Häusliche Gewalt

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Häusliche Gewalt bezeichnet Gewaltanwendungen zwischen Personen, die in enger persönlicher (Familie/Angehörige, Partner) und damit häufig verbundener räumlicher Nähe (gemeinsame Wohnung oder Aufenthaltsorte) zueinander stehen.

Begriffsbestimmung

Der Begriff „häusliche Gewalt“ unterliegt praxis- und forschungsspezifisch einer Vielzahl von unterschiedlichen Deutungen und Ausweitungen. Damit wird ein Vergleich der Daten und Statistiken bezüglich des Phänomens erschwert. Synonym angewandte Bezeichnungen sind „Gewalt in der Familie“, „Gewalt im sozialen Nahraum“ oder „Gewalt in Ehe und Partnerschaft“.

Eine wissenschaftliche Definition beschreibt häusliche Gewalt als „jede Verletzung der körperlichen oder seelischen Integrität einer Person, die unter Ausnutzung eines Machtverhältnisses durch die strukturell stärkere Person zugefügt wird" (Büchler 1998: 4). Die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. betont diese als „Muster von kontrollierendem Verhalten“ der Männer gegen ihre (Ex-)Partnerinnen (2008: 6). Bei Godenzi umfasst Gewalt im sozialen Nahraum „schädigende Verhaltensweisen, intendiert oder ausgeübt in sozialen Situationen, die bezüglich der beteiligten Individuen durch Intimität und Verhäuslichung gekennzeichnet sind“ (1996: 27).

Forschungen zur allgemeinen aber auch häuslichen Gewalt unterscheiden hinsichtlich der Weite des Gewaltbegriffs. In juristischen sowie medizinischen Studien findet sich vordergründig die „enge“, auf körperliche Formen beschränkte Bezeichnung. Im Gegensatz dazu bezieht die weit ausgelegte Definition in soziologischen sowie psychologischen Untersuchungen die gesamten Schadensakte mit ein. Die Differenzierung in legitime/illegitime Gewalt wird von vorherrschenden kollektiven Deutungsmustern bestimmt. Hinsichtlich der Legalität/Illegalität gewaltförmiger Verhaltensweisen ist das geltende Recht zu beachten (Lamnek et al. 2012: 7 ff.).

Häusliche Gewalt stellt keinen eigenständigen Straftatbestand dar. Aus diesem Grund finden sich in der Praxis zwischen Polizei und Justiz abgestimmte Definitionen, die der besseren Zusammenarbeit dienen sollen. Eine Begriffsbestimmung im Rahmen vom Berliner Interventionsprojekt (BIG) lautet: „Häusliche Gewalt bezeichnet (unabhängig vom Tatort/auch ohne gemeinsamen Wohnsitz) Gewaltstraftaten zwischen Erwachsenen in einer partnerschaftlichen Beziehung, die derzeit besteht, die sich in Auflösung befindet oder die aufgelöst ist oder die in einem Angehörigenverhältnis zueinander stehen“ (Kavemann 2002: 204).

Lamnek et al. verdeutlichen, dass häusliche Gewalt aus soziologischer Sicht eine Form des sozialen Handelns darstellt, das durch die Motivation und soziale Situation des Akteurs sowie seiner kulturellen Norm- und Wertvorstellungen bestimmt ist (2012: 14).

Der Ausdruck „häuslich“ bezieht sich auf Personen, die in enger persönlicher Beziehung zueinander stehen. Es werden damit neben verwandtschaftlichen und ehelichen Bindungen auch Wohn- und Hausgemeinschaften sowie gleichgeschlechtliche Beziehungen angesprochen (Kaselitz/Lercher 2001: 11). Verschiedene Fallkonstellationen sind denkbar:

  • Partnergewalt zwischen Ehepartnern bzw. Partnern einer nichtehelichen Gemeinschaft
  • Eltern-Kind Gewalt oder Kind-Eltern-Gewalt
  • Gewalt unter Geschwistern
  • Gewalt gegen alte Menschen (Lamnek et al. 2012: 13).

Weiterhin findet die thematisierte Gewalt meist „im engen sozialen Nahraum, also zu Hause“ statt (BFSFJ/BMJ 2010: 7). Sie ist jedoch nicht ausschließlich an die Wohnung gebunden. Auch Straßen, Geschäfte oder Arbeitsstellen stellen Tatörtlichkeiten dar.

Die feministische Gewaltforschung kritisiert die Geschlechtsneutralität der Definition. Hier muss entgegen der US-amerikanischen Gender-Symetrie-These besonders die Frau als Opfer und der Mann als Täter herausgestellt werden (Brzank 2012: 27f.).

Geschichte des Begriffs im gesellschaftlichen Kontext

In vielen Ländern wird heutzutage das Phänomen häuslicher Gewalt als gesellschaftliches Problem begriffen, das analysiert und bekämpft werden muss. Bis zum 19. Jahrhundert wurde dieses Thema als private Angelegenheit gesehen. Verstärkt im 20. Jahrhundert kam es zum Einstellungswandel, da familiale Gewalt an Kindern und Frauen öffentlich problematisiert wurde. Die Einführung des Begriffs erfolgte in den 1960/70er Jahren durch die Kinderschutz- und Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. Folglich entstanden eigenständige, wissenschaftlich anerkannte Forschungsdisziplinen im Bereich „family bzw. domestic violence“ (Lamnek et al. 2012: 24 ff.).

Ab den 70er Jahren rückte die deutsche Frauenhausbewegung die Gewalt in den Fokus der Öffentlichkeit, die zuhause hinter verschlossenen Türen von Männern gegenüber Frauen ausgeführt wurde. Diese sei Ausdruck und Sicherung des ungleichen Geschlechter- und Machtverhältnisses. Es entwickelten sich erste Frauenhäuser als Zufluchtsort misshandelter Frauen und ihrer Kinder. Folglich lag der Schwerpunkt auf „Männergewalt gegen Frauen“! Das Problem im Umgang mit Gewalt in der Privatsphäre wurde jedoch erst in den 1990er Jahren verstärkt öffentlich sowie politisch aufgegriffen und diskutiert. Damit war der Staat für den Schutz seiner Mitbürger/innen vor jeglicher Form von Gewalt verantwortlich. Auf internationaler Ebene berichteten Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die Weltgesundheitsorganisation WHO über das Gewaltausmaß gegen Frauen. Die Länder sollten geeignete Maßnahmen zur Verhinderung schaffen.

Der Begriff der „häuslichen Gewalt“ veränderte sich im Laufe der Zeit jedoch dahingehend, dass die Geschlechterfrage in Forschung und Praxis nicht mehr allein maßgebend war. Dem Thema nahmen sich sowohl Frauenhäuser und Beratungsstellen als auch andere private und öffentliche Institutionen an. Es fand eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz, Sozialarbeit oder Gesundheitswesen statt. Diese sahen sich mit verschiedenen Täter- und Opferkonstellationen konfrontiert, wonach beispielsweise Kinder oder Männer geschädigt sein können (Weingartner/Gloor/Meier 2012: 15 ff.; Kavemann 2002: 31). Neben dem Diskurs der Frauenbewegung, der besonders im deutschsprachigen Raum vordergründig ist, kann die soziale Männerbewegung beobachtet werden. Hierbei steht das männliche Opfer im Fokus. Dieses Thema beeinflusst die öffentliche Meinung bislang jedoch nur peripher (Lamnek et al. 2012: 41). Trotz der Definitionsöffnung ist festzustellen, dass der gesellschaftliche, wissenschaftliche und damit begriffliche Fokus immer noch auf dem weiblichen Geschlecht als Opfer liegt.

Häusliche Gewalt als Partnergewalt

Hell- und Dunkelfeld

Bei Hellfeldzahlen, wie der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), sind diejenigen Gewaltfälle aufgeführt, die einer öffentlichen Anzeige unterliegen. Dunkelfelduntersuchungen messen häusliche Gewalt unabhängig davon ob sie öffentlich gemacht wird oder nicht.

Polizeiliche Kriminalstatistik: Die Fallzahlen bei häuslicher Gewalt in den verschiedenen Bundesländern verdeutlichen ein tendenzielles Ansteigen der registrierten Straftaten. Im Jahr 2002 verzeichnete Berlin 7.500 und Hessen 4.300 Taten, wohingegen 2010 16.000 bzw. 7.800 Anzeigen aufgenommen wurden (Lamnek et al. 2012: 119). In Deutschland wird dieses Phänomen nur über Sonderauszählungen der jeweiligen Landeskriminalämter erfasst. Problematisch ist auch, dass sowohl innerhalb als auch zwischen den Ländern uneinheitliche Definitionen und Registrierungspraxen bestehen. Dies erschwert Vergleiche. Die Zahlen der PKS hängen von der Anzeige- und Meldebereitschaft der Bevölkerung, der veränderten Rechtslage sowie der jeweiligen Strafverfolgungsintensität ab. Bei häuslicher Gewalt wird ein erhebliches Dunkelfeld vermutet. Aufgrund des geänderten öffentlich-politischen Diskurses, den damit verbundenen Wandel der Gesetzeslage (Gewaltschutzgesetz) sowie Sensibilisierungskampagnen steigt dagegen die Anzeigewahrscheinlichkeit besonders der weiblichen Opfer. Es ist von einem größeren Dunkelfeld der Frau-Mann-Gewalt als umgekehrt auszugehen. Die Begründung liegt in den stereotypen Geschlechtervorstellungen der Männer. Durch die Ausweitung des staatlichen Gewaltmonopols auf den familialen Bereich übernahm auch die Polizei mehr Verantwortung. Dies stellt einen weiteren Grund für das Steigen der Fallzahlen dar (Luedkte 2008: 45 ff.; Lamnek et al. 2012: 117 ff.).

Die PKS bestätigt die allgemeine Annahme, dass Männer eindeutig als Täter überwiegen. Das Lagebild „Häusliche Gewalt“ für Brandenburg (2012) zeigt beispielsweise 80% männliche Tatverdächtige bei einer Gesamtanzahl von 2.860. Davon gelten 2.700 als Erwachsene. Von den insgesamt 3.345 Geschädigten waren 2.570 weiblichen und 775 männlichen Geschlechts. Es lebten 2.011 Opfer von Straftaten häuslicher Gewalt in einer Partnerschaft (LKA 2013: 6f.).

Dunkelfeldstudien: Luedtke verweist darauf, dass Dunkelfeldstudien zu Gewalt in Partnerschaften zwei verschiedene Richtungen der Forschungsergebnisse aufweisen:

  • Männer sind hauptsächlich die Täter, Frauen die Opfer (Beispiel USA: National Violence against Women-Studie von Tjaden und Thoennes 2000)
  • Männer und Frauen treten in etwa ähnlichen Verhältnissen als Täter und Opfer auf (Beispiel USA: Studie zu Gewalt in Partnerschaften von Straus et al. 1980).

Ursache der Widersprüchlichkeiten sind unterschiedliche Methoden und Erhebungstechniken sowie die Art der Fragestellungen (Luedke 2008: 49 ff.).

In Deutschland steht eine große Studienanzahl über Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften einer geringen Anzahl der gegen Männer gegenüber. Die 2004 vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) veröffentliche repräsentative Studie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ (10 000 Befragte) erhob die Gewalterfahrungen von 16-85 Jährigen. Mindestens jede vierte Frau (25%), die in einer Partnerschaft lebt oder gelebt hat, erfuhr durch den aktuellen oder früheren Beziehungspartner ein- oder mehrmals körperliche (23 %) oder –zum Teil zusätzlich– sexuelle Übergriffe (7%). Differenziert nach der Schwere der Gewalt haben zwei Drittel dieser Frauen schwere bis sehr schwere körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlitten. Bezogen auf das Leben insgesamt kam es bei 33% der partnergewalterfahrenen Frauen zu regelmäßigen (10-mal und mehr) Übergriffen. Des Weiteren erfuhren Frauen zu 71% körperliche Gewalt in der eigenen Wohnung. Die sekundäranalytische Studie „Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen“ zeigt Risikofaktoren wie Trennung, Trennungsabsicht oder Gewalterfahrungen in Kindheits- und Jugendalter auf. Außerdem ist Gewalt an Frauen durch ihren männlichen Partner in allen gesellschaftlichen Schichten und unterschiedlichen ethnischen Zugehörigkeiten gegeben (BMFSFJ 2008: 106 ff.).

2004 wurde die nicht repräsentative Pilotstudie „Gewalt gegen Männer“ (190 Befragte) veröffentlicht. Ein Viertel der in heterosexuellen Beziehungen lebenden Männer gab an, ein- oder mehrmals körperliche Gewalt durch die aktuelle oder letzte Partnerin erlebt zu haben. Diese bezogen sich vorwiegend auf leichtere Gewaltakte, wie Ohrfeigen, Beißen oder Kratzen bis hin zu Tritten oder Werfen von Gegenständen. 5% sagte aus, im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt mindestens einmal verletzt worden zu sein (BMFSFJ 2004: 10f.). Jedoch rief kein Mann die Polizei, was der Soziologe und Kriminologe Bock damit begründet, dass bereits „das bewusste Eingeständnis […] Opfer von Gewalt einer Frau (geworden) zu sein, mit der Geschlechtsrollenidentiät kaum vereinbar“ ist (2003: 27). Dieser geht von einem nahezu gleich häufigen aggressiven Verhalten der Parteien aus. Er bezieht sich dabei auf Dunkelfeldstudien, die vorwiegend mit dem umstrittenen Messinstrument der Conflict Tactics Scale (CTS) arbeiten. Ein Ergebnis verweist auf vermehrt wahrnehmbare Verletzungen der weiblichen Opfer (62%) (2003: 27).

Erscheinungsformen

Häusliche Gewalt bezieht sich auf alle Formen physischer, sexueller und/oder psychischer Gewalt, die gegenüber Personen stattfindet, ggf. auch mittelbar durch Gewalt gegen Sachen. Fast alle Arten erweisen sich als strafrechtlich sanktionierte Tatbestände. Diese reichen von Bedrohung, Stalking, Hausfriedensbruch, Aneignen oder Zerstören von Eigentum über Körperverletzung bis hin zur Vergewaltigung sowie Tötung. Zu den Verhaltensweisen, die meistens gleichzeitig anzutreffen sind, gehören:

  • Physische Gewalt, z.B. schlagen, treten, würgen, mit einem Gegenstand verletzen
  • Psychische Gewalt, z.B. beschimpfen, drohen, Kinder als Druckmittel einsetzen
  • Sexuelle Gewalt, z.B. zu sexuelle Handlungen zwingen, vergewaltigen
  • Soziale Gewalt, z.B. Kontakte verwehren, sozial isolieren, einsperren
  • Ökonomische Gewalt, z.B. Geld einziehen, Arbeitszwang oder -verbot.

Soziale und ökonomische Gewalt werden der psychischen Gewalt zugeordnet. Ziel ist das Gegenüber zu kontrollieren und den freien Willen einzuschränken (Gloor/Meier 2012: 19).

Ursachen

Gesellschaftlich-strukturelle Ursachen: Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene findet die soziale Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit Beachtung. „Als Mann/Junge Gewalt ausüben zu dürfen bzw. als Frau/Mädchen Gewalt erdulden zu müssen ist tief […] in das gängige Männer- und Frauenbild eingeflossen und darin verankert“ (Firle/Hoeltje/Nini 1996: 18). Partnergewalt wird damit auch als Bestandteil gesellschaftlich vermittelter Männlichkeitsmodelle gesehen. Im Industriezeitalter setzte sich das Modell des „Arbeitsmannes“ und des „mächtigen Mannes“ durch. Letzterer ist durch Dominanz und Risikobereitschaft gekennzeichnet. Damit gilt Gewalt als alternatives Mittel zur Behauptung oder Konfliktbewältigung. Inwieweit diese als legitim angesehen wird, ist jedoch milieuspezifisch geprägt. Aus diesem Grund kann das Bild vom körperlich sanktionierenden „Familienvater“ bzw. Mann, der seinen Dominanzanspruch gegenüber der Partnerin mittels Gewalt durchsetzt, als akzeptabel dargestellt werden. Teilweise wird auch die Frau-Mann-Gewalt auf stereotype Männlichkeitsvorstellungen zurückgeführt. Eine gewalttätige Frau müsse nicht befürchten den „mächtigen“ Mann ernsthaft zu verletzen, da dieser sich selbst schützen könne (Luedtke 2008: 58f.). Eine weitere Bedingung bei häuslicher Gewalt ist das in der Gesellschaft vorhandene ungleiche Geschlechterverhältnis zwischen Mann und Frau. Gewalttätige Männer weisen oft auch eine ökonomische und soziale Überlegenheit auf (Firle/Hoeltje/Nini 1996: 18).

Sozialisationsbedingte Lerneffekte: Kinder, die innerhalb der Herkunftsfamilie selbst Opfer und/oder Zeuge von häuslicher Gewalt geworden sind, lernen dieses Verhalten als „normal“ wahrzunehmen. Andererseits führt das „Lernen am familiären Gewaltmodell“ zur Verhaltensübernahme, da hier ein erfolgreicher Weg zur Konfliktbewältigung aufgezeigt wird. Die beobachtbare oder erlebte „Härte“ im Elternhaus erhöht das Risiko selbst Gewaltopfer bzw. -täter zu werden. Innerhalb der Partnerschaft kann zusätzlich sowohl die wehrlose als auch dominante Rolle verinnerlicht und verstärkt werden. Wenn das Opfer vom Täter abhängig und sozial isoliert ist, fehlen Möglichkeiten Situationsänderungen herbeizuführen sowie adäquate Modelle mit Alternativstrategien. Die Konzentration von Personen in einem Wohnquartier, in dem körperliche Gewalt als normatives Verhalten wahrgenommen wird, bekräftigt diesen Zustand (Luedtke 2008: 62f.; Firle/Hoeltje/Nini 1996: 27).

Situative Faktoren, die Gewalt begünstigen: Probleme und Belastungen im Alltag tragen zur Entstehung von Gewalt bei. Dazu gehören sowohl fehlende emotionale Beziehungen (Isolation) als auch stressbelaste Situationen, hervorgerufen durch Arbeitslosigkeit, Überforderung oder Trennung. Alkohol- oder Drogenkonsum kann als Auslöser von Gewalt betrachtet werden (Firle/Hoeltje/Nini 1996: 27).

Gewaltverursachende oder –stabilisierende Faktoren:

Zyklustheorie der Gewalt: Die von der amerikanischen Sozialwissenschaftlern Leonore Walker entwickelte Theorie geht davon aus, dass Gewalt in der Partnerschaft vielmals nach einer bestimmten Gesetzmäßigkeit abläuft. Es findet ein Wechsel zwischen immer stärkerer Gewaltanwendung, Reue und anschließender Fürsorge statt, wobei die Abstände immer kürzer werden. Dadurch vermindert sich das Selbstwertgefühl und die Handlungsbereitschaft des weiblichen Opfers zunehmend. Wenn der Zyklus nicht durchbrochen wird, steigert und verfestigt sich das gewalttätige Muster.

Statusinkonsistenz: Ein unterschiedlicher sozialer Status bezogen auf Einkommen, Beruf oder Bildung ruft Unterlegenheitsgefühle hervor, welche durch Gewalt kompensiert werden.

Traditionelle Rollenverteilung: Verschiedene Autoren berufen sich auf empirische Studien, die zeigen, dass hierarchische Beziehungen mit dem Mann als Entscheidungsträger häufiger von Gewalt betroffen sind als gleichgestellte Haushalte (Luedtke 2008: 60; Firle/Hoeltje/Nini 1996: 23). Frauen mit einem tradierten Rollenverständnis sind durch stillhalten, erdulden gekennzeichnet und fühlen sich für das Wohlergehen aller Familienmitglieder verantwortlich.

Persönlichkeits- und Verhaltensfaktoren: Tätertypologien gewalttätiger Männer verweisen auf Gefühls-, Wahrnehmungs- und Kommunikationsdefizite, geringes Selbstwertgefühl, Abhängigkeiten verbunden mit Verlustängsten sowie Abwehrmechanismen zur Rechtfertigung von Gewalthandlungen. Der Misshandler erhält durch die Kontrolle über seine Lebens- bzw. Ehepartnerin ein Machtgefühl und überdeckt somit unbewusst die eigene Unsicherheit sowie Abhängigkeit. Das Opferverhalten zeichnet sich dadurch aus, dass die Frauen zumeist für lange Zeit die Gewalttätigkeiten hinnehmen, sich schwer vom Täter trennen bzw. zu ihm zurückkehren. Typisch sind weiterhin eine starke emotionale Bindung zu dem männlichen Aggressor sowie die Identifizierung mit diesem als Methode zum „Überleben“ (sog. Stockholm-Syndrom), (Firle/Hoeltje/Nini 1996: 24 ff.; Kaselitz/Lercher 2002: 46 ff.).

Wichtige rechtliche Bestimmungen und ihre Konsequenzen

Zivilrecht - Gewaltschutzgesetz (GwSchG): Am 01.01.2002 ist das „Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen“ in Kraft getreten. Für die Opfer besteht damit die Möglichkeit den Täter im Eilverfahren aus der gemeinsamen Wohnung zu verweisen. Besonders der Grundsatz „Wer schlägt, der geht - das Opfer bleibt in der Wohnung“ wurde umfassend im Recht verankert.

Polizeirecht: Das Gewaltschutzgesetz stellt keine polizeiliche Eingriffsbefugnis dar. Trotzdem muss dem Opfer bereits im Vorfeld des zivilrechtlichen Schutzes Sicherheit durch die Polizei als Institution der formellen Sozialkontrolle gewährt werden. Im Zuge der Einführung des Gewaltschutzgesetzes wurden auch die Handlungsbefugnisse erweitert. Der Täter kann folglich für mehrere Tage der gemeinsamen Wohnung und unmittelbaren Umgebung verwiesen sowie die Rückkehr dorthin untersagt werden. In dieser Zeit hat das Opfer die Möglichkeit zivilrechtliche Schritte oder gerichtliche Schutzanordnungen einzuleiten.

Kriminologische Relevanz

Häusliche Gewalt findet vorwiegend in der privaten Umgebung statt und entzieht sich damit häufig formeller und informeller sozialer Kontrolle. Die Ergebnisse der Dunkelfeldstudien zeigen, dass der soziale Nahbereich besonders für Frauen ein erhebliches Risiko der primären Viktimisierung beinhaltet. Der bzw. die Geschädigte kann direkte physische Verletzungen erleiden, aber auch psychischer Art (z.B. Depression). Ein indirekter sekundärer Schaden tritt durch unsensibles Verhalten der Bekannten oder Verwandten ein. Möglich wären auch unangemessene Reaktionsweisen professionell handelnder Akteure, so etwa die Polizei. Entweder wird dem Opfer nicht geglaubt oder ihm vorgeworfen, dass die Tat zu verhindern gewesen wäre. Aufgrund fehlerhaften polizeilichen und justiziellen Umgang im Strafverfahren kann eine tertiäre Viktimisierung eintreten, wodurch die Übernahme der Opferrolle erfolgt.

Im Bereich der häuslichen Gewalt wird von einem hohen Dunkelfeld ausgegangen. Die KFN Opferbefragung 1992 stellte zum Beispiel heraus, dass 93,3% der Vorfälle sexueller Gewalt gegen Frauen aus dem familiären Bereich nicht angezeigt wurden (Wetzels/Pfeiffer 1995: 14).

Wichtiges Ziel im Zusammenhang mit dieser Problematik ist die Prävention. Dabei dienen Frauenhäuser und Beratungsstellen als Hilfseinrichtungen nach Gewaltereignissen. Außerdem soll die Arbeit mit Tätern den Schutz des Opfers erhöhen (Kaselitz/Lercher 2002: 50 ff.). Politische Präventionsmaßnahmen zeigen sich durch die im Jahre 1999 und 2007 von der Bundesregierung verabschiedeten Aktionspläne zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. Diese Handlungskonzepte zielen auf die Aufklärung und Bewusstseinsänderung der Bevölkerung sowie die dauernde Verminderung entsprechender Übergriffe. Im Jahr 2011 unterzeichnete Deutschland zusätzlich als eines von 13 Mitgliedsstaaten des Europarates die Konvention zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Leuze-Mohr weist aber darauf hin, dass dieses Phänomen zwar gesellschaftlich als strafwürdig anerkannt ist, jedoch immer noch davor gescheut wird in die Privatsphäre einzugreifen (2001: 18).

Literatur und Quellen

  • Bock, Michael (2003): Häusliche Gewalt - ein Problemaufriss aus kriminologischer Sicht. In: Landeszentrale der politischen Bildung Baden-Württemberg (Hg.): Sicherheit und Kriminalität - Der Bürger im Staat. 53. Jahrgang Heft 1/2003. 25-31.
  • Brzank, Petra (2012): Wege aus der Partnergewalt. Frauen auf der Suche nach Hilfe. Wiesbaden.
  • Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. (2009): Standards und Empfehlungen für die Arbeit mit Tätern im Rahmen von interinstitutionellen Kooperationsbündnissen gegen häuslich Gewalt der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.): Materialien zur Gleichstellungspolitik. 2. Aufl. Niestetal.
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2004): Gewalt gegen Männer. Personale Gewaltwiderfahrnisse von Männern in Deutschland- Ergebnisse der Pilotstudie. Baden-Baden.
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2004): Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Berlin.
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2008): Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen. Eine sekundäranalytische Auswertung zur Differenzierung von Schweregraden, Mustern, Risikofaktoren und Unterstützung nach erlebter Gewalt. Berlin.
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Bundesministerium der Justiz (Hg.) (2010): Mehr Schutz bei häuslicher Gewalt. Information zum Gewaltschutzgesetz. 3. Aufl. Berlin.
  • Büchler, Andrea (1998): Gewalt in Ehe und Partnerschaft - Polizei-, straf- und zivilrechtliche Interventionen am Beispiel des Kantons Basel-Stadt. Basel. Genf. München.
  • Firle, Michael; Hoeltje, Betina; Nini, Maria (1995): Gewalt in Ehe und Partnerschaft - Anregungen und Vorschläge zur Beratungsarbeit mit mißhandelten Frauen. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.). Köln.
  • Gloor, Daniela; Meier, Hanna: Zahlen und Fakten zum Thema häusliche Gewalt (2010): In: Fachstelle für Gleichstellung Stadt Zürich, Frauenklinik Maternité Stadtspital Triemli Zürich, Verein Inselhof Triemli Zürich (Hg.) (2010): Häusliche Gewalt erkennen und richtig reagieren - Handbuch für Medizin, Pflege & Beratung. 2. Aufl. Bern. 17-36.
  • Godenzi, Alberto (1996): Gewalt im sozialen Nahraum. 3., erw. Aufl. Basel. Frankfurt am Main.
  • Kaselitz, Verena; Lercher, Lisa (2002): Gewalt in der Familie - Rückblick und neue Herausforderungen. Gewaltbericht 2001. Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen (Hg.). Wien.
  • Kavemann, Barbara (2002): Fortbildungen für die Intervention bei häuslicher Gewalt – Auswertung der Fortbildungen für Polizeiangehörige sowie Juristinnen und Juristen. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.). Stuttgart.
  • Lamnek, Siegfried et al. (2012): Tatort Familie - Häusliche Gewalt im gesellschaftlichen Kontext. 3. Aufl. Wiesbaden.
  • Landeskriminalamt Brandenburg (2013): Lagebild Häuslicher Gewalt Land Brandenburg 2012. Auf der Grundlage der Polizeilichen Kriminalstatistik. Brandenburg.
  • Leuze-Mohr, Marion (2001): Häusliche Gewalt gegen Frauen – eine straffreie Zone? Warum Frauen als Opfer männlicher Gewalt in der Partnerschaft auf Strafverfolgung der Täter verzichten – Ursachen, Motivationen, Auswirkungen. 1. Aufl. Baden-Baden.
  • Luedtke, Jens: Gewalt in der Partnerschaft (2008): In: Dessecker, Axel; Egg, Rudolf (Hg.) (2008): Gewalt im privaten Raum: aktuelle Formen und Handlungsmöglichkeiten. Wiesbaden. 39-74.
  • Weingartner, Martha: Einleitung (2010): In: Fachstelle für Gleichstellung Stadt Zürich, Frauenklinik Maternité Stadtspital Triemli Zürich, Verein Inselhof Triemli Zürich (Hg.) (2010): Häusliche Gewalt erkennen und richtig reagieren - Handbuch für Medizin, Pflege & Beratung. 2. Aufl. Bern. 13-16.
  • Wetzels, Peter; Pfeiffer, Christian (1995): Sexuelle Gewalt gegen Frauen im öffentlichen und privaten Raum. Ergebnisse der KFN-Opferbefragung 1992. KFN-Forschungsbericht Nr. 37. Hannover.

Weblinks