Strafvollzugsgesetz (StVollzG)

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Das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) regelte seit seinem Inkrafttreten am 1.1.1977 die Durchführung des durch Strafgerichte angeordneten Freiheitsentzugs in Deutschland und tut dies auch nach dem Übergang der Gesetzgebungsrechte auf die Bundesländer überall dort, wo das jeweilige Bundesland noch kein eigenes Strafvollzugsgesetz erlassen hat. Abgelöst wurde die Geltung des StVollzG seit 2007 in den Bundesländern Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen (Stand: 1. März 2011). Mehrere Bundesländer erließen auch eigene Untersuchungshaft- und Jugendstraf-Vollzugsgesetze.

Ähnliche Strafvollzugsgesetze existieren in Österreich (= Bundesgesetz vom 26. März 1969 über den Vollzug der Freiheitsstrafen und der mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahmen = Strafvollzugsgesetz, StVG), in Liechtenstein (= Strafvollzugsgesetz, StVG), in den Kantonen der Schweiz und in der Türkei (= Gesetz über den Vollzug von Strafen und Sicherheitsmaßregeln). Der folgende Beitrag befasst sich ausschließlich mit dem deutschen Strafvollzugsgesetz (= Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung = Strafvollzugsgesetz, StVollzG).

Das deutsche Strafvollzugsgesetz (StVollzG) regelte den Vollzug der Freiheitsstrafe in Justizvollzugsanstalten sowie den Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (hier insbesondere die Sicherungsverwahrung). Das Strafvollzugsgesetz hat von seiner Formulierung her zahlreiche Anknüpfungspunkte für einen auf den einzelnen Straftäter ausgerichteten Strafvollzug (Behandlungsvollzug) und zielt neben Abschreckungseffekten (negative Spezial- und Generalprävention) vor allem auf die Vermeidung künftiger Straftaten und die Bindung der Bevölkerung an Recht und Gesetz. Wie zumeist besteht jedoch auch hier ein großer Abstand zwischen Norm und Wirklichkeit.


Zum Begriff

Begriffsdefinition

Strafvollzug bezieht sich auf den Vollzug von Freiheitsstrafen (bzw. artverwandten Freiheitsentziehungen) und Maßregeln der Besserung/Sicherung. Strafvollstreckung. Dies macht die Materie eines Strafvollzugsgesetzes (in Deutschland, Österreich, Schweiz) aus. Der Vollzug von Strafen ist ein umfassenderer Begriff, der auch die Durchführung ambulanter Sanktionen umfasst.

Verfassungsrechtliche Grundlagen

Da der Strafvollzug als Teil der Staatsverwaltung verschiedene Grundrechte einschränkt - wie z.B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Freiheit der Person sowie das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis - bedarf er selbst einer gesetzlichen Grundlage.

Vorgeschichte

Stationen auf dem Weg zum Strafvollzugsgesetz waren der Preußische Generalplan (1804), das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches von 1871 (RStGB), der von Bismarck aus Kostengründen torpedierte Entwurf für ein Reichstrafvollzugsgesetz, das "Marburger Programm" von 1882, in dem Franz von Liszt mit seinem Bekenntnis zu einem täterorientierten Strafrecht neue Wege aufzeigte, die Ländervereinbarungen für den Strafvollzug von 1897, die Reichsgrundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen im Jahre 1923, die Einführung der Sicherungsverwahrung 1933, die Strafvollzugsordnung von 1934/1940, die bundeseinheitliche DVollzO 1961 und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1972, das den Erlass einer gesetzlichen Grundlage für den Strafvollzug forderte, den der Gesetzgeber dann mit Wirkung zum 1.1.1977 realisierte.

Heutige Rechtslage

1977 hätte wohl niemand gedacht, dass dem StVollzG eine vergleichsweise kurze Lebensdauer gewährt werden würde. Ohne einen wirklichen sachlichen Anlass wurde im Zuge der Föderalismusreform eine bewährte Praxis auf Grundlage eines Bundesgesetzes und bundeseinheitlicher Verwaltungsvorschriften zu Ende gebracht (Vorwort zu Schwind/Böhm, 5. Auflage). Jedes Bundesland kann nun den Strafvollzug mit eigenen Bestimmungen regeln (Ausnahme: Regelung des gerichtlichen Verfahrens). Bislang haben erst Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen hiervon Gebrauch gemacht. In den anderen Bundesländer gilt nach wie vor das Bundesgesetz (StVollzG).

Die existierenden länderrechtlichen Strafvollzugsgesetze unterscheiden sich hinsichtlich des Aufbaus kaum vom Bundesgesetz (StVollzG). Größtenteils eigenständig, manchmal aber auch über Querverweise auf das Bundesgesetz, werden die Anwendungsbereiche genau festgelegt: Vom Vollzug von Freiheits- und Ersatzfreiheitsstrafen sowie der Sicherungsverwahrung über den Vollzug der Jugendstrafe bis hin zum Vollzug von Jugendarrest, Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft. Selbst Länder mit eigenen Gesetzen können auf das StVollzG nicht gänzlich verzichten. In verfahrensrechtlichen Regelungen wird über Querverweise auf das StVollzG Bezug genommen.

Die Aufgaben des Strafvollzuges jedoch wurden von Bayern und Hamburg in eine neue Rangfolge gestellt: Stehen im Bundesgesetz noch resozialisierende Maßnahmen (Behandlungs- und Erziehungsauftrag) im Vordergrund, so sehen das BayStVollzG und das HmbStVollzG den Schutz der Allgemeinheit (Sicherungsauftrag) als die vordringlichste Aufgabe. Baden-Württemberg und Niedersachsen haben von dieser Umkehrung keinen Gebrauch gemacht. Von den Gesetzgebern wurde zwar immer wieder der Gleichrang dieser Aufgaben betont. Letztlich aber lässt sich feststellen, dass die gesetzliche Rangfolge nur der vorherrschenden Praxis angeglichen wurde. Bei allen resozialisierenden Maßnahmen steht die Sicherheit der Allgemeinheit immer im Vordergrund bzw. ist maßgeblicher Prüfungsstab. Im Zweifels- oder Abwägungsfall rückt der Behandlungsauftrag in den Hintergrund. Darüberhinaus haben Bayern und Hamburg den Opferschutz (auch Täter-Opfer-Ausgleich) besonders betont und in den Behandlungsauftrag mit aufgenommen.

Aufbau des Strafvollzugsgesetzes

Bundesgesetz und bisher erlassene Landesgesetze unterscheiden sich im Aufbau nur unwesentlich. Das StVollzG besteht aus:

  • 1. Abschnitt: Anwendungsbereich (§ 1)
  • 2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe (§§ 2-126)
  • 3. Abschnitt: Besondere Vorschriften für Maßregeln der Besserung/Sicherung (§§ 129-138)
  • 4. Abschnitt: Vollzugsbehörden (§§ 139-166)
  • 5. Abschnitt: Weitere Freiheitsentziehungen, Datenschutz, Schlussvorschriften (§§ 167-202)

Die Vorschriften über den Vollzug von Freiheitsstrafen bilden das Groß des gesamten Gesetzes und wirken sich auf die besonderen Vollzugsarten (Frauenstrafvollzug, sozialtherapeutischer Strafvollzug) aus. Für viele Bereiche sind nur Rahmenregelungen getroffen worden. In Verwaltungsvorschriften und zahlreichen weiteren Ausführungsbestimmungen wird der Beurteilungs- und Handlungsspielraum der einzelnen Vollzugsbehörde genauer definiert. Freiheiten zu selbstständigem Handeln werden damit letztlich stark eingeschränkt. Für die Gerichte ist allerdings nur das Gesetz maßgeblich, da die Verwaltungsvorschriften keine Rechtsqualität haben.

Kriminologische Aspekte

Rechtsstaat und Sozialstaat stehen gerade im Praxisfeld der Resozialisierung in einem besonderen Spannungsverhältnis. Dies kommt auch im StVollzG zum Ausdruck (Schutz der Allgemeinheit versus Wiedereingliederung) und wird von Rechtsprechung und Wissenschaft kontrovers diskutiert. Für Justizvollzugsanstalten als sog. totale Institutionen ist jedoch die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung von entscheidender Bedeutung.

Was versteht das Gesetz unter Resozialisierung?

Was unter Resozialisierung verstanden werden soll, ist gesetzlich alles andere als klar definiert. Weder das StVollzG noch das Strafgesetzbuch geben hierzu Erläuterungen. Eine Definition dieses Begriffes wurde von den gesetzgebenden Organen damals ausdrücklich abgelehnt; Rechtsprechung und Rechtslehre sollten sich damit auseinandersetzen (Dt. Bundestag, 230. Sitzung, Protokoll V, 12723). Aus kriminologischer Sicht bleibt damit eine Definitionsfrage: Zielt der Begriff mehr auf Re-Sozialisation oder doch eher auf Re-Sozialisierung ab? Nach Feest (StVollzG, 2006, S. 8) würde dann eher von Resozialisation gesprochen, wenn es um die Verweisung auf Defizite der (vor allem frühen) Sozialisation geht, andernfalls um soziale Reintegration, die durch Eröffnung eines Kommunikations- und Interaktionsprozesses zwischen dem Gefängnis und der Gesellschaft verwirklicht wird. Das StVollzG bestimmt vor allem, wie der Strafvollzug, darunter auch die Behandlung der Gefangenen, durchzuführen ist.

Nothing works?

In (diversen) kriminologischen Studien wurde bereits die Effizienz resozialisierender Maßnahmen erforscht und demonstriert. Diese Studien und Metaanalysen legen dabei die Nothing Works-These nahe. Selbst bei den intensiven sozialtherapeutischen Maßnahmen, die vermehrt in die Gesetzgebung mitaufgenommen wurden, sind die Erfolgsquoten nicht signifikant höher. "Die Erfolgsquote der Sozialtherapie in Gefängnissen ist... gering bis sehr gering" (Ortmann 1999, 271, Ortmann 2000,133). Das schließt aber nicht aus, dass geeignete Angebote im Einzelfall durchaus zum Erfolg führen können. Wirksame Behandlungsmethoden basieren auf ambulanten und kognitiv orientierten Maßnahmen. Leider sind große Teilbereiche zu wenig erforscht bzw. Maßnahmen ausreichend evaluiert (v.a. im deutschsprachigen Raum).

Strafverschärfungen und "freiwilliger Zwang"

Eine besondere Bedeutung haben auch die gesetzlichen Strafverschärfungen im Jahr 1998 (Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten) verbunden mit dem Zwang zur Behandlung (zum Beispiel die gesetzliche Vorgabe der Teilnahmepflicht von Sexualstraftätern an sozialtherapeutischen Maßnahmen) gewonnen. Diese Pflicht und deren Erfüllung spielen in der Praxis auch eine erhebliche Rolle bei der prognostischen Frage einer vorzeitigen Entlassung. Die Vorstellung von der Heilung von sexuell deviantem Verhalten stammt aus dem Bereich der Medizin, entspricht in der heutigen Psychotherapie aber schon lange nicht mehr den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Jedoch herrscht in der Kriminalpolitik noch immer die Vorstellung, dass man psychische Veränderungen durch "freiwilligen Zwang" erreichen kann. Der gesetzlich normierte Behandlungsvollzug bringt hier (ungewollt) zusätzliche repressive Elemente in den Prozess der Bestrafung ein (Feest, StVollzG, 2006, Seiten 10/11). In der Praxis erweist sich derartiger Zwang vorwiegend als wirkungslos; im Einzelfall werden sogar Trotzreaktionen beobachtet.

Theorie vom „Wettbewerb der Schäbigkeit“

Daneben ist in der Fachdiskussion immer wieder beanstandet worden, dass bei Zugrundelegung der Länderhoheit - theoretisch - 16 verschiedene Strafvollzugsgesetze und -systeme möglich sind und je nach politischer Intention der aktuellen Landesregierung der von Frieder Dünkel so genannte befürchtete "Wettbewerb der Schäbigkeit" (Wer gibt für seinen Strafvollzug möglichst wenig aus?) beginnen könnte. Bislang sind derartige Befürchtungen nicht bestätigt worden. Viele Länder haben von ihrer Gesetzgebungskompetenz nicht Gebrauch gemacht und wenden weiter das StVollzG an. Auch wurden teilweise erhebliche Zusatzinvestitionen getätigt. Die Auswirkungen eines Flickenteppichs von einzelnen Strafvollzugsgesetzen müssen jedoch weiterhin genau beobachtet werden. Der Strafvollzug kann leicht zum Spielball landespolitischer Auseinandersetzungen werden (Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 07/2010).

Literatur

  • Feest, Johannes, Hrsg., 2011 (6. Auflage), Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, Köln
  • Laubenthal, Klaus, 2011 (6.Aufl.), Strafvollzug. Lehrbuch, Berlin, Heidelberg
  • Kaiser/Schöch, C.F. Müller Verlag, 2002 (5. Auflage), Strafvollzug, Heidelberg
  • Calliess/Müller-Dietz, C.H.Beck Verlag, 2008 (11. Auflage), Strafvollzugsgesetz, München
  • Arloth, Frank, Verlag C.H. Beck, 2011 (3. Auflage), Kommentar Strafvollzugsgesetz, München
  • Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Hrsg., 2008 (5. Auflage), Kommentar Strafvollzugsgesetz – Bund und Länder, Berlin
  • Dünkel, Frieder, 2009, Rechtstatsächliche Analysen, aktuelle Entwicklungen und Problemlagen des Strafvollzugs in Deutschland
  • Kreuzer, Arthur, 2006, in BewHi, Seiten 195-215, Strafvollzug - quo vadis? Kritische Bestandsaufnahme nach 30 Jahren eines Strafvollzugsgesetzes
  • Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss, Hrsg., 1993, Seiten 507 ff., Kleines Kriminologisches Wörterbuch, Heidelberg
  • Cornel, Heinz/ Kawamura-Reindl, Gabriele/ Maelicke, Bernd/ Sonnen, Bernd-Rüdeger (Hrsg.): Resozialisierung. Handbuch. 3. Aufl. Baden-Baden 2009
  • Cornel, Heinz/Maelicke, Bernd, 2002 (5. Auflage), Recht der Resozialisierung, Baden-Baden
  • Schmucker, Martin, Centaurus Verlag, 2004, Kann Therapie Rückfälle verhindern?, Herbolzheim
  • Schwerdtfeger, Max, GRIN Verlag, 2008, Der Strafvollzug nach der Föderalismusreform - eine erste Bestandsaufnahme

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