Strafzurückstellung: Unterschied zwischen den Versionen

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Der weit gewichtigere Kern der Neuausrichtung des Umganges mit betäubungsmittelabhängigen Straftätern wurde an die „Vollstreckungslösung“ des § 35 BtMG gebunden und beruht auf zwei, ebenfalls der Kritik ausgesetzten Annahmen. Dies ist zum einen das Festhalten am Glauben um die zwingende Notwendigkeit einer Bestrafung und damit auch die fortgesetzte, zwangsläufige Kriminalisierung von Betäubungsmittelabhängigen bei der Drogenbeschaffung. Zum anderen die Annahme, dass die verhängte Strafe oder ihre Vollstreckung eine zusätzliche Motivation für den drogenabhängigen Täter sei, sich in eine Therapie zu begeben. Bei letzterem wird auch vom sogenannten „Initialzwang“ gesprochen, der die Strafe und ihre Funktion in einen besonderen Kontext zur Behandlung und dem dafür nötigen Leidensdruck setzt (Baumgart 1994, S. 105).
Der weit gewichtigere Kern der Neuausrichtung des Umganges mit betäubungsmittelabhängigen Straftätern wurde an die „Vollstreckungslösung“ des § 35 BtMG gebunden und beruht auf zwei, ebenfalls der Kritik ausgesetzten Annahmen. Dies ist zum einen das Festhalten am Glauben um die zwingende Notwendigkeit einer Bestrafung und damit auch die fortgesetzte, zwangsläufige Kriminalisierung von Betäubungsmittelabhängigen bei der Drogenbeschaffung. Zum anderen die Annahme, dass die verhängte Strafe oder ihre Vollstreckung eine zusätzliche Motivation für den drogenabhängigen Täter sei, sich in eine Therapie zu begeben. Bei letzterem wird auch vom sogenannten „Initialzwang“ gesprochen, der die Strafe und ihre Funktion in einen besonderen Kontext zur Behandlung und dem dafür nötigen Leidensdruck setzt (Baumgart 1994, S. 105).
    
    
Bereits im Rahmen der ersten Berichte von Richtern, Staatsanwälten aber auch von Drogenberatungsstellen, Therapieeinrichtungen und Drogentherapeuten wurden zahlreiche Punkte der Regelung zur Strafzurückstellung kritisiert. Allen voran wurde die strafrechtliche Bevorzugung von drogenabhängigen gegenüber alkoholkranken oder anderweitig, nicht stoffgebunden-abhängigen (z. B. spielsüchtigen) Straftätern in Frage gestellt und im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz kritisiert. Gleichzeitig wurden die Komplexität der Anwendung der Vorschrift zur Strafzurückstellung und die damit einhergehenden Schwierigkeiten bemängelt. Dabei ist insbesondere die erforderliche Einigkeit unter einer Vielzahl von Beteiligten (der Verurteilte, die Therapieeinrichtung, der Kostenträger, die Vollstreckungsbehörde und das zuständige Gericht) und die teils längere Zeitspanne zwischen Antragstellung und Zurückstellungsentscheidung kritisiert worden (Becker/Lück 1990, S. 76 ff.). So wie die Vollzugsanstalten vom „Behandlungsauftrag“ scheinbar entlastet wurden, bot sich in den Therapieeinrichtungen ein verändertes Bild und das Erleben sekundärer Motive bei den aus der Haftanstalt aufzunehmenden Klienten (a.a.O., S. 82 ff.).  
Bereits im Rahmen der ersten Berichte von Richtern, Staatsanwälten aber auch von Drogenberatungsstellen, Therapieeinrichtungen und Drogentherapeuten wurden zahlreiche Punkte der Regelung zur Strafzurückstellung kritisiert. Allen voran wurde die strafrechtliche Bevorzugung von drogenabhängigen gegenüber alkoholkranken oder anderweitig, nicht stoffgebunden-abhängigen (z. B. spielsüchtigen) Straftätern in Frage gestellt und im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz kritisiert. Gleichzeitig wurden die Komplexität der Anwendung der Vorschrift zur Strafzurückstellung und die damit einhergehenden Schwierigkeiten bemängelt. Dabei ist insbesondere die erforderliche Einigkeit unter einer Vielzahl von Beteiligten (der Verurteilte, die Therapieeinrichtung, der Kostenträger, die Vollstreckungsbehörde und das zuständige Gericht) und die teils längere Zeitspanne zwischen Antragstellung und Zurückstellungsentscheidung kritisiert worden (Becker/Lück 1990, S. 76 ff.). So wie die Vollzugsanstalten vom „Behandlungsauftrag“ scheinbar entlastet wurden, bot sich in den Therapieeinrichtungen ein verändertes Bild und das Erleben sekundärer Motive bei den teils wiederholt aus der Haftanstalt aufzunehmenden Klienten (a.a.O., S. 82 ff.).  


Die in der Vergangenheit immer wieder diskutierte Ausrichtung auf den gänzlichen Strafverzicht zugunsten der Therapie hat sich trotz der skizzierten Schwierigkeiten im Zusammenanhang mit der Zurückstellungsmöglichkeit ebensowenig durchgesetzt, wie die Entkriminalisierung von Verstößen gegen das BtMG an sich. Tatsächlich hatte die Legislative mit der Strafzurückstellung in der bestehenden Form den strittig diskutierten Einschnitt in das Legalitätsprinzip nicht vorgenommen, sondern den Behandlungsaspekt nur der Strafverhängung nachgestellt und zeitlich auf den Beginn der Strafvollstreckung verschoben (Baumgardt 1994, S. 113).
Die in der Vergangenheit immer wieder diskutierte Ausrichtung auf den gänzlichen Strafverzicht zugunsten der Therapie hat sich trotz der skizzierten Schwierigkeiten im Zusammenanhang mit der Zurückstellungsmöglichkeit ebensowenig durchgesetzt, wie die Entkriminalisierung von Verstößen gegen das BtMG an sich. Tatsächlich hatte die Legislative mit der Strafzurückstellung in der bestehenden Form den strittig diskutierten Einschnitt in das Legalitätsprinzip nicht vorgenommen, sondern den Behandlungsaspekt nur der Strafverhängung nachgestellt und zeitlich auf den Beginn der Strafvollstreckung verschoben (Baumgardt 1994, S. 113).

Version vom 7. März 2012, 15:49 Uhr

wird als Prüfungsleistung bearbeitet von Michael N.

Der Begriff der Strafzurückstellung wurde im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Zurückstellung der Straf- bzw. Maßregelvollstreckung bei betäubungsmittelabhängigen Straftätern durch spezielle Regelungen im siebten Abschnitt des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) geprägt. Er bezeichnet den an Bedingungen geknüpften, vorläufigen Verzicht auf die Vollstreckung und damit auf den Vollzug einer Freiheitsstrafe oder einer Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

Entstehungsgeschichte und Entwicklung der rechtlichen Grundlagen

Als das Opiumgesetz von 1929 nach über 40 Jahren durch das 1972 eingeführte Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln abgelöst wurde, war eines der erklärten politischen Ziele die Abwehr von Gefahren, die man von einer Zuspitzung einer Rauschgiftwelle in der Bundesrepublik Deutschland für die Allgemeinheit und jeden Einzelnen erwartete. Die Ratifizierung mehrerer internationaler Abkommen über psychotrope Stoffe (Suchtstoffe), der Anstieg der Zahl der Drogentoten und die fortdauernde Steigerung der registrierten Rauschgiftkriminalität begleiteten Ende der 70er Jahren eine schwierige parlamentarische Auseinandersetzung zur Neuregelung des Betäubungsmittelrechtes. Ein erster Gesetzentwurf der CDU/CSU-Regierung wurde 1979 abgelehnt, da er zwar die Verschärfung der Strafandrohung für Rauschgifthändler vorsah, aber keinerlei Regelungen für den Umgang mit betäubungsmittelabhängigen Straftätern enthielt.

Im Juli 1981 führte eine zweite Gesetzesinitiative der dann amtierenden SPD/FDP-Regierung zur grundlegenden Neufassung des BtMG, die schließlich am 01.01.1982 in Kraft trat. Dabei bestimmten unterschiedliche kriminalpolitische Absichten die Ausformulierung des Gesetzes. So wurde einerseits die Formulierung einer Strafverschärfung für den Handel mit Betäubungsmitteln beschlossen. Etwaige Aufklärungshilfen bzw. Offenbarungen konnten andererseits strafmildernd berücksichtigt werden oder auch dazu führen, dass völlig von der Bestrafung abgesehen wird (§ 31 BtMG).

Gänzlich neu wurde der Umgang mit drogenabhängigen Straftätern geregelt, für den eigens der 7. Abschnitt in das Gesetz eingefügt wurde. Hierbei setzte sich die Grundhaltung durch, die Sucht des Straftäters im Kontext des Resozialisierungsgedankens zu betrachten. Dabei sollte die Betäubungsmittelabhängigkeit fortan als eine behandlungsbedürftige Krankheit gesehen werden und der Straftäter, unter Androhung einer Strafe bzw. Strafverfolgung, zu einer Therapie bewegt werden. So konnte unter bestimmten Voraussetzungen bei betäubungsmittelabhängigen Straftätern bereits von der Erhebung einer öffentlichen Klage abgesehen werden (§ 37 BtMG), sofern sie zusagten, sich in eine Therapie zu begeben. Durch diese Regelung erhielt die weit verbreitete Formel "Therapie statt Strafe" bzw. "Therapie vor der Strafverhängung" ihre eigentliche Rechtfertigung. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde es auch nach einer Verurteilung bzw. vor oder während der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel möglich, dass ein Verurteilter eine bestimmte, seiner Rehabilitation dienende Behandlung wahrnehmen kann. Die praktische Konsequenz des wörtlich genaueren Ansatzes: „Therapie statt Strafvollstreckung“ (Malek, 2008) war dabei, dass der bereits verurteilte betäubungsmittelabhängige Straftäter unter bestimmten Voraussetzungen und trotz eines Aufenthaltes im Strafvollzug oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Behandlung in einer externen Therapieeinrichtung absolvieren konnte. Zu diesem Zweck sollte fortan eine an Bedingungen geknüpfte Zurückstellung der Strafvollstreckung (§ 35 BtMG), d.h. ein vorläufiger Vollstreckungsverzicht zugunsten einer suchttherapeutischen Intervention erfolgen.

Trotz einiger Überarbeitungen des BtMG blieben die Regelungen zur Strafzurückstellung unverändert. 1994 scheiterte das Bemühen, die Anordnung der Zurückstellung bereits dem anerkennenden Gericht im Rahmen des Strafurteils zu überlassen, um so eine schnellere Überleitung in eine Therapie zu ermöglichen. Seit 2004 ist die Zuständigkeit für die Entscheidung von Anträgen auf eine Strafzurückstellung den Rechtspflegern der Vollstreckungsbehörden überlassen worden.

Definition

Die Strafzurückstellung wird als ein besonderes vollstreckungsrechtliches Mittel bezeichnet und ist konkret in § 35 BtMG festgeschrieben. Sie kann gewährt werden, wenn die urteilsrelevanten Handlungen eines Straftäters auf eine bestehende Betäubungsmittelabhängigkeit zurückzuführen sind, die Höhe der Strafe eine bestimmte Grenze nicht übersteigt, der Betreffende zusagt, sich in eine seiner Rehabilitation dienenden Behandlung (Therapie) zu begeben und eine Zustimmung des Gerichtes erfolgt, das ihn verurteilte.

Die Anzahl der Strafzurückstellungen einer Strafe oder einer Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist vom Gesetzgeber grundsätzlich nicht beschränkt worden.

Voraussetzungen und Anwendungsregeln für die Strafzurückstellung

Für die Anwendung bzw. die Gewährung einer Strafzurückstellung gemäß § 35 BtMG sind folgende Voraussetzungen festgeschrieben worden:

  • Es muss ein bereits rechtskräftiges Urteil ergangen sein.
  • Die Tat muss auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden sein.
  • Der noch zu verbüßende Strafrest darf bei jeder einzelnen der zurückzustellenden (Gesamt-) Strafen nicht mehr als zwei Jahre betragen.
  • Die geplante Therapiemaßnahme muss der Rehabilitation dienen.
  • Der Beginn der Behandlung muss gewährleistet sein.
  • Das Gericht des ersten Rechtszuges (Gericht, das in der erster Instanz für die Verurteilung zuständig war) muss der Strafzurückstellung zugestimmt haben.

Die rechtskräftige Verurteilung

Sofern im Verlauf des Strafverfahrens kein vorläufiger Verzicht auf die Anklageerhebung gem. § 37 BtMG zugunsten einer Therapiemaßnahme erfolgt, muss der drogenabhängige Angeklagte den Ausgang des Strafverfahrens abwarten. Vor einer rechtskräftigen Verurteilung kann keine Zurückstellung einer Strafe oder Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erfolgen. Mögliche strafprozessuale Maßnahmen, wie z.B. die Anordnung einer Untersuchungshaft, stehen einer schnellen Überleitung des betäubungsmittelabhängigen Täters in eine Drogentherapie entgegen. Der frühestmögliche Zeitpunkt für eine Strafzurückstellung in diesen Fällen ist daher unmittelbar nachdem das Urteil seine Rechtskraft erlangt und eine Entlassung aus der Untersuchungshaft angeordnet wird.

Betäubungsmittelabhängigkeit und Tatumstände

Das Vorliegen einer Betäubungsmittelabhängigkeit wird, soweit nicht im Einzelfall gutachterlich bestätigt, anhand der diagnostischen Richtlinien der World Health Organization (WHO) zum Begriff der Abhängigkeit sowie dem abhängigkeitsrelevanten Konsum von Stoffen im Sinne des § 1 Abs. 1 BtMG bzw. den Anlagen I. bis III. hergeleitet. Sie muss zum Zeitpunkt der Tat, aber auch zum Zeitpunkt des Zurückstellungsbegehrens vorliegen. Die obergerichtliche Rechtsprechung verpflichtet die einzelnen Vollstreckungsbehörden vor einer Strafzurückstellung zu einer kritischen Würdigung der Umstände, unter denen der betäubungsmittelabhängige Straftäter mit den urteilsrelevanten Taten auffällig wurde. Dabei genügt nicht mehr die bloße Annahme einer Betäubungsmittelabhängigkeit zum jeweiligen Tatzeitpunkt. In der Praxis wird gegenwärtig vor allem die Feststellung eines ursächlichen bzw. direkten Zusammenhangs (sog. Kausalzusammenhang) zwischen der bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit des Täters und seiner Tat gefordert. Diese Feststellung ist stets erforderlich, wenn das verurteilende Gericht darüber im Rahmen der Urteilsfeststellungen keine abschließende Bewertung vorgenommen hat.

Zurückstellungsfähigkeit der Sanktion und Höhe des Strafrestes

Grundsätzlich gilt die Regelung, dass neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur eine Freiheits- bzw. Gesamtfreiheitsstrafe zurückstellungsfähig sein kann. Für eine Geldstrafe oder bei deren Nichterbringung einer zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafe findet die Regelung keine Anwendung.

Bei einer Strafe bzw. einer Reststrafe von mehr als zwei Jahren kann die Vollstreckung gem. § 35 BtMG nicht zurückgestellt werden. Über die Zurückstellung von Strafen, die diesen Rahmen übersteigen, kann in der Praxis nur die jeweilige Gnadenbehörde entscheiden. Die Zurückstellung der Strafvollstreckung mehrerer Strafen ist möglich, sofern jede einzelne Strafe die Höchstgrenze von zwei Jahren nicht übersteigt. Wenn darunter allerdings eine Strafe ist, die wegen Handlungen verhängt wurde, die nicht mit der Betäubungsmittelabhängigkeit des Verurteilten in Zusammenhang standen, kann die Zurückstellung gem. § 35 BtMG bis zu deren vollständigen Vollstreckung nicht gewährt werden. Neben der Änderung der Vollstreckungsreihenfolge, die ebenfalls an bestimmte Vorgaben gebunden ist, bleibt auch hier dem Verurteilten nur die Möglichkeit, eine Entscheidung der jeweiligen Gnadenbehörde herbeizuführen.

Art der Rehabilitationsmaßnahme

Formelle Anforderungen an die Art der Rehabilitationsmaßnahme (Therapie) stellt die gesetzliche Regelung nur insofern, dass diese die Abhängigkeit beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenwirken muss. So kann die Rehabilitation insgesamt mehrere Phasen der Behandlung (z. B. Übergangseinrichtung, Therapie und Nachsorge) einschließen. Ob eine stationäre oder ambulante Maßnahme und eine entsprechende Dauer diesem Ziel genügen, ist im Gesetzestext nicht festgeschrieben. Die Arten suchttherapeutischer Interventionen sind in den letzten Jahren, nicht zuletzt mit Anerkennung der Substitutionstherapie in ihrer Anzahl und Vielfältigkeit gewachsen. Drogenhilfeeinrichtungen und Therapieeinrichtungen werden ggf. von den zuständigen regionalen staatlichen Institutionen bezüglich einer Anerkennung der Voraussetzungen gem. § 35 BtMG klassifiziert.

Sicherstellung des Behandlungsbeginns

Die Strafzurückstellung kann nur erfolgen, wenn die Aufnahme der Rehabilitationsmaßnahme tatsächlich sichergestellt ist. Hierfür sind im Gesetz selbst keine konkreten Vorgaben gemacht worden. In der Praxis ist neben der Zusage des Verurteilten, sich in eine Therapie zu begeben (Antrag), die Bestätigung eines Therapieplatzes (Aufnahmetermin) und zudem die Klärung der Finanzierung der Maßnahme (Kostenübernahme) erforderlich. Die Kosten kann z. B. der Rentenversicherungsträger oder die örtlichen Sozialbehörden übernehmen. Bei ausländischen Staatsangehörigen ohne Leistungsansprüche kann dies aber die Überleitung in eine Therapie auch erheblich erschweren. Bei wiederholten Zurückstellungsmaßnahmen wird oft die aktuelle Therapiemotivation des Antragstellers hinterfragt und ggf. die Vollzugsbehörde oder das Krankenhaus des Maßregelvollzuges um eine Einschätzung (Stellungnahme) gebeten.

Zustimmung des Gerichts

Sofern die Vollstreckungsbehörde eine oder eine wiederholte Strafzurückstellung gewähren will, ist in jedem Fall zuvor die Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges erforderlich. Hierauf kann nicht verzichtet werden, selbst wenn eine Therapiemaßnahme bzw. ein Zurückstellung im Urteil bereits befürwortet oder in Aussicht gestellt wurde. Die Versagung dieser Zustimmung kann nur in Verbindung mit einer ausreichenden und nachvollziehbaren Begründung erfolgen, stellt dann aber ein absolutes Zurückstellungshindernis dar, das die Ablehnung des Ersuchens durch die Vollstreckungsbehörde zur Folge hat.

Verlauf und Beendigung der Strafzurückstellung

Die Strafzurückstellung wird nicht von Amts wegen, sondern auf Antrag des Verurteilten geprüft und von der Vollstreckungsbehörde zeitlich befristet (maximal für zwei Jahre) bewilligt. Nach dem erfolgreichen Abschluss einer Behandlung besteht eine besondere Möglichkeit, die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung (§ 36 Abs. 2 BtMG) zu prüfen. Die Gewährung der Strafaussetzung beendet in diesem Fall die Zurückstellung der Strafvollstreckung.

Wird die jeweils geplante Therapiemaßnahme nicht angetreten oder nicht erfolgreich beendet und ist nicht gewährleistet, dass der Betroffene eine andere Behandlung antritt, so ist ein Widerruf der Strafzurückstellung zu prüfen. Dieser Widerruf erfolgt durch die Strafvollstreckungsbehörde, steht aber einer wiederholten Zurückstellungsentscheidung ausdrücklich nicht entgegen. Die Widerrufsprüfung wird auch erforderlich, wenn zwischenzeitlich eine weitere Verurteilung erfolgt und die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe oder Maßregel nicht zurückgestellt werden kann.

Die Dauer des Aufenthaltes in der Therapie kann auf eine fortzuführende Strafvollstreckung (vgl. § 36 Abs. 1 und Abs. 3 BtMG) angerechnet werden.

Alternative Regelungen

Neben der „Zurückstellungslösung“ in § 35 BtMG gibt es noch andere gesetzliche Möglichkeiten, die drogenabhängigen Straftätern einen Weg in die Therapie eröffnen. Soweit nicht bereits vor der Erhebung einer Anklage zugunsten einer Therapiemaßnahme abgesehen wird, sieht das Strafgesetzbuch (StGB) vor, dass einem Verurteilten eine ggf. mit einer Therapieweisung verbundene Strafaussetzung zur Bewährung (vgl. §§ 56 ff. StGB) gewährt werden kann. Obwohl diese „Bewährungslösung“ der Strafzurückstellung vorgezogen werden soll, scheitert dies oft an der ungünstigen Prognose, die mit der fortbestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit begründet wird. Die Strafprozeßordnung (StPO) bietet dem verurteilten Drogenabhängigen vor einer Strafzurückstellung oder dem Antritt einer Strafe noch die Möglichkeit, einen Strafaufschub (§ 455 StPO) zu erwirken, um eine Therapiemaßnahme außerhalb des Vollzuges zu absolvieren.

Bei Betäubungsmittelabhängigen kann die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet werden. Diese Form der Maßregel wird als „Unterbringungslösung“ bezeichnet. Sie soll bei der Abwägung ihrer Anordnung einer Zurückstellungsmaßnahme nach dem BtMG vorgezogen werden, schließt jedoch eine spätere Maßnhame gem. § 35 BtMG nicht aus (Patzak, 2012, S. 1247). Nicht nur nach der Beendigung einer Maßregel, sondern auch bei Nichtgewährung einer Strafzurückstellung kann eine Behandlung des Drogenabhängigen nach den Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) in einer Justizvollzugsanstalt erforderlich werden. Diese „Strafvollzugslösung“ kann beispielsweise durch das Angebot einer Substitutionstherapie oder in seltenen Fällen auch in einer Einrichtung des offenen Vollzuges (§ 10 StVollzG) realisiert werden.

Statistiken und Studien zur Strafzurückstellungspraxis in Deutschland

Eine zentrale, bundesweite Erfassung der Anzahl aller Strafzurückstellungen gem. § 35 BtMG in Deutschland gibt es nicht. Es erfolgt lediglich eine Erfassung der Anzahl der Einzelmaßnahmen im Bundeszentralregister für den jeweiligen Verurteilten. Einzelne Institutionen bzw. unterschiedliche Vollstreckungsbehörden der Länder erheben jeweils eigene Daten. Nach deren Angaben bzw. einer Erhebung der Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof wird von einer stetig steigenden Anzahl von Strafzurückstellungen ausgegangen. Wurden 1993 noch knapp 4.500 Fälle von Strafverfahren mit Zurückstellung der Strafvollstreckung gezählt, waren es 2003 bereits nahezu 11.000 Fälle. Die Statistiken des Bundes und der Länder zeigen, dass zwischen 70 und 90 % aller Anträge auf eine Strafzurückstellung positiv entschieden werden (Patzak, 2012).

Eine "Implementationsstudie zu den Therapieregelungen des Betäubungsmittelrechts" wurde von der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden 1987 im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Titel "Praxis und Bewährung der §§ 35 ff. BtMG" begonnen. Ein wesentliches Ergebnis dieser Studie ist, dass die Regelungen zur Strafzurückstellung eine Hilfe für die Rehabilitation betäubungsmittelabhängiger Straftäter sein können (Kurze, 1994). Eine bereits 1990 veröffentlichte "Effektivitätsanalyse" nimmt hingegen eine Betrachtung der Wirksamkkeitseinschätzung der Vorschriften, bezogen auf die beabsichtigten politischen Ziele des Gesetzgebers bei der Einführung des BtMG, vor. Hier kommen die Autoren bei der Analyse eines sehr frühen Zeitraumes (1982-1986) zu dem Ergebnis, dass die Therapievorschriften gerade unter gesundheitspolitischen Aspekten keine höhere Effektivität erreichten, als die Maßnahmen, die bis 1981 zur Verfügung standen (Lück/Becker, 1990, S. 201).

Kritik und kriminologische Relevanz

Die kritische Diskussion um das Thema Betäubungsmittel bewegte sich stets zwischen den gegensätzlichen Polen „Legalisierung des Drogengebrauchs“ auf der einen Seite und „konsequente Sanktionierung jeglichen Drogengebrauchs“ auf der anderen Seite. Der minimale politische Konsens der Neuregelungen des BtMG von 1982 schien auf der Erkenntnis zu beruhen, dass es sich bei einer Betäubungsmittel- oder Drogenabhängigkeit um eine behandlungsbedürftige Krankheit handelt. Dass jedoch der geplante Ansatz des Konzeptes „Therapie statt Strafe“ aus den Augen verloren ging, zeigt sein Eingang in einer lediglich abgemilderten Form in § 37 BtMG, der das Absehen von der Anklageerhebung unter bestimmten Bedingungen ermöglichte, nicht aber die Strafverfolgung als solche ausschloss (Malek 2008, S. 310).

Der weit gewichtigere Kern der Neuausrichtung des Umganges mit betäubungsmittelabhängigen Straftätern wurde an die „Vollstreckungslösung“ des § 35 BtMG gebunden und beruht auf zwei, ebenfalls der Kritik ausgesetzten Annahmen. Dies ist zum einen das Festhalten am Glauben um die zwingende Notwendigkeit einer Bestrafung und damit auch die fortgesetzte, zwangsläufige Kriminalisierung von Betäubungsmittelabhängigen bei der Drogenbeschaffung. Zum anderen die Annahme, dass die verhängte Strafe oder ihre Vollstreckung eine zusätzliche Motivation für den drogenabhängigen Täter sei, sich in eine Therapie zu begeben. Bei letzterem wird auch vom sogenannten „Initialzwang“ gesprochen, der die Strafe und ihre Funktion in einen besonderen Kontext zur Behandlung und dem dafür nötigen Leidensdruck setzt (Baumgart 1994, S. 105).

Bereits im Rahmen der ersten Berichte von Richtern, Staatsanwälten aber auch von Drogenberatungsstellen, Therapieeinrichtungen und Drogentherapeuten wurden zahlreiche Punkte der Regelung zur Strafzurückstellung kritisiert. Allen voran wurde die strafrechtliche Bevorzugung von drogenabhängigen gegenüber alkoholkranken oder anderweitig, nicht stoffgebunden-abhängigen (z. B. spielsüchtigen) Straftätern in Frage gestellt und im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz kritisiert. Gleichzeitig wurden die Komplexität der Anwendung der Vorschrift zur Strafzurückstellung und die damit einhergehenden Schwierigkeiten bemängelt. Dabei ist insbesondere die erforderliche Einigkeit unter einer Vielzahl von Beteiligten (der Verurteilte, die Therapieeinrichtung, der Kostenträger, die Vollstreckungsbehörde und das zuständige Gericht) und die teils längere Zeitspanne zwischen Antragstellung und Zurückstellungsentscheidung kritisiert worden (Becker/Lück 1990, S. 76 ff.). So wie die Vollzugsanstalten vom „Behandlungsauftrag“ scheinbar entlastet wurden, bot sich in den Therapieeinrichtungen ein verändertes Bild und das Erleben sekundärer Motive bei den teils wiederholt aus der Haftanstalt aufzunehmenden Klienten (a.a.O., S. 82 ff.).

Die in der Vergangenheit immer wieder diskutierte Ausrichtung auf den gänzlichen Strafverzicht zugunsten der Therapie hat sich trotz der skizzierten Schwierigkeiten im Zusammenanhang mit der Zurückstellungsmöglichkeit ebensowenig durchgesetzt, wie die Entkriminalisierung von Verstößen gegen das BtMG an sich. Tatsächlich hatte die Legislative mit der Strafzurückstellung in der bestehenden Form den strittig diskutierten Einschnitt in das Legalitätsprinzip nicht vorgenommen, sondern den Behandlungsaspekt nur der Strafverhängung nachgestellt und zeitlich auf den Beginn der Strafvollstreckung verschoben (Baumgardt 1994, S. 113). So bleibt die mit dem Gedanken der Strafzurückstellung verbundene Grundaussage bestehen, dass Strafe grundsätzlich sein muss, aber tatsächlich einer Therapie der betäubungsmittelabhängigen Straftäter nicht entgegenstehen darf.

Literatur/Quellen

  • Baumgart, Marc Christoph (1994):"Illegale Drogen – Strafjustiz – Therapie", Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und Internationales Strafrecht (Band 67), Freiburg i. Br. (1994) ISBN 3-86113-014-9
  • Becker, Martin u. Lück van, Wilhelm G. (1990):"Die Therapievorschriften des Betäubungsmittelgesetzes", Lambertus Verlag Freiburg i.Br. (1990) ISBN 3-7841-0447-9
  • Egg, Rudolf (Hrsg.) (1988):"Drogentherapie und Strafe", Schriftenreihe Kriminologie und Praxis (KUP) Bd. 3, Eigenverlag Kriminologische Zentralstelle Wiesbaden (1988) ISBN 978-3-926371-03-4
  • Körner , Patzak , Volkmer (2012):"Betäubungsmittelgesetz", 7. Auflage, C.H. Beck München (2012) ISBN 978-3-406-62465-0
  • Klein, Lutz (1997): "Heroinsucht: Ursachenforschung und Therapie", Campus Verlag New-York, Frankfurt am Main (1997) ISBN 3-593-35827-X
  • Kröber, Dölling, Leihgraf, Sass (2009):"Handbuch der Forensischen Psychiatrie", Band 4: Kriminologie und Forensische Psychiatrie, Springer Verlag Heidelberg-Berlin (2009) ISBN 978-3-7985-1448-5
  • Kurze, Martin (1994):"Strafrechtspraxis und Drogentherapie", Schriftenreihe Kriminologie und Praxis (KUP) Bd. 12, Eigenverlag Kriminologische Zentralstelle e.V. (1994) ISBN 3-926371-23-4
  • Malek, Klaus (2008):"Betäubungsmittelstrafrecht", C.H. Beck München (2008) ISBN 978-3-54605-1
  • Wilms, Yvonne (2005):"Drogenabhängigkeit und Kriminalität", LIT Verlag Müster (2005) ISBN 3-8258-8864-9

Weblinks

  • Gesetzestext: Betäubungsmittelgesetz [1] Strafprozeßordnung [[2]] Strafgesetzbuch [[3]]
  • Gesetzentwurf zur Neuregelung des BtMG vom 27.11.1980 (BT – Drucksache 7/27) [4]
  • Beschlussempfehlung des Ausschuß für Jugend Familie und Gesundheit vom 15.05.1981 (BT-Drs. 9/443) [5]
  • Beschlussempfehlung des Ausschuß für Jugend Familie und Gesundheit vom 25.05.1981 (BT-Drs. 9/500) [6]
  • Bundestagsprotokoll der 38. Sitzung in der 9. Wahlperiode vom 26.05.1981 (S.2010-2024) [7]
  • Protokoll der 501. Sitzung des Bundesrates vom 26.06.1981 (S.203-208) [8]
  • Datenbank für Gerichtsentscheidungen Berlin-Brandenburg:
  1. zur Kausalität zwischen Abhängigkeit und Straftat [9]
  2. zur Umstellung der Vollstreckungsreihenfolge [10]
  • Gesundheitsberichterstattung des Bundes zum Begriff der Abhängigkeit gemäß WHO [11]
  • Süddeutsche.de:Klassische Strafe oder Therapie [12]