Kriminologie im Nationalsozialismus

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Die Kriminologie im "Dritten Reich" zeichnete sich vor allem dadurch aus, daß sie unter weitgehender Zurückdrängung soziologischer und psychologischer Aspekte der Kriminalität den Schwerpunkt auf kriminalbiologische Erklärungsansätze setzte. Kennzeichnend ist, daß diese primär kriminalbiologische Ausrichtung nunmehr auch von solchen Forschern vertreten wurde, die wie Franz Exner noch während der Weimarer Zeit in der Hauptsache kriminalsoziologisch argumentiert hatten.

Rein äußerlich trat die zunehmend kriminalbiologische Ausrichtung der Kriminologie dadurch in Erscheinung, daß sich die "Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform" ab 1937 in "Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform" umbenannte, sowie deren Institutionalisierung, die bereits ab 1927 erfolgte.

Situation der Kriminologie zu Beginn des Nationalsozialismus

Die Kriminologie war bereits zur Zeit der Weimarer Republik stark naturwissenschaftlich, positivistisch und sozialdarwinistisch geprägt. Insbesondere aufgrund der rasanten Entwicklung verschiedener Wissenschaftszweige, vor allem der Medizin, die sich in unzählig verliehenen Nobelpreisen in jener Zeit wiederspiegelte, nahm Wissenschaft per se einen wesentlichen Stellenwert in der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung ein. So stand die Kriminologie unter dem Einfluss von Medizinern und Psychiatern, aber auch von Juristen, die vornehmlich den Blick auf den Täter richteten, kriminogene Faktoren als angeboren und ursächlich erachteten.

Franz von Liszt (1851 – 1919), der als Strafrechtsreformer gesellschaftliche Einflüsse als vordergründig betrachtete, überkam zwar mit einem „Sowohl-als-auch“ bereits vor der Jahrhundertwende zunächst den vorherrschenden Anlage-Umwelt-Streit, dennoch blieb vornehmlich eine kriminalbiologische Ausrichtung dominant, deren beginnende Institutionalisierung sich bereits 1927 mit der Gründung der kriminalbiologischen Vereinigung zeigte. Die politische Ausrichtung des Nationalsozialismus zu Beginn des Dritten Reiches führte zu einer Wechselwirkung zwischen dem totalitären Staat auf der einen und dem Wissenschaftszweig der Kriminologie auf der anderen Seite. Das dominierende Anlagedenken konnte einerseits als Legitimation unter dem Deckmantel der Wissenschaft ideologisch genutzt werden, zumal Gesellschaftsschutz unter Aspekten von Reinhaltung der Rasse eine wesentliche strafrechtliche Ausrichtung im Nationalsozialismus war. Andererseits bot sich aus Sicht der Kriminologie die Durchsetzung wissenschaftlicher Konzepte, die unter der parlamentarischen Demokratie Weimars nur schwer umsetzbar waren. So war eine Konzentration auf erbbiologisches Denken mit einem politischen und wissenschaftlichen Konsens Terrain der Kriminalpolitik, welche im Verlauf des Hitlerregimes eskalierte, indem sie sich unter dem Aspekt der Rasssenhygiene zunächst auf den Täter und später schließlich auf ganze Bevölkerungsgruppen verdichtete.

Rassenhygiene

Der Begriff der Rassenhygiene wird meist ausschließlich mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Der Rassediskurs entwickelte sich jedoch schon zu Ende des 19. Jhd. auf der Grundlage der Lehre Charles Darwins von der Entstehung der Arten und etablierte sich als Wissenschaft. Der Begriff der Eugenik, geprägt durch den britischen Anthropologen Francis Galton (1822-1911), stellt seit 1883 einen separaten Wissenschaftszweig der Genetik dar, der ursprünlgich die Idee verfolgte, humangenetische Erkenntnisse u.a. auf Gesundheitspolitik anzuwenden, positive Erbanlagen sollten maximiert, negative minimiert werden. Der Mediziner Alfred Ploetz (1860-1940)führte sodann 1895 den deutschen Begriff der Rassenhygiene ein. Erst im Verlauf des Dritten Reiches wurde die Idee der Auslese hochwertiger Erbanlagen ideologisch für eine "Züchtung der arischen Rasse" genutzt, sodass schließlich führende Nationalsozialisten auf der Grundlage wissenschaftlicher und später vor allem auch kriminologischer Erkenntnisse Entscheidungen darüber fällten, wer ein Recht auf Leben und wer ein Recht auf Kinder haben sollte.

Kriminologische Wegbereiter

Insbesondere Edmund Mezger, (1983-1962) und Franz Exner (1881-1947) waren richtungsweisende Kriminologen zur Zeit des Nationalsozialismus. Während sie noch zur Zeit der Weimarer Republik eher kriminalsoziologisch ausgerichtet waren, überwog schließlich eine kriminalbiologische Haltung. Auch Gustav Aschaffenburg (1866-1944) und Hans von Hentig (1887 – 1974), Begründer bzw. Mitherausgeber der „Monatsschrift“ und später aufgrund politischer Verstrickung im Exil lebend, sowie Ferdinand von Neureiter (1893-1946) wirkten in jener Zeit nachhaltig mit ihren Arbeiten.

Exner, Mezger und von Neureiter vertraten Vorstellungen, die Erbanlagen als Ursachen von Verbrechensentstehung und kriminellen Persönlichkeiten sahen. Ihre Ideen bauten auf Forschungen auf, die bereits während der Weimarer Republik stattfanden und neuen Aufwind ab 1933 bekamen:

Forschungfelder

Vererbungs- und Sippenforschung

Sippenuntersuchungen wurden vielfältig durchgeführt. So sah Robert Ritter 1937 die „Gaunereigenschaft“ als vererblich an. Eva Justin kam zu dem Ergebnis, dass das Erbschicksal „artfremd erzogener Zigeunerkinder und ihre Nachkommen“ nicht eine Integration sondern Unfruchtbarmachung nach sich ziehen sollte. Ludwig Kuttner forderte aufgrund seiner Studien ebenfalls Unfruchtbarmachung, Heinrich W. Kranz untersuchte 1941 das „Asozialenproblem“. Friedrich Stumpfl legte neben Ergebnissen zur Zwillingsforschung in seiner 1936 publizierten Studie „Erbanlage und Verbrechen“ auch Resultate seiner Sippenforschung dar. So verglich er Schwerverbrecher und Leichtkriminelle hinsichtlich Kriminalität und psychischer Störungen, wobei Stumpfl zufolge die Sippen der Schwerverbrecher ein erhöhtes Maß an beidem auswies.

Zwillingsforschung

Mit der Zwillingsforschung hatte Johannes Lange ( ) 1929 erstmalig Erbeinfluss auf kriminelles Verhalten untersucht. Lange verglich in seiner Studie an kriminellen Zwillingen eineiige und zweieiige Zwillingspaare, wobei sich eine höhere Konkordanz bei den eineiigen Paaren herausstellte, sodass er Erbanlage als Verbrechensursache schlussfolgerte. Er sah „Verbrechen als Schicksal“, wie dem Titel seiner damaligen Studie zu entnehmen ist und stellte gar Verhütungsforderungen auf. Zu ähnlichen Ergebnisse kamen Heinrich Kranz („Lebensschicksale krimineller Zwillinge“ - 1936) und Friedrich Strumpfl („die Ursprünge des Verbrechens“ – 1936) mit differenzierteren Untersuchungen. Wenngleich die damalige Zwillingsforschung als Wegbereiter biokriminologischer Theorien gesehen werden kann, ist ihre Aussagekraft insbesondere aufgrund geringer Fallzahlen eher gering.

Konstitutionsbiologie

Die Lehre des deutschten Psychiaters Ernst Kretschmer (1888 – 1964) über die Zusammenhänge zwischen Körperbau und Charakter war für die Kriminologie, insbesondere für Mezger und Exner, wegweisend. Sie folgerten, dass insbesondere psychische Merkmale den Abweichler zu einem Anlageverbrecher machten.

Psychopatie

Die Lehre Kurt Schneiders (1887- 1967 ), ebenfalls deutscher Psychiater, der psychopatische Persönlichkeiten kategorisierte und nicht nur das individuelle Leiden des Abweichlers, sondern auch das Leiden der Gesellschaft unter dem Abweichler in den Vordergrund stellte, wurde von den Kriminologen mit der Formel „Gewohnheitsverbrecher sind Psychopaten“ übernommen. Stumpfl, Mezger und Exner nahmen die Gedanken Schneiders auf. So waren für Stumpfl Rückfallverbrecher Psychopaten; für Exner befand sich eine hohe Zahl an Psychopaten bei den Schwerverbrechern und Mezger sah in dem psychopatischen Verbrecher einen besonders gefährlicher Verbrecher. Desweiteren sahen Exner und Stumpfl Psychopathie als Erbkrankheit an (Dölling, 1989). Stumpfl forderte gar rassenhygienische Maßnahmen (Streng, 1993) Diese Einschätzung führte letztendlich zu Forderungen von „Gegenmaßnahmen“ wie Eheverbot, Sterilisation und Sicherungsverwahrung (Dölling, 1989).

Institutionalisierung der Kriminologie

Mit der Gründung der kriminalbiologischen Gesellschaft 1927, dessen erster Präsident und späterer Ehrenvorsitzende Adolf Lenz war, fand eine Institutionalisierung der Kriminalbiologie statt. Der Kriminalbiologischer Dienst wurde 1937 im Bereich der Reichsjustizverwaltung ins Leben gerufen. Er umfasste 73 kriminalbiologische Untersuchungsstellen, die in den Strafanstalten integriert waren, sowie 9 kriminalbiologische Sammelstellen, die wiederum für die Erstellung von Gutachten und die Evaluation der Untersuchungen zuständig waren. Zudem wurden rassenhygienische und kriminalbiologische Forschungsstellen des Reichsgesundheitsamtes, sowie das kriminalbiologische Institut der Sicherheitspolizei ins Leben gerufen.

Tätertypologie und die Rolle des Strafrechts

  • Tätertypologie
  • Rolle des Strafrechts

In der Zeit des Nationalsozialismus erlassene oder verifizierte Gesetze, spiegeln kriminalbiologisches Denken wieder:

So sah das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 Sicherheitsverwahrung und Entmannung für gefährliche Gewohnheitsverbrecher vor.Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.07.1933 ermöglichte die Sterilisation bzw. Unfruchtbarmachung von Erb- und schwer Alkoholkranken. Im Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes vom 18.10.1935 war ein Eheverbot zum Schutz der Volksgemeinschaft und zur „Verhütung erkranken Nachwuchses“ enthalten. Mit der Änderung des Reichsstrafgesetzbuches vom 04.11.1941 ging eine Verschärfung gegen gefährliche Täter einher. Demnach drohte gefährlichen Gewohnheitsverbrecher und Sittlichkeitsverbrecher die Todesstrafe, wenn Sühne oder Gesellschafsschutz dies erforderten. Die am 4.10.1939 verabschiedete Verordnung zum Schutz gegen jugendliche Schwerverbrecher ließ bei entsprechender geistiger Reife eine Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf Jugendliche ab 16 zu. § 20 des Reichsjugendgerichtsgesetz vom 06.11.1943 verschärfte das Jugendstrafrecht weiter. Danach konnten auch auf Minderjährige ab 14 Erwachsenenstrafrecht angewandt werden, und zwar unabhängig von ihrer geistigen Reife unter Hervorhebung des Gesellschaftsschutzes, was Exner seinerzeit begrüßte (vgl. Dölling, 1989).


  • geplantes Gemeinschaftsfremdengesetz als Eskalationshöhepunkt und Ende,
  • Verpolizeilichung des Strafrechts,
  • Rolle Exner/ Mezgers,

Ausblick/Rückblick

Franz v. Liszt und die Rolle der Kriminalpolitik

Umgang mit der Kriminologie zu Zeiten des Dritten Reiches in der Nachkriegszeit und der Spätmoderne

Literatur

  • Dieter Dölling, Kriminologie im "Dritten Reich", in: Ralf Dreier und Wolfgang Sellert (Hrsg.), Recht und Justiz im "Dritten Reich", Frankfurt a.M. 1989, S. 194-225.
  • Franz Streng, Der Beitrag der Kriminologie zur Entstehung und Rechtfertigung staatlichen Unrechts im "Dritten Reich", in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 76 (1993), S. 141-168.
  • Richard F. Wetzell, Inventing the Criminal. A History of German Criminology 1880-1945, Chapel Hill und London 2000, insbs. S. 179-231.
  • Günther Kaiser, Kontinuität und Diskontinuität in den Diskursen über Kriminalität und strafrechtliche Sozialkontrolle im Lichte wissenschaftshistorischer Betrachtung in Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 89 (2006), S. 314-327.

weblinks

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