss. Oftmals liegen keinerlei Anzeichen dafür vor, dass der Suizident sein Ableben überhaupt in Betracht gezogen hat. In der Regel resultieren diese Vorfälle aus dem Versuch einer Krisensituation (z.B. Trennungsabsicht, unerwartete Kündigungen, auftretende finanzielle Probleme) aus dem Weg zu gehen und das Ableben als Problemlösung nutzen.

Literatur / Quellen

  • Vivian B. Lord, Suicide by cop – inducing officers to shoot: practical direction for recognition, resolution and recovery, Looseleaf Law Publications, Inc., New York 2004
  • Dietmar Heubrock, Der polizeiliche Umgang mit suizidgefährdeten Personen und „suicide by cop“: Handlungs- und Verhandlungsvorschläge´´, Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt, 2009
  • Kris Mohandie & J.Reid Meloy, Hostage and Barricade Incidents Within an Officer-Involved Shooting Sample: Suicide by Cop, Intervention Efficacy, and Descriptive Characteristics, Journal of Police Crisis Negotiations, 10, 101-115, 2010
  • Claus Polndorfer, Der provozierte Suizid: Das Phänomen „Suicide by Cop“, Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt, 2015
  • W. Milch, Suizidversuch-Suizid, in: Studt, H.H. & Petzold, E.R. (Hrsg.), Psychotherapeutische Medizin: Psychoanalyse – Psychosomatik – Psychotherapie, Walter de Gruyter, Berlin, 1999
  • C.R. Van Zandt, Suicide by cop, The Police Chief, 60, 4-13, New York, 1993
  • H.Range Hutson, Deirdre Anglin, John Yarbrough, Kimberly Hardaway, Marie Russell, Jared Strote, Michael Canter, Bennett Blum, Suicide by Cop, Annals of Emergency Medicine, 32, 665-669, 1998
  • Lauren Dewey, Maureen Allwood, Joanna Fava, Elizabeth Arias, Anthony Pinizzotto, Louis Schlesinger, Suicide by Cop: Clinical Risks and Subtypes, Archives of Suicide Research, 17:4, 448-461, 2013
  • Brian F. Kingshott, Suicide by Proxy: Revisiting the Problem of Suicide by Cop, Journal of Police Crisis Negotiations, 9, 105-118, 2009
  • Vivian B. Lord, Police Response in Officer-Involved Violent Deaths: Comparison of Suicide by Cop and Non-Suicide by Cop Incidents, Police Quarterly, 17(I), 79-100

Weblinks