Forensische Linguistik-Autorenerkennung

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Forensische Linguistik-Autorenerkennung


Die Forensische Linguistik ist ein Teilgebiet der angewandten Sprachwissenschaften. Sie stellt für schriftliche Sprachäußerungen wichtige Textanalysemethoden bereit, die auch im Strafverfahren als linguistische Gutachten vor Gericht bestand haben. Diese Form der wissenschaftlichen Textanalyse von inkriminierten Schreiben ermöglicht den Ermittlungsbehörden ein sprachliches Profil des Verfassers zu erstellen und im günstigsten Fall seine Identität zu ermitteln. Das Bundeskriminalamt (BKA) richtete in seinem kriminaltechnischen Institut einen eigenen Fachbereich ein, in dem Linguisten seit den 1970er Jahren inkriminierte Schreiben (z.B. Erpresserbriefe) analysieren.

Etymologie

Die Herkunft des Terminus „Forensische Linguistik" stammt aus dem Lateinischen. Der Ausdruck „forensisch" (lat.: forensis) ist mit verschiedenen Bedeutungen unterlegt, die sich historisch betrachtet komplementär zueinander verhalten. So kann der Terminus „forensis" zum einen „öffentlich", „zum Forum" und „zum Markt gehörig" bedeuten. Weiterhin umschreibt dieser Begriff auch einen öffentlichen Redner. Der etymologische Ursprung liegt in der Zeit des römischen Reiches (8 Jh. vor Chr. bis 7. Jh. nach Chr.). Hier fanden Gerichtsverhandlungen größtenteils in der Öffentlichkeit auf den Markplätzen der Dörfer und Städte statt. Auch Urteilsverkündungen und Bestrafungen wurden zumeist öffentlich abgehalten oder vollstreckt. So entwickelte sich aus „forensis" die übertragene Wortbedeutung „Gericht" oder „gerichtlich". Heute versteht man unter dem Begriff „forensisch" die wissenschaftlich-methodische bzw. die systematische Analyse sowie die interdisziplinäre Erforschung von kriminellen Handlungen. Folglich existieren auch in anderen Wissenschaften, zum Beispiel der Psychologie, forensische Ausrichtungen. Der Begriff „Linguistik" kann als Synonym für die Sprachwissenschaft verwendet werden. Die Herkunft des Wortes „Linguistik" lässt sich aus dem lateinischen Begriff „lingua", was soviel wie „Sprache" oder „Zunge" bedeutet, herleiten. Verschiedene Aspekte der Sprache werden in dieser Wissenschaft methodisch untersucht und erfasst. Linguistische Phänomene aus gesellschaftswissenschaftlichen, klinischen, kulturellen, sozialen und naturwissenschaftlichen Perspektiven stehen im Fokus der Forschung und der wissenschaftlichen Arbeit. Aus diesem Grund kann die Linguistik keinem Wissenschaftstypus eindeutig zugeordnet werden. Es gibt eine Vielzahl von Subkategorien, die sich stark voneinander in ihren thematischen Ausrichtung unterscheiden. Somit haben sich unterschiedliche Forschungs- und Anwendungsgebiete der Linguistik entwickelt. Beispielhaft seien hier neben der Forensischen Linguistik die Soziolinguistik, die Psycholinguistik und die Computerlinguistik genannt. Die verschiedenen Funktionsweisen in den Kommunikations- und Informationsübertragungsprozessen der verbalen (Lautsprache), nonverbalen (Zeichen-/Gebärdensprache) und der schriftlichen Sprachäußerung (Schriftsprache) sind in der Linguistik von Bedeutung. Im forensischen Kontext ist die Linguistik den angewandten Sprachwissenschaften zuzuordnen. Die Sprache wird hier nicht als abstraktes System oder Konstrukt betrachtet. Es werden vielmehr konkrete Sachverhalte aus der realen Umwelt als linguistische Phänomene subsumiert und untersucht. Im Zentrum der Forensischen Linguistik steht die Laut- und Schriftsprache.

Definition

Allgemeine Begriffsbestimmung

Die Forensische Linguistik ist ein Bereich der Sprachwissenschaften, der die methodische Analyse sprachlicher Daten (Schrift- und Lautsprache) umfasst. Die gewonnenen Erkenntnisse werden zum Ermittlungsgegenstand von Polizei und Staatsanwaltschaft. Auch die Erstellung von sprachlichen Gutachten für das Strafverfahren und Gerichtsverhandlungen ist eine Aufgabe der Forensischen Linguistik. Daher wird der Anwendungsbereich auch als Schnittstelle zwischen Sprache und Recht dargestellt. "In einer weiten Definition schließt der Forschungsbereich der forensischen Linguistik alles Sprachliche im Bereich des Rechts ein, das es linguistisch zu untersuchen gilt." (Frobbe 2011:15)

Forensische Linguistik – Analyse von inkriminierten Texten (Autorenerkennung)

Inkriminierte Texte sind Niederschriften, deren Inhalte eine Straftat per se darstellen oder Schriftstücke, die mit einer Straftat in Verbindung gebracht werden können (vgl. Träger, 2012). Solche Schreiben sind zum Beispiel Erpresserbriefe oder die Botschaft eines Entführers. Bei der Textanalyse sind verschiedene Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens und unterschiedliche Analyseverfahren möglich, um ein sprachliches Profil zu erstellen oder den bzw. die Tatverdächtigen zu identifizieren. Das übergeordnete Ziel auf diesem Fachgebiet der Autorenerkennung ist es den Verfasser anhand der enthaltenen Informationen in dem inkriminierten Schreiben zu erkennen oder zu individualisieren.

Analysemethoden der Autorenerkennung

Ausgehend von der Annahme, dass individuelle und charakteristische Merkmale des Autors (Emittent) aus einem inkriminierten Text herausgearbeitet werden können, erfolgt die linguistische Analyse der Schriftsprache (vgl. Herrmann, 2005). Die Auswertung kann manuell oder mit Hilfe von computergestützten Verfahren erfolgen. Die Analyse beruht auch auf mathematischen und statistischen Modellen, die automatisiert durch Computerprogramme bearbeitet werden. Das BKA nutzt seit 1989 das System KISTE (Kiminaltechnisches Informationssystem Texte). In ihm werden inkriminierte Texte aller Art für die Auswertungen, Ermittlungen und den Abgleiche mit anderen Texten gespeichert.

Autorenerkennung

Handelt es sich bei dem inkriminierten Text um ein Schreiben, aus dem der Emittent nicht hervorgeht, so ist es ein Ziel der linguistischen Analyse Informationen über den Verfasser zu erhalten. Diese Informationen können ermittlungsrelevante Hinweise sein, die auf die Identität des Autors schließen lassen. Forensische Linguisten gehen davon aus, dass es durch Textanalyseverfahren (z.B. Vergleichsgutachten) möglich ist, anhand der Beschaffenheit des Textes den Autor zu individualisieren. Problematisch ist es, wenn das zu begutachtende Schreiben stilistisch unauffällig oder für eine Analyse der Schriftsprache zu kurz ist. Auf dem Gebiet der Autorenerkennung ist keine standardisierte wissenschaftliche Methode anwendbar. Die Textanalyseverfahren hinsichtlich der Verfasserschaft sind konkret auf den Einzelfall anzuwenden und methodendifferenziert. Man unterscheidet verschiedene Arten der Autorenschaft. Ist lediglich eine Person der Verfasser des inkriminierten Textes, so handelt es sich um eine singuläre Autorenschaft. Bei dieser Scheiberkonstellation ist es möglich, dass der Emittent und der Täter identisch ist. Es können sich aber auch Konstellationen ergeben, bei denen sich mehrere Individuen beim Verfassen des Textes beteiligten. In diesem Fall bezeichnet man dies als multiple bzw. kollektive Autorenschaft. So sind stilistische Überarbeitungen und Umformulierungen das Werk eines Mitautors, der bei der Textproduktion beteiligt war. Anhand des Umfangs und Inhalts des Tatbeitrags werden weitere Unterscheidungsformen und Abstufungen der kollektiven Autorenschaft vorgenommen. Die Gestaltungsmacht eines Textes ist ein typisches Merkmal für die singuläre und für die multiple Autorenschaft. Es ist ebenso möglich, dass die Textproduktion z.B. bei einem Bekennerschreiben bewusst gemeinschaftlich vorgenommen wurde, um im Falle einer linguistischen Analyse der Individualisierung des Autors entgegenzuwirken. Ein kollektives Elaborat verwässert und verschleiert den charakteristischen Duktus eines Individuums. Folglich erschwert ein Schriftstück, welches mehrere Verfasser erstellt haben, die Autorenerkennung und die Strafverfolgung. Bestimmte Bekennerschreiben der RAF ließen aus diesem Grund keinen Rückschluss auf den Emittenten zu. Straftatbestände wie Erpressung, Entführung, Betrug, Volksverhetzung, Bedrohung und Urkundenfälschung sind typische deliktische Arbeitsbereiche der Forensischen Linguistik. Häufig liegt in diesen Fällen eine ungeklärte oder zweifelhafte Verfasserschaft vor, die Anlass zur Textanalyse gibt (vgl. Frobbe, 2011).

Methoden der Autorenerkennung

Fehleranalyse

Die Fehleranalyse bei inkriminierten Texten ist eine bedeutsame linguistische Untersuchungsmethode, um auf den Emittenten zu schließen. Das Schriftstück wird hinsichtlich orthographischer, lexikalischer, grammatikalischer sowie syntaktischer Fehler untersucht. Die im Text enthaltenen Fehler des Verfassers (Fehlerart und Anzahl) werden als Normabweichung bezeichnet. Die Fehleranalyse bestimmt den Grad der Abweichung von der Norm und ermöglicht die sprachlichen Kompetenzen und den Bildungsstand des Autors einzuschätzen (vgl. Träger, 2012).

Stilanalyse

Die Stilanalyse ist neben der Fehleranalyse eine zentrale Methode bei der forensischen Textuntersuchung. Sie konzentriert sich auf die charakteristischen Stilmerkmale eines Textes. Diese bewusst oder unbewusst verwandten Textbesonderheiten des Verfassers sind salient (auffallend), identifizierbar und werden nach dem Grad ihrer Markantheit in die sog. qualitative Stilanalyse einbezogen. Die zweite Untersuchungsform des Schreibstils ist die quantitative Stilanalyse. Hier werden Auffälligkeiten, z. B. die Anzahl bestimmter Buchstaben- und Wortkombinationen, nach der Häufigkeit ihres Vorkommens bewertet und statistisch erfasst. Mit Hilfe der Stilanalyse soll der Individualstil des Verfassers herausgearbeitet werden. In diesem Zusammenhang diskutiert man seit den 1980er Jahren über einen "sprachlichen Fingerabdruck".

Sprachprofilanalyse

Das primäre Ziel der Sprachprofilanalyse ist es anhand verschiedener sprachwissenschaftlicher Verfahren deskriptive sprachliche Charakteristika des Emittenten herauszuarbeiten. So werden Rückschlüsse auf die Lebensumstände des Autors möglich. Diese Methode der Textanalyse dient dazu, den Verfasser zu kategorisieren, ihn einzuschätzen und seine sprachliche Kompetenz zu erfassen. Zielsetzung dieser Analyse inkriminierter Texte ist es, ein sprachliches Profil des Autors zu erstellen. Bei der Erarbeitung eines sprachlichen Profils werden die Lebensumstände des Verfassers eines inkriminierten Textes so gut und so umfassend wie möglich erhellt und dargestellt. Auf die folgenden Kategorien konzentriert sich das linguistische Profil:

  • Muttersprache / muttersprachliche Kompetenz eines deutschen Autors
  • regionale / dialektische Zugehörigkeit
  • Alter
  • Bildungsgrad
  • berufliche Tätigkeit
  • Erfahrung im Verfassen von Texten

Valide Auskünfte über das Geschlecht und über die Ernsthaftigkeit des Vorhabens eines Verfassers sind über das linguistische Profil nicht möglich (vgl. Träger, 2011).

Textvergleich

Die Methode des Textvergleichs soll zur Identifizierung eines Autors führen. In der Forensischen Linguistik werden zwei verschiedene Verfahren durchgeführt:

  1. Vergleich von mehreren Tatschreiben
  2. Vergleich von Tatschreiben mit verschiedenen Texten eines Tatverdächtigen

Eine zweifelsfreie Identifizierung des oder der Täter ist durch die Methode des Textvergleichs nicht möglich. Bei der Erstellung eines Gutachtens wird aus diesem Grund eine bipolare Ranking-Skala verwandt (vgl. Träger, 2012). Mit den folgenden Aussagen wird die Wahrscheinlichkeit der Identifizierung eines Autors beschrieben:

  • mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
  • mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit
  • mit hoher Wahrscheinlichkeit
  • wahrscheinlich
  • nicht entscheidbar

Für das Verfahren des Textvergleichs nutzt das BKA unter anderem das o. g. Computerprogramm KISTE.

Abgrenzung zwischen Autorenerkennung und Sprechererkennung

Die Erkennung von Verfassern inkriminierter Texte und die Sprechererkennung sind Teilgebiete der Forensischen Linguistik. Bei der Sprechererkennung werden keine schriftliche Sprachäußerungen analysiert, sondern gesprochene Texte (z.B. Telefonate) linguistisch untersucht. Das Ziel ist mittels sprachwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden (z.B. Stimmenanalyse oder Stimmenvergleich) den Täter zu kategorisieren und zu identifizieren. Diese Disziplin der Forensischen Linguistik wird als Forensische Phonetik bezeichnet.

Kriminologische Bedeutung / Kritik

In der Forensischen Linguistik wird seit den 1980er Jahren das Konzept des „sprachlichen Fingerabdrucks" diskutiert. Ziel ist es durch forensische Textanalysen eine zweifelsfreie Feststellung des Verfassers zu ermöglichen. Einem Sprachprofil kann Einmaligkeit und lebenslange Unveränderbarkeit, wie es bei einem Fingerabdruck oder durch die forensische DNA-Analyse möglich ist, nicht zugeordnet werden. Das Imitieren unterschiedlicher Schreibstile, die Möglichkeit des Verfälschens und des Manipulierens der Autorenidentität sprechen unter anderem gegen die Einmaligkeit eines Sprachprofils. Die Sprache verändert sich im Leben eines Menschen. Dies kann durch einen Wohnortwechsel, einen Berufswechsel oder durch ein verändertes soziales Umfeld bedingt sein. Somit ist Sprache ein wandelbares individuelles aber auch gesellschaftliches Medium (vgl. Langenmayr, 1997). Die Möglichkeit der Fälschung und die Wandelbarkeit von Sprachprofil und Sprache schließen die Verwendung des "sprachlichen Fingerabdruckes" im naturwissenschaftlich-kriminalistischen Sinn aus. Das forensische Sprachgutachten kann allein nicht zu einer rechtskräftigen Verurteilung führen. Hierfür sind zu viele Ungewissheiten vorhanden und Fehlinterpretationen in einer forensischen Analyse möglich. Ein solches Gutachten kann in der Beweiskette und ggf. als Indiz für die Überführung eines Tatverdächtigen bedeutsam sein. Indes sind Daten und Informationen aus der forensischen Analyse nicht nur für Gerichtsverhandlungen relevant. Sie stellen einen wichtigen Ansatz im laufenden Ermittlungsverfahren dar, um schnell eine Gefahrensituation (z.B. Entführung) zu beenden und um zur Rettung des Opfers beizutragen.

Unabhängig von Straftaten und konkreten Ermittlungen kann sich die staatliche Erfassung und Auswertung von sprachlichen Daten im Rahmen von präventiven Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen negativ auf das Individuum auswirken. Textverarbeitungsprogramme für eine automatisierte Autorenerkennung lassen vor allem in den USA bei Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten besonderes Interesse erkennen. Riesige Datenmengen können mit Hilfe dieser Programme nach bestimmten Schlagwörtern oder auffälligen Wortkombinationen ausgewertet werden. So ist der Soziologe der Humboldt Universität zu Berlin, Andrej Holm und seine Familie, im Jahr 2007 fälschlicherweise Adressat polizeilicher Überwachungsmaßnahmen geworden. In seinen E-Mails, Telefonaten und wissenschaftlichen Texten waren auffallend viele Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen zur Wortwahl einer Gruppe aus der linksextremistischen Szene erkannt worden. Die Mitglieder dieser militanten Gruppe wurden in Verbindung mit zahlreichen Brandanschlägen an Fahrzeugen und öffentlichen Einrichtungen (2001-2009) gebracht. Andrej Holm verbrachte auf Grund dieser Fehlinterpretation seiner Texte drei Wochen in Untersuchungshaft. Dieser Fall verdeutlicht, dass eine kritische Betrachtung der Verwendung und der Möglichkeiten, aber auch der Grenzen und Schranken der Zulässigkeit der Forensischen Linguistik im digitalen Zeitalter notwendig und gerechtfertigt sind. Gerade bei der automatisierten und flächendeckenden Überwachung und Datenauswertung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Auch Kunz (2011) verweist auf das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit durch Kriminalitätskontrolle. Die erweiterten Exekutivbefugnisse durch die veränderte Gesetzgebung in der Kriminalpolitik der Sicherheitsgesellschaft des 21. Jahrhunderts und der technische Fortschritt lassen eine Ausweitung der forensischen Textanalysen erwarten. So erscheinen die widersprüchlichen Möglichkeiten der Forensischen Linguistik für den unbeteiligten Bürger einerseits als weiterer Schritt zum "gläsernen Menschen" und andererseits als hervorragendes Instrument der Verbrechensbekämpfung.

Literatur

  • Eilika Fobbe, Forensische Linguistik, Tübingen 2011
  • Francie Träger, Aufgaben und Methodik der Autorenerkennung im Rahmen der Forensischen Linguistik, Norderstedt 2012
  • Hartwig Eckert/John Laver, Menschen und ihre Stimmen, Weinheim 1994
  • Karl-Ludwig Kunz, Kriminologie, Stuttgart 2011
  • Theo Herrmann, Sprache verwenden, Stuttgart 2005
  • Arnold Langenmayr, Sprachpsychologie, Kempten/Allgäu 1997

Weblinks