Schulabsentismus

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Schulabsentismus (Absentismus => lat. absentia= Abwesenheit) stellt das Fernbleiben von Schülern vom Unterricht dar. Erst durch die Einführung der Schulpflicht entstand das Phänomen des Fernbleibens vom Unterricht als abweichendes Verhalten. Dieses entwickelt sich durch ein Zusammenspiel verschiedener, individueller Einflussfaktoren auf unterschiedlichen Ebenen. Für die betroffenen Schüler birgt diese Form des abweichenden Verhaltens ein erhöhtes Risiko von Folgeproblemen.

Seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts beschäftigen sich unterschiedliche Wissenschaftler mit diesem Forschungsgegenstand. Schulabsentismus wurde anfangs nur von der Psychiatrie beachtet, später kamen noch Psychologen und Pädagogen dazu. Während in den USA dieses Forschungsfeld bereits in den 30er Jahren von Soziologen und Kriminologen aufgenommen wurde, fand Schulabsentismus als Form abweichenden Verhaltens erst Ende der 70er Jahre in der BRD von diesen Professionen Beachtung.


Zum Begriff

Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten, mit denen die Abwesenheit vom Unterricht bezeichnet wird, sind in der öffentlichen, wie zum Teil auch in der fachlichen Diskussion, indifferent im Gebrauch. Dies mag an der Vielfältigkeit des Phänomens liegen, aber auch an den unterschiedlichen Wissenschaften, die sich mit Schulabsentionsforschung beschäftigen. So werden verschiedene Bezeichnungen teilweise synonym, als auch zur Differenzierung benutzt. Um eine klare Sprache zu finden, werden im Folgenden die in der aktuellen Fachdiskussion verwendeten Begriffe kurz aufgeführt und erklärt.

Schulschwänzen

Unter Schulschwänzen sind die Verhaltensweisen zu verstehen, bei denen Schüler auf eigene Initiative vom Unterricht fernbleiben. Dies geschieht überwiegend ohne das Wissen der Erziehungsberechtigten, und somit ist der Aufenthaltsort während der Schulzeit oft außerhalb des Elternhauses. Betroffen von dieser Form sind hauptsächlich Jugendliche in der Sekundarstufe. Grundschüler sind selten in dieser Gruppe zu finden.

Schulverweigerung

Bei der Schulverweigerung stehen die Angst vor der Schule (als Institution) und vor den dazugehörigen Personen im Vordergrund. Betroffen sind überwiegend jüngere Kinder, seltener Jugendliche. Oft werden Krankheiten, z.B. Bauchschmerzen, vorgeschoben, um nicht zur Schule gehen zu müssen. Diese Schüler bleiben dabei fast immer zu Hause. Psychologen und Mediziner sprechen in diesem Zusammenhang von Schulangst oder Schulphobie. In der Soziologie und in der Kriminologie wird der Begriff Schulverweigerung oft als (quantitative) Steigerungsform des Schulschwänzens verwendet. In diesem Sinne geschieht es auch in diesem Artikel.

Zurückhalten

Bei der Zurückhaltung von Schülern vom Unterricht geht die Initiative von den Erwachsenen aus dem Nahbereich aus. Sie entsteht meist aus Ablehnung oder Gleichgültigkeit der Erziehungsberechtigten gegenüber der Schule. Dabei ist das Fernbleiben der Schüler oft Teil einer vielschichtigen Verwahrlosung in den Herkunftsfamilien. Gelegentlich werden die Kinder und Jugendlichen auch als Arbeitskräfte in familiären Bereichen oder Betrieben eingesetzt, wodurch ein Schulbesuch zeitlich nicht möglich ist. Auch das Verheimlichen von sichtbaren Folgen körperlicher Misshandlungen kann zum Zurückhalten führen.

Schulmüdigkeit

Die Schulmüdigkeit stellt eine Sonderform des Schulabsentismuses dar. Schüler sind körperlich anwesend, nehmen aber nicht am Unterricht teil. Sie verbringen die Schulzeit mit Träumen, Störungen oder Boykotthandlungen.

Unterrichtsabsentismus

Der Unterrichtsabsentismus stellt häufig eine Vorstufe des Schulabsentismus dar. Die Schüler sind nicht durchgehend im Unterricht. Sie kommen später, verlassen den laufenden Unterricht oder verbringen einzelne Stunden in den einschlägigen Bereichen des Schulgeländes.

Die Geschichte der Schulpflicht in Deutschland

Lange vor der allgemeinen Schulpflicht gab es schon Vorläufer, die zunächst noch nicht die heute geltende Verbindlichkeit mit sich brachten. Das Interesse des Staates an Volksbildung begründete sich mit den entstehenden Anforderungen der neuen Gesellschafts- und Arbeitsstrukturen an den Bürger. Die Bevölkerung sollte zumindest Lesen, Schreiben und Rechnen können. Als "erste Schulpflichtverordnung auf deutschem Boden [...] ist der Mainzer Beschluss Karls des Großen von 813 zu nennen. Diese bestimmte, dass alle Untertanen allgemeinen Elementarunterricht erhalten sollten" (vgl. Frose und Krawitz, S.15). Später folgten die Weimarische Schulordnung (1619) und der Gothaische Schulmethodus (1642), die schon mit einer Forderung nach Verbindlichkeit des Schulbesuchs verbunden waren (vgl. Dunkake S.14). Gegen den Schulbesuch standen für die Familien die Einkünfte der Kinder. Kinder als Zuverdiener waren für die Familien oft überlebenswichtig und für die Arbeitgeber als billige Arbeitskräfte gewünscht. Um dem Analphabetismus entgegenzuwirken, wurden schon früh Geldstrafen für die Eltern eingeführt, die für versäumten Unterricht der Kinder gezahlt werden mussten. Der Umfang der Schulpflicht wurde immer weiter ausgedehnt. Es stand den Eltern grundsätzlich frei, ihr Kind zur Schule zu schicken. Alternativ konnten sie selbst durch Hausunterricht, Lesen, Schreiben und Rechnen lehren.

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"Also lautet der Beschluß, daß der Mensch was lernen muß" (Wilhelm Busch)

Erst 1919 entstand mit Art. 145 der Weimarer Reichsverfassung die bindende Verpflichtung zum Besuch der 8-jährigen Volksschule. Während des Nationalsozialismus bestand diese weiter und wurde durch eine anschließende Berufsschulpflicht erweitert. Dazu wurde der Schulzwang eingeführt, der Geldstrafen und Haft für die Erziehungsberechtigten und Zwangszuführungen der Schüler beinhaltete. Diese Sanktionsformen für das Fernbleiben vom Unterricht sind in den heutigen Schulgesetzen, in leicht verändeter Form, erhalten geblieben (vgl. Dunkake S.15).

Rechtliche Grundlagen der Schulpflicht

Schon aus dem Grundgesetz ergibt sich unmittelbar aus dem verfassungsrechtlich anerkannten staatlichen Erziehungsauftrag (Art.7 Abs.1 GG) die Schulpflicht. Die Schulpflicht schränkt andere Grundrechte ein. Schülern werden die Freiheitsrechte, wie das Recht des Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und seiner Handlungsfreiheit, eingeschränkt (Art.2 GG). Bei den Erziehungsberechtigten kommt es zu einer Einschränkung über Erziehung und Bildung des Kindes zu bestimmen (Art.6 GG).

Im Detail ist die Schulpflicht in den Länderverfassungen niedergeschrieben, da das Schulwesen in der Verantwortung der Bundesländer liegt. In den jeweiligen Schulgesetzen werden die Dauer und der Umfang der Schulpflicht geregelt. Es gilt in allen Bundesländer grundsätzlich die Pflicht zum kontinuierlichen Schulbesuch für alle Kinder und Jugendlichen vom 6. bis zum 18. Lebensjahr. Die Erziehungsberechtigten müssen die Einhaltung dieser Pflicht gewähren. Die Verletzung der Schulpflicht wird als Ordnungswidrigkeit und z.T. auch als Straftat geahndet. Zeigen sich Eltern dauerhaft uneinsichtig, kann es zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung nach §1666 Abs.1 BGB dazu kommen, dass ihnen das Personensorgerecht entzogen wird.

Ursachen

Der Annahme, dass das Fernbleiben vom Unterricht von den Schülern frei gewählt wird, ist nur sehr bedingt zuzustimmen. Oft stellt dieses Verhalten für die Betroffenen in ihrer Situation subjektiv die (einzige) logische Reaktion auf die gegebenen Umstände dar. Die Anforderungen an Kinder und Jugendliche und ihre Lebensbedingungen sind vielfältig. Daraus ergeben sich multifaktorielle Ursachen (vgl. Grundlagen und Rat für Kriminalitätsverhütung Schleswig Holstein, Konzepte gegen Schulabsentismus,Kiel 2007, S.17/18). Sie liegen zum einen in der Institution Schule, zum anderen in der individuellen Lebenswelt der Betroffenen.

Schule

In einer Befragung des Deutschen Jugendinstitutes nach dem Grund des Fernbleibens gaben Jugendliche eindeutig den schulischen Bereich als Auslöser an Befragung des Deutschen Jugendinstituts:

  • 59% Probleme mit Lehrern und Lehrerinnen
  • 31% schlechte Leistungen
  • 30% andere schulische Probleme. Hierzu gehören auch Unterforderung, Überalterung durch Klassenwiederholungen und ein ungünstiges Schul- bzw. Klassenklima (wenig Partizipation und Transparenz)
  • 29% Probleme mit Mitschülern (Bedrohungen, Gewalt, Mobbing)

Individuelle Lebenswelt

Auch wenn der Zugang zu allen Schulformen unabhängig von sozio-kulturellen Hintergründen ist, beeinflusst die Herkunft doch stark die Schullaufbahn (siehe auch Anomietheorie und Kontrolltheorie).

Soziale und familiäre Ursachen

  • Geldnot
  • Schüler wird als Arbeitskraft benötigt (z.B. als Babysitter)
  • Störungen der Eltern-Kind-Beziehung, verbunden mit mangelnder Möglichkeit der Einflussnahme
  • Fehlen positiver Vorbilder
  • Desorganisation des Alltags
  • Ablehnung der Schule bzw. geringes Interesse an Bildung

Peergroup

Mit zunehmendem Alter orientieren sich Kinder und Jugendliche immer mehr an Gleichaltrigen (siehe Sozialisation). Erwachsene werden in dieser Zeit unbedeutender. Es entsteht das Bedürfnis der Abgrenzung. Bei einigen Jugendlichen kann es durch Aktivitäten Gleichaltriger zu Fluchtverhalten kommen (bei Angst vor Übergriffen oder bei Erdulden von Gewalt und Mobbing). Bei anderen kann die Peergroup das Schwänzen als gemeinsame Aktivität verstärken. Es entstehen schulaversive Cliquen, wodurch es zu einer Verfestigung des Verhaltens kommt, das eine weitere Distanzierung zu schulkonformen Jugendlichen mit sich bringt (siehe auch Subkulturtheorie).

Auswirkungen

Die Auswirkungen von Schulabsentismus sind für die Betroffenen, ihr Umfeld und die Gesellschaft vielfältig. Jeder Mensch hat Vorlieben und Aversionen. Problematisch werden diese erst, wenn sie mit persönlichen oder gesellschaftlichen Anforderungen kollidieren. Wenn Jugendliche ihren Aversionen gegenüber der Schule nachgeben und sich alternativen, beliebteren Tätigkeiten zuwenden, kann sich ein generalisiertes Verhaltensmuster zur Vermeidung von unangenehm erlebten Situationen ausprägen.

Psychosoziale Auswirkungen

Für die Schüler kommt es durch häufige Unterrichtsversäumnisse zu einer Gefährdung von Abschlüssen und damit von Zukunftsperspektiven. Durch große Konkurrenz auf dem Lehrstellen- und Arbeitsmarkt haben Jugendliche ohne oder mit schlechtem Schulabschluss nur eingeschränkte Chancen. Es entsteht eine Spirale aus Frustration durch Sanktionen und Misserfolgserlebnissen auf der einen Seite und Ausweichverhalten auf der anderen Seite, die sich gegenseitig verstärken. Der Benachteiligung auf dem Beschäftigungsmarkt folgt meist eine finanzielle durch Arbeitslosigkeit oder Arbeit auf dem Niedriglohnsektor. Öffentliche Unterstützungssysteme müssen zur Grundsicherung bemüht werden. Eine Hartz IV-Karriere folgt nicht selten. Eine gesellschaftliche Teilhabe ist nur begrenzt möglich. Dadurch entsteht oft eine negative Selbstwahrnehmung und Resignation. Es kann zur Suche nach alternativen Formen zur Bestätigung kommen, z.B. durch waghalsiges oder delinquentes Verhalten. Auch "Fluchtverhalten" im Sinne von Suchtmittelkonsum kann vorkommen.

Abweichendes Verhalten und Kriminalität

Schulschwänzen als Form abweichenden Verhaltens

Durch Schulabsentismus alleine entsteht noch keine Kriminalität. Das Schwänzen der Schule stellt eine Form abweichenden Verhaltens dar. Das unentschuldigte Fehlen verstößt gegen die Schulnormen und die Schulpflicht, die in verschiedenen Gesetzestexten niedergeschrieben sind. Damit ist Schulschwänzen gesetzeswidriges Verhalten. Betroffe erleben sich selbst in diesem Zusammenhang als Regelbrecher. Sie bauen, u.a. durch Stigmatisierungsprozesse, ein entsprechendes Selbstbild auf und identifizieren sich mit dem Image des "Outlaw". Über die Jugendlichen werden Akteneinträge angelegt. Sie werden von ihrem Umfeld als Abweichler wahrgenommen.

Zusammenhang zwischen Schulabsentismus und Delinquenz

Der Zusammenhang zwischen Delinquenz und Schulabsentismus wurde in Dunkelfeldstudien mehrfach bestätigt. Dies ist keine neue Erkenntnis. Glueck und Glueck machten 1950 in den USA eine Längsschnittstudie mit 1000 männlichen Jugendlichen aus der Bostener Unterschicht, von denen die Hälfte straffällig geworden war. Davon waren 94,8% der Delinquenten durch Schulschwänzen aufgefallen. Von der Vergleichsgruppe schwänzten nur 10,8% (vgl. Glueck, Sheldon und Glueck, Eleanor 1950). Joachim Witzel beschrieb das Schulschwänzen als "...eine typische Form kindlichen abweichenden Verhaltens, die ihrerseits ein Durchgangsstadium zu abweichendem bzw. delinquentem Verhalten des Jugend- und Erwachsenenalters bilden kann" (Winzel 1969, S.74).

Spätere Längsschnittuntersuchungen belegen, dass es bei straffälligen Gewalttätern schon früh in deren Lebenslauf abweichendes Verhalten gegeben hat. Zu dem gleichen Ergebnis kommen auch Studien zur Rückfallwahrscheinlichkeit von Gewalttätern in einer "Längsschnittstudie" im Jahre 2007 von Stefan Harrendorf. Auch andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Das Max-Planck-Institut (MPI) führte eine Querschnittsuntersuchung unter der Leitung von Dietrich Oberwittler durch, an der 5331 Schülerinnen und Schüler der achten bis zehnten Klasse aus Köln und Freiburg beteiligt waren (vgl. Oberwittler et al 2001). Die Auswertung dieser Datenerhebungen ergibt, dass mit der Häufigkeit des unentschuldigten Fernbleibens von der Schule die Wahrscheinlichkeit für delinquentes Verhalten steigt. Jugendliche, die regelmäßig die Schule besuchen, haben eine Kriminalitätsbelastung von 39,7%, davon sind 1,4% Intensivtäter. Dagegen haben die Schüler aus der Gruppe der Schulschwänzer schon eine Kriminalitätsbelastung von 70,2% (inklusiv 4,4% Intensivtäter). Auffallend ist der Prozentsatz bei den Schulverweigerern. Diese Heranwachsenden kommen auf eine Kriminalitätsbelastung von 92,1%. Davon sind 26,8% Intensivtäter. Auswertungen der Datenerhebungen der MPI-Schulbefragungen haben einen signifikanten Zusammenhang für den Anschluss an delinquente Cliquen festgestellt. So haben Jugendliche, die die Schule schwänzen, eine dreifach höhere Chance, Kontakt zu delinquenten Peers zu knüpfen, als die Vergleichsgruppe (vgl. Frings 2007: S.215 ff.).

Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen

Schulabsentismus hat nicht nur negative Auswirkungen auf die direkt Betroffenen, sondern auch auf die Gesellschaft als Ganzes. Durch (Jugend-)kriminalität leidet die Lebensqualität der ganzen Bevölkerung. Kriminalitätsfurcht schränkt das Alltagsleben ein und Opfer von Verbrechen müssen das Erlebte verarbeiten. Eine Rechtfertigung für die Notwendigkeit der hohen Ausgaben und den umfangreichen Arbeitsaufwand, die eine Präventionsstruktur und frühe Interventionsformen mit sich bringen, sind die Folgekosten, die durch Absentismus entstehen. Als erstes sind die Kosten für das Bildungssystem zu nennen. Klassenwiederholungen, Schulformen, welche das Nachholen eines Schulabschlusses ermöglichen, und überbetriebliche Ausbildungsmaßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt verursachen hohe finazielle Belastungen. Diese weiten sich auf andere Institutionen aus, wenn diese zur Unterstützung von der Schule eingeschaltet werden müssen. Ist eine Eingliederung in der Arbeitsmarkt nicht möglich, kommen noch lebenslange Bezüge von sozialen Unterstützungssystemen dazu. Gleichzeitig fehlen die Steuer- und Sozialabgaben. Kriminelle Aktivitäten bringen verschiedene Folgekosten, z.B. für die Jugendhilfe, die Strafverfolgung und den Strafvollzug mit sich.

Konzepte

Alexandre Lacassagne (1843-1924) sagte einmal: „Jede Gesellschaft hat die Verbrecher, die sie verdient!“. Dieses Zitat hat nichts von seiner Gültigkeit verloren. In den USA wird Schulabsentismus schon lange unter dem Begriff der Delinquenz eingeordnet und mit Sanktionen des Jugendstrafrechts geahndet. Daher existiert dort und in Großbritanien schon über Jahrzehnte eine Schulabsentismusforschung, welche entsprechende Konzepte entwickelt hat. In den letzten Jahrzehnten haben die meisten europäischen Staaten den Zusammenhang zwischen Schulabsentismus und Delinquenz verstanden und diese Erkenntnisse in ihre Präventionsprogramme mit einfließen lassen. Dabei sind sehr unterschiedliche Maßnahmen entstanden. In Frankreich, Großbritianien und den USA gibt es vereinzelte Schulen, die versuchen, ihre Schüler mit Sach- oder Geldgeschenken zurück in den Unterricht zu bekommen (vgl. Spiegel). Im Rahmen der Gewaltprävention bei Jugendlichen haben viele Bundesländer der BRD Konzepte entwickelt, bei denen ein frühzeitiges Eingreifen bei Schulabsentismus eine Rolle spielt. So ist z.B. im Stadtstaat Hamburg die Richtlinie für den Umgang mit Schulpflichtverletzungen ein Bestandteil des Handlungskonzepts "Handeln gegen Jugendgewalt". Dieses soll zur Prävention und Bekämpfung von Jugendkriminalität und Jugendgewalt beitragen und beinhaltet ein System aufeinander abgestimmter Maßnahmen, welche an den realen Problemlagen ansetzen sollen. Als erster Punkt der priorisierten Maßnahmen des Handlungskonzeptes steht die Durchsetzung der Schulpflicht. Die Mitarbeiter der Schule sollen den regelmäßigen Schulbesuch wieder herstellen. Durch entschlossene Reaktionen und Sanktionen soll zeitnah eine Verhaltensveränderung erzwungen werden. Die Schulleitungen setzen die Richtlinien entsprechend um. Hier als Beispiel die Umsetzung an der Hamburger Gesamtschule Niendorf durch den Abteilungsleiter Sven Nack:

  • Bei unentschuldigten Fehlzeiten erfolgt neben der Dokumentation die Information der Erziehungsberechtigten noch am Kalendertag, sowie zeitnah ein Gespräch mit dem Schüler.
  • Sollte sich das Fehlen fortsetzen (mehr als drei Tage) folgen ein Hausbesuch und ein Gesprächsangebot.
  • Haben auch diese Maßnahmen keinen Erfolg werden der Beratungsdienst und die Abteilungsleitung informiert. Kontakte zum ASD und zur Schulaufsicht werden hergestellt. Es wird ein Bußgeldverfahren eingeleitet.
  • Wirken diese Maßnahmen nicht, werden auch Mittel des Verwaltungszwangs eingesetzt. Im äußersten Fall kann es zur Einleitung eines Strafverfahrens kommen.

Wichtig bei diesen Maßnahmen ist die Sensibilisierung der beteiligten Professionen, die Merkmale sich verfestigenden Fehlverhaltens frühzeitig zu erkennen und zeitnah zu intervenieren. Schule muss sich weiter verändern: Zu einem Lebensraum, in dem sich alle angenommen und wohl fühlen, d.h. er muss sich auch nach den individuellen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen richten. Es muss eine Identifikation aller Beteiligten mit der Schule möglich sein. Wege dazu sind die Verbesserung des Schulklimas, Transparenz und Partizipation aller an Schule beteiligten Personengruppen. Auch eine Vernetzung zwischen Schule und außerschulischen Institutionen, wie dem Jugendamt, ist notwendig, um den Schüler in seiner Komplexität wahrzunehmen und um individuelle Lösungen zu finden, die dem Einzelfall entsprechen.

Literatur

  • Dunkake Imke, Die Entstehung der Schulpflicht, die Geschichte der Absentismusforschung und Schulschwänzen als abweichendes Verhalten In: Wagner Michael (Hrsg.), Schulabsentismus Soziologische Analysen zum Einfluss von Familie, Schule und Freundeskreis, Juventa Verlag, Weinheim und München 2007
  • Frings Rebecca, Schulschwänzen und Delinquenz, In: Wagner Michael (Hrsg.), Schulabsentismus Soziologische Analysen zum Einfluss von Familie, Schule und Freundeskreis, Juventa Verlag, Weinheim und München 2007
  • Froese Leonhard und Krawietz Werner, Deutsche Schulgesetzgebung, Beltz, Weinheim 1968
  • Glueck, Seldon und Glueck, Eleanor, Unraveling juvenile delinquency, MA: Harvard University Press, Cambridge 1950
  • Grundgesetz
  • Oberwrittler, Dietrich, Soziale Lebenslagen und Delinquenz von Jugendlichen. Ergebnisse der MPI-Schulbefragung 1999 in Freiburg und Köln. Arbeitsberichte 1/2001 aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und interationales Strafrecht, Freiburg im Breisgau 2001
  • Rat für Kriminalitätsverhütung in Schleswig-Holstein (Hrsg.), Schulabsentismus Konzept zur Kriminalitätsverhütung, Kiel 2007
  • Ricking Dr. Heinrich,Schulische Handlungsstrategien bei Schulabsentismus Möglichkeiten der Prävention von Schulschwänzen und -verweigerung In: Buchen et al. (Hrsg.) Schulleitung und Schulentwicklung, Raabe-Verlag, Berlin 1999
  • Senat Freie und Hansestadt Hamburg (Hrsg.), Handlungskonzept "Handeln gegen Jugendgewalt", Hamburg 2007
  • Witzel, Joachim, Der Außenseiter im Sozialisationsprozess der Schule, Enke Verlag, Stuttgart 1969

Weblinks

Zugriff auf die aufgeführten Seiten am 28. Feb. 2010, soweit nichts anderes vermerkt.