Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht

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Der Erziehungsgedanke im materiellen Jugendstrafrecht

Da die Spezifität des formellen Teiles des Jugendgerichtsgesetzes nach einer gesonderten Darstellung verlangt, beschäftigt sich dieser Artikel schwerpunktmäßig mit dem materiellen Jugendstrafrecht. Das Ziel jugendstrafrechtlicher Erziehung besteht darin, weitere Delikte des Beschuldigten zu verhindern, wobei die Generalprävention im Sinne der Abschreckung anderer nach durchgehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes selbst bei schwerer Schuld kein Strafziel des Jugendstrafrechts ist. Die Struktur des formellen Rechtsfolgensystems ergibt sich dabei aus § 5 JGG. Das Jugendgerichtsgesetz nimmt in § 5 I und II eine Dreiteilung der Rechtsfolgen in Erziehungsmaßregeln (§§ 9 - 12), Zuchtmittel (§§ 13 -16) und Jugendstrafe (§§ 17 - 30) vor. Eng verwandt mit der Jugendstrafe ist die Untersuchungshaft; denn die U - Haft unterscheidet sich faktisch nicht wesentlich von der Strafhaft. Hier wie dort ist das zentrale Element das Eingesperrtsein.

Die Erziehungsmaßregeln (§ 9 JGG) dienen der Erziehung, da sie den ausschließlichen Zweck verfolgen, die durch die Tat erkennbar gewordenen Erziehungsmängel zu beseitigen. Somit dürfen bei ihrer Anordnung und Auswahl nur erzieherische Gesichtspunkte, nicht aber Vergeltung, Sühne und Schutz der Allgemeinheit berücksichtigt werden. Wenn auch die Zuchtmittel (§ 13 JGG) neben dem erzieherischen Ziel die Sanktionszwecke der Sühne und der Vergeltung verfolgen, so müssen sie aber vor allem danach ausgewählt werden, daß sie erzieherisch positiv wirken.

Die Jugendstrafe (§ 17 JGG) wird entweder "wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind" (II) oder "wegen der Schwere der Schuld" (II) verhängt. Sie kann zur Bewährung ausgesetzt (§§ 21, 27 JGG) oder entsprechend den §§ 82 - 85 JGG und den §§ 91 f. JGG vollstreckt und vollzogen werden. Die Jugendstrafe ist als eine echte Kriminalstrafe insofern ultima ratio des Jugendstrafrechts als sie nur verhängt werden darf, wenn Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nicht ausreichen. Dennoch kommt die starke Betonung des Erziehungsgedankens im Jugendstrafrecht auch bei dieser seiner echten einzigen Strafe zum Ausdruck. Beim Vorliegen der "schädlichen Neigungen" (§ 17 II JGG) wird sogar von einer längeren Gesamterziehung gesprochen. Problematisch ist allerdings, ob und wie der Erziehungsgedanke unter die Tatbestandsvoraussetzungen der "Schwere der Schuld" (§ 17 II JGG) subsumiert werden kann. Die Lehre und das Schrifttum plädieren hier eher für eine Unvereinbarkeit oder Trennung von Erziehung und Strafe, wohingegen die Rechtsprechung auch eine wegen "Schwere der Schuld" zu verhängende Jugendstrafe nur dann zulassen will, wenn diese aus erzieherischen Gründen erforderlich sei. Zwar hat die Rechtsprechung mittlerweile ihre Position abgeschwächt, indem sie hervorhebt, neben dem Erziehungszweck dürften auch Schuldgesichtspunkte berücksichtigt werden; doch unterstellt der Bundesgerichtshof bei seiner Argumentation, daß der Erziehungsgedanke mit dem Schuldausgleich ohnehin in der Regel im Einklang stehe, weil Charakter und Persönlichkeit des Jugendlichen auch bei der Bewertung der Schuld herangezogen werden. Wer sich also in einem besonders hohen Maße schuldig gemacht hat, drücke eben durch dieses Verhalten sein erhebliches Erziehungsdefizit aus. Folglich gilt in der juristischen Praxis der Vorrang des Erziehungsgedankens auch für die wegen "Schwere der Schuld" zu verhängenden Jugendstrafe.

Gemäß § 93 II JGG soll der Vollzug der Untersuchungshaft erzieherisch gestaltet werden, ohne einen neuen Haftzweck und -grund der "Erziehung" zu schaffen und somit über die enumerativ aufgeführten Haftgründe des § 119 StPO hinauszugehen. Mithin steht die U - Haft ebenso unter dem Postulat des Erziehungsgedankens.

Wir können also folgendes Fazit ziehen: Alle Rechtsfolgen des Jugendstrafrechtes unterliegen dem Erziehungsgedanken. Herkömmlich wird diese besondere Aufgabenstellung des Jugendstrafrechtes mit dem Wort "Erziehungsstrafrecht" ausgedrückt. Somit haben wir eine solide Basis für alle weiteren Überlegungen, Untersuchungen und Analysen geschaffen, soweit sie den materiellen Teil des Jugendgerichtsgesetzes betreffen; denn jede - befürwortende wie ablehnende - Kritik an den jugendstrafrechtlichen Maßnahmen und Rechtsfolgen fällt immer auch zugleich auf den Erziehungsgedanken selbst zurück.

Die öffentliche Meinung ist überwiegend von der Vorstellung geprägt, daß der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechtes ausschließlich straflimitierend verwendet werde. Tatsächlich lassen sich auch derartige Limitierungen, die mit dem Erziehungsgedanken legitimiert werden, an mancher Stelle im Gesetz finden: Die Beschränkung der Jugendstrafe auf 5 oder 10 Jahre, kürzere Fristen bei der Strafrestaussetzung und im Registerrecht sowie die kurze Vollstreckungsverjährung beim Jugendarrest sind hier vor allem zu nennen.

Trotzdem wird heute kritisch gefragt, ob unser Jugendstrafrecht zu einer Strafe für die Jugend geworden ist; denn empirische Befunde ergeben, daß die praktizierte Strafzumessung nach dem Jugendgerichtsgesetz im Vergleich zu der Bestrafung nach dem allgemeinen Strafrecht zu einer härteren Sanktionierung junger Straftäter führt. Generell gilt, daß der Erziehungsgedanke seine straflimitierende Funktion mit zunehmender Schweregewichtung der Tat mehr und mehr verliert. Darüber hinaus besteht schon rein ideologisch im Jugendgerichtsgesetz die Gefahr einer Strafinflation bei einem diagnostizierten erheblichen Erziehungsbedarf. Folglich empfangen Jugendliche und Heranwachsende bei Anwendung des Jugendstrafrechtes oft einen Erziehungszuschlag, der sie gegenüber Erwachsenen nachdrücklich schlechterstellt, insbesondere im Bereich der Vermögens - und Eigentumsdelikte. Der strafende Charakter von jugendstrafrechtlichen Sanktionen wird offensichtlich mit Hilfe einer Erziehungsideologie geleugnet. Schließlich setzt sich die Schlechterstellung bis in den Jugendstrafvollzug fort. Auf das Negativkonto kommen ferner Rechtsverkürzungen zu Lasten junger Menschen, die erst durch die Berufung auf den Erziehungsaspekt möglich werden. Zusätzliche Versagungen und Eingriffe gehören hierher, ebenso Momente der Unbestimmtheit und Unüberprüfbarkeit.

Mithin scheint der Erziehungstopos und die Verknüpfung von Verbrechen und Erziehung dazu ausersehen, die soziale Kontrolle auszudehnen und zu intensivieren sowie ferner den repressiven Strafcharakter von Sanktionen zu verschleiern. Damit soll nicht gesagt werden, daß dies ausnahmslos der Fall ist; dennoch dürfte Erziehung im Jugendstrafrecht in erster Linie eine Ideologie beinhalten.

Die Legitimation des Erziehungsgedankens

Zwar hat das Jugendstrafrecht eine eigene Gerichtsverfassung, eigene Sanktionen und partiell auch eigene Strafprozeßregeln bekommen; doch es hat den Verbrechensbegriff des allgemeinen Strafrechts beibehalten. Die Gleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden einerseits und von Erwachsenen andererseits geschieht folglich durch die identische Typisierung ihres jeweiligen Verhaltens auf der Grundlage eines einheitlichen Katalogs von Straftatbeständen im Strafgesetzbuch einschließlich seiner Nebengesetze wie vor allem des Betäubungsmittelgesetzes. Entwicklungspsychologisch und erziehungswissenschaftlich kann dieses Konzept jedoch nicht überzeugen, weil die Normen des Strafgesetzbuches die jugendspezifischen Interaktionsformen nur unzureichend zu erfassen vermögen und unterschiedliche Verhaltensprägungen Erwachsener und Jugendlicher unzulässig eingeebnet werden. Wenn auch jugendliches delinquentes Verhalten formal die Voraussetzungen der entsprechenden Straftatbestände erfüllen mag, so widerspricht aber oft die Intentionalität dieser Handlungen der ratio legis der Norm.

Kriminologische Befunde der Gegenwart haben im Laufe der Zeit zu einem Wandel im Verständnis der Jugendkriminalität geführt. Bei Jugendkriminalität handelt es sich danach um ein ubiquitäres, bagatellhaftes und episodenhaftes Phänomen. Dabei bedeutet die geringere Handlungskompetenz Jugendlicher und Heranwachsender, daß sie in wenig rational und überlegter Art und Weise tendenziell unkomplizierte Delikte begehen. Die Annahme, abweichendes Verhalten sei regelmäßig als ein Symptom für tiefsitzende Erziehungsmängel anzusehen, ist mit diesen Befunden einfach nicht zu vereinbaren. Jugendkriminelles Verhalten erfordert mithin in der Regel keine zwingende erzieherische Aufmerksamkeit. Sogar für die meisten Mehrfach - und Intensivtäter gilt wegen der Episodenhafigkeit ihrer kriminellen Handlungen die Annahme, daß diese nicht a priori symptomatisch für eine defizitäre Erziehung seien. Jedenfalls führen Prozesse der Spontanbewährung im Rahmen des altersmäßigen Erfahrungs - und Reifungsprozesses in der weitaus überwiegenden Anzahl von Fällen zu einem Abklingen oder Verschwinden von offiziell registrierter Kriminalität. Jedenfalls bedeutet Jugenddelinquenz regelmäßig weder einen Einstieg in intensive oder schwere Formen der Kriminalität, noch drückt es zwingend Sozialisationsmängel und Erziehungsdefizite aus.

Der Erziehungsgedanke ist also strafrechtsdogmatisch und rechtstheoretisch bedenklich und sozialwissenschaftlich durch das Phänomen der Jugendkriminalität so nicht zu legitimieren. Mithin erscheint schon an dieser Stelle der Topos "Erziehung" im Jugendstrafrecht aus erziehungswissenschaftlicher und kriminologischer Sicht als fragwürdiger, wenn nicht gar untauglicher, Begriff.

Die stationären Maßnahmen in der Praxis

Die Forschungslage zu der Frage, wie stationäre Sanktionen auf die betroffenen jugendlichen Häftlinge wirken, ist im Ausland zwar teilweise ergiebiger als hierzulande; doch erscheint eine Übertragung dort gewonnener Ergebnisse wegen anderer sozialer Verhältnisse und rechtlicher Grundlagen nicht unmittelbar möglich. Die Studien, die im folgenden zugrundegelegt werden, veranschaulichen auf der Grundlage intensiver Erfahrungen aber, wie der Vollzug tatsächlich ausgestaltet und praktiziert wird. Ob und inwieweit diese Stichproben den Anspruch umfassender Repräsentativität einzulösen vermögen, muß an dieser Stelle offen bleiben.

Die sogenannten "apokryphen", also versteckten, Haftgründe dürften die übertriebene Anordnung von Untersuchungshaft gerade im Jugendstrafrecht erklären. Unter dem Vorwand wohlmeinender Erziehung sollen insbesondere junge Tatverdächtige mit diesem Mittel vor einem weiteren Abgleiten in die Kriminalität bewahrt werden, obwohl so der gesetzliche Subsidiaritäts = grundsatz nach § 72 I 1 JGG, wonach die U - Haft hinter erzieherischen Maßnahmen zurückzutreten habe, geradezu umgekehrt wird. Ferner besteht nach wie vor ein eklatanter Widerspruch zwischen den gesetzlichen Anforderungen an die Untersuchungshaft bei jungen Gefangenen und ihrem Vollzug; von erzieherischer Wirkung und Gestaltung dieser Haft kann nicht gesprochen werden. Sie wird vielmehr von den Häftlingen als besonders krisenhaft erlebt und empfunden.

Im Vordergrund der Kritik des Arrestvollzuges steht die sog. "Arrestideologie". Diese verlangt eine Besinnung auf Mittelschichtnormen, obwohl viele Angehörige der Unterschicht inhaftiert sind und in ihrer Sozialisation kaum gelernt haben, sich zu besinnen. Isolierung und Druck bewirkten eine signifikante Zunahme an destruktiven Emotionen und psychosomatischen Zuständen. Sofern besondere erzieherische Maßnahmen durchgeführt werden, liegt deren Wert bestenfalls in der Neutralisation oder Abschwächung der negativen Auswirkungen des Arrestes.

Das Erscheinungsbild des Jugendstrafvollzugs hat sich seit den 60er Jahren erheblich gewandelt. Aus dem ehemaligen Verwahrvollzug ist - terminologisch und vielfach auch faktisch - der sogenannte modernere Behandlungsvollzug geworden. Dennoch gelangt das in der Vollzugsforschung nachgewiesene Mängelprofil des Behandlungsvollzugs zu folgenden Ergebnissen:

a) Das Angebot schulischer und beruflicher Aus - und Fortbildung sei nicht geeignet, die ökonomischen und sozialen Zukunftschancen der deklassierten Insassen wirksam zu verbessern.

b) Das "Lernmodell Arbeit" entwerte systematisch die Arbeitskraft der Gefangenen. Stets müßten diese diszipliniert werden, weil eine Motivation für das geforderte Verhalten weder aus den Arbeitsbedingungen noch aus den Arbeitsinhalten abgeleitet werden könne.

c) Die pädagogisch - therapeutischen Intentionen des Vollzugs zehrten sich in der Gleichzeitigkeit des Anspruchs von Strafe und Behandlung vollständig auf. Das Sicherheits - und Ordnungsdenken in Verbindung mit der Einbindung der Delinquenten in die Knastökonomie und -kultur behinderten sinnvolle pädagogische Maßnahmen und Interventionen.

d) Da ein Verhalten eingeübt werde, das äußere Anpassung mit innerer Ablehnung verbindet und die Beziehungen zu dem Vollzugspersonal sich als ambivalent und widersprüchlich darstellten, entwickele sich regelmäßig bei den jungen Delinquenten ein ungesundes, durch Diffusion gekennzeichnetes Identitätskonzept.

e) Folglich drohe eine Behandlung dieser durch die Vollzugsforschung belegten Art, den Betroffenen die letzten Reste von Selbsbestätigung und Identität zu nehmen. Zur sozialen Deklassierung nach der Entlassung geselle sich dann noch ein durch staatliche Intervention weitgehend gestörtes Selbstbewußtsein und psychische Wehrlosigkeit.

Jenseits einer Begriffsbestimmung, was man denn nun unter Erziehung zu verstehen habe, ergibt sich aus diesen Befunden ein Fazit schon von selbst: Die praktische Umsetzung und Ausgestaltung der stationären Maßnahmen gemäß dem Jugendgerichtsgesetz läßt sich mit einem modernen Verständnis von Erziehung sicherlich nicht vereinbaren.


Der Erziehungsgedanke und die Erziehungswissenschaft

So unumstritten also der Erziehungsgedanke als Leitziel des Jugendgerichtsgesetzes anzusehen ist, so schwierig ist es auch, dieses Prinzip inhaltlich zu konkretisieren und auszugestalten, so daß der Begriff jugendrechtlicher Erziehung als höchst unscharf und konturenlos zu bezeichnen ist. Er birge keine festen und dauerhaften Inhalte in sich, sondern sei vielmehr als eine Art Chiffre anzusehen, welche lediglich aus unbestimmten Aüßerungen bestehe. Insbesondere Schlüchter findet sich damit nicht ab, da es methodisch und rechtsstaatlich bedenklich sei, den Erziehungsgedanken als bloße Leerformel abzutun. Folglich sei die Erziehungswissenschaft als die "Heimat des Begriffes" aufzusuchen. Dort wird man jedoch bei der Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Literatur mit einer Flut unterschiedlicher Ansätze und Definitionen konfrontiert. Das Schrifttum befördert keine allgemeine oder zumindest überwiegend anerkannte Lehrmeinung, wie der Erziehungsbegriff nun auszulegen und zu definieren sei. Vielmehr ist von Auflösungserscheinungen, Begriffswirrwarr, Sprachverwilderung und Konturenlosigkeit die Rede, der Erziehungsbegriff sei eine Fiktion.

Schlüchter wendet sich infolgedessen der Etymologie zu, um auf diesem Wege die Bedeutung des Wortes "Erziehung" zu erfassen. Demzufolge gehe es um einen intensiven innerlichen Vorgang mit dem Ziel der Menschenformung. Führende Erziehungswissenschaftler weisen jedoch darauf hin, daß eine etymologische Analyse sich generell als problematisch und irreführend erweist. Insbesondere werde die begriffsgeschichtliche Verständigung dadurch erschwert, daß bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage nach der Verwendung des Wortes "Erziehung" nicht zwischen der empirisch - deskriptiven Feststellung der Verwendungspraxis einerseits und der normativen Projektion eines Verwendungsideales andererseits unterschieden wird. Außerdem ist inhaltlich fraglich, ob Schlüchter nicht im Ergebnis den Zögling als ein Objekt ansieht und somit den Anforderungen moderner Erziehungstheorien, den Zu - Erziehenden als Subjekt zu begreifen, nicht genügt; deshalb setzt sich Schlüchters Konzept von der "Werteverinnerlichung" grundsätzlicher Kritik aus, worüber das Berufen auf historisch überlebte Ansichten in der Pädagogik nur bei oberflächlicher Betrachtung hinwegzutäuschen vermag. Sie unterläßt und umgeht es nämlich, den Weg und die Art und Weise aufzuzeigen, wie die entsprechenden Werte zu verinnerlichen wären. Dafür erforderliche kommunikationstheoretische Erkenntnisse und Theorien bezieht sie jedenfalls in ihre Überlegungen nicht mit ein.

Mithin bleibt festzuhalten, daß ein überzeugendes, (erziehungs-)wissenschaftlichen Ansprüchen genügendes Konzept eines Verständnisses von jugendstrafrechtlicher Erziehung bisher noch nicht entwickelt worden ist.


Abschied, Beibehaltung oder Reformulierung des Erziehungsgedankens

Der Erziehungsbegriff des Jugendgerichtsgesetzes sei beizubehalten, da es nicht nur auf das Ziel der Legalbewährung durch äußere Anpassung, sondern zudem auf die Verinnerlichung der für die Legalbewährung unerläßlichen Werte ankomme. Erziehung im Sinne einer inneren Umkehr dürfe jedoch nicht mit Gewalt erzwungen werden. Insofern sei eine Sanktionierung mit dem Ziel einer Normeninternalisierung abzulehnen. Dem Staat habe es schließlich egal zu sein, aus welcher Motivation heraus die Gesetze befolgt werden. Bei einer Mißachtung dieses Neutralitätsgebotes käme sogar ein Verstoß gegen Art. 2 I, 1 I GG ernsthaft in Betracht. Der "gute Mensch" könne und dürfe mit dem Strafrecht nicht angestrebt werden. Der Erziehungsgedanke als Rechtsprinzip gehöre mehr oder weniger abgeschafft. Als Vehikel für die Zurückdrängung des tatvergeltenden Strafrechts sei der Primat der Erziehung im Jugendstrafrecht beizubehalten. Erziehung sei hierbei als Mittel zum Zweck zu verstehen. Der Zweck bestehe in der Vermittlung der Fähigkeit, weitere Straftaten zu vermeiden. Einfluß oder Zwang auf die Motivation dürfe allerdings nicht ausgeübt werden. Weil die Spezialprävention mit dem Ziel der Legalbewährung begrenzt werden müsse, seien die Rechtsbegriffe der Schuld und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fruchtbar zu machen.


Literatur

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