Freiheitsstrafe (Deutschland)

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In Deutschland ist - seit der Abschaffung der Todesstrafe - die Freiheitsstrafe die gravierendste, in die Rechtssphäre des Bürgers am tiefsten eingreifende staatliche Sanktion. Es handelt sich dabei immer um einen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen. Dieser Eingriff ist dann verfassungsmäßig, wenn die materiellen und formellen Voraussetzungen ihrer Verhängung erfüllt sind. Andernfalls handelt es sich um den Tatbestand der Freiheitsberaubung. Dabei wären dann zwei unterschiedliche Konstellationen zu unterscheiden. Erstens: die Freiheitsstrafe wird bewußt als Mittel zur Verschleierung einer rechtlich nicht erlaubten Freiheitsentziehung missbraucht (Freiheitsberaubung im Amt; Rechtsbeugung). Zweitens: ungewolltes Fehlurteil (Fragen der Möglichkeit einer Wiederaufnahme und der Haftentschädigung).

Zum Funktionssystem der Freiheitsstrafe gehören neben der Bevölkerung (die sowohl als vorgebliche Benefiziarin der dadurch angestrebten öffentlichen Sicherheit als auch als Quelle von Strafanzeigen eine gewichtige Rolle spielt) die Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Polizei), die Strafgerichtsbarkeit und die Strafvollstreckungsbehörden. Entscheidungen über dauerhafte freiheitsentziehende Maßnahmen können nur durch ein Gericht angeordnet werden.

Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. (§ 46 StGB) Das Gericht kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen. (§ 56 StGB)

Daneben existieren weitere freiheitsentziehende polizei- und verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie beispielsweise die Unterbringung nach den Unterbringungsgesetzen der Bundesländer.

Die Freiheitsstrafe wird als zeitweise oder vollständige Entziehung der persönlichen Freiheit in den Justizvollzugsanstalten (JVA) vollstreckt. "Die Freiheitsstrafe ist zeitig, wenn das Gesetz nicht lebenslange Freiheitsstrafe androht. Das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe ist fünfzehn Jahre, ihr Mindestmaß ein Monat." (§38 StGB)

Die Jugendstrafe unterscheidet sich aufgrund des Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht grundlegend von der Freiheitsstrafe: sie darf nur verhängt werden, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. (§ 17 JGG)


Ein kurzer Blick in die Geschichte

Die Freiheitsstrafe wird seit der Großen Strafrechtsreform vom 25.06.1969 (in Kraft seit 1. September 1969 bzw. 1. April 1970) nur noch als einheitliche Freiheitsstrafe verhängt. Die bis dahin gebräuchliche Unterscheidung freiheitsentziehender Maßnahmen in Zuchthaus, Gefängnis, Einschließung, Strafarrest und Haft abgeschafft.

Exkurs Sicherungsverwahrung: Seit Dezember 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die nachträgliche Sicherungsverwahrung für menschenrechtswidrig erachtet, weil nach der bislang bestehenden Praxis die Sicherungsverwahrung nicht von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zu unterscheiden war und sie in den gleichen Justizvollzugsantalten vollstreckt wurde. Diese Praxis in Deutschland war eine unzulässige und mithin menschenrechtswidrige Doppelbestrafung. (EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009 zu 19359/04). Obwohl diese Entscheidung kein Einzelfall geblieben ist und die Bundesrepublik Deutschland erneut verurteilt wurde (EGMR, Urteile vom 13.01.2011 zu 17792/07, 20008/07 und 27360/04 und 42225/07), ist die Rechtsprechung der deutschen Obergerichte des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und Bundesgerichtshofs (BGH) dieser klaren Linie bislang nicht gefolgt und noch uneinheitlich.
Da auch noch nicht absehbar ist, ob das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung vom 22.12.2010 einer obergerichtlichen Überprüfung bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte standhalten wird, ist die Sicherungsverwahrung als ein Sonderfall der Freiheitsstrafe zu betrachten.

Das Sanktionensystem wurde mit dem Gesetz („das Gewohnheitsverbrechergesetz") vom 24. November 1933 gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Besserung und Sicherung in das Strafgesetzbuch eingeführt worden und geht entscheidend auf die durch Franz von Liszt zu Ende des 19. Jahrhunderts angestoßene Diskussion mit seiner Veröffentlichung des Marburger Programms (Der Zweckgedanke des Strafrechts) zurück.

Vorausgegangen war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein regelrechter Bauboom von Gefängnissen und Zuchthäusern, der noch heute das Bild der Gefängnisse in der Öffentlichkeit prägt und man sich fragt, ob sich seitdem überhaupt irgendetwas geändert hat. Es ging das große Schauspiel der peinlichen Strafe zu Ende; man verbannte ide Inszenierung des Leidens und trat in das Zeitalter der Strafnüchternheit ein (vgl. Foucault 1975: 23). 1716 wurde die Justizvollzugsanstalt Waldheim in Sachsen als »Allgemeines Zucht,- Armen- und Waisenhaus« durch den Kurfürsten Friedrich August I. eingeweiht und ist das älteste Zuchthaus Deutschlands das noch als JVA genutzt wird. In Bremen wurde das erste Zuchthaus in Deutschland (1804/06) errichtet.

Kriminologische Relevanz

Die Freiheitsstrafe ist die Reaktion dieses Staates, die die Grundrechte seiner Bürger am nachhaltigsten bedroht, aber auch die wirksamste?

"Eine Voraussetzung von strafrechtlichen Sanktionen in rechtsstaatlich verfassten Gesellschaftenist natürlich ein Verstoß gegen eine strafrechtliche Norm. Genauer - wie wir in Kenntnis des labeling approach sagen müssen - : das Urteil von Richtern, nach dem ein solcher Verstoß vorgelegen hat." (Peters 2009: 156)

Peters führt aus, dass wenn man als Erfolg sozialer Kontrolle, die Verhinderung abweichenden Verhaltens in dem soziale Kontrolle wirkt, Sanktionsdrohungen und Strafen als Kontrollversager gelten (Peters 2009: 170). Lamnek resümiert im Hinblick auf die Generalprävention, dass soweit man die Effizienz über den Rückgang der Kriminalität bemisst, diese soziale Kontrolle nur selten erfolgreich ist (Lamnek 2008: 286).

Das offenbaren insbesondere die vom Statitistischen Bundesamt geführten Datenerhebungen über die Entwicklung der in Justizvollzugsanstalten einsitzenden Strafgefangenen und Sicherheitsverwahrten (siehe unten).

Ein besonderes Augenmerk hat dabei den Katgegorien "Strafgefangene bis 9 Monaten einschließlich" und "Strafgefangene von 9 bis 24 Monaten einschließlich" zu gelten. Diese beiden Kategorien bezogen auf die aktuellen Zahlen 2010 (Stand: 31. März 2010) machen knapp 63% der erwachsenen Inhaftierten aus (13.948 + 19.959 = 33.907 von 53.973 (gesamt) ohne Berücksichtigung der Jugendstrafen und Sicherungsverwahrten). 68,8% der Inhaftierten sind keine Ersttäter. (Statistisches Bundesamt 2010: 20) Bei Gegenüberstellung dieser Zahlen wird das doppelte Versagen des Sanktionensystems deutlich: es lassen sich weder die Ersttäter noch die bereits Verurteilten nachhaltig beeindrucken noch von der Begehung von (weiteren) Straftaten abbringen.

Seit den siebziger Jahren ist eine Zunahme der Gefängnisinsassen zu beobachten; in den letzten 10 Jahren ist die Zahl der Inhaftierten jedoch kaum noch nennenswert gestiegen.

Exkurs Sicherungsverwahrung: Eine Ausnahme bildet die Zahl der Sicherungsverwahrten, die von 257 Verwahrten im Jahre 2001 bis auf 536 im Jahre 2010 anstieg. Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist. (§66 StGB). Besondere Probleme bereitet die Beurteilung der Prognose. "Erfahrungswissenschaftliche kriminalprognostische Aussagen sind Wahrscheinlichkeitsaussagen - eine sichere Ja-Nein-Aussage über künftiges kriminelles Verhalten ist nicht möglich." (Volkart 2002: 105). Etwa die Hälfte der auf der Grundlage von Gutachten als gefährlich Eingestuften sitzt in Sicherungsverwahrung, um einen Rückfall zu verhindern, der tatsächlich aber gar nicht eintreten würde. (vgl. Kinzig 2008: 134)

Die Entwicklung der Zahlen der Inhaftierten in den letzten 10 Jahren belegen keinen Aufstieg neoliberalen Sicherheitsdenkens beiderseits des Atlantiks wie ihn Wacquand beschreibt, Beachtung verdienen allerdings die Thesen, wonach heutige Gesellschaften über mindestens drei zentrale Strategien verfügen, um mit unerwünschten Verhältnissen und unerwünschten Verhaltensweisen, also abweichendem Verhalten zu begegnen (Wacquand 2009: 20).

Mit anderen Worten: es konkurrieren drei verschiedene Systeme, die die Zahlen derjenigen, die der Zielgruppe zugerechnet werden, beeinflussen. Es ist erstens das Sozialsystem, das den Betroffenen das Existenzminimum (Regelsätze (Hilfe zum Lebensunterhalt (Arbeitslosengeld II)) und Wohnraum sicherstellt. Zweitens sind es die Leistungen des Gesundheitssystem; eine These, die Annahme voraussetzt, dass Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, behandlungsbedürftig im Sinne medizinischer Beeinträchtigung sind wie Drogen-, Medikamenten-, Alkoholabhängigkeit oder anderer individueller psychischer Erkrankungen. Und drittens streitet die Kriminlisierung um die gleiche Zielgruppe: der Ruf nach dem Strafrecht um soziale Missstände unsichtbar zu machen (vgl. Wacquand 2009: 20).

Entwicklung der in Justizvollzugsanstalten einsitzenden Strafgefangenen und Sicherheitsverwahrten (2001-2012)

Datenmaterial: Statistisches Bundesamt "Strafvollzug - Demograph.u. kriminolog. Merkmale der Strafgefangenen - Fachserie 10 Reihe 4.1 - 2012 (größere Ansicht Media:Tabelle.png)

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Quellen

  • Brockhaus (1997), Die Enzyklopädie in 24 Bänden, Leipzig, Mannheim
  • Statistisches Bundesamt Fachserie 10 Reihe 4.1 (2010), Strafgefangene und Sicherungsverwahrte am 31.3.2010 nach demographischen und kriminologischen Merkmalen sowie Zeitreihendarstellung für 1965 bis 2010; Untergebrachte im Maßregelvollzug am 31.3.2010, Wiesbaden

Literatur

  • Foucault, Michel (1975) Surveiller et punir, deutsch (1994), Überwachen und Strafen, Frankfurt
  • Grambow, Otto (1910), Das Gefängniswesen Bremens, Dissertation Göttingen, zitiert in: Kruse, Hans Joachim (2003), Zur Geschichte des Bremer Gefängniswesens, Norderstedt
  • Kerner, Hans-Jürgen (1993), Freiheitsentiehende Maßnahmen in: Kaiser, Günther et al. (Hg.): Kleines Kriminologogisches Wörterbuch, Heidelberg, 146-152
  • Kinzig, Jörg (2008), Die Legalbewährung gefährlicher Rückfalltäter. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung des Rechts der Sicherungsverwahrung, Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Bd. K 138, Freiburg
  • Lamnek, Siegfried (2008), Theorien abweichenden Verhaltens II, Paderborn
  • von List, Franz (1882/83), Der Zweckgedanke im Strafrecht, Berlin
  • Peters, Helge (2009), Devianz und soziale Kontrolle, Weinheim und München
  • Volckart, Bernd 2002, Zur Bedeutung der Basisrate in der Kriminalprognose. Was zum Teufel ist eine Basisrate?, in: Recht & Psychiatrie, 20. Jg., Bonn
  • Wacquant, Loïc (2009), Bestrafen der Armen: Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit, Leverkusen

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