Prisonisierung

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Als Prisonisierung wird die Anpassung des Gefangenen an verschiedene Aspekte der Gefängniskultur und die stärkere oder schwächere Übernahme ihrer Gebräuche, Sitten und Gewohnheiten zur Bewältigung der mit der Inhaftierung einhergehenden negativen Erfahrungen verstanden.

Allgemeines

Etymologie

Der Begriff Prisonisierung [ˌprɪ:sonɪˈsɪ:rʊŋ] ist ein eingedeutschtes Nomen und leitet sich von dem Begriff "prisonization" [ˌprɪzn̩aɪˈzeɪʃn] (engl.)[1] ab, den der US- amerikanische Gefängnissoziologe und -direktor Donald Clemmer erstmals 1940 im Rahmen der Gefängnisforschung in die wissenschaftliche Diskussion einbrachte. Er besteht aus den Wortteilen prison (= Gefängnis); aus dem Altfranzösisch prisoun (unter Einfluss von pris, älter preson, aus dem Lateinischen[2] prensionem: weggenommen, verhaftet) und der Endung "-ization" (= Prozess der Werdung bzw. der Hinwendung). Die Verdeutschung entspricht der Internationalisierung der wissenschaftlichen Sprache, auf gleiche Weise übernahm auch der Mathematiker, Soziologe und Politologe Johan Galtung[3] den Begriff und übertrug ihn in die norwegische Sprache[4] (Harbordt: 1972, 84).

Definition

Als Prisonisierung wird die Anpassung des Gefangenen an verschiedene Aspekte der Gefängniskultur und die stärkere oder schwächere Übernahme ihrer Gebräuche, Sitten und Gewohnheiten zur Bewältigung der mit der Inhaftierung einhergehenden negativen Erfahrungen verstanden (Clemmer: 1958, 299). Prisonisierung wird meist mit einem negativen Haftverlauf in Verbindung gebracht. Es wird davon ausgegangen, dass sie zu einem feindseligen Klima zwischen Inhaftierten und dem Anstaltspersonal führt und somit die vom Strafvollzug angestrebte Resozialisierung erschwert (Özsöz: 2010, 144).

Begriffliche Abgrenzung

Lange Haftstrafen beinhalten regelmäßig die Gefahr negativer Auswirkungen auf den Inhaftierten. Diese werden meist mit den Begriffen Prisonisierung, Institutionalisierung und Hospitalisierung zusammengefasst. Dabei weisen die dargestellten Effekte und theoretischen Konzepte verschiedene Überschneidungspunkte auf. So erfolgt häufig eine uneinheitliche Verwendung dieser Termini. Das wissenschaftliche Schrifttum neigt, soweit ersichtlich, dazu, als Prisonisierung die Internalisierung von subkulturellen Normen und Wertvorstellungen der Insassenkultur zu assoziieren. Prozesse der Angleichung an den formellen Anstaltsbetrieb werden neueren Darstellungen zufolge auch als Institutionalisierung bezeichnet. Hospitalisierung beschreibt dagegen Abläufe, die maßgeblich durch affektive und sensorische Deprivation[5] in Gang gesetzt werden (Schramke: 1996, 252 f.).

Gegenstand

Entstehungszusammenhang

Der Beginn der Prisonisierungsforschung geht auf die Arbeit "Socialization in Prison" des US-amerikanischen Soziologen Hans Reimer zurück (Reimer: 1937). Er beschrieb eine Insassenkultur, die er mit ausdrucksstarken Bezeichnungen klassifizierte. Dabei wurden kreative Typenbezeichnungen gewählt, so der „Gorilla“ oder „richtige Männer“. Mit „Gorilla“ bezeichnete Reimer Personen, die sich mittels Gewalt im [Gefängnis] durchsetzen. Unter „richtigen Männern“ wurden solche verstanden, die sich solidarisch zu ihren Mithäftlingen verhalten. Ausgehend von diesen Überlegungen entstanden in der Gefängnisforschung mehrere Klassifizierungen von Inhaftierten. Es entwickelten sich ernsthaftere theoretische Ansätze, um die Entstehung der [Gefängnissubkultur|Insassensubkultur] sowie oppositionellen Einstellungen und entsprechenden Aktivitäten von Inhaftierten zu erklären. Diese führten zu den Arbeiten der US-amerikanischen Kriminologen und Soziologen Gresham M. Sykes (1958) und Richard A. Cloward (1975), die Bedingungen und Ausprägungen der [[Gefängnissubkultur|Insassenkultur] sowie die spezifischen Anpassungsmuster der Inhaftierten an die Haftbedingungen zum Gegenstand hatten. Clemmer und der US-amerikanische Jurist und Soziologe Stanton Wheeler untersuchten Anpassungsprozesse, denen sich eine Person im Falle der Inhaftierung ausgesetzt sieht.

Der Prisonisierungsprozess

Die allmähliche Anpassung des Inhaftierten an subkulturelle Werte und Normen der Gefängnisgesellschaft wird nach Clemmer von einem Großteil der Gefangenen durchlaufen. Zwar verlaufe dieser Vorgang in unterschiedlicher Ausprägung, jedoch wird davon ausgegangen, dass die mit der Inhaftierung einhergehende Deprivation nur dem Inhaftierten die Möglichkeit von Vergünstigungen und Lebenserleichterungen lässt, der die subkulturellen Regeln beherrscht und sie befolgt. Prisonisierung sei somit ein Prozess, der in der Übernahme von Bräuchen, Sitten und der allgemeinen Kultur des Gefängnisses besteht. Dabei erstrecke sich der so verwendete Begriff der Gefängniskultur auf die formelle und informelle soziale Organisation der Anstalt, also auf Inhaftierte und Gefängnispersonal. So erleben Gefangene aufgrund der Inhaftierung einen massiven Statuswandel und verlieren als Individuum Bedeutung und Anerkennung. Selbst wenn der Betroffene sich weitgehend von anderen Inhaftierten entferne, erlerne er doch binnen kurzer Zeit die Wortwahl und intramurale Sitten, die den Umgang mit anderen Gefangenen prägen.

Einen noch bedeutsameren Punkt im Rahmen des Prisonisierungsprozesses stelle die sich nach wenigen Wochen oder Monaten entwickelnde Anspruchshaltung gegenüber der Institution dar. So schulde diese dem Inhaftierten die Versorgung mit Essentialien wie Kleidung, Nahrung und Arbeit. Auch wenn gravierende Anpassungsprozesse nicht bei jedem Betroffenen festzustellen seien, würden die "universal factors of prisonization" dennoch für alle Inhaftierten gelten. Als förderliche Momente für einen hohen Prisonisierungsgrad sieht Clemmer eine lange Haftstrafe, eine instabile Persönlichkeit, den Mangel an sozialen Außenkontakten, die blinde Akzeptanz der Normen und Sitten der Insassenwelt, die Bereitschaft und Fähigkeit zu einem intensiven Kontakt zu Gruppen und Personen mit ähnlichen Einstellungen sowie die Bereitschaft zur Teilnahme an Glücksspielen und abnormen sexuellen Praktiken. Dabei wird von einem fortschreitenden Prisonisierungsprozess mit zunehmender Verbüßungsdauer ausgegangen (Clemmer: 1958, 299 ff., siehe hierzu auch Kaiser u.a.: 1993, 402 f.).

Nach der Untersuchung von Wheeler vollzieht sich dieser mehr oder minder stattfindende Anpassungsprozess hingegen in Form einer U-Kurve. So stimme ein Inhaftierter zu Beginn und zum Ende seiner Inhaftierung mit den außerhalb der Anstalt herrschenden allgemeingesellschaftlichen Werten und Normen überein, während mit größerem Abstand zu den genannten Zeitpunkten diese Konformität sinke (Wheeler: 1961, 702, 706f.). Dieser Umstand wird von dem deutschen Juristen Hans-Christoph Hoppensack[6] damit erklärt, dass der Inhaftierte in der Mitte der Haftzeit am stärksten von der "Außenwelt" abgeschnitten und auf das Überleben in der "Anstaltswelt" angewiesen sei (Hoppensack: 1969, 156). Erreiche der Inhaftierte zudem bis zu seiner Entlassung nicht mehr das zuvor gezeigte Maß an Normkonformität, könne von einem Prisonisierungsschaden gesprochen werden (Kaiser/Schöch: 2003, § 13 Rn. 13ff.). Darüber hinaus wird der Einfluss des Alters auf den dargestellten Prozess diskutiert. So wird eine gewisse Resistenz namentlich älterer Erstverbüßer gegenüber der Sozialisation in die Gefängnissubkultur festgestellt (Rubenstein: 1984, 155). Der ältere Inhaftierte gleiche den zunächst geringeren Prisonisierungsgrad mit zunehmender Haftzeit jedoch aus (Alpert: 1979, 168 f.). Im Gegensatz zu Clemmer betrachtet Wheeler nur das Erlernen und die Verinnerlichung der Insassenkultur, während die Angleichung an den formellen Anstaltsbetrieb ausgeblendet wurde. Dieser Prozess wurde sodann als Institutionalisierung bezeichnet (Harbordt: 1972, 85), wodurch er in modifizierter Form auch auf andere Institutionen anwendbar wurde (Schramke: 1996, 254).

Prisonisierungstheorien

Die Deprivationstheorie

In der funktionalistischen Forschung haben sich zwei maßgebliche Theorierichtungen herausgebildet. Die erste entstand im Rahmen der Arbeiten "The Society of Captives" von Sykes (1958) und den "Theoretical Studies in Social Organization of the Prison" von Cloward (1960; ders. u.a. 1975). Nach der Deprivationstheorie von Sykes, die auch als Spezialfall der Reaktanztheorie[7] des US- amerikanischen Psychologen Jack W. Brehm (1966) betrachtet werden kann, sind die unabhängigen Variablen der Prisonisierung durch Anstalt und Inhaftierung bedingt. In der Folge seien die abhängigen Variablen "Feindseligkeit" und Opposition" auch Resultat der Anstalt selbst. Sykes nennt in seiner Theorie fünf unabhängige Variablen der Prisonisierung, die er als "pains of imprisonment" bezeichnet, namentlich den Verlust der Freiheit, den Entzug materieller und immaterieller Güter, den Entzug heterosexueller Beziehungen, den Mangel an Sicherheit vor kriminellen Mithäftlingen sowie die Beschränkung der Autonomie (Ortmann: 1992, 409, 442).

Die kulturelle Übertragungstheorie

Eine zweite Theorierichtung geht aus der Arbeit der US- amerikanischen Soziologen John K. Irwin[8] und Donald R. Cressey hervor, die der vorgenannten Theorie widerspricht. Nach der von letzteren entwickelten kulturellen Übertragungstheorie fänden sich in einer Anstalt genau diejenigen Einstellungs- und Verhaltensmuster, die auch außerhalb einer Anstalt in Form von Normen und Maximen der Kultur der Unterschicht im Allgemeinen und der "kriminellen Kultur“ im Besonderen existierten. Die Insassenkultur sei demnach importiert. Es fänden sich in Gefängnissen drei Subkulturen, die "Subkultur der Diebe", die "Subkultur der Gefangenen" und die "Legitime Subkultur". Dabei verfolge die "Subkultur der Diebe" zentrale Werte der "hardcore"- Unterschicht, nämlich Loyalität innerhalb der Gruppe, Standfestigkeit und Autonomie. Diese würden durch den "antisozialen Insassen" des "right guy" präsentiert. Der zentrale Wert der "Subkultur der Gefangenen" sei hingegen die "Nützlichkeit", wobei deren Mitglieder ihr Lebenszentrum im Gefängnis hätten und die manipulativsten Menschen am erfolgreichsten seien. Die dritte Gruppe der "Legitimen Subkultur" gliedere sich in keine der vorbenannten Gruppen ein und bereite der Anstalt keine Probleme (Irwin/Cressey: 1962, 142 ff.).

Kritik

Eine empirische Prüfung der dargestellten Theorien gestaltet sich nicht zuletzt deshalb schwierig, da sie komplexe Variablenbeziehungen darstellen, die aufwendige Untersuchungen verlangen. Auch bleiben wichtige Fragen offen. So erläutert Sykes nicht, warum Deprivation[9] zur Entwicklung "illegitimer Normen" führen soll. Bei Irwin und Cressey bleiben die Aussagen zur Entstehung der "Subkultur der Gefangenen" in Teilen unklar. Den Ausführungen wird entgegen gehalten, dass das Leben in der Unterschicht mit dem Leben von Inhaftierten funktionale Äquivalenzen aufweist, die zu vergleichbaren Reaktionsmustern führen. Daher sei die Darstellung einer erst bei Inhaftierung entstehenden Subkultur anzuzweifeln (Kaiser u.a.: 1993, 404).

Neuere empirische Untersuchungen

“Alte Menschen im Strafvollzug“

Obgleich die theoretischen Hauptrichtungen der Prisonisierungsforschung ihren Höhepunkt mit den Arbeiten von Sykes und Cloward um das Jahr 1960 erreichten (Kaiser u.a.: 1993, 402), beschäftigen sich auch weiterhin Forscher mit den ihnen zugrunde liegenden Konzepten. Der deutsche Jurist und Kriminologe Hein-Jürgen Schramke untersuchte 1996 die Prisonisierungseffekte bei älteren Insassen. Dabei war die Übernahme und Verinnerlichung subkultureller Normen und Werthaltungen auch bei vollzugserfahrenen älteren Inhaftierten feststellbar. Häufig ließ sich jedoch bei den Untersuchten nach einer Phase intensiver subkultureller Partizipation im frühen und mittleren Erwachsenenalter ein gewisses Maß an Distanz und Disengagement im höheren Alter beobachten. Zu unterscheiden sei diese Entwicklung von dem von Wheeler beschriebenen Phänomen des u-förmigen Verlaufs konformer Einstellungen während der Haftzeit. Seien dort unterschiedliche Haftphasen entscheidend, misst Schramke der Lebensphase eine maßgebliche Bedeutung bei. So war die subkulturelle Partizipation während früherer Inhaftierungen am intensivsten, während bei den Haftstrafen im fortgeschrittenen Alter Rückzugstendenzen und eine Distanzierung von subkulturellen Standards erkennbar wurde (Schramke: 1996, 258).

“Rechtsextremistische Gewalttäter im Jugendstrafvollzug“

Der Psychologe Figen Özsöz untersuchte den Einfluss der in Deutschland vollzogenen Jugendhaft auf rechtsextremistische[10] Orientierungsmuster. Dabei wurden rechtsextreme Inhaftierte mit Jugendlichen verglichen, die eine entsprechende Einstellung nicht aufwiesen. In diesem Rahmen wurde auch der Grad der Prisonisierung beider Gefangenengruppen untersucht. Nach Özsöz zeigen rechtsextremistisch orientierte Jugendliche im Verlauf der Inhaftierung eine zunehmende Bereitschaft, die Verantwortung für ihre Straftaten zu übernehmen. Dabei lasse der globale Prisonisierungswert insgesamt auf eine abnehmende Prisonisierung der rechtsextremistischen Jugendgefangenen im Inhaftierungsverlauf schließen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die spezielle Eigenart des Strafvollzugssystems der Persönlichkeitsstruktur und den Bedürfnissen von rechtsextremistisch orientierten Gefangenen eher entspricht und sie daher weniger negativ auf die Inhaftierung reagieren. Jugendliche Gewalttäter, die keinen rechtsextremistischen Hintergrund aufwiesen, fühlten sich signifikant stärker in ihrer Autonomie begrenzt und schienen daher unter den starren und autonomiebegrenzenden Haftbedingungen stärker zu leiden. Dabei gehe eine hohe subjektiv empfundene Begrenzung mit einer niedrigen Zustimmung zu ausländerfeindlichen und nationalistischen Einstellungen einher (Özsöz: 2010, 147 ff.).

Wirkungen und Folgen

Resozialisierung und Rückfälligkeit

Der Prozess der Prisonisierung ist gemeinhin in der Gefängnisgesellschaft zu beobachten. Mangels eindeutiger Untersuchungsergebnisse wird jedoch eine Auswirkung auf die Resozialisierungschancen der Inhaftierten unterschiedlich beurteilt. Bisherige Studien überprüfen keine Prisonisierungsfolgen, also tatsächliches Verhalten nach der Inhaftierung. Der deutsche Kriminologe Rüdiger Ortmann stellt unter Zugrundelegung der Theorie von Sykes dar, dass ein recht großer Teil der Varianz der Prisonisierungsmerkmale mit den Deprivationen der Inhaftierung zusammenhängt. Inhaftierung und die sie begleitenden Umstände haben demnach einen resozialisierungsfeindlichen Effekt auf Insassen (Ortmann: 1992, 408 ff.). Auch führen die mit der Inhaftierung einhergehenden Deprivationen nach den Ausführungen des deutschen Juristen und Kriminologen Stephan Quensel wohl zwingend zu Versuchen, neben der primären Bedürfnisbefriedigung auch sonstige Kontakte und eigene Selbstbestätigung zu erlangen (Quensel: 1968, 178). Ob es sich dabei um abweichende Werte und Normen einer eigenen Subkultur handelt oder Inhaftierte die zuvor gezeigten Maximen der Herkunftskultur fortsetzen, ist umstritten. Die Gefängniskultur kann unabhängig davon antisoziale Einstellungen verschärfen und vertiefen. Dabei muss der Inhaftierte in der von dem US- amerikanischen Soziologen Erving Goffman[11] als "totale Institution" bezeichneten Anstalt um des psychischen Überlebens willen erhebliche Anpassungsleistungen erbringen, was ihn für stigmatisierende Prozesse erhöht verwundbar machen kann (Goffman: 1981, 24). Der US- amerikanische Psychologe Daniel Glaser geht jedoch nicht von einer Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung aus. Ein Einfluss der Prisonisierung auf zukünftiges Verhalten könne auch unter Berücksichtigung der divergierenden Ausführungen von Clemmer und Wheeler nicht sicher festgestellt werden (Glaser: 1956, 433 ff.).

Möglichkeiten der Gegensteuerung

Im Rahmen des im deutschen Strafvollzugsrecht normierten Gegensteuerungsprinzipes (§ 3 Abs. 2 StVollzG, § 2 Abs. 3 S.1 JVollzGB III, Art. 5 Abs. 2 BayStVollzG, § 3 Abs. 1 S.2 HmbStVollzG, § 3 Abs. 2 HStVollzG, § 2 Abs. 2 NJVollzG) soll den schädigenden Wirkungen des Freiheitsentzuges entgegen gewirkt werden (Laubenthal: 2011, 129). Entsprechende Regelungen finden sich auch im Schweizerischen Strafgesetzbuch[12] sowie dem Italienischen und Liechtensteiner[13] Strafvollzugsgesetz. In der wissenschaftlichen Diskussion äußerten jedoch die deutschen Kriminologen und Soziologen Fritz Sack (1968, 488) und Sebastian Scheerer (2001, 70 f.) sowie Irwin (1988) erhebliche Zweifel an der erreichbaren Effizienz, der immanenten Härte und den Wirkungen staatlicher Strafe im Rahmen des bestehenden Schuldstrafrechts. Zu berücksichtigen ist zudem die partielle Abkehr von der Behandlungsideologie und die Suche nach problemlösenden Alternativen und gesetzlichen Neuerungen wie den "Three Strikes Laws", “Bootcamp“- Programmen und Privatisierungstendenzen, vornehmlich in den USA. Ausgehend von den empirischen Ergebnissen zur Prisonisierung setzt die Inhaftierung selbst der Perspektive einer Resozialisierung enge Grenzen. Die Inhaftierung fördert direkt Einstellungen und Verhaltensweisen, die das Rückfallrisiko erhöhen. Sie prägt zudem das Klima zwischen Inhaftierten und Anstaltspersonal in feindlicher Weise, sodass die Variablen "Resozialisierung" und "therapeutisches Klima" stark negativ beeinflusst werden (Ortmann: 1987, 355 ff.). Resozialisierung könne nur dann erfolgen, wenn in der weiteren Diskussion eine Konzentration nicht nur auf die Behandlungsforschung, sondern auch auf die Prisionierungsforschung erfolge. Daher müsse der Effekt des gesamten Strafvollzugs auf Resozialisierung und Rückfall langfristig und bezogen auf gleiche Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten sowohl in der Anstalt als auch nach der Entlassung untersucht werden (Harbordt: 1972, 94). In Ermangelung eindeutiger empirischer Ergebnisse auch für deutsche Anstaltsverhältnisse gilt dies ebenso für den Prisonisierungsprozess und die These, Gefängnisse erwiesen sich als reine “Schulen des Verbrechens“. Führten Untersuchungen dazu, strafrechtlichen Sanktionen keinen eigenen positiven Wert mehr beizumessen, könne den schädigenden Wirkungen dieser Interventionen, also maßgeblich Stigmatisierungs- und Prisonisierungsprozessen, nur mit einer Kriminalpolitik der weitgehenden Entkriminalisierung und Reduzierung der Eingriffsintensität der strafrechtlichen Praxis begegnet werden (Sack: 1968, 435ff.; Kaiser u.a.: 1993, 404 f.)

Literatur

  • Alpert, G.: Patterns of Change in Prisonization: A Longitudinal Analysis. In: Criminal Justice and Behavior 6, 1979;
  • Brehm, J.W.: Theory of psychological reactance, Academic Press New York, 1966;
  • Clemmer, Donald: The Prison Community. Boston 1940;
  • Clemmer, Donald: The Prison Community. 2. Auflage. New York 1958;
  • Cloward, R.A.: Theoretical Studies in Social Organization of the Prison. New York. 1960, ders. u.a. 1975;Prisonization: Individual and Institutional Factors Affecting Inmate Conduct
  • Gillespie, W.: Prisonization. FB Scholarly Publishing, 2002
  • Glaser, D.: Criminality Theories and Behavioral Images. In: American Journal of Sociology 1956 (61);
  • Goffman, E.: Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. 4. Auflage. Frankfurt/Main 1981;
  • Harbordt, S.: Die Subkultur des Gefängnisses. Eine soziologische Studie zur Resozialisierung. In: Beiträge zur Strafvollzugswissenschaft. 2. Auflage. Stuttgart 1972;
  • Hoppensack, H.-L.: Über die Strafanstalten und ihre Wirkung auf Einstellung und Verhalten von Gefangenen. Göttingen 1969;
  • Irwin, J./ Cressey, D.R.: Thieves, Convicts and the Inmate Culture, Social Problems. In: British Journal of Crimonology 54, 1962;
  • Irwin, J./ Cressey, D.R.: The Sociology of the Prison, Crime and Delinquency, 1988;
  • Kaiser, G./Kerner, H.J./Sack, F./Schellhos, H.: Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Auflage. Heidelberg 1993;
  • Kaiser, G./ Schöch, H.: Strafvollzug. 5. Auflage. Stuttgart 2003;
  • Laubenthal, K.: Strafvollzug. 6. Auflage. Berlin Heidelberg 2011;
  • Ortmann, R.: Resozialisierung Im Strafvollzug. Theoretischer Bezugsrahmen und empirische Ergebnisse einer Längsschnittstudie zu den Wirkungen von Strafvollzugsmaßnahmen, Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max- Planck-Institut für Ausländisches und internationales Strafrecht 27. Freiburg i.Br. 1987;
  • Ortmann, R.: Die Nettobilanz einer Resozialisierung im Strafvollzug: Negativ? In Kury, H.: Gesellschaftliche Umwälzung. Kriminalitätserfahrungen, Straffälligkeit und soziale Kontrolle. Freiburg i. Br. 1992;
  • Özsöz, F.: Rechtsextremistische Gewalttäter im Jugendstrafvollzug. In: Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für Ausländisches und Internationales Strafrecht 148. Freiburg i. Br. 2010;
  • Quensel, S.: Vom Labeling- Ansatz zur abolitionistischen Politik. In: Kriminologisches Journal 1986;
  • Reimer, H.: Socialisation in Prison. Proceedings of the Sixty-Seventh Congress of American Prison Association. 1937;
  • Rubenstein, D.: The Elderly in Prison. In: Newman, E.: Elderly Criminals. Camebridge 1984;
  • Sack, F./König, R.: Kriminalsoziologie, Frankfurt 1968;
  • Scheerer, S.: Kritik der strafenden Vernunft. In: Ethik und Sozialwissenschaften 12. 2001;
  • Schrag, C.: Leadership among prison inmates. In: American Sociological Review 19. 1954;
  • Schramke, H.J.: Alte Menschen im Strafvollzug. Empirische Untersuchung und kriminalpolitische Überlegungen. In: Gießener Kriminalwissenschaftliche Schriften 5. Bonn 1996;
  • Sykes, G.M.: The Society of Captives, Princeton/N.J. Princeton University press 1958, 1978;
  • Wheeler, S.:Socialisation in Correctional Communities. In: American Sociological Review 26. 1961.

Weblinks

--AndreHoeher 11:41, 28. Feb. 2012 (CET)