Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch

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(wird bearbeitet von Klaus H.)

Präventionsprogramme und -projekte des sexuellen Missbrauchs von Kindern zielen auf die Vermeidung von Sexualdelinquenz an Kinder bzw. Kindesmisshandlung durch sexuellen Missbrauch in den unterschiedlichen Phasen primärer (ursachenorientierter), sekundärer (gelegenheitsorientierter) und tertiärer (nachtatorientierter) Prävention.


Sexueller Missbrauch

Im strafrechtlichen Sinn wird unter sexuellem Missbrauch rechtswidrige sexuelle Handlungen an Menschen verstanden. Das deutsche Strafrecht unterscheidet Missbrauch an vier Personengruppen (siehe Tabelle). Schutzbefohlene sind Personen unter 16 Jahren, die zur "Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut" (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) sind, Personen unter 18 Jahren, die "zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet" (§ 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB) sind und "noch nicht achtzehn Jahre (...) leibliche (...) oder angenommen (...) Kind(er)" (§174 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Unter "Abhängige" werden einerseits Gefangene, behördlich Verwahrte oder Kranke und Hilfsbedürftige in Einrichtungen (§ 174 a StGB) verstanden und andererseits Personen, die durch Ausnutzung einer Amtsstellung (§ 174 b StGB) sowie eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (§ 174 c StGB) missbraucht werden. Jugendliche bzw. Minderjährige sind Personen unter 18 Jahren; im Missbrauchsfall sind aber meist Personen unter 16 Jahren gemeint.

Das Strafrecht präzisiert sexuelle Handlungen explizit und implizit. Eine explizite Konkretisierung erfolgt in § 184 f StGB: Danach sind sexuelle Handlungen nur solche, die von einiger Erheblichkeit sind (Abs. 1), sexuelle Handlungen vor einem anderen nur solche, die vor einem anderen vorgenommen werden, der den Vorgang wahrnimmt. In der Rechtspraxis sind danach sexuelle Handlungen mit "einiger Erheblichkeit" nicht nur Geschlechtsverkehr mit Penetration, sondern z. B. das Streicheln des Geschlechtsteils über der Kleidung, den "Schenkelverkehr", das Berühren des nackten Geschlechtsteils eines Kindes oder ein Zungenkuss. Zudem wird das "Einwirken" auf ein Kind "durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhaltes oder durch entsprechendes Reden" (§ 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB) als sexueller Missbrauch verstanden. Diese Form knüpft an sozialwissenschaftliche Auffassungen an, wonach der Begriff auch auf Handlungen ausgedehnt wird, die nicht zwingend strafbar sind.

Schneider definiert den sexuellen Missbrauch an Kindern als ,,Kontakte und Interaktionen zwischen einem Kind und einem Erwachsenen, bei denen das Kind als Objekt zur sexuellen Stimulation des Täter bzw. der Täterin oder einer anderen Person missbraucht wird" (2001 91ff.).

Phänomenologie

Risiko- und Schutzfaktoren bei Kindesmisshandlung und -missbrauch

Auf Grundlage der Modelle von Bretz et al. (1994b); Trepper & Barrett (1992) sowie der Ergebnisse der Studie von Wetzels (1997) werden in einer Übersicht in Form dreier Tabellen in Anlehnung an das Schema von Scheithauer et al. (2000) – für die Entwicklung eines Kindes relevante risikoerhöhende bzw. –mildernde Faktoren aufgelistet:

  • Tabelle A: Kindbezogene Faktoren (Vulnerabilität – Resilienzfaktoren)
  • Tabelle B: Umgebungsbezogene Faktoren (Risikofaktoren - Schutzfaktoren)
  • Tabelle C: Gesellschaftliche und kulturelle Faktoren


Präventionsprogramme und Projekte

Zielgruppenorientierte Präventionsprogramme und -projekte

Zielgruppe: Männer mit pädophiler Neigung

Projekt "Kein Täter werden" - therapeutische Primärprävention - vor (weiteren) rechtswidrigen sexuellen Übergriffen

Im Rahmen des Gesamtprojektes "Kein Täter werden" innerhalb des Forschungsprojekts des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité - Universitätsmedizin Berlin - Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD) - finden seit Juni 2005 Männer, die auf Kinder gerichtete sexuelle Fantasien haben, aber keine (ggf. weiteren) Übergriffe begehen wollen, d.h. Männer, die noch keine sexuellen Übergriffe begangen haben oder deren Übergriffe (noch) nicht rechsbekannt sind, kostenlose Beratung und ambulante therapeutische Unterstützung. Ein wesentlicher Kern des Projektes ist die Schweigepflicht und das auf das Dunkelfeld ausgerichtete Projekt.

Ausgehend von zwei Grundmuster - Neigungstaten und Ersatzhandlungen - und einer lebenslangen pädophilen Neigung ab der Jugend bei ca. einem Prozent der männlichen Bevölkerung (Hellfeld: ca. 15.000 Fälle, Dunkelfeld: ca. 60.000 Fälle jährlich) und von der Annahme, dass es potentielle Täter gibt, die eigenverantwortlich Hilfe suchen, richtet sich das Projekt an betroffene Männer.

Von über als 700 Interessierten, die sich bis 2008 an das Institut gewandt haben, konnte annähernd 150 Betroffenen ein Therapieplatz angeboten werden. Mehr als 30 Teilnehmer haben die Therapie an der Charité abgeschlossen, weitere befinden sich in Behandlung, viele warten auf einen Therapieplatz. Bisher lässt die Größe der Stichprobe keine statistisch aussagekräftige Evaluierung der Daten zu. In etwa drei Jahren hofft das Institut über eine Datenmenge zu verfügen, die näheren Aufschluss gibt über die Problematik und die richtigen Therapieansätze für die präventive Behandlung von Betroffenen. Vor dem Hintergrund des Finanzbedarfs ist eine Weiterführung des Therapieangebotes nach 2010 noch nicht gesichert (Stand: Juni 2010).

Ziele des Projektes:

  • Vorbeugende Behandlung potentieller Täter
  • Nachweis, dass es eigenverantwortlich therapeutische Hilfe suchende Mäner gibt,
  • Durchführung einer differenzierten Diagnostik,
  • Nachweis wirksamer Behandlungsmöglichkeiten bei richtiger Behandlung und sachverständiger Durchführung,
  • Initiierung einer flächendeckenden Versorgung,
  • Vermeidung einer Kriminalisierung aufgrund sexueller Präferenzen ohne rechtswidriger Verhaltensweisen


Zielgruppe: Kinder und Eltern / Erziehungsberechtigte

Regional, überregional und international existieren eine Beratung-, Kontakt- und Informationsstellen gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen, deren Angebote von Fachinformationen über Fortbildungen, Veranstaltungen, Präventionstheater bis hin zu Büchern, Spielen und Musik reichen.


Zielgruppe: Schulen

Obwohl die schulischen Präventionsmaterialien und Bemühungen nicht in der Lage sein werden, Kinder vor dem Leid sexueller Misshandlungen zu beschützen, können sie helfen, Leid zu minimieren. Ein Unterlassen schulischer Präventionsbemühungen wird als schlechte Alternative betrachtet (Marquardt-Mau 1995: 23), da

  • schulische Prävention offensichtlich in der Lage ist, relevantes Wissen (Arten der sexuellen Misshandlung, Hilfe zu holen) zu vermitteln,
  • schulische Prävention offenbar dazu beitragen kann, dass misshandelte Kinder sich LehrerInnen anvertrauen,
  • Schule bei einem Versagen des ersten pädagogischen Milieus der "sichere Hafen" für Kinder werden könnte, der ihnen positive zwischenmenschliche Beziehungen ermöglicht.

Die Kultusministerkonferenz hat zur Vorbeugung und Aufarbeitung von sexuellen Missbrauchsfällen und Gewalthandlungen in Schulen und schulnahen Einrichtungen im Zusammenhang mit den Vorfällen sexuellen Missbrauchs u. a. in Bildungseinrichtungen 28 Punkte umfassende Handlungsempfehlungen beschlossen.


Städte und Gemeinden

Konzeptionen zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern in Deutschland

Zielgruppen der Konzeptionen sind Personen, die

  • wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 174c, 176 bis 180 und 182 StGB) oder
  • wegen eines Tötungsdeliktes (§§ 211, 212 StGB) mit sexueller Motivation, auch wenn diese erst nach der Verurteilung erkennbar geworden ist, oder
  • wegen Begehung einer der vorgenannten Taten wegen vorsätzlichen Vollrausches (§ 323a StGB)

verurteilt worden sind und bei ihrer Entlassung aus dem Strafvollzug kraft Gesetzes (§ 68f Abs. 1 Satz 1 StGB) oder infolge gerichtlicher Anordnung (§ 68 Abs. 1 StGB) unter Führungsaufsicht stehen. Hinzu kommen wegen einer der o. g. Straftaten Verurteilte, die kraft Gesetzes gemäß § 67b Abs. 2, § 67c oder § 67d Abs. 2 bis 6 StGB unter Führungsaufsicht stehen.


Während so genannte „Nothing-Works“-Thesen den positiven Sinn von Behandlungs- und Präventionsprogrammen stark zusetzten, ging zeitgleich eine Zunahme der Straflust in der Bevölkerung mit einer punitiven Tendenz in der Kriminalpolitik einher, mit der Folge der kontinuierlichen Verschärfung des Erwachsenen- sowie Jugendstrafrechts (vgl. Thomas et al. 2006: 80 ff.). Dies trifft insbesondere die Delikte der Vergewaltigung mit und ohne Todesfolge sowie den sexuellen Kindesmissbrauch, die als Entwicklung einer "sektoralen Punitivität" – einer Strafverschärfung bei spezifischen Taten und Tätergruppen betrachtet werden (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2000: 145).


Die zunehmende staatliche Repression und wachsende ‚Lust auf Strafe’ werden als zwei parallele Prozesse und Entwicklungen gesehen, die sich in allen post-modernen Gesellschaften beobachten lassen und denen sich Politiker und deren Parteien fügen und unterwerfen, ihn instrumentalisieren, wenn nicht sogar schüren (Sack 2006).


Sukzessive wurden Konzeptionen in den Bundesländern entwickelt, in denen das Risiko der Begehung einer neuen Straftat zum Schutz der Bevölkerung vor einem Rückfall bei "besonders rückfallgefährdeten Sexualstraftätern" in den Vordergrund rückte:


Bayern: HEADS in Bayern: Haft-Entlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter (ab 01.10.2006)

Niedersachsen: K.U.R.S. Niedersachsen, "Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern/innen" (ab 01.10.2007)

Hamburg: SURESicherheits- und Risikomanagement für Entlassene (seit 01.01.2008)

Brandenburg; HEADS - Haft-Entlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter (ab 04.01.2008)

Hessen: ARGUS - Auskunftsdatei rückfallgefährdeter Sexualstraftäter und Sicherheitsmanagement (23.01.2008)

Schleswig-Holstein: KSKS - Kieler Sicherheitskonzept Sexualstraftäter (seit 01.10.2008)

NRW: K.U.R.S. NRW (seit 13.01.2010)

Baden-Würtemberg: K.U.R.S. - Konzept zum Umgang mit besonders rückfallgefährdeten Sexualtätern (seit 01.04.2010)

Bewertung der Konzeptionen zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern in Deutschland

  • HEADS, ARGUS oder KURS zeigen gänzlich verschiedene Schwerpunkte und Ansätze. Sie beziehen sich zunehmend auf eine reine Kontrollfunktion und entwickeln Systeme, in denen Täter in Täterkategorien klassifiziert und entsprechend ihrer Rückfallgefahr eingestuft werden. Im Vordergrund steht eine bessere Vernetzung der Justizorgane und die Verlängerung der Polizeigewalt.
  • Der Focus der Konzeptionen liegt auf den Mikrobereich der jeweiligen Probanden, d. h. auf Rückfallindikatoren der Sexualstraftäter. Der Makrobereich findet keine Berücksichtigung.
  • Im KURS-Modell soll der so genannte Sicherheitsmanager das Risikopotenzial seiner Probanden identifizieren, analysieren und bewerten ohne sozialpädagogische Methoden anzuwenden. Der sozialarbeiterische Hilfsprozess tritt dadurch in den Hintergrund, während im Gegenzug eine Konzentration auf die Kontroll- und Überwachungsfunktionen erfolgt. Der Bewährungshelfer kann damit einen Rückfall in eine erneute Sexualdelinquenz weder erkennen noch verhindern.
  • Der Zwangsrahmen einer Betreuung in der Bewährungshilfe grenzt eine Effektivität stark ein. Die staatlich angeordnete Betreuung im Rahmen einer Führungsaufsicht wird durch den Bewährungshelfer, der sonst eher Beratungs- und Unterstützerfunktion hat, bewerkstelligt. Im Gegensatz zu einer therapeutischen Einrichtung sind die Kontrollmaßnahmen des Bewährungshelfers immer gekoppelt an eine Mitteilung an das Gericht mit vermutlichen Sanktionsfolgen, wenn gegen die Bewährungsauflagen verstoßen wird. Dieser Umstand ist den Bewährungshelfern sowie Sexualstraftätern bewusst und determiniert die gesamte Vertrauensbeziehung.


Literatur

  • Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang (2000): Warum und wie die Strafjustiz spart. In: Rottleuthner, H. (Hrsg.) (2000): Armer Rechtstaat. Beiträge zur Jahrestagung der Vereinigung für Rechtssoziologie in Innsbruck 1998. Baden-Baden.
  • Popitz, Heinrich, (1968): Die Präventivwirkung des Nichtwissens, Tübingen
  • Schetsche, Michael, (1996): Die Karriere sozialer Probleme, München
  • Scheufele (2005): Sexueller Missbrauch - Mediendarstellung und Medienwirkung, Wiesbaden
  • Marquardt-Mau, B. (1995): Schulische Prävention gegen sexuelle Misshandlung, Weinheim, München
  • Thomas, Jürgen et al. (2006): Freie Straffälligenhilfe unter Veränderungsdruck. In: Neue Praxis. Heft 1/2006, S. 80-98


Weblinks