Gewalt (Begriff)

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  • Juristische Gewaltbegriffe vom Reichsgericht bis zur Gegenwart
  • Max Weber
  • Hannah Arendt
  • Heinrich Popitz
  • Jan Philipp Reemtsma (2008) unterscheidet drei Typen der Gewalt:
  • lozierende Gewalt entfernt einen anderen Körper, weil er der Verfolgung eigener Interessen im Wege steht (z. B. im Krieg, bei Raub und Mord)
  • raptive Gewalt bemächtigt sich des anderen Körpers, um ihn für seine Interessen zu benutzen (vor allem in Formen sexueller Gewalt)
  • autotelische Gewalt dient im Unterschied zu den beiden erstgenannten Gewaltformen keinem außerhalb der Gewalthandlung(en) liegenden Zweck, sondern wird um des in ihr selbst liegenden Lustgewinns angewandt.


Das Alltagsverständnis von Gewalt verbindet sich stets mit bestimmten Formen der Gewaltkriminalität wie Mord, Totschlag, Erpressung und Vergewaltigung. Die Medien und die Kriminalpolitik konzentrieren sich in ihren öffentlichen Darstellungen auf Gewaltkriminalität. Die Menschen fürchten sich vor Gewaltkriminalität und vor der Gefährdung der inneren Sicherheit.


Zunächst war der juristisch-traditionelle Gewaltbegriff der körperlichen Kraft (lat. „vis“) dominant, unter dem sich maßgeblich Aktionen physischer Angriffe subsumieren und bei dem die physische Zwangshandlung im Vordergrund steht (vgl. § 240 StGB). Seit der Einführung des Begriffs der „strukturellen Gewalt“ durch Johan Galtung erfuhr diese Definition eine Erweiterung. Sie bezieht Beeinträchtigungen jeglicher Art mit ein, die auf die Einschränkung der persönlichen Freiheit abzielen und das Individuum daran hindern, seine Anlagen und Fähigkeiten uneingeschränkt zu entfalten. Dazu zählen alle Formen der Diskriminierung und der Ungleichheit in Bezug auf u. a. Bildung und Einkommen. Diese Formen gelten als gewaltförmig, gleichgültig, ob sie physisch oder psychisch bewirkt wurden und zu welchen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen sie geführt haben. Popitz verweist in diesem Zusammenhang auf die Verletzbarkeit des Menschen durch Menschen, die weder aufhebbar ist, noch durch Unterwerfung und Erleiden abgegolten werden kann. Er fasst drei Gruppen von Machtaktionen zusammen, bei denen psychische mit körperlichen Verletzungen in Verbindung stehen. Dies sind Handlungen, a) die die soziale Teilhabe durch z. B. Diskriminierung oder Mobbing einschränken, b) die materiell schädigen durch die z. B. Schmälerung von Ressourcen und c) die körperlich verletzen und Schmerz zufügen. Es sind Machtaktionen mit dem Ziel, ein dauerhaftes Machtgefälle in einer Gesellschaft zu schaffen, in dem Geschädigte ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren und zu Außenseitern mutieren. Für Popitz ist Gewalt eine Machtaktion, weil sie zur absichtlichen körperlichen Verletzung anderer führt, egal, ob eine konkrete Gewalthandlung ausgeübt wird oder angewandte Drohungen die Betroffenen dauerhaft ausgrenzen. Im Akt des Tötens manifestiert sich eine vollkommene Macht über andere Menschen. Gewalt erfährt hier eine äußerste Grenze, aber auch einen eindeutigen (Definitions-)Rahmen. Unbegrenzte Machtausübung kann zum Massenmord führen und Kulturen sowie Völker eliminieren. Zum anderen bewirkt sie bei den Geschädigten eine vollkommene Ohnmacht sowie eine hilflose Angst vor dem Getötetwerden, die sich jederzeit in das Gegenteil verwandeln kann. Sehr weit definiert ist Gewalt „[...] ein Teil der großen weltgeschichtlichen Ökonomie“ (Popitz, 1986: 82) sowie eine ständig gegenwärtige Option menschlichen Handelns. Eine Gewaltbegrenzung kann durch eine soziale Ordnung und durch ein Normsystem, das durch Sanktionsregelung geschützt wird, dauerhaft gelingen. Demzufolge muss sich eine soziale Ordnung aus Gründen des Selbsterhalts durch den Einsatz von Gewalt schützen können, sollte Gewalt von innen oder außen drohen – womit sich die Frage nach der institutionellen Gewalt stellt und ein weiterer Teufelskreis der Gewalt und Gewaltbewältigung entsteht.

Empirisch-kriminologische Begriffsbildungen verfolgen gemäß der weiten Definition den Zweck, das Spektrum und die Heterogenität der Gewaltphänomene zu erfassen, zu erforschen und zu erklären. Für die klassische, restriktive Definition spricht, dass sie leichter zu messen und dass sich Operationalisierungen besser nachvollziehen lassen. Außerdem kann sich dadurch ein fester und verbindlicher Rahmen um strafrechtliche Interventionen bilden. Ein Gewaltbegriff verliert im Gegensatz dazu an Konturen und an analytischem Potenzial je weiter er gefasst wird. Auf der anderen Seite ist der weitgefasste Gewaltbegriff für die Entwicklung von Bildungs- und Präventionsprogrammen sehr nützlich. Grundsätzlich hängt jedoch die Güte des Gewaltbegriffs von einem bestimmten Kontext und der Erfüllung der ihm zugedachten Aufgabe ab.

Der Philosoph Slavoj Žižek unterteilt Gewalt in seinem Buch Gewalt – sechs abseitige Reflexionen in die »subjektiven« Gewalt (Gewalt, die von einem klar identifizierbaren Agenten ausgeübt wird), die »symbolische« Gewalt (die sich in der Rede und den Ausdrucksformen verkörpert) und »systemische« Gewalt (die oftmals katastrophalen Konsequenzen des reibungslosen Funktionierens des ökonomischen und politischen Systems). Dabei bleibe die systemische Gewalt meist unsichtbar, da sie Grundlage des alltäglichen Normalzustands sei. Unter "Gewalt" werde im Alltag allein die subjektive Gewalt verstanden, was den Blick von der viel gravierenden systemischen Gewalt abhalte und somit ideologische Funktion einnehme.

Literatur

  • Albrecht, Günter (Hg), et al (2001): Gewaltkriminalität zwischen Mythos und Realität, Frankfurt a. M.
  • Benjamin, Walter (1965): Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze, Frankfurt a. M.
  • Bornewasser, Manfred, Junge, C. (2006): Prävention gegen Rechts: Nötiger und schwieriger denn je. In: Forum Kriminalprävention, Heft 3, S. 29–32.
  • Füllgrabe, Uwe (1975): Persönlichkeitsanalyse, Stuttgart.
  • Galtung, Johan (1975): Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung, Reinbek b. Hamburg.
  • Heitmeyer, Wilhelm, Soeffner, Hans-Georg (2004): Gewalt – Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme, Frankfurt a. M.
  • Kunz, Karl-Ludwig (2008): Kriminologie, Bern.
  • Popitz, Heinrich (1986): Phänomene der Macht, Tübingen.
  • Reemtsma, Jan Philipp (2008) Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne, Hamburg-
  • Scheerer, Sebastian (1978): Der politisch-publizistische Verstärkerkreislauf. In: Kriminologisches Journal 10, S. 223–227.
  • Thome, Helmut, Birkel, Christoph (2007): Sozialer Wandel und Gewaltkriminalität, Wiesbaden.
  • Tipke, Klaus (1998): Innere Sicherheit und Gewaltkriminalität, München.
  • Walter, Michael (2008): Gewaltkriminalität, München.

Weblinks

Gewalt in Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Gewalt