Drogenabhängigkeit

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Drogenabhängigkeit ist das Angewiesensein auf psychotrope Substanzen. Synonym wird in der Literatur und im allgemeinen Sprachgebrauch auch der Begriff der Drogensucht verwendet. Drogenabhängigkeit ist nicht gleichzusetzen mit dem Gebrauch und dem Missbrauch von Drogen.

Definitionen

WHO-Terminologie

Im Jahre 1964 definiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstmals Drogenabhängigkeit als einen „Zustand, der sich aus der wiederholten Einnahme einer Droge ergibt, wobei die Einnahme periodisch oder kontinuierlich erfolgen kann. Ihre Charakteristika variieren in Abhängigkeit von der benutzten Droge (...)“. Eine Trennung zwischen psychischer und körperlicher Abhängigkeit wird vorgenommen. Zudem erfolgt eine Einteilung in sieben Kategorien nach sieben Stoffgruppen - respektive deren Suchtpotenzial und psychotropen Wirkungsgrad: Opiate und Opiode (z.B. Heroin, Morphin), Barbiturate und Alkohol, Kokain, Cannabis, Amphetamine, Khat und Halluzinogene (z.B. LSD oder Tryptamine wie Psilocybin und Psilocin).

Diese Einteilung wird kritisiert, da nicht erklärt wird, warum es für "Cannabis" und "Halluzinogene" zwei getrennte Kategorien gibt, dass das nur regional bedeutsame Khat (bzw. das in der Betelnuss enthaltene Arecolin) als eigene Kategorie aufgenommen wird und die weltweit benutzten Drogen Nikotin und Koffein überhaupt nicht erwähnt werden.

ICD-10-Klassifikation

Nach der aktuellen Klassifikation der WHO (Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen 2010, S. 76-78) handelt es sich um ein Abhängigkeitssyndrom, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien für einen Monat gemeinsam vorgelegen haben oder innerhalb eines Jahres wiederholt bestanden haben: „1. Ein starkes Verlangen (Craving) oder eine Art Zwang, die Substanz zu konsumieren. 2. Verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch, d. h. über Beginn, Beendigung oder die Menge des Konsums … oder an dem anhaltenden Wunsch oder an erfolglosen Versuchen, den Substanzkonsum zu verringern oder zu kontrollieren. 3. Ein körperliches Entzugssyndrom … wenn die Substanz reduziert oder abgesetzt wird, mit den für die Substanz typischen Entzugssymptomen oder auch nachweisbar durch den Gebrauch derselben oder einer sehr ähnlichen Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden. 4. Toleranzentwicklung gegenüber den Wirkungen der Substanz. … 5. Einengung auf den Substanzgebrauch, deutlich an der Aufgabe oder Vernachlässigung anderer wichtiger Vergnügen oder Interessensbereiche wegen des Substanzgebrauchs; oder es wird viel Zeit darauf verwandt, die Substanz zu bekommen, zu konsumieren oder sich davon zu erholen. 6. Anhaltender Substanzgebrauch trotz eindeutig schädlicher Folgen … deutlich an dem fortgesetzten Gebrauch, obwohl der Betreffende sich über die Art und das Ausmaß des Schadens bewusst ist oder bewusst sein könnte.“

Es sind Codierungen hinsichtlich des Verlaufs möglich. Unterschieden wird zwischen einzelnen Substanzen (Alkohol, Opioide, Cannabinoide, Sedativa oder Hypnotika, Kokain, Stimulantien einschließlich Koffein, Halluzinogene, Tabak, flüchtige Lösungsmittel) und einem multiplen Konsum verschiedener psychotroper Substanzen.

DSM-IV-TR-Klassifikation

Nach der aktuellen Klassifikation der American Psychiatric Association (DSM-IV-TR 2003, S. 233-238) müssen mindestens drei der folgenden Kriterien innerhalb eines Jahres aufgetreten sein: 1. Eine Toleranzentwicklung, die durch das Verlangen nach Steigerung der Dosis (a) oder verminderte Wirkung nach Einnahme der Droge (b) gekennzeichnet ist. 2. Entzugssymptome, die sich in einem charakteristischen Entzugssyndrom der entsprechenden Substanz äußern (a) oder dieselbe Substanz wird zur Vermeidung oder Linderung von Entzugserscheinungen eingenommen (b). 3. Die Einnahme der Substanz erfolgt in größeren Mengen oder länger als beabsichtigt. 4. Es besteht ein dauerhafter Wunsch und es finden sich missglückte Versuche, den Substanzgebrauch zu reduzieren. 5. Es wird viel Zeit für die Beschaffung, den Konsum und die Erholung von den Wirkungen der Substanz aufgewendet. 6. Soziale, berufliche und Freizeitaktivitäten verringern sich zugunsten der Substanz. 7. Die Substanz wird trotz des Wissens darüber, dass physische oder psychische Störungen „wahrscheinlich“ durch diese hervorgerufen wurden, weiter eingenommen.

Angegeben werden kann, ob eine körperliche Abhängigkeit (Vorhandensein von Toleranzentwicklung oder Entzugserscheinungen) vorliegt oder nicht (kein Nachweis von Toleranzentwicklung oder Entzugserscheinungen). Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass nicht alle Drogen die Potenz für eine körperliche Abhängigkeit besitzen. Codierungen zum Verlauf sind möglich. Die Unterteilung erfolgt in 11 einzelne Substanzgruppen (Alkohol, Amphetamine oder ähnlich wirkende Sympathomimetika, Cannabis, Halluzinogene, Inhalantien, Koffein, Kokain, Nikotin, Opiate, Phencyclidine (PCP) oder ähnlich wirkende Arylcyclohexylamine, Sedativa, Hypnotika oder Anxiolytika) und Störungen durch multiple Substanzeinnahme (Polytoxikomanie, Störungen im Zusammenhang mit anderen (oder unbekannten) Substanzen).

dazugehörige Begriffe

Unter psychischer Abhängigkeit versteht man ein stark ausgeprägtes, unwiderstehliches Verlangen, sich eine bestimmte Substanz zuzuführen. Bei Nichteinnahme der Substanz treten innere Unruhe, depressive Verstimmungen, Angst und andere psychische Symptome auf. Durch regelmäßigen Gebrauch einer psychotropen Substanz werden die „Belohnungssysteme“ im Gehirn aktiviert. Es wird z. B. vermehrt der Botenstoff Dopamin in der Gehirnregion des Nucleus Accumbens freigesetzt, was als Belohnung empfunden wird. Fällt die psychotrope Substanz weg, ist das Gehirn nicht mehr in der Lage, dies regulierend auszugleichen. Es entsteht ein Verlangen nach der Substanz.

Unter physischer Abhängigkeit versteht man das Auftreten von körperlichen Entzugserscheinungen, die je nach eingenommener psychotroper Substanz verschieden ausgeprägt sind. Die körperlichen Störungen veranlassen zwingend zum erneuten Konsum derselben.

Toleranzentwicklung bedeutet die Zufuhr einer immer größer werdenden Menge einer Substanz, um die gleichen Effekte zu erzeugen. Diese entsteht durch Adaptationsvorgänge im Körper. Durch längere Zufuhr der Substanz kommt es zu Enzyminduktionen in den abbauenden Organsystemen, die zu einem rascheren Abbau der Substanz im Körper führen.

Der Missbrauch von Drogen beinhaltet eine über das allgemeine übliche Maß des Gebrauches hinausgehende Einnahme derselben, sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht. Die psychotrope Substanz wird trotz sozialer Probleme, die aufgrund der Einnahme dieser auftreten, weiter eingenommen.

Etymologie

Die Entstehung des Begriffes der Drogenabhängigkeit ist mit dem der Sucht verbunden. Das Wort Sucht leitet sich vom germanischen Adjektiv „siech“ (krank) und dem Verb „siechen“ (krank sein) ab. Bis zum 16. Jahrhundert ist Sucht der Begriff für Krankheit. Danach wird dieser fast völlig durch den Begriff der Krankheit verdrängt. Im 19. Jahrhundert erfährt der Suchtbegriff einen Bedeutungswandel. Die bis dahin als Unsitte oder Leidenschaft eingestufte Trunksucht wird erforscht und es wird versucht, diese zu behandeln. Benjamin Rush, ein Mediziner, verwendet 1884 die Begriffe der „Krankheit des Willens“, um damit den Zustand des Unvermögens auf alkoholische Getränke verzichten zu können, zu beschreiben. Die Schuld für den Alkoholkonsum sieht er, traditionell bedingt, sowohl beim Trinkenden, dem Sünder, als auch bei der Substanz. Im Jahre 1819 findet der Begriff der Trunksucht Eingang in die medizinische Fachterminologie. Konstantin von Brühl-Cramer, ein Arzt, erklärte Symptome, wie Kontrollverlust, Entzugserscheinungen beim Absetzen der Substanz und Toleranzentwicklung. Seiner Definition folgend wird damit dem Konsumierenden die Schuld für das fortgeführte Trinken entzogen und völlig auf die Seite der Droge hin verschoben. Mit der Identifizierung weiterer psychoaktiver Substanzen und Wirkstoffe in den nachfolgenden Jahren wird das Modell der Trunksucht auch auf diese Substanzen übertragen und damit verallgemeinert. Durch Friedrich Wilhelm Sertürner wird 1804 die Nekronsäure entdeckt, aus der er Morphin extrahiert. Im Jahre 1873 wird erstmals der Begriff der Morphinsucht durch Eduard Lewinstein, einem Arzt, verwendet. Einige Jahre später benennt Albert Erlenmayer, ein Psychiater, das Kokain als „dritte Geißel der Menschheit“. Zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wird der Begriff der Rauschgiftsucht verwendet, um die Abhängigkeit von Substanzen zu beschreiben.

Nach dem zweiten Weltkrieg wird von der WHO die ICD (International Statistical Classifikation of Disease, Injuries and Causes of Death) erarbeitet. Diese gilt ab 1968 verbindlich für die Bundesrepublik Deutschland. Sie wird nachfolgend mehrfach revidiert. Im Jahre 1989 findet die 10. Revisionskonferenz statt, deren Ergebnisse 1991 zunächst in englischer Originalsprache und im gleichen Jahr in deutscher Sprache publiziert werden. Die WHO definiert 1952 Sucht als einen „Zustand periodischer oder chronischer Intoxikationen, die für das Individuum und für die Gesellschaft schädlich ist und hervorgerufen wird durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge“. Für das Vorliegen der Sucht gelten „überwältigendes“ Verlangen, Dosissteigerung, psychische und physische Abhängigkeit sowie „zerstörerische Wirkung auf das Individuum und die Gesellschaft“ als charakteristisch. Kritisiert wird, dass sich diese Definition mehr an den Opiaten orientiert und auf viele Substanzen nicht einfach übertragbar ist. Im Jahre 1957 führt die WHO deswegen zusätzlich den Begriff „Gewöhnung“ (Habituation) ein. Auch dies erweist sich als nicht ausreichend. Im Jahre 1964 verzichtet die WHO gänzlich auf einen einheitlichen Suchtbegriff.

Unabhängig von der WHO bringt die American Psychiatric Association (APA) das DSM (Diagnostic und Statistical Manual) heraus, das erstmals 1952 veröffentlicht wird und seitdem mehrfach Revisionen erfahren hat. Im Jahre 1994 erscheint die 4. Fassung (DSM-IV), im Jahre 2000 werden die "Diagnostic Criteria from DSM-IV-TR" in englischer Originalsprache veröffentlicht.

Abhängigkeit versus Sucht

Nach Sebastian Scheerer (Sucht 1995, S. 29-34) ) ist Abhängigkeit nicht mit Sucht gleichzusetzen. So ist der Menschen von verschiedenen Sachen wie Atmen und Essen abhängig, ohne dass dies als süchtig zu bezeichnen wäre. Während Abhängigkeit Graduierungen unterliegt, ist Sucht eine extreme Ausprägung. Sucht ist im Gegensatz zur Abhängigkeit schon primär etwas negatives. Während Abhängigkeit ein Angewiesen sein auf andere Personen, Dinge oder Umstände bedeutet, ist süchtig sein, dass sich Ausliefern an jemanden oder bestimmte Umstände unter Inkaufnahme daraus entstehender beträchtlicher Nachteile für die eigene Person. Während Abhängige nicht zwangsläufig krank sein müssen, sind Süchtige dies grundsätzlich.

Theorien der Entstehung

Bei der Drogenabhängigkeit handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen, bei dem einzelne Faktoren miteinander interagieren. Zur Erklärung der Entstehung wurden Modelle entwickelt, die initial nur für die Erklärung des Alkoholismus bestimmt waren und später verallgemeinert wurden. Drogenabhängigkeit hängt demnach von drei Faktoren ab, der spezifischen Wirkung der Droge (z.B. Verfügbarkeit, Angebot, Dosierung, Applikationsform), den spezifischen Eigenschaften der die Droge einnehmenden Person (z.B. Ich-Stärke, genetische Faktoren, erlerntes Fehlverhalten) und dem sozialen Umfeld mit den jeweiligen Besonderheiten (z.B. Erziehungssituation, familiäre Vorbilder, Werteorientierung, Konfliktsituationen).

Psychodynamische Theorien gehen von einer gestörten Entwicklung der Persönlichkeit aus. Die Abhängigkeit von einer Substanz bedeutet einerseits Befriedigung, andererseits Befreiung von psychischen Schmerzen, Trauma und Angst. Dem „triebpsychologischen Ansatz“ folgend, kann die Droge kann Liebesersatz oder Liebesobjekt sein. Beim „Ich-psychologische Ansatz“ liegt eine Störung des Ichs oder der Ich-Identität vor. Beim „Objekt-psychologischen Ansatz“ stehen selbstzerstörerische und masochistische Mechanismen im Vordergrund.

Lerntheoretische Modelle beruhen darauf, dass ein bestimmtes Verhalten durch einen Lernprozess angeeignet werden kann. Positive Sanktionen, wie Anerkennung in einer Gruppe, können für den Drogenkonsum begünstigend sein. Ängste und Stress können durch Drogeneinnahme reduziert werden. Es tritt eine Verstärkerwirkung im Sinne des operanten Lernens ein. Der fortgesetzte Drogenkonsum kann zur Vermeidung negativer Verstärker wie einer Entzugssymptomatik werden.

Zu den Soziologischen Theorien gehört die Anomietheorie, der folgend gesellschaftlich anerkannte Werte und Ziele nicht für alle mit legalen Mitteln zu erreichen sind. Infolgedessen werden diese abgelehnt, es folgt der Rückgriff auf die Droge. Ausgehend vom Labeling Approach ist der Drogenkonsument aufgrund gesellschaftlicher Zuschreibungsprozesse etikettiert. Er passt sich dieser Zuschreibung an und übernimmt die damit einhergehenden ihm ebenso zugeschriebenen Verhaltensweisen.

Biologische Theorien gehen von einer genetisch bedingten Entstehung der Abhängigkeit aus. Im Ergebnis von Adoptivstudien zur Alkoholabhängigkeit, die in den 70er und 80er Jahren druchgeführt wurden, zeigte sich dass die Alkoholismusrate bei Kindern alkoholkranker Eltern um ein Vierfaches erhöht war. Entsprechendes Ergebnis erbrachten auch Untersuchungen an Zwillingen. Kritisiert wurden in diesem Zusammenhang methodische Probleme, wie die diagnostischen Kriterien für Sucht, Abhängigkeit und Alkoholismus. Norm- und molekularbiologischerseits existieren verschiedene Hypothesen. So führen Alkohol, Kokain und Opiate im mesolimbischen System zu einer erhöhten Dopaminausschüttung. Dieses ist auf der verhaltensbiologischen Ebene mit Funktionen wie Triebregungen und Sexualität verknüpft. Der Alkaloidhypothese folgend kann sich Alkohol mit Noradrenalin und Dopamin zu morphinähnlichen Substanzen formieren. Diese sollen für die Herausbildung einer Sucht mitverantwortlich sein, was jedoch bisher nicht ausreichend belegt werden konnte. Diskutiert werden zudem Veränderungen des GABA-Rezeptors als möglichen Vulnerabilitätsfaktor hinsichtlich der Entstehung für Alkoholismus.

Persönlichkeitstheorien besagen, dass sich nach psychologischen bzw. psychiatrischen Gesichtspunkten kein einheitlicher Persönlichkeitstyp objektivieren lässt. Anhand von Analysen konnten jedoch Persönlichkeitsmerkmale identifiziert werden, die prädisponierend für die Herausbildung einer späteren Abhängigkeit sind. Dazu gehören eine Neigung zu impulsiven Handlungen, eine verminderte Frustrationstoleranz, ein erhöhter Reizhunger und Stimmungslabilität.

Konstruktivistische Ansätze gehen davon aus, dass Drogenabhängigkeit nichts anderes ist, als das, was als solches definiert wird. Drogenabhängigkeit ist demnach nicht in der Wirklichkeit zu beobachten, sondern es werden damit bestimmte Verhaltensweisen erklärt. Um welches Verhalten es dann geht, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum Einen, wofür die Erklärung verwendet werden soll, zum Anderen auch davon, wer über den entsprechenden Einfluss verfügt, seine Definition durchzusetzen.

Gesundheitliche Risiken

Psychotrope Substanzen können bei chronischem Missbrauch zu körperlichen und psychischen Gesundheitsstörungen führen. Bei einer ausgeprägten Abhängigkeit, insbesondere bei Opiaten und Alkohol, kann es zu einer Veränderung der Persönlichkeit (Depravation) kommen, die durch eine Nivellierung des Persönlichkeitsgefüges gekennzeichnet ist. Im Zusammenhang mit Cannabinoiden wird auf ein amotivales Syndrom verwiesen, das durch eine nachlassende Leistungsbereitschaft gekennzeichnet ist. Körperliche Folgeschäden bei Opiatabhängigen finden sich in Form eines Zahnverfalls, nekrotisierender Rhinitiden, Infektionen (Hepatitiden, HIV) durch den Gebrauch unsauberer Injektionsnadeln und einer sekundären Amenorrhoe bei Frauen. Beim Opiatentzug können schwere Kreislaufstörungen, die einer intensivmedizinischen Überwachung bedürfen, auftreten sowie hirnorganisch bedingte Krampfanfälle ausgelöst werden. Überdosierungen von Substanzen, insbesondere auch Kokain, können lebensbedrohliche Zustände hervorrufen. Delirante Zustandsbilder, wie sie im Zusammenhang mit dem Entzug von Alkohol beobachtet werden, sind auch im Zusammenhang mit Kokain beschrieben. Abhängigkeiten von Inhalantien, wie organischen Lösungsmitteln, können zu neurologischen Störungen, wie einer Polyneuropathie und Organschäden, z.B. die Nieren betreffend, führen. Durch die chronische Einnahme psychoaktiver Substanzen, wie insbesondere Opioide, Cannabinoide und Halluzinogene, können psychotische Zustandsbilder ausgelöst werden. Die gesundheitlichen Risikofaktoren einer Tabakabhängigkeit umfassen neben bösartigen Neubildungen, wie Karzinomen der Lunge und des Kehlkopfes, arteriosklerotische Veränderungen, die sekundär zum Auftreten von Herz- und Hirninfarkten führen können. Zudem treten andere Lungenerkrankungen, wie die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) auf.

Therapeutische Angebote

Die Therapie der Drogenabhängigkeit gliedert sich in vier Phasen, angestrebtes Ziel ist immer Abstinenz. Die Phasen greifen ineinander, sie müssen nicht zwangsläufig nacheinander ablaufen.

Die Kontakt- und Motivationsphase beinhaltet, dass Betreffende zu einer Therapie motiviert und über zur Verfügung stehende Behandlungsmöglichkeiten informiert werden. Dies kann ambulant über Drogenberatungsstellen, Ärzte, sozialpsychiatrische Dienste und Selbsthilfegruppen, auch bei stationär klinischen Aufenthalten erfolgen.

Die Entgiftungsphase, die häufig mit der Motivationsphase zusammenfällt, ist Voraussetzung dafür, dass Betreffende wieder in die Lage versetzt werden, die Folgen der chronischen Einnahme einer psychotropen Substanz kritisch zu hinterfragen, somit wird eine Grundlage für die Veränderung der Motivation geschaffen. Sie erfolgt unter stationär psychiatrischen Bedingungen. So findet sich zu Beginn ein ausgeprägtes Verlangen nach der psychotropen Substanz (Craving), Impulshandlungen, wie eine erneute Einnahme derselben, können damit abgewendet werden. Die Entgiftung geht, je nach psychotroper Substanz, mit einer mehr oder weniger starken körperlichen Entzugssymptomatik einher, die gegebenfalls einer medikamentösen Behandlung bedarf. Zur Entgiftung gehört neben der Diagnostik komorbider Erkrankungen, ein psychoedukatives Therapieangebot in Form von Gruppen- und Einzelgesprächen, sowie weitere Therapien, wie beispielsweise Ergo-, Sport- und Entspannungstherapie.

Die Entwöhnungsphase findet in einer Fachklinik statt. Die Betreffenden sollen Erlernen, ohne die psychotrope Substanz zu leben. Dazu gehört neben Maßnahmen zur Steigerung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, die Nachreifung der Persönlichkeit und die Sozialisation. Jede Fachklinik verfügt über ein eigenes Therapiekonzept, in dem die Behandlungsziele, Prinzipien der therapeutischen Behandlung und allgemeine Regeln, den Ablauf in der Einrichtung und den Umgang miteinander betreffend, festgelegt sind. Tagesstrukturierende Maßnahmen, d.h. die einzelnen therapeutischen Aktivitäten, sind in einem Wochenplan festgehalten. Zu diesen therapeutischen Aktivitäten gehören u.a. Gruppen- und Einzelgespräche, Ergotherapie, Sport, Physiotherapie, weiterbildende Maßnahmen, die Allgemeinbildung oder den Schulunterricht betreffend, soziale Trainingsmaßnahmen und die sinnvolle Gestaltung der Freizeit. In der Einzel- und Gruppentherapie kommen psychotherapeutische, wie beispielsweise die Verhaltenstherapie zur Anwendung.

Aufgabe in der Nachsorgephase, auch Rückfallprophylaxe genannt, ist es, eine langfristige Abstinenzerhaltung zu gewährleisten. Sie beinhaltet die ambulante Betreuung in Suchtberatungsstellen und Selbsthilfegruppen, wie beispielsweise den Anonymen Alkoholikern. Dazu gehört auch die weitere Förderung der sozialen Integration, wie ggf. die Organisation eines geschützten Arbeitsplatzes oder die Organisation einer betreuten Wohnform. Bei ärztlichen Nachuntersuchungen werden Gespräche geführt, auftretende rückfallgefährdende Situationen und Probleme erfasst und Hilfestellungen bei der Lösung dieser gegeben. Zudem erfolgen Laborkontrollen, wie beispielsweise ein Drogenscreening im Urin.

Eine medikamentöse Behandlung spielt im Rahmen der Entgiftungsbehandlung und bei zusätzlichen auftretenden psychischen Störungen, wie z.B. depressiven und Angststörungen, eine Rolle. Bei einer Alkoholabhängigkeit besteht die Möglichkeit, zur Erhaltung der Abstinenz unterstützend medikamentös einzuwirken (Disulfiram, Naltrexon, Acamprosat). Bei Opiatabhängigkeit werden, wenn Versuche, durch eine Langzeittherapie abstinent zu leben, erfolglos sind, ambulant Substitutionsprogramme wie die Behandlung mit Methadon und Polamidon angeboten. Deren Anwendung wird durch die „Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“, die 1991 vom Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen herausgegeben wurde, geregelt (Nedopil 2000). Vorteile der Substitutionsbehandlung sind, dass die Abhängigen keine Probleme mehr mit Entzugssymptomen und mit der Beschaffung der (illegalen) Droge haben, zudem „saubere“ Drogen erhalten. Kritisch zu betrachten sind die diesbezüglichen theoretischen Grundlagen, wie die Vergabe vor dem Hintergrund der Prohibition, ein Beikonsum anderer Drogen und die teilweise Verwendung des mitgegebenen Substitutionsmittels, um dieses illegal zu verkaufen.

Literatur

  • Michael Soyka: Störungen durch Alkohol. In: Hans-Jürgen Möller, Gerd Laux, Hans-Peter Kapfhammer (Hrsg.) Psychiatrie und Psychotherapie, 3. Auflage, Band 2, Springer, Heidelberg 2008, S. 143-86
  • Michael Soyka: Drogen- und Medikamentenabhängigkeit. In: Hans-Jürgen Möller, Gerd Laux, Hans-Peter Kapfhammer (Hrsg.) Psychiatrie und Psychotherapie, 3. Auflage, Band 2, Springer, Heidelberg 2008, S. 187-241
  • Anil Batra, Gerhard Buchkremer: Tabakabhängigkeit. In: Hans-Jürgen Möller, Gerd Laux, Hans-Peter Kapfhammer (Hrsg.) Psychiatrie und Psychotherapie, 3. Auflage, Band 2, Springer, Heidelberg 2008, S. 243-50
  • Dieter Dölling, Christian Laue: Drogendelinquenz. In: Hans-Ludwig Kröber, Dieter Dölling, Norbert Leygraf, Henning Saß (Hrsg.) Handbuch der Forensischen Psychiatrie. Kriminologie und Forensische Psychiatrie. Band 4. Steinkopff, Heidelberg 2009, S. 497-577
  • Norbert Nedopil: Forensische Psychiatrie. Klinik, Begutachtung und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht. 3. Auflage. Thieme, Stuttgart, New York 2007, S.112-42
  • Sebastian Scheerer: Special: Sucht. Rowohlt, Reinbek 1995
  • Detlef Briesen: Drogenkonsum und Drogenpolitik in Deutschland und den USA. Ein historischer Vergleich. Campus, Frankfurt/Main 2005
  • Henning Schmidt-Semisch: Geschichte, Wirrwarr und inflationäre Verwendung des Suchtbegriffs. In: Horst Bossong, Jörg Gölz, Heino Stöver (Hrsg.) Leitfaden Drogentherapie. Campus, Frankfurt, New York 1997, S. 34-55
  • Sigrid Schuler: Drogenmissbrauch bei Jugendlichen. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 1997
  • Michael Schabbach: Soziale Konstruktionen des Drogenkonsums und soziale Arbeit. Historische Dimensionen und aktuelle Entwicklungen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, S. 55-62
  • Sebastian Scheerer, Irmgard Vogt: Drogen und Drogenpolitik. Ein Handbuch. Campus, Frankfurt, New York 1989
  • Petra Netter: Psychobiologische Aspekte der Sucht. In: Bernulf Kanitscheider: Drogenkonsum bekämpfen oder freigeben? S. Hirzel Verlag, Stuttgart, Leipzig 2000, S. 75-91
  • Michael Krausz, Volker Dittmann: Störungen durch psychotrope Substanzen. In: Harald Freyberger, Rolf-Dieter Stieglitz (Hrsg.): Kompendium der Psychiatrie und Psychotherapie, Karger; Basel, Freiburg, Paris, London, New York, New Delhi, Singapore,Tokio, Sydney 1996, S. 86-111
  • Wilhelm Feuerlein: Alkoholismus-Mißbrauch und Abhängigkeit. 3. Auflage. Thieme, Stuttgart, New York 1984
  • World Health Organization: WHO-Expert Committee on dependence-producing drugs. WHO techn. Rep. Ser. Nr. 312. WHO, Genf 1965
  • Horst Dilling, Harald J. Freyberger: Weltgesundheitsorganisation. Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. 5. Auflage. Huber, Bern 2010, S. 61-89
  • Henning Saß, Hans-Ulrich Wittchen, Michael Zaudig, Isabel Houben: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen – Textrevision- DSM-IV-TR. Hogrefe, Göttingen, Bern, Toronto, Seattle 2003: S. 231-341

Weblinks