Ordnungswidrigkeit

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Definition

Gemäß § 1 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) ist eine Ordnungswidrigkeit eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt.


Geschichte des OWiG

Gesetzgeberische Intention

Die Bestrebungen, nicht strafwürdige Zuwiderhandlungen, die früher entweder dem Polizeirecht oder dem Verwaltungsrecht zugeordnet waren, aus dem Strafrecht auszugrenzen, lassen sich über Jahrhunderte zurückverfolgen. Als eigenständiger Rechtszweig hat sich das OWiG in Deutschland allerdings erst nach 1945 entwickelt. Gesetzgeberische Intention war es, den Kreis strafrechtlicher Tatbestände bei geringem Unrechtsgehalt einzuengen, um das Strafrecht auf die wirklich der Strafe würdigen und bedürftigen Fälle zu beschränken.

Entwicklung des OWiG

Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871

Im Reichsstrafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 war neben Verbrechen und Vergehen als dritte Stufe die so genannte "Übertretung" geschaffen worden. Erfasst werden sollte damit eine rechtswidrige und schuldhafte Verhaltensweise, deren Unrechtsgehalt gering war und deren Unrechtsqualität vor allem in der Zuwiderhandlung gegen behördliche Anordnungen bestand. Auf prozessualer Ebene gab es die Möglichkeit einer vereinfachten Behandlung, insbesondere die vorgerichtliche Ahndung durch Verwaltungsbehörden. Die Sanktion erfolgte in Form einer echten Kriminalstrafe, die jedoch zumeist nur sehr gering ausfiel.

Das Wirtschaftsstrafgesetz von 1949

Nach dem zweiten Weltkrieg waren die Wirtschaftsdelikte sprunghaft angestiegen. Dies führte zu einer enormen Ausdehnung des Nebenstrafrechts insbesondere im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts. Daraus entstand die Gefahr, dass jeder Mitbürger wegen einer verhältnismäßig harmlosen und sachlich verständlichen Verfehlung gegen Bewirtschaftungsvorschriften mit einer Kriminalstrafe belegt wird, da ein völliges Absehen von Sanktionen ausgeschlossen schien. Um dies zu verhindern und zusätzlich eine einfachere Verfahrensregelung zu schaffen, wurden die Verwaltungsbehörden ermächtigt, in geringfügigen Fällen, eine Ordnungsstrafe festzusetzen. Erstmalig im "Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts" vom 26. Juli 1949 wurde somit eine Trennung von Strafrecht im engeren Sinn und Ordnungswidrigkeitenrecht durchgeführt.

Das Ordnungswidrigkeitengesetz von 1952

Am 25. März 1952 wurde das "Gesetz über Ordnungswidrigkeiten" erlassen. Es sollte ganz allgemein als materiell- und verfahrensrechtliches Rahmengesetz für Ordnungswidrigkeiten auf allen Sachgebieten gelten. Als Vorbild dienten die Regelungen aus dem WiStGB von 1949. Mit diesem Gesetz wurde auch die formelle Abgrenzung der Ordnungswidrigkeit von der Straftat anhand der Geldbußandrohung eingeführt.

Das Ordnungswidrigkeitengesetz von 1968

Im Zuge der Strafrechtsreform und im Zusammenhang mit der Entkriminalisierung des Verkehrsstrafrechts wurde am 24. Mai 1968 das OWiG von 1952 durch ein neues "Gesetz über Ordnungswidrigkeiten" ersetzt. Neue Regelungen betrafen insbesondere das Verfahrensrecht, welches einfacher und praxisorientierter gestaltet wurde.

Das zweite Strafreformgesetz von 1969 und das EGStGB von 1974

Durch das "Zweite Gesetz zur Reform des Stafrechts" vom 4. Juli 1969 wurde die Deliktsform "Übertretung" abgeschafft. Die zahlreichen Übertretungstatbestände wurden entweder zu Ordnungswidrigkeiten umgewidmet, zu Vergehen aufgewertet oder ersatzlos gestrichen. Mit dem "Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch" vom 2. März 1972, durch das weitere Tatbestände des StGB in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt wurden, hat sich das Ordnungswidrigkeitenrecht endgültig zu einem eigenständigen Rechtsgebiet entwickelt.


Gesetzliche Grundlagen

OWiG

Welche Handlungen ordnungswidrig sind, ergibt sich nur teilweise aus dem OWiG. Jedoch regelt das OWiG die Grundzüge des Ordnungswidrigkeitengesetzes, also diejenigen Regelungen, die für alle Ordnungswidrigkeiten gelten und bildet damit die Grundlage für die Verfolgung von und Reaktion auf Ordnungswidrigkeiten.

Nebengesetze

Die meisten der Ordnungswidrigkeiten befinden sich nicht im OWiG selbst, sondern in anderen gesetzlichen Regelungen. Die weitaus bedeutenste Gruppe von Ordnungswidrigkeiten ergibt sich aus der Straßenverkehrsordnung. Ordnungswidrigkeiten finden sich aber z. B. auch in § 22 UmweltHG, § 111a UrhG oder § 145 MarkenG.


Aufbau des OWiG

Das OWiG lässt sich in drei große Teile gliedern: Erster Teil: Allgemeine Vorschriften, §§ 1 - 34, zweiter Teil: Bußgeldverfahren, §§ 35 - 110, dritter Teil: Einzelne Ordnungswidrigkeiten, §§ 111 - 131.

Jeder dieser Teile enthält wiederum einzelne Abschnitte, durch die eine weitere Untergliederung der Vorschriften erfolgt.

Der am Anfang stehende "Allgemeine Teil" des OWiG enthält Vorschriften, die quasi vor die Klammer gezogen für jeden einzelnen Ordnungswidrigkeitentatbestand gelten. Er bezieht sich damit sowohl auf die Ordnungswidrigkeiten des OWiG als auch auf diejenigen, die in anderen Gesetzen geregelt sind. Inhaltlich befasst sich dieser "Allgemeine Teil" mit den allgemeinen Regeln der Ahndungsvoraussetzungen wie z. B. Tatbestand, Rechtfertigung, Versuch und Beteiligung.

Der zweite Teil regelt in chronologischer Weise das Verfahrensrecht. Er untergliedert sich wiederum in das Erkenntnisverfahren und das Vollstreckungsverfahren. Im Erkenntnisverfahren wird festgestellt, ob eine Ordnungswidrigkeit begangen wurde. Das anschließende Vollstreckungsverfahren dient der Durchsetzung der getroffenen Entscheidung.

Im dritten Teil sind einige Tatbestände normiert. Im Vergleich zur Gesamtheit stellen diese jedoch nur einen sehr kleinen Auszug aller Ordnungswidrigkeitentatbestände dar. Die Mehrheit aller Ordnungswidrigkeitentatbestände ist über eine Vielzahl von Nebengesetzen verstreut. Die im OWiG geregelten Tatbestände verdanken ihre Platzierung dem Umstand, dass sie sich keinem spezialgesetzlich geregelten Bereich schwerpunktmäßig zuordnen lassen.


Rechtsfolgen

Geldbuße

Als Rechtsfolge sieht das Gesetz in § 1 Abs. 1 OWiG grundsätzlich eine Geldbuße vor. Die Höhe der möglichen Geldbuße bestimmt sich nach dem Gesetz, dessen Tatbestand verwirklicht wurde, beträgt mindestens aber fünf Euro, § 17 Abs. 1 OWiG. Sieht der verwirklichte Tatbestand keine Obergrenze vor, so ist diese auf höchstens eintausend Euro festgelegt.

Besonderheiten gelten für fahrlässig begangene Ordnungswidrigkeiten. Für diese gilt nach § 17 Abs. 2 OWiG, dass bei fehlender Differenzierung im Höchstmaß für das fahrlässige Handeln nur maximal die Hälfte des angedrohten Höchstbetrages verhängt werden kann.

Verwarnung

Für Fälle geringfügiger Ordnungswidrigkeiten sieht § 56 OWiG die Möglichkeit der Verwarnung vor. Zusätzlich zur Verwarnung kann ein Verwarnungsgeld von fünf bis fünfunddreißig Euro erhoben werden.

Einziehung

Als Nebenfolge einer Ordnungswidrigkeit kann zudem die Einziehung von Gegenständen nach §§ 22 ff. OWiG in Betracht kommen, aber nur dann, wenn dies im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist.

Verfall

Gemäß § 29a OWiG besteht die Möglichkeit, den Verfall eines Geldbetrages anzuordnen und zwar für den Fall, dass eine Geldbuße nicht festgesetzt wird.


Straftat und Ordnungswidrigkeit

Abgrenzung

Die Frage, ob seine Handlung den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit oder den einer Straftat erfüllt, spielt für den Handelnden ein wichtige Rolle. Bei Ordnungswidrigkeiten sind die Sanktionen des Strafrechts ausgeschlossen. Auch das Verfahren richtet sich im Falle einer Ordnungswidrigkeit nach dem OWiG und nicht nach der StPO.

Die Abgrenzung von Straftat und Ordnungswidrigkeit lässt sich am einfachsten anhand eines formalen Merkmales fest machen, nämlich der Sanktionsart. Die Straftat sanktioniert menschliches Verhalten mit einer Kriminalstrafe, wenn die entsprechenden Voraussetzungen eines Straftatbestandes erfüllt sind. Auch die Ordnungswidrigkeit reagiert auf normverletztendes menschliches Verhalten, zieht jedoch keine Kriminalstrafe nach sich, sondern eine Geldbuße. Da es Geldbußen nur bei Ordnungswidrigkeiten gibt, ist somit ein eindeutiges Abgrenzungskriterium vorhanden.

Als weiteres Abgrenzungsmerkmal kann die Formulierung der Tatbestände des Ordnungswidrigkeitenrechts herangezogen werden. Diese beginnen zumeist mit folgenden Worten: "Ordnungswidrig handelt, wer ..." oder "Mit Geldbuße kann belegt werden, wer ...".


Ordnungswidrigkeit oder Straftat - kriminalpolitische Aspekte

Die Unterscheidung zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit spielt für den Gesetzgeber und die Kriminalpolitik immer dann eine wichtige Rolle, wenn ein bisher nicht sanktioniertes/bußgeldbewehrtes Verhalten gesetzlich erfasst werden soll und die Entscheidung getroffen werden muss, ob es als Straftat oder als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet werden soll. Um hier zu einer Entscheidung zu gelangen, muss es bestimmte Kriterien geben, aus denen sich ein Maßstab bilden lässt anhand dessen die Beurteilung erfolgen kann.

Diese Kriterien werden teilweise auf qualitativer Ebene, teilweise auf quantitativer Ebene angesiedelt. Nach der die qualitativen Differenzen betonenden Auffassung ist die Ordnungswidrigkeit im Verhältnis zur Straftat ein "aliud". Die Straftat nimmt Bezug auf eine Rechtsgutsverletzung wohingegen die Ordnungswidrigkeit bloßes "Verwaltungsunrecht" oder "Ungehorsam" betrifft; eine Sozialschädlichkeit liegt bei ihr nicht vor. Für Vertreter des quantitativen Ansatzes steht die Ordnungswidrigkeit zur Straftat in einem plus-minus-Verhältnis; die Ordnungswidrigkeit als die leichtere Deliktsart mit geringerem Unrechts- und Schuldgehalt.

Während in der Anfangszeit der Geltung des OWiG die qualitative Betrachtungsweise durchaus eine gewisse Berechtigung hatte, so wird sie heute als alleiniger Maßstab für die Entscheidung abgelehnt. Vielmehr beeinträchtigen auch Ordnungswidrigkeiten die Rechtsgüter, so dass dem OWiG insoweit auch eine Schutzfunktion zuzusprechen ist. Zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit besteht daher ein quantitativer Unterschied, denn letztlich ist der Unrechts- und Schuldgehalt einer Ordnungswidrigkeit geringer als der einer Straftat.

Die klare Unterscheidung zwischen quantitativem und qualitativem Maßstab findet sich in dieser Klarheit jedoch nur auf abstrakter Gesetzestextebene wieder. Im konkreten Einzelfall kann einer Ordungswidrigkeit durchaus ein höheres Gewicht zukommen. Insofern spielen dann auch qualitative Kriterien eine Rolle, so dass letzlich die Grenzziehungsmethode als gemischt quantitativ-qualitativ angesehen werden kann.

In verfassungsrechtlicher Hinsicht muss bei der Wahl der Deliktsart auch berücksichtigt werden, dass der Staat zum Schutz wichtiger Rechtsgüter verpflichtet ist. Eine Abwertung eines Verhaltens oder eine Bagatellisierung einer bestimmten Verhaltensweise, die zur Verletzung eines hochrangigen Rechtsgutes führt, verstößt gegen diese Schutzpflicht. Umgekehrt wird die Strafgewalt verfassungsrechtich durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt, so dass eine Strafe nur dort verhängt werden darf, wo diese geeignet, erforderlich und angemessen ist.

Im Übrigen verbleibt dem Gesetzgeber immer ein gewisser Ermessensspielraum, innerhalb dessen er seine Entscheidung zu treffen hat.


Verhältnis Straftat und Ordnungswidrigkeit

Das Ordnungswidrigkeitenrecht gehört rechtssystematisch zum Strafrecht. Bei den Ordnungswidrigkeiten liegt ein Fehlverhalten vor, dem im Gegensatz zum Strafrecht jedoch der ethische Unwert fehlt. Dennoch sollen nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch diese Verhaltensweisen nicht folgenlos bleiben und daher mit einer Geldbuße sanktioniert werden.

Um zu verhindern, dass eine Person wegen einer Handlung sowohl nach dem Strafgesetzbuch als auch nach dem OWiG sanktioniert wird (vorausgesetzt beide Tatbestände sind erfüllt), regelt § 21 OWiG den Fall, dass eine Handlung sowohl einen Straftatbestand als auch einen Ordnungswidrigkeitentatbestand erfüllt. Nach Absatz 1 des § 21 OWiG wird dann nur das Strafrecht angewandt. Dieser Vorrang des Strafrechts gilt nach Absatz 2 aber nur, wenn tatsächlich eine Strafe verhängt wird. Geschieht dies nicht, dann kann die Handlung doch als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.


Ordnungswidrigkeiten in der Praxis - einige Zahlen

Literatur

  • Mitsch, Wolfgang: Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Auflage, 2005.
  • Joachim Bohnert: Ordnungswidrigkeitenrecht, 2. Auflage 2004
  • Erich Göhler: Ordnungswidrigkeitengesetz, 14. Auflage, 2006.
  • Lothar Senge: Karlsruher Kommentar Ordnungswidrigkeitengesetz, 3. Auflage, 2006.