Kinderdelinquenz

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Historischer Hintergrund

Im Rahmen der Industrialisierung im 19. verbreitete sich in den westlichen Gesellschaften allmählich die Überzeugung, dass „Kindheit“ ein vom Jugend- und Erwachsenalter abzugrenzender eigenständiger Lebensabschnitt im Leben eines jeden Menschen ist, der besonderen Schutz z.B. vor Ausbeutung und anderen schädlichen Einflüssen bedarf.
Im Strafgesetzbuch von 1871 wird die Altersgrenze für eine Strafmündigkeit mit 12 Jahren festgelegt. Psychologische Erkenntnisse, insbesondere der Entwicklungspsychologie, zeigten eine Unreife von Kindern, für ihr Handeln Verantwortung zu übernehmen. Um die Jahrhundertwende wurde mit Bezug auf diesen Aspekt die Strafmündigkeitsgrenze von 12 Jahren diskutiert. MIt dem ersten Jugendgerichtsgesetz von 1923 wurde die Strafmündigkeitsgrenze auf 14 Jahre heraufgesetzt.Dabei trat die Zielsetzung einer Erziehung (anstelle des Gedankens einer Bestrafung) von Kindern in den Vordergrund.
Eine Festlegung auf diese Altersgrenze erfolgte u.a. mit Argumenten wie dem Volksschulabschluss.

Begriffliche Abgrenzung Kinderdelinquenz / Kinderkriminalität

Es gibt weltweit Kinder, die gegen die in dem jeweiligen Land bzw. der jeweiligen Gesellschaft geltenden Norman verstoßen und Handlungen begehen, die als Straftatbestände definiert sind. Die Reaktionen auf ein normverletzendes Verhalten von Kindern sind dabei sowohl in den verschiedenen Ländern / Gesellschaften als auch im zeitlichen Verlauf gesehen verschieden.
Von Kindern realisiertes von Normen abweichendes Verhalten ist unter Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Aspekte im Rahmen der kindlichen Sozialisation einzuordnen: Um eine gesellschaftlich festgelegte Norm befolgen zu können, muss diese zunächst kennengelernt, verstanden und ausprobiert werden, ggf. müssen Erfahrungen mit Konsequenzen auf Normverstöße gemacht werden. Erst durch einen Prozess des Internalisierens von außen vorgegebener Normen wird eine Grundlage dafür geschaffen, bei Verstößen gegen die Norm eine Vorwerfbarkeit (im Sinne eines absichtsvollen normübertretenden Verhaltens) annehmen zu können.
Der Begriff "Kriminalität" beinhaltet einen bewussten Normenverstoß, insofern ein "tatbestandliches, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten", welches einer Strafverfolgung und ggf. Bestrafung zugänglich ist. Kinder unter 14 Jahren können sich in Deutschland "tatbestandlich" und "rechtswidrig", aber nicht "schuldhaft" verhalten, da nach § 19 StGB eine "unwiderlegbare Vermutung der Schuldunfähigkeit" für bei Begehung einer Tat unter 14-Jährige vorliegt. Um geltende Normen brechendes Verhalten von Kindern auch verbal nicht im Bereich der strafrechtlich verstandenen Kriminalität anzusiedeln, wird in der Literatur der neutralere Begriff der "Delinquenz" bevorzugt: Kinder handeln danach delinquent, wenn sie gegen die Strafrechtsnormen verstoßen, auch wenn dieses nicht vorwerfbar (also nicht schuldhaft) ist. Kinderdelinquenz wird danach als ein kindliches Verhalten definiert, das im Sinne des Strafrechts als eine Straftat verstanden werden würde, wenn es durch einen Erwachsenen (bzw. eine über 14 Jahre alte Person) gezeigt werden würde.
Die begriffliche Unterscheidung weist auch auf eine unterschiedliche Reaktionsweise gegenüber kindlichen vs. erwachsenen Normen brechenden Verhaltens hin: Während auf (erwachsene) Kriminalität repressiv zu reagieren ist, soll auf (kindliche) Delinquenz präventiv reagiert werden.

Die Rechtsstellung des tatverdächtigen Kindes - ein Überblick

Völker- und Europarecht

Im Völker- und Europarecht werden als "Kinder" Personen bezeichnet, die das 18.Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (KRÜ, Artikel 1) und Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta, Art. 24)). Damit umfasst der Begriff "Kind" eine Altersgruppe, die in Deutschland weiter in Kinder und Jugendliche differenziert wird.

Im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes steht die Anerkennung des Vorranges des Kindeswohls im Vordergrund. Bezogen auf Kinder, die von strafrechtlichen Ermittlungen betroffen sind, wird in Art. 40 KRÜ die Behandlung des Kindes im Strafrecht und Strafverfahren geregelt ( so ist die Würde des Kindes zu wahren und das Kind ist altersgemäß so zu behandeln, dass es seinem Wohl dienlich ist. U.a. ist das Recht auf einen Beistand, auf eine baldige Entscheidung in einem fairen gerichtlichen Verfahren oder die Achtung der Privatsphäre des Kindes festgelegt. Es wird u.a. geregelt, dass die Staaten ein Strafmündigkeitsalter festlegen sollen, wobei keine angemessene Untergrenze benannt und die Festlegung in die Verfügung der einzelnen Staaten gelegt wird).
In Art. 37 KRÜ sind bezogen auf Kinder ein Verbot der Folter, der Todesstrafe und der lebenslangen Freiheitsstrafe geregelt.


noch ergänzen z.B. dazu, wer ratifiziert hat, HInweis, dass dennoch auch in ratifizierenden Staaten Verletzungen der Kinderrechte, Umsetzung in Deutschland?

Im Europarecht haben Kinder Anspruch auf Schutz und Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind (Art 24 EU-GRCharta, Kapitel III, Abs. 1), das Kindeswohl wird als vorrangig eingestuft (Abs. 2). Es gibt keine speziellen Regelungen zum Umgang mit tatverdächigen Kindern. Es gelten die Mindeststandards für Strafverfahren (z.B. EU-GRCharta, Kapitel VI "Justizielle Rechte"). Neben der EU-Grundrechtecharta sind Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeutsam (Art. 3, 5, 6 und 7 EMRK), in denen z.B. Beschuldigten bestimmte Verfahrensrechte absolut garantiert werden.

Die Rechtslage auf völker- und europarechtlicher Ebene zielt darauf ab, Kindern in den Mitgliedsstaaten einen annähernd gleichen rechtlichen Standard anzubieten. Die Vorgaben sind in Deutschland im verfassungsrechtlichen wie im einfachrechtlichen Bereich verankert.

Deutschland

Auf verfassungsrechtlicher Ebene sind Kinder laut BVerfG von Geburt an wie Erwachsene Träger aller Grundrechte. Bezogen auf Grundrechte für Personen, die sich in einem Strafverfahren befinden, kommen verschiedene Artikel des Grundgesetzes (GG) zur Anwendung. Kinder sind nach § 19 StGB und § 1 Abs. 3 JGG nicht strafmündig und damit von einem Strafverfahren ausgeschlossen. Sie können sich nicht auf die angeführten grundrechtlichen Garantien berufen, sind aber über die Grundrechte hinaus geschützt.
In der einfachen Rechtsordnung besteht ein abgestuftes System rechtlicher Verantwortung, orientiert an einer zunehmenden Selbstständigkeit von Kindern und Jugendlichen: Es bestehen Altersgrenzen bezogen auf eine Geschäftsfähigkeit, auf eine Verantwortlichkeit Minderjähriger im zuvilrechtlichen Haftungsrecht und auf die Strafmündigkeit.
Bezogen auf den Umgang mit einem einer Tat verdächtigen Kindes ist aufgrund der Regelung des § 19 StGB umstritten, ob die Strafprozessordnung (StPO) Anwendung finden kann. So stellt bereits die Aufnahme einer Strafanzeige gegen ein Kind oder die Abgabe des Vorganges an die Staatsanwaltschaft im Prinzip eine Ermittlungstätigkeit der Polizei dar. Da eine solche vom Willen getragen ist, ein Strafverfahren gegen einen einer Straftat Verdächtigen zu betreiben, ist zu fragen, ob ein Kind unter Beachtung von § 19 StGB überhaupt eine Beschuldigteneigenschaft innehaben kann und entsprechend von Ermittlungen betroffen werden darf. Strafunmündigkeit stellt aufgrund einer normativ bindenden Schuldlosigkeitsvermutung bezogen auf Kinder ein Strafverfolgungshindernis dar.

Strafmündigkeitsgrenzen im europäischen Vergleich

In den europäischen Ländern bestehen z.T. sehr unterschiedliche Altersgrenzen für eine Strafmündigkeit (und damit für eine Anwendung strafrechtlicher Regeln).

(dazu aus Praxis)

Erscheinungsformen delinquenten Verhaltens von Kindern

Überblick über Formen von Kinderdelinquenz

Delikte von Kindern, die nach strafrechtlichen Definitionen als Straftaten angesehen werden, treten meist nicht als bewusste Normbrüche, sondern im Rahmen aus entwicklungspsychologischer Sicht normalen kindlichen, explorativen Verhaltens auf, wobei es zu Grenzüberschreitungen kommen kann.


Kinderdelinquenz nach Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)

In der PKS erfasste Daten des sog. Hellfeldes bedürfen vor einer Interpretation bezogen auf die Entwicklung der Kriminalität der Ergänzung und Kontrastierung durch weitere Datenquellen (z.B. durch eine statistikbegleitende Dunkelfeldforschung oder Daten aus Staatsanwaltschaft und Justiz). Auf diese Weise können z.B. Veränderungen im Anzeigeverhalten, institutionelle Bewertungsvorgänge oder Veränderungen normativer Rahmenbedingungen einbezogen werden, die Auswirkungen auf die erhobenen Zahlen haben (können).
Bezogen auf den Bereich Kinderdelinquenz bestehen dabei verschiedene Schwierigkeiten: Risiken von Fehlern in der Erfassung und rechtlichen Bewertung sowie in der qualitativen Interpretation der Daten sind deutlich ausgeprägter als bei strafmündigen Personen. Zu Fragen ist z.B., ob die Registrierung unter 6-jähriger Kinder als tatverdächtig mit dem Entwicklungsstand von Kindern dieses Alters vereinbar ist, ob ein Kind diesen Alters also bewusst normverletzend gehandelt haben kann. Auch eine Mitregistrierung von Kindern als Tatverdächtige, wenn sie sich (ohne eigenen Tatbeitrag) in einer Gruppe von Personen, die eine Straftat begangen haben, befunden haben, lässt die Annahme einer Normabweichung dieses - registrierten - Kindes diskutierbar erscheinen. Auch fehlt bei Kindern die Möglichkeit der Prüfung und ggf. der Korrektur eines polizeilichen Tatverdachtes durch die Justiz, da ein Strafverfahren gegen sie nicht weitergeführt werden kann. Unter der Annahme, dass im Fall strafunmündiger Täter die Anzeigehäufigkeit niedrig ist, führt schon ein geringfügiger Wandel der Anzeigebereitschaft bezogen auf Kinder zu erheblichen Veränderungen der Daten. Schließlich ist einzubeziehen, dass Veränderungen der personellen Kapazitäten zu ggf. gravierenden Veränderungen in der Registrierung strafunmündiger Kinder führen können, ohne dass ein tatsächlich erhöhtes Aufkommen normabweichenden Verhaltens in dieser Altersgruppe vorhanden sein muss.

prüfen Insgesamt ist ein wellenförmiger Verlauf in der Entwicklung der Tatverdächtigenanteile der Kinder in der PKS zwischen 1972 und 1998 festzustellen. Ende 1990 war ein ähnlich hohes Niveau erreicht, wie es bereits in den 70er Jahren einmal existiert hatte.
Speziell in den 1990er Jahren ist festzustellen, dass von 1993 bis 1998 insgesamt ein Anstieg der Kinderdelinquenz, v.a. der 12- 13jährigen Kinder, innerhalb der absoluten Tatverdächtigenzahlen (TVZ) und der Tatverdächtigenbelastungsziffern (TVBZ) zu verzeichnen ist. Seit 1999 sind diese Zahlen wieder rückläufig. Der Vergleich der Tatverdächtigenanteile der strafunmündigen Kinder an der Gesamtkriminalität zeigt, dass die registrierte Kinderdelinquenz zwar gestiegen, insgesamt aber nach wie vor nur einen geringen Anteil ausmacht. Insofern besteht auch kein Grund, die Kinderdelinquenz als so besorgniserregend einzustufen, wie es in der Öffentlichkeit, v.a. den Medien und der Politik, erfolgt.

Ursachen/Entstehungsbedingungen für delinquentes kindliches Verhalten

(hier: kurz zu Sozialisation, dann folgender Text, dann kurz zu Studien (allgemein keine Auffälligkeiten, lediglich bezogen auf sog. Intensivtäter)

Im Verlauf der Zeit veränderte sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, z.B. mit der Auflösung der Großfamilie, veränderten Erziehungsstilen oder einer zunehmenden Berufstätigkeit der Eltern außer Haus. Damit einhergehend verringerten sich die innerfamiliären Kontakte und die Beaufsichtigung der Kinder durch die Eltern, aber auch die innerfamiliären Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder. Kinder orientier(t)en sich zunehmend an außerfamiliären Personen, z.B. in der Gleichaltrigengruppe (peer group), an Lehrkräften oder Rollenvorbildern in den Medien (Fernsehen, Internet). Eine Sozialisation und damit auch die Vermittlung von Normen erfolgt(e) insofern zunehmend nicht mehr (vorwiegend) innerhalb des familiären Verbandes.

Insgesamt ergibt sich durch die veränderten Sozialisationsbedingungen und den Strukturwandel der Kindheitsphase, dass Kinder, besonders die 12-13jährigen, zunehmend mehr Freiheiten besitzen, die Individualisierungstendenzen zunehmen, die Verselbstständigung altersbezogen früher als bisher einsetzt, neben der Familie und den traditionellen außerfamilialen Sozialisationsinstanzen wird die peer- group immer bedeutender für die Kinder und ihre Sozialisation, durch das Sinken der Normverbindlichkeit steigt die Freiheit der Kinder, sich bezüglich der Verhaltens- und Lebensform frei entscheiden zu können usw. Diese neuen Freiheiten müssen jedoch nicht immer bedeuten, dass die Kinder auch dementsprechend selbstständig und eigenverantwortlich handeln können, denn zum Teil sind die Kinder mit der teilweise frühen Entlassung aus der elterlichen Kontrolle, dem frühen Verfügen über finanzielle Ressourcen und damit verbundenen, von den Medien geförderten, früh einsetzenden Bedürfnissen nach Unabhängigkeit und Konsum völlig überfordert.

Die Entstehungsbedingungen für Kinderdelinquenz sind vielfältig und niemals nur durch einen Erklärungsansatz auf der gesellschaftlichen Makro- oder der sozial bedingten individuellen Mikroebene erklärbar. Bei Kinderdelinquenz besteht die Schwierigkeit der Vorhersagemöglichkeit der weiteren biographischen Entwicklung des Kindes. Anhaltspunkt zur Vorhersage der Entwicklung des jeweiligen Kindes können auffällige Persönlichkeitsmerkmale des Kindes und bekannte ungünstige Sozialisationsbedingungen sein, wobei v.a. das Zusammenspiel dieser verschiedenen Faktoren bedeutsam ist. Delinquentes Verhalten von Kindern ist gemäß wissenschaftlichen Erkenntnissen ubiquitär und episodenhaft, unterschiedlich, spontan sowie unüberlegt.


Sanktionierung von Kinderdelinquenz in Deutschland: Möglichkeiten der formellen Sozialkontrolle

Eine formelle Sozialkontrolle im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist bei Kindern insofern ausgeschlossen, als dass sie gem. § 19 StGB unwiderlegbar schuldunfähig sind. Der Schutz des Kindes vor strafrechtliche- formeller Sozialkontrolle bedeutet jedoch nicht, dass ein Kind nicht unmittelbar und mittelbar als Folge seines delinquenten Handelns mit formellen Reaktionen konfrontiert werden könnte. Die Konfrontation des Kindes mit formellen Reaktionen kann z.B. durch die Ermittlungsarbeit der Polizei, zivilrechtliche Schadensersatzverfahren, kinder- und jugendhilferechtliche Reaktionen, familiengerichtliche Maßnahmen bezüglich eventueller Sorgerechtsentscheidungen und Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen durch schulische Einrichtungen erfolgen.
Neben den Möglichkeiten, das Kind aufgrund von delinquentem Handeln mit formellen Reaktionen zu konfrontieren, gibt es auch die Möglichkeit der formellen Sozialkontrolle der Eltern, wenn die Führsoge- und Erziehungspflicht als verletzt angesehen werden kann, z.B. gemäß § 171 StGB oder gemäß § 12 Abs.2 JÖschG.
Es zeigt sich also, dass in der BRD im Bereich formeller Sozialkontrolle, wenn auch nicht im strafrechtlichen Sinne, umfassend und differenziert auf Kinderdelinquenz reagiert werden kann.

Kinderdelinquenz in der öffentlichen Wahrnehmung / Einfluss von Politik und Medien

Die Problematik der Kinderdelinquenz wird (in der jüngeren Vergangenheit z.B. im Zeitraum des Regierungswechsel in Hamburg von der SPD zur CDU/ Schill-Partei im Jahr 2001 sowie CDU/ Schill-Partei zur CDU im Jahr 2004) z.T. massiv als Wahlkampfthema benutzt, wobei Erkenntnisse z.B. der Psychologie, der Kriminologie oder der Pädagogik kaum einbezogen werden. Anlass für eine starke Medienpräsenz des Themas Kinderdelinquenz bieten auch spektakuläre Einzelfälle (z.B. Amokläufe in Schulen oder ausgeprägte Mobbingvorfälle unter Kindern). Soweit Bezug auf Daten der PKS genommen wird, um einen Anstieg einer "Kinderkriminalität" zu belegen, ist dies ohne die gleichzeitige Darstellung der möglichen Verzerrungsfaktoren dieser Daten ggf. geeignet, in der Öffentlichkeit eine falsche - überzogene - Vorstellung des Ausmaßes delinquenten Verhaltens von Kindern zu erzeugen. Zusammen mit (durch Studien nicht belegten) Behauptungen z.B. zu Persönlichkeitsvariablen bei kindlichen Normverletzern, die ein solches Verhalten quasi bedingen, kann dies zu Tendenzen in der Meinungsbildung führen, den Präventionsgedanken als Reaktion auf delinquentes kindliches Verhalten allgemein zugunsten einer Betonung repressiver Vorgehensweisen zurückzustellen. Da zudem die Altersgrenze eher normativ-politisch als z.B. entwicklungspsychologisch begründet ist und für andere Bereiche gesellschaftlichen Handelns (z.B. eine zivilrechtliche Volljährigkeit) andere - höhere - Altersgrenzen festgelegt sind, wird wiederkehrend über eine Veränderung der Strafmündigkeitsgrenze nach oben oder unten (je nach aktueller Situation und Interessenlage) diskutiert.

Kinderdelinquenz als Prädiktor für späteres kriminelles Verhalten?

Retrospektive Untersuchungen an Rückfalltätern zeigen, dass diese häufig als Kinder früh wegen strafbarer Handlungen auffielen. Umgekehrt finden sich aber keine belastbaren Daten dafür, dass das Tatalter oder die Häufigkiet delinquenten Verhaltens in der Kindheit eine Prognose späterer Kriminalität erlaubt.


Schlußfolgerungen

Die Ergebnisse bisheriger Datenerhebungen und Untersuchungen zu dem Thema Kinderdelinquenz weisen darauf hin, dass ein erhöhter Präventionsbedarf besteht. Zu empfehlende (kombinierte) Präventionsansätze wären: Die Verbesserung der Zusammenarbeit aller an der Sozialisation Beteiligten, zeitnahe sozialpädagogische Sofortmaßnahmen in Zusammenarbeit mit der Polizei, ein frühzeitiges Eingreifen des Staates aufgrund des Wächteramtes, eine ausgewogene Kinder-, Jugend-, Sozial- und Familienpolitik und eine sachliche Darstellung und Thematisierung der Kinderdelinquenz in der Öffentlichkeit.


Zusammenhänge mit anderen Begriffen

Devianz, Jugendkriminalität, Jugendgewalt, abweichendes Verhalten, Kinderkriminalität

Literatur

  • Bott, Klaus/Reich, Kerstin/Kerner, Hans-Jürgen: Kriminalitätsvorstellungen von Kindern, In: Praxis der Rechtspsychologie 16. Jahrgang, Heft 1/2 Juli 2006 Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn (S. 8-29)
  • Brettfeld, Katrin: Umfang, Struktur und Entwicklung der Kinderdelinquenz: Befunde und Aussagekraft der polizeilichen Kriminalstatistik für Deutschland, In: Praxis der Rechtspsychologie 16. Jahrgang, Heft 1/2 Juli 2006 Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn (S. 30-52)
  • Drenkhahn, Kirstin: Rechtliche Reaktionsmöglichkeiten auf Kinderdelinquenz im europäischen Vergleich, In: Praxis der Rechtspsychologie 16. Jahrgang, Heft 1/2 Juli 2006 Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn (S. 82-93)
  • Feest, Johannes: Kinderkriminalität In: Kaiser, Günther/Kerner, Hans-Jürgen/Sack, Fritz/Schellhoss, Hartmut (Hrsg.): Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3.Auflage, 1993 C.F. Müller Juristischer Verlag Heidelberg (S. 210-214)
  • Heßler, Manfred: Institutioneller Umgang mit Kinderdelinquenz am Beispiel von Polizei und Jugendamt - Rechtlicher Rahmen, tatsächliche Praxis und aktuelle Entwicklungen, In: Praxis der Rechtspsychologie 16. Jahrgang, Heft 1/2 Juli 2006 Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn (S. 94-119)
  • Holzmann, Alexa: Polizeilicher Umgang mit unter 14-jährigen Tatverdächtigen, Eine kritische Analyse der PDV 382, 2008 Verlag Dr. Kovac, Hamburg
  • Plewig, Hans-Joachim: Was braucht der kleine Willy? In: Müller, Siegfried/Peter, Hilmar (Hrsg.): Kinderkriminalität, 1998 Leske + Budrich, Opladen(S. 277-288).
  • Pongratz, Eckhard L.: Zum Umgang mit kindlichen Auffälligkeiten. Eine Untersuchung zum Dunkelfeld und zur Prävention von Kinderdelinquenz in Grundschulen, 2000 Weißer Ring Verlags-GmbH, Mainz
  • Pongratz, Lieselotte/Jürgensen, Peter: Kinderdelinquenz und kriminelle Karrieren. Eine statistische Nachuntersuchung delinquenter Kinder im Erwachsenenalter, 1990 Centaurus, Pfaffenweiler
  • Reuter, Dirk: Kinderdelinquenz und Sozialkontrolle, 2001 Verlag Dr. Kovac, Hamburg
  • Kahlert, Joachim: Risiken des gesellschaftlichen Wandels - abgewälzt auf Kinder und Jugendliche, In: Schmidt-Gödelitz, Axel/Pfeiffer, Christian/Ziegenspeck, Jörg (Hrsg.): Kinder- und Jugendkriminalität in Deutschland: Ursachen, Erscheinungsformen, Gegensteuerung, 1997 Verlag edition erlebnispädagogik, Lüneburg (S. 9-20)
  • Weitekamp, Elmar/Meier, Ulrike: Werden unsere Kinder immer krimineller? In: Müller, Siegfried/ Peter, Hilmar (Hrsg.): Kinderkriminalität, 1998 Leske + Budrich, Opladen, S. 83-112 (83-85, 98f, 111)


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