Leipziger Selbstkontrolltraining (SKT)

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das Leipziger Selbstkontrolltraining (SKT) ist ein von Torsten Klemm (Dipl. Psychologe) entwickeltes Behandlungsprogramm für Gewalt- und Sexualstraftäter. Die Grundstufe entstand von 1998 bis 1999 im Rahmen seiner Berufstätigkeit in der Justizvollzugsanstalt Leipzig. Die Aufbaustufe wurde von ihm zwischen 2008 und 2010 an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK) in Kooperation mit dem Sächsischen Justizministerium entwickelt.


Theoretischer Hintergrund

Das SKT stellt einen Behandlungsansatz dar, der die Selbstkontrolltheorie (Gottfredson & Hirschi 1990) und die Soziale Bindungstheorie (Hirschi 1969) miteinander vereint. Von der Tatsache ausgehend, dass einige Menschen bei ähnlichen ökonomischen Verhältnissen gewalttätig handeln (Bsp. Raub) und andere nicht oder dass Personen bei sozialen Konflikten (Bsp. Trennung vom Partner) handgreiflich werden und andere nicht, lenkt den Blick zum Individuum und seiner Persönlichkeit. Der Mangel an Selbstkontrolle scheint eine Gemeinsamkeit all dieser unterschiedlichen Formen von krimineller Gewalt zu sein. Hierbei fragen Gottfredson und Hirschi nicht nach den Ursachen von Gewalt, sondern nach den Faktoren, die Menschen an deren Ausübung hindern. Es findet ein Perspektivwechsel von den Defiziten hin zu den Ressourcen statt. Ursprünglich behaupteten die Autoren mit ihrer "General Theorie of Crime" in jedem Fall einen Mangel an Selbstkontrolle beobachten zu können und zwar unabhängig, ob ein Vorhaben strategisch geplant war oder ob es sich um ein Impulsverhalten gehandelt hat. In dieser umfassenden Form konnte die überragende Bedeutung der Selbstkontrolle in empirischen und experimentellen Studien allerdings nicht nachgewiesen werden (Grasmick et al. 1993, Nagin & Paternoster 1993, Burton et al. 1994, Kerschke-Risch 1993, Fetchenhauer & Simon 1998). In fast allen Untersuchungen tritt ein Mangel an Selbstkontrolle in Erscheinung. Variablen, wie die Gewinnhöhe durch das Delikt und die zeitliche Unmittelbarkeit des Vorteils im Vergleich zur Verzögerung evtl. Sanktionen, spielten aber ebenfalls eine Rolle. Bei Gelegenheiten, die keinen materiellen Nutzen versprechen wird mangelnde Selbstkontrolle häufig zum Auslöser von Impulshandlungen. Signifikante Bezüge zwischen mangelnder Selbstkontrolle (insbesondere seit der Kindheit) sowie der Häufigkeit krimineller Handlungen sowie von Unfällen, stellten Pulkkinen & Haemaelaeinen (1995) fest. Als Gemeinsamkeit haben Täter mit mangelnder Selbstkontrolle eine erhöhte Risikobereitschaft (Schwenkmezger 1977). Für Simon (1996) ist die Kurzzeitorientierung ein zentrales Merkmal. Lamnek (1997) hält die mangelnde Fähigkeit zum Belohnungsaufschub und Risikoorientierung für ausschlaggebend. Ob Selbstkontrolle ein differenziert untergliedertes oder ein eindimensionales Konstrukt darstellt bleibt offen. Grasmick et al. (1993) fand nur einen Faktor. Wood et al. (1993) und Eifler (1997) hingegen fanden mehrere Faktoren. Daraus folgt, dass ein Gruppenprogramm zur Erhöhung der Selbstkontrolle unterschiedliche Ebenen einbeziehen muss.

Mit der Annahme, dass delinquente Kinder zu wenig beaufsichtigt wurden, messen Gottfredson & Hirschi (1990) einer Erziehung, die die Fähigkeit zum Bedürfnissaufschub fördert viel bei. Ein angemessener Umgang mit dem devianten Verhalten werde erst durch die Beaufsichtigung der Kinder erreicht. Stigmatisierung sei kein Mitverursacher, sondern notwendig, um gewalttätiges Handeln zu erkennen und zu bestrafen. Sie leugnen damit den negativen Rückkopplungseffekt sozialer Sanktionen. Ebenso wird die Modellwirkung prosozial handelnder Bezugspersonen vernachlässigt (Klemm 2011).

Hirschi stellte bereits 1969 mit der Sozialen Bindungstheorie die Behauptung auf, dass die Hemmschwelle zur Delinquenz um so höher liege, je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Tatentdeckung mit einem existenziellen Verlust (Bsp. Arbeitsplatz) oder einem Gesichtsverlust gegenüber Freunden verbunden ist. Dies meint, je stärker die sozialen Bindungen ausgeprägt sind, umso geringer ist die Neigung zu Gewalt und Delinquenz. Er macht vier Stufen der Bindungsqualität geltend: Freundschaftlichkeit und Intimität (attachment), Verpflichtung (commitment), soziale Einbindung (involvement), ethische Überzeugung (belief). Diese Ausführung entspricht inhaltlich dem hierarchischen Loyalitätsmodell der systemischen Therapie (Bateson 1972, Mücke 1998).

Tatsächlich schließen sich soziale Bindung und Selbstkontrolle nicht gegenseitig aus, sondern setzen einander voraus (Akers 1994, Andrews & Bonta 1998). Hirschi & Gottfredson (1995) gehen insoweit mit, dass schwache Bindungen ein Produkt niedriger Selbstkontrolle seien. Doch jüngste Längs­schnittstudien bei schwer­kri­mi­nel­len Drogenabhängigen zeigen ebenso, dass durch geringe Selbstkontrolle Freundschaften und Paarbeziehungen schneller scheitern (Long­sho­re et al. 2004). „Wenn Selbstkontrolle und soziale Bindung wechselseitige Me­diator­variablen bilden, wundert es nicht, dass sie hoch korrelieren. In einer funktionalen Sichtweise wäre es dennoch nicht sinnvoll, sie miteinander zu identifizieren. (...) Vielmehr unterscheiden sie sich inhaltlich und stehen in einer reziproken zeitlichen Abhängigkeit.“ (Klemm 2011). Voraussetzung für eine spätere empathische Sichtweise ist die enge Bindung des Kindes an eine primäre Bezugsperson (Bowlby 1988). Empathie wird benötigt, um Selbstkontrolle zu erwerben. „Selbstkontrolle ist die minimale, notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung einer selbstbestimmten Lebensform. Autonomie der Einzelnen gegenüber den jeweiligen Eltern gehört zu den be­deutsamen Voraussetzungen einer gelingenden Partnerschaft...“ (Klemm 2011)

Der Kreislauf zwischen Bindung, Empathie, Selbstkontrolle und Autonomie und Aggressivität tritt mit dem Übergang von der Herkunfts- in die Fortpflanzungsfamilie in einen zwei­ten Zyklus ein. „Such attachments – to a spouse, a workplace, or to coworkers – may occur later in life and repair the original attachment relationship. Only a limited number of studies take empathy into account in explaining criminality and most focus exclusively on sex offenders.“ (Katz 1999) Hier wird verdeutlicht, wieso die Gewalt- und Kriminalitäts­nei­gung in der Adoleszenz am höchsten ist, nämlich dann, wenn es die Ge­sell­schaft versäumt, für den Übergang von der Adoleszenz in das Er­wach­se­nen­al­ter einen geeigneten Rahmen zu schaffen. In diesem Fall ist der Jugendliche weder ausreichend sozial eingebettet, noch tatsächlich autonom (Klemm 2011).

Doch Empathiefähigkeit und Selbstkontrolle wird nicht durch jede soziale Bindung gestärkt. Durch Bindungen an deviante Freunde und/oder impulsive Eltern wird die Neigung zur Gewalt bei Jugendlichen begünstigt (Akers 1994, Matsueda & Anderson 1998). Aufmerksamkeitsschwierigkeiten, selektive Wahrnehmung, Be­dro­hung durch har­sche Erziehungsmethoden, Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und krisenhafte Tren­nungen der Eltern können während der primären Sozialisation Auslöser einer Gewaltdynamik sein (West & Far­rington 1973, 1990, Wadsworth 1979). Nach Verlassen der Familie können soziale Ausgrenzung, auf Machtstreben beruhende Ideologien, Em­pathie verhindernder Machismus oder Eifersucht den Ge­walt­kreislauf in Gang setzen (Messerschmidt 1993). Dies meint, dass ein Mangel an Selbstkontrolle hier als Folge und Reaktion verstanden wird, die die Ge­walt­ausübung moderieren (Wright et al. 1999, 2001).

In krisenhaften Situationen (Bsp. Krieg, Verlust des Partners) kann es auch bei Erwachsenen, die bereits Selbstachtung und Selbstkontrolle erworben haben, zu Kontrollverlusten kommen. Das zirkuläre Modell betont die Ent­wicklungsdynamik der Selbstkontrolle bzw. des Selbst­kon­trollmangels. Gott­fred­son & Hirschi (1990) behaupten ursprünglich, die Aus­bildung der Selbstkontrolle sei mit dem achten Lebensjahr abgeschlossen und bleibe konstant bestehen. Andere Autoren betonen dagegen die Veränderbarkeit dieses Merkmals (Samson & Laub 1993, Greenberg 1994, Moffitt 1997, Hirschi & Gottfredson 1995). Daraus lässt sich eine Zwei-Komponenten-Theorie der Selbstkontrolle ableiten: Zum einen dienen günstige Sozialisationsbedingungen wie Familienzusammenhalt, positive Identifikationsmöglichkeiten und ein demokratischer Erziehungsstil als äußere Sperre, die Gewalttätigkeit verhindern. Frustrationstoleranz, positive Selbst­wahrnehmung und eine internalisierte Gewissensfunktion dagegen wirken als innere Begrenzung (Klemm 2014).

Ambulante Tätertherapie: Systemische Konzepte

Herrschte bis Ende der 1980er Jahre noch die Haltung des "nothing works" (Lipton et al. 1975), brachte in den 1990er Jahren ein verfeinertes Evaluationsdesign wiederkehrende Befunde von kleinen, jedoch signifikanten Effekten. Hierbei waren statische Persönlichkeitsmerkmale (Geschlecht, Alter, Intelligenz und sozioökonomischer Status) als Rückfallprädikatoren eher auf den hinteren Rängen angesiedelt. Zumal deren therapeutische Beeinflussbarkeit eher als gering anzusehen sind. Dahingegen müssen dynamische kriminogene Faktoren (Kognitionen, Persönlichkeitsauffälligkeiten, Bedürfnisstrukturen und - an erster Stelle - das soziale Umfeld), bezüglich langfristiger Rückfallprävention, als entscheidend für den Erfolg der Behandlung gewertet werden (Gendreau et al. 1996). Diese Erkenntnisse lösten eine Suche nach deliktorientierten Behandlungsformen aus (Sherman et al. 1997).

Für die therapeutische Arbeit ergeben sich hieraus zwei paradigmatische Ansätze. Zum einen liegt der Fokus bei der Prävention auf der Tat und ihren psychischen Voraussetzungen bei der Person des Täters. In der therapeutischen Arbeit mit Straftätern haben sich deliktorientierte Ansätze durchgesetzt, die vorwiegend kognitiv-behavioral arbeiten. Dieser Ansatz scheint bei geschlossenen Unterbringungen angemessen. Sobald der Täter die intramurale Einrichtung verlässt und sich in das Umfeld seiner ursprünglichen oder neu entstandenen sozialen Beziehungen begibt, stößt diese Methode an ihre Grenzen. Hier kommt die kontextorientierte Therapie als zweiter paradigmatischer Ansatz zum tragen. Familientherapeutische und Systemische Therapieformen stellen hier das geeignete Handwerkszeug dar um die Macht des sozialen Umfelds als Ressource für die Rückfallprävention zu nutzen.

Systemische Therapien betrachten Individuen in ihren konkreten beziehungswirsamen Kontexten unter Berücksichtigung von verdeckten, interagierenden, nichtlinearen Einflüssen und Intentionen. Störungen werden nicht ausschließlich im Indexklienten verortet, sondern in seiner (realen und imaginierten) Beziehungswelt. Dort entstehen die Störungen und werden ebenda aufrechterhalten. Der Fokus liegt auf der Erfassung und Veränderung von kommunikativen Prozessen in zirkulären zwischenmenschlichen Interaktionen und besonders auf den beobachtbaren Beziehungsmustern und sich wiederholenden Interaktionsschleifen. In der wechselseitigen Beeinflussung feststehender Überzeugungen der Systemmitglieder wird häufig das Behandlungsziel definiert. Außerdem befasst sich die Systemische Therapie mit den Beziehungen der Indexklienten zu ihren Symptomen sowie zu ihrer Vergangenheit und Zukunft. Das Alleinstellungsmerkmal des systemischen Ansatzes ist die Kontextualisierung des Problems. Sie bezieht sich auf räumliche, zeitliche und personelle Dimensionen. Berücksichtigt werden Herkunfts- und Gegenwartsfamilie, Umfeld und Institutionen, die biografische Vorgeschichte und mehrgenerationale Effekte.

Eine detaillierte Auftragsklärung soll das Arbeitsbündnis zwischen Klient und Therapeut stärken und die intrinsische Motivation erhöhen. Die therapeutische Haltung der Allparteilichkeit ist elementar um die Kooperation in den Sitzungen aufrechtzuerhalten, wenn weitere Systemmitglieder in die Sitzungen einbezogen werden. Die Maxime lautet, Respekt gegenüber den Personen zu haben und Respektlosikgeit gegenüber ihren destruktiven Ideen (Farrelly & Brandsma 1986, Cecchin et al. 2005). Systemische Therapien konzentrieren sich auf das frühe Erkennen von Anzeichen eskalierender innerer oder zwischenmenschlicher Konflikte und auf individuelle Lösungsstrategien. Hierbei wird davon ausgegangen, dass Problem und Lösung logisch voneinander unabhängig sind. Eine Verhaltensänderung kann durch reines Bewusstsein der auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren nicht garantiert werden (Klemm 2014). Vielmehr geht die Lösungsorientierung hier mit dem Prinzip der Aquifinalität einher (de Shazer 1991). Übertragen auf die Täterbehandlung heißt das, dass viele Wege zur Legalbewährung führen können.

Konzept

Die Therapie findet intramural monatlich, ambulant 14-tägig statt. Die Teilnahme kann freiwillig oder im Rahmen gerichtliche Auflagen erfolgen. Die Teilnehmerzahl sollte bei 6 bis 10 Personen liegen. Die Therapiegruppen sind halboffen. Wird ein Platz in der Gruppe frei, kann ein neuer Teilnehmer nachrücken. Die Gruppen können alters- und geschlechtsgemischt zusammengesetzt sein. Eine deliktspezifische Trennung zwischen Gewalt- und Sexualtätern ist sinnvoll, da so eine höhere Offenheit bei Klienten mit Sexualdelikten zu erwarten ist (Alves 1985, Gruber & Rotthaus 1999). Das Training wird von zwei Therapeuten geleitet, möglichst ein Mann-Frau-Team. Dies ermöglicht eine flexiblere Arbeitsweise bei Veränderungen im geplanten Ablauf und die Teilnehmer erhalten die Möglichkeit eine kooperative Form der Kommunikation zwischen den Geschlechtern wahrzunehmen.

Das SKT ist dann angezeigt, wenn der Straftäter impulsive oder konfliktbezogene Gewalt anwendet. Zu beachten ist, dass mittels des SKT keine ökonomischen oder sozialen Ursachen beseitigt werden, die zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen können. Das SKT leistet Unterstützung beim Ausbau der Fähigkeit zur Selbstkontrolle, besonders in Bezug auf emotional-körperliche Impulse und bei zwischenmenschlichen Konflikten.

Inhalt der Sitzungen

SKT-Grundstufe Sensibilisierung und soziale Kompetenzen

1. Stärke-Schwächen Interview 2. Allgemeine Entspannungsinstruktion 3. Muskelentspannung 4. Atmung und Gedankenfluss 5. Wahrnehmungssensibilisierung 6. Wahrnehmung minimaler Zeichen und Respekt 7. Bedrohungs- und Angstempfinden 8. Augenkontakt und nonverbale Kommunikation 9. Vertrauen 10. Grundgefühle 11. Gefühlsschattierungen 12. Täter-Opfer-Empathie 13. Provokation aushalten und Humor 14. Verbale Argumentation 15. Selbstwahrnehmung 16. Rollenwahrnehmung und Gerechtigkeitsempfindungen 17. Selbstbehauptung, Sich-Durchsetzen und Nein-Sagen 18. Kontaktknüpfen und Eifersucht 19. Kooperation und Streit 20. Kooperation, Respekt und Zwischenbilanz

SKT-Aufbaustufe Teil 1 Lebensplanung und Alltagsbewältigung

1. Wer ist mir wichtig? (Meine Ressourcen-Landkarte) 2. Höhen und Tiefen (Timeline) 3. Wie sag ich es meiner Freundin / meinem Arbeitgeber? (Geheimnisse lüften) 4. Was bringt mich auf die schiefe Bahn? (Lebenssituation zur Tatzeit) 5. Wer bin ich, was will ich? (Selbst- und Fremdbild) 6. Zukunftsskulpturen 7. Wohin will ich? (Ziele formulieren, differenzieren und ordnen) 8. Jede Medaille hat zwei Seiten (Vor- und Nachteile abwägen) 9. Achtsamkeit gegenüber sich selbst und anderen: Mit Kopf, Hand und Fuß 10. Emotionale Kontoführung

SKT-Aufbaustufe Teil 2 Familientradition und Sexualität

11. Woher komme ich? Mein Familienbild 12. Mein Foto-Album 13. Was gehört zu einer Beziehung? Wie lerne ich jemanden kennen? 14. Sprechen über Sexualität 15. Wünsche und Phantasien („Brief an den Traumpartner“) 16. Gegenseitigkeit und Intimität („Antwortbrief des Traumpartners“) 17. Sexualität und Macht 18. Genuss üben, Selbstmassage, Masturbation und Fokussieren 19. Vorlieben und Gegenseitigkeit 20. Mit dem Partner über Sex und die Folgen reden

SKT-Aufbaustufe Teil 3 Beziehungsgestaltung im sozialen Kontext

21. Den Partner einschätzen 22. Selbstkontrolle – Den allergischen Punkt finden 23. Kommunikation – passender Augenblick, passender Ort, passender Ton 24. Konstruktiv streiten – Advocatus diaboli 25. Selbstkontrolle - „In Zeitlupe rückwärts“ 26. Arbeitsteilung als Paar 27. Stellenausschreibung für Eltern (Elternschaft und Verantwortung) 28. Selbstkontrolle gegenüber Kindern – die Nerven behalten 29. Kinderperspektive 30. Gemeinsam Bilanzziehen (Vier-Körbe-Technik) und Rückfallprophylaxe

Ablauf

SKT-Grundstufe

(intramurale Vorbereitung)

Die Sozialtherapie beginnt im Regelvollzug idealerweise 1 Jahr, bei Klienten in einer Sozialtherapeutischen Anstalt 1/2 Jahr vor Haftentlassung. Vor Beginn des SKT finden in der Regel anamnestische Einzelgespräche statt. Der Fokus der Sitzungen liegt auf der emotionalen, körper- und handlungsbezogenen Ebene. Themen sind: Beziehungsaufbau, individuelle Ressourcen- und Risikodiagnostik, Selbstkontroll- und Entspannungstechniken, sensorische Wahrnehmung, Gefühlsausdruck, Empathiefähigkeit, Kommunikationstraining und Konfliktlösungsfähigkeit. In der Gruppe werden die individuellen Fähigkeiten zur Selbst- und Fremdwahrnehmung trainiert, wobei eine Offenlegung der einzelnen Delikte nicht gegeben sein muss. Die Sitzungen enden jeweils mit einem Biofeedbacktraining. Die in der Regel nicht wahrnehmbaren Körperreaktionen, wie Muskelentspannung, Hautwiderstand und -temperatur können durch das Biofeedbackgerät mittels Ton- und Lichtsignale von den Teilnehmern wahrgenommen werden. Die Entspannungsfähigkeit wird trainiert. Ziel ist, den Körper (auch unter Stress) durch den eigenen Willen kontrollieren zu können.

Übergangsmanagement

In dieser Phase liegt der Fokus auf der Zusammenarbeit zwischen den intramuralen und den ambulanten Institutionen. Der Klient nimmt erstmals Kontakt zur Bewährungshilfe bzw. Führungsaufsicht auf und parallel sucht er den Therapeuten in der Praxis auf. Besonderer Wert wird dabei auf die personelle Kontinuität des betreuenden Therapeuten gelegt. Optimal findet das erste ambulante Gespräch gemeinsam mit dem Bewährungshelfer bzw. der Führungsaufsicht statt.

SKT-Aufbaustufe Teil 1

Hier steht die individuelle Lebensgestaltung des Klienten nach der Haft im Vordergrund. Akute Belange der Teilnehmer haben Vorrang. Zudem beinhaltet diese Stufe Themen wie soziale Ressourcen, Umgang mit Geheimnissen, Lebenssituation zum Tatzeitpunkt und in der Gegenwart, Beziehungsgestaltung sowie Wünsche und Erwartungen an die Zukunft.

SKT-Aufbaustufe Teil 2

Diese Stufe ist hauptsächlich für Klienten mit Sexualdelikt konzipiert. Wenn Sexualität bei Klienten mit Gewaltdelikt zum Thema wird, kann diese Stufe jedoch auch zur Anwendung kommen. Das Leben der eigenen Sexualität ist häufig davon abhängig, wie Sexualität in der Herkunftsfamilie vorgelebt bzw. tabusisiert wurde. Daher werden die Klienten vorerst angeregt sich mit ihren übernommenen oder abgelehnten Traditionen in Bezug auf Sexualität und Intimität in ihren Herkunftsfamilien auseinanderzusetzen. Im Anschluss kommt es zur Bearbeitung ihrer eigenen sexuellen Erwartungen, Phantasien und Wünsche sowie zum Austausch über Gegenseitigkeit beim Sex und Macht.

SKT-Aufbaustufe Teil 3

Der Fokus im dritten Teil liegt bei der Einbeziehung von Angehörigen in die therapeutische Arbeit. Einerseits sollen die Klienten ihre erworbenen Fertigkeiten und Haltungen im realen sozialen Kontext umsetzen und andererseits erhalten die Angehörigen Einblick in den therapeutischen Verlauf und können in Austausch gehen. Die Gruppensitzungen finden in einem größeren Abstand statt um Zeit für Angehörigengespräche und aufsuchende Arbeit zu gewährleisten. Themen in dieser Phase sind u.a. Umgang mit Streit in der Familie, Arbeits- und Rollenverteilung und Elternschaft und Verantwortung.

Vorabschluss und Abschluss

Gegen Ende der therapeutischen Nachsorge findet ein Übergang ins Einzel- bzw. Familiensetting statt. Die Frequenz richtet sich hier nach dem individuellen Bedarf. Der Abstand zwischen dem Vorabschluss- und dem Abschlussgespräch sollte mindestens 6 Monate betragen. Die Therapie endet mit der Katamnese.

Ausblick

Eine Vielzahl empirischer Befunde deuten darauf hin, dass zum einen familiäre und kontextuelle Zusammenhänge an der Entstehung von Straftaten beteiligt sind. So sind in den Familien der Täter häufig intergenerationelle Koalitionen, Hierarchieumkehr und auch destruktive Kommunikationsmuster zu beobachten. Nach dem Modell der kumulativen Risiken (Lösel & Bender 2003) haben familiäre Einflüsse Auswirkungen auf die Kriminalitätsfaktoren. Zum anderen wirkt das Begehen von Straftaten und die damit einhergehenden Sanktionen auf das familiäre Gefüge des Täters zurück. Dies trifft vor allem bei Delikten zu, die innerhalb der Familie verübt wurden (sexueller Missbrauch, häusliche Gewalt). Aus diesen Gründen erscheint es sinnvoll, die Behandlung von Tätern nicht ausschließlich als Individualtherapie zu konzipieren, sondern den Beziehungskontext des Täters einfließen zu lassen. Auch können eine nicht mehr nur täter- und deliktorientierte Behandlung neue Chancen eröffnen. Oft schafft eine rein täterzentrierte Maßnahme, zusammen mit Institutionen der sozialen Kontrolle, Zwangskontexte. Fehlt dem Täter die intrinsische Motivation oder ist diese eher gering ausgeprägt, kann dies zu weiteren juristischen Sanktionen führen. Nach Dahle (1998) ist die Motivation zur Behandlung jedoch keine Persönlichkeitseigenschaft, sondern sie charakterisiert das therapeutische Milieu. Angebote, die zusätzlich das soziale und familiäre Umfeld der Täter einbeziehen, sind weit mehr auf die Bereitschaft zur Mitarbeit ("Freiwilligkeit") aller Beteiligten angewiesen, was auch bedeutet, dass sie ihren Nutzen und ihre Sinnhaftigkeit unmittelbar behaupten müssen.

Der systemische Therapieansatz hat in den letzten Jahren vermehrt Settings hervorgebracht, die auch für die Behandlung von Straftätern geeignet erscheinen. Zu nennen sind hier die Systemische Einzeltherapie, Multisystemische Therapien, Täter-Opfer-Konfrontationen und körperorientierte Systemtherapien. Speziell im angloamerikanischen Raum gibt es mittlerweile eine Reihe von Wirkstudien, die die Effektivität des systemischen Ansatzes in der Arbeit mit Straftätern und deren Familien katamnestisch belegen und auch ihre Nachhaltigkeit betonen. Die Überlegenheit multisystemischer Familientherapien gegenüber beispielsweise kognitiv-behavioralen Ansätzen konnte bezüglich der Reduktion des Rückfallrisikos und auch durch die sinkende Anzahl stationärer Maßnahmen (damit auch höhere Kostenersparnis) nachgewiesen werden.

Da in Deutschland multisystemische Konzepte nicht durch die Krankenkassen finanziert werden, wird ihre Anwendung erschwert oder ganz verhindert. Momentan sind systemische Ansätze eher in der Jugendhilfe anzutreffen, da dieser Bereich von den Kommunen finanziert wird. Durch die Empfehlung des "Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie", die systemischen Therapien in das Kassensystem aufzunehmen, eröffnet sich die Chance, zukünftig auch vermehrt erwachsene Täter, die sich bereits von der Familie gelöst haben zu behandeln (Klemm 2014).

Literatur

  • Akers, R. L. (1994): Criminological theories. Introduction an evaluation, Los Angeles: Roxbury.
  • Alves, H. (1985): Therapeutische Arbeit mit sexuell auffälligen Jugendlichen. In: W. Rotthaus (Hrsg.) (1985):Psychotherapie mit Jugendlichen, Dortmund: Modernes Lernen.
  • Andrews, D. A. & Bonta, J. (1998): The psychology of criminal conduct, Cincinnati: Anderson:
  • Bateson, G. (1972): Ökologie des Geistes, Frankfurt: Suhrkamp.
  • Bowlby, J. (1988): A secure base. Parent-child attachement and healthy human development, New York: Basic Books.
  • Burton, V. S., Cullen, F. T. , Evans, T. D. & Dunway, R. G. (1994): Reconsidering strain theory. Operationalsation, rival theories and adult criminality, Journal of Quantitative Criminology, 10 (3), 213-239.
  • Cecchin, G., Lane, G. & Ray, W. A. (2005): Respektlosigkeit. Provokative Strategien für Therapeuten, Heidelberg: C. Auer.
  • Dahle, K. P. (1998): Therapiemotivation und forensische Psychotherapie. In: E. Wagner & W. Werdenich (Hrsg.) (1998): Forensische Psychotherpie. Therapeutische Arbeit im Zwangskontext von Justiz, Medizin und sozialer Kontrolle, Wien: Facultas.
  • Eifler, S. (1997): Einflußfaktoren von Alkoholkonsum, Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag.
  • Farrelly, F. & Brandsma, J. M. (1986): Provokative Therapie, Berlin: Springer.
  • Fetchenhauer, D. & Simon, J. (1998): Eine experimentelle Überprüfung der "General Theory of Crime" von Gottfredson und Hirschi, Monatsschrift für Kriminologie, 81 (5), 301-315.
  • Gendreau, P., Little, T. & Giggin, C. (1996): A meta-analysis of the predictors of adult offender recidivism. What works. Criminology, 34, 575-607.
  • Gottfredson, M. R. & Hirschi, T. (1990): A General Theorie of Crime, Stanford: Stanford University Press.
  • Grasmick, H. G., Tittle, C. R., Bursik, R. J. & Arneklev, B. J. (1993): Testing the core empirical implications of Gottfredson and Hirschi`s General Theorie of Crime, Journal of Research in Crime and Delinquency, 30, 5-29.
  • Greenberg, D. F. (1994): The historical variability of the age-crime relationship, Journal of quantitive criminology, 10 (4), 361-373.
  • Gruber, T & Rotthaus, W. (1999): Systemische Therapie mit jugendlichen Sexualstraftätern in einer symptomhomogenen Gruppe, Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, 6/99, 341-348.
  • Hirschi, T. (1969): Causes od delinquency, Berkeley: University of California Press.
  • Hirschi, T. & Gottfredson, M. R. (1995): Control theory and the life-course perspective, Studies on Crime and Crime Prevention, 4 (2), 131-142.
  • Katz, R. S. (1999): Building the foundation for a side-by-side explanatory model. A general theorie of crime, the age-graded life-course theory, and attachement theory, Western Criminology Review, 1 (2).
  • Kerschke-Risch, P. (1993): Gelegenheit macht Diebe - doch Frauen klauen auch, Opladen: Westdeutscher Verlag.
  • Klemm, T. (2011): Selbstkontrolle. Band 1 Grundstufe. Sensibilisierung und soziale Kompetenz. Manual zum Gruppentraining, Leipzig: Leipziger Wissenschaftsverlag.
  • Klemm, T. (2014): Selbstkontrolle. Band 2 Aufbaustufe. Lebensplanung, Sexualität, Beziehungsgestaltung. Manual zum Gruppentraining, Leipzig: Leipziger Wissenschaftsverlag.
  • Lamnek, S. (1997): Neue Theorien abweichenden Verhaltens, München: Fink.
  • Lipton, D. S., Martinson, R. & Wilks, J. (1975): The effectiveness of correctional treatment. A survey of treatment evaluation studies, New York: Praeger.
  • Longshore, D., Chang, E., Hsieh, S.-C. & Messina, N. (2004): Self-control and social bonds. A combined control perspective on deviance, Crimne & Delinquency, 50 (4) Oct. 2004, 542-564.
  • Lösel, F. & Bender, D. (2003): Protective factors and resilience. In: D. P. Farrington & J. W. Coid (eds.) (2003): Early prevention of adult antisocial behavior, Cambridge: University Press, 130-204.
  • Matsueda, R. L. & Anderson, K. (1998): The dynamics of delinquent peers and delinquent behavior, Criminology, 36 (2), 269-307.
  • Messerschmidt, J. W. (1993): Masculinities and crime. Critique and reconceptualization of theory, Lanham: Rowan & Littlefield Publishers.
  • Moffit, T. E. (1997): Adolescent-limited and life-course persistent offending. A complementary pair of developmental theories. In: T. P. Thornberry (ed.) (1997): Developmental theories of crime and delinquency, New Brunswick & London: Transaction Publishers.
  • Mücke, K. (1998): Systemische Beratung und Psychotherapie. Ein pragmatischer Ansatz, Berlin: Ökosysteme Verlag.
  • Nagin, D. S. & Paternoster, R. (1993): Enduring individual differences and rational choice theories of crime, Law & Order Review, 27 (3), 467-496.
  • Pilkkinen, L. & Haemaelaeinen, M. (1995): Low self-control as a precursor to crime an accidents in a Finnish longitudinal study, Criminal Behavior and Mental Health, 5 (4), 424-438.
  • Sampson, R. J., & Laub, J. H. (1993): Crime in the making pathways and turning points through life, Cambridge, Mass. & London: Havard University Press.
  • Schwenkmezger, P. (1977): Risikoverhalten und Risikobereitschaft. Korrelationsstatistische und differentialdiagnostische Untersuchungen bei Strafgefangenen, Weinheim: Beltz.
  • de Shazer, S.(1991): Das Spiel mit den Unterschieden. Wie therapeutische Lösungen lösen, Heidelberg: C. Auer.
  • Sherman, L. W., Gottfredson, D., MacKenzie, D. L., Eck, J., Reuter, P. & Bushway, S. (1997): Preventing Crime. What works, what doesn`t, what`s promising? A report to the United States Congress. Prepared for the National Institute of Justice Washington.
  • Simon, J. (1996): Experimentelle Überprüfung der General Theory of Crime von Gottfredson und Hirschi am Beispiel betrügerischen Verhaltens, Diplomarbeit (unveröffentl.) Universität Köln.
  • Wadsworth, M. (1979): Roots of Delinquency, New York: Barnes.
  • West, D. J. & Farrington, D. P. (1973): Who becomes delinquent? Second report of the Cambridge Study in Delinquent Development, Cambridge Studies in criminology, 34, Heinemann Educational London.
  • Wright, B. R., Caspi, A., Moffitt, T. E. & Silva, P. A. (1999): Low self-control, social bonds, and crime. Social causation, social selection, or both, Criminology, 27, 479-514.
  • Wood, P. B., Pfefferbaum, B. & Arneklev, B. J. (1993): Risk tasking and self-control. Social psychological correlates of delinquency, Journal of Criminal Justice, 16, 111-130.