Subjektives Sicherheitsgefühl

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auch subjektive Sicherheit, ist die persönliche Beurteilung der individuellen Sicherheits- und Gefährdungslage. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Sicherheitsbegriff erfolgt schwerpunktmäßig seit den 1990er Jahren und ist auf die Grundideen von Immanuel Kant zurückzuführen. (Daase 2010: S. 10) Dieses Empfinden wird durch interne und externe Faktoren konstituiert, woran politische Maßnahmen anknüpfen.

Definitionen von subjektiver Sicherheit

sozialwissenschaftliche Betrachtungsweise

Christian Holst versteht unter der subjektiven Sicherheit eine „Resultante aus einer vertrauensfähigen Persönlichkeitsstruktur und einem bestimmten Ausmaß an Vertrauen in die sicherheitsgarantierenden Institutionen oder Organisationen“. (Holst 1998: S. 51)

Die erste Komponente dieser Definition bildet die vertrauensfähige Persönlichkeitsstruktur, welche nach Holst die erfolgreich verlaufende Herausbildung einer Identität voraussetzt. Dies würde sich in einem „bewusstseinsfähigen Orientierungs- und Koordinationssystem“ widerspiegeln, welches dem Individuum ermöglicht, sich in unbekannten Situationen und Umwelten zurechtzufinden sowie entscheidungs- und handlungsfähig zu bleiben. Weiterhin beinhaltet dieses System die Herausbildung einer individuellen Werte- und Zielordnung. (vgl. Holst 1998: S. 45 f.) Das zweite Segment der o.g. Definition lässt sich wiederum in zwei Teilbereiche untergliedern. Zum einen ist ein vertrauensvolles Verhältnis in sicherheitsgarantierende Institutionen und zum anderen in Organisationen aufgeführt. Unter Institutionen versteht Holst beispielhaft die Ehe und Familie, welchen der Mensch Vertrauen entgegenbringt. Diese Einrichtungen ermöglichen keine absolute Handlungsfreiheit, sondern beschränken das Individuum durch u.a. Erwartungen und festgelegten Verhaltensweisen. Hieraus ergeben sich jedoch neben einer Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit auf gewisse Situationen durch ein beschränkteres Verhaltensrepertoire auch eine gewisse Vorhersehbarkeit des Verhaltens vom Handlungsgegenüber für jedes Individuum. Diese Verhaltensalternativen und Vorhersehbarkeiten versetzen den Menschen in ein Gefühl „sicher“ zu handeln. Der zweite Teilbereich spiegelt das Vertrauensverhältnis zwischen den Menschen und Organisationen mit Sicherheitsauftrag (z.B. Feuerwehr, Polizei, Versicherungen, Bundeswehr oder Bundesagentur für Arbeit, etc.) wieder. Diese Einrichtungen unterliegen keiner ständigen Inanspruchnahme durch jedes Individuum, sondern werden ausschließlich im Notfall genutzt. Bis zum Eintreffen einer solchen Situation muss der Mensch darauf vertrauen, dass die Organisationen ständig einsatzbereit sind sowie im Ereignisfall die notwendigen notfallverhindernden oder schadensreduzierenden Maßnahmen treffen. Hieraus ergibt sich ein ständiger Vertrauensvorschuss für die entsprechenden Einrichtungen, welcher wiederum stark an das „bewusstseinsfähige Orientierungs- und Koordinationssystem“ gebunden ist. Folglich stellt sich nach Holst ein Zustand subjektiver Sicherheit beim Zusammenspiel von internen und externen individuellen Faktoren ein. (vgl. Holst 1998: S. 46 ff.)


Eine weitere Alternative den Begriff zu definieren wählt Hans Braun. Er bezeichnet das subjektive Sicherheitsgefühl als „die Einschätzung und Bewertung des situationalen Sicherheits-Unsicherheitsverhältnisses durch den Handelnden.“ (Braun 1978: S. 19)

Hierunter ist eine situationsabhängige, individuelle Beurteilung des Verhältnisses zwischen Sicherheits- und Unsicherheitsfaktoren zu verstehen. Der Handelnde nutzt für sein Urteil vergangene Erlebnisse, persönliche Präferenzen sowie in die Zukunft gerichtete Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen. (Braun 1978: S. 19) Hieraus ergeben sich Abweichungen zwischen objektiver und subjektiver Sicherheit. Die objektive Sicherheit ist nach dem Soziologen wiederum als die „Randbedingung der Handlungssituation [...], die der Handelnde mitbringt, etwa Ausrüstung oder bestimmte Fertigkeiten“ zu interpretieren. (Braun 1978 S. 19) Zur beispielhaften Erläuterung dieser Begriffspaare nutzt Braun die Verkehrssicherheitsforschung. Die objektive Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer kann durch bauliche (z.B. Ausbau der Verkehrswege, Beseitigung von Verkehrshindernissen, etc.) oder aber schulische Maßnahmen (z.B. Verbesserung der Fahrerausbildung, Unterrichtung in bestimmte Fahrtechniken, etc.) erhöht werden. In der Folge würden die Verkehrsteilnehmer die bisher als gefährlich eingeschätzten und hierdurch vermiedenen Situationen jedoch provozieren sowie als realisierbar bewerten. Die Sicherheitsfaktoren dieser situationalen Verhältnisse überwiegen gegenüber den Unsicherheitsfaktoren, weshalb die hieraus resultierende Erhöhung der subjektiven Sicherheit gleichzeitig zu einer Reduzierung der objektiven Sicherheit führt und eine mögliche Verringerung der Unfallopfer eher unwahrscheinlich ist.

rechtswissenschaftliche Betrachtungsweise

Nach Christoph Schewe ist das subjektive Sicherheitsgefühl die individuelle und emotionale Beurteilung eines jeden Menschen, in wie fern seine persönlichen Rechtsgüter bedroht sind. (Schewe 2009: S. 18 f.) Dabei befinden sich höherwertige Rechtsgüter, wie Leben, Gesundheit und sexuelle Selbstbestimmung, im primären Fokus des Individuums. Die vorrangige Ursache einer möglichen Gefährdung der persönlichen Rechtsgüter wird in der Kriminalität gesehen. Speziell befinden sich die Menschen in der Furcht Opfer einer Straftat zu werden.

Abgrenzung zur Kriminalitätsfurcht

In der Beurteilung der subjektiven Sicherheit spielen bei jedem Individuum vielfache Faktoren eine Rolle, welche allesamt die Sicherheit im Allgemeinen beeinträchtigen. Diese Indikatoren müssen allerdings nicht ausschließlich mit strafrechtlich relevanten Verhalten im Zusammenhang stehen. Hingegen werden Aspekte wie die Sicherheit des Arbeitsplatzes, die Sicherheit mit dem Verkehrsmittel unbeschadet am Ziel anzukommen, die Gewissheit über die Einsatzfähigkeit und Verfügbarkeit von Feuerwehr oder ärztlicher Hilfe binnen kürzester Zeit, der Rückgriff auf Versicherungen im Schadensfall usw. mit betrachtet. Der Inhalt des Begriffes subjektives Sicherheitsgefühl ist folglich im Vergleich zur Kriminalitätsfurcht weitreichender.

In der wissenschaftlichen Literatur lassen sich wiederum vermehrt Studien über Kriminalitätsfurcht oder subjektive Sicherheit im Hinblick auf Kriminalität finden (vgl. die Studie „Subjektives Sicherheitsgefühl in ausgewählten Problemgebieten bayerischer Großstädte“ vom ISIP e.V. Hamburg 2003). Umfassende Studien über Sicherheitsbedürfnisse und Ängste der Menschen sind dagegen rar. Ein seltenes Beispiel stellt die Studie des Infocenters der R+V Versicherung „Die Ängste der Deutschen“ dar, welche seit 1991 einmal jährlich erscheint.

Bedingungen des Subjektiven Sicherheitsgefühls

Es existieren eine Reihe von Erklärungsmodellen über die Entstehung und Determinanten des subjektiven Sicherheitsgefühls. Diese befassen sich aufgrund der Forschung im Bereich der Kriminologie und Rechtswissenschaft primär mit den Ursachen von subjektiver Sicherheit im Zusammenhang mit Kriminalität. Solche Modelle stellen zum Beispiel das von Klaus Boers und Peter Kurz aus dem Jahr 1997 oder das von Peter Wetzel et al. aus dem Jahr 1995 dar. Gemeinsam ist diesen Untersuchungen, dass keine direkte Proportionalität zwischen objektiver Sicherheitslage (d.h. dem tatsächlichen Kriminalitätsaufkommen in einem bestimmten Bereich) und dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Bürger besteht. (Schewe 2009: S. 111) Dieses Gefühl wird vielmehr von anderen Faktoren konstituiert. Dabei handelt es sich um die

  • persönliche Risikoeinschätzung
Hierunter wird die individuelle Bewertung der Wahrscheinlichkeit selbst Opfer einer Straftat zu werden, verstanden.
  • Einschätzung der Vulnerabilität
Dies ist als die Beurteilung möglicher Verluste, welche in Folge einer Straftat drohen, zu interpretieren.
  • Einschätzung der Copingfähigkeiten.
Hiermit werden alle persönlichen Fähigkeiten erfasst, die das Individuum zur Bewältigung einer gefährlichen Situation besitzt. Diese Erfassung erfolgt subjektiv aus der Sicht des Betroffenen.


Externe Faktoren beeinflussen weiterhin diese individuellen Beurteilungen. Hierbei handelt es sich im Einzelnen vor allem um

  1. direkte (eigene) Opfererfahrungen
  2. indirekte Opfererfahrungen
  3. medial vermittelte Wahrnehmung der Kriminalität
  4. staatlich vermittelte Wahrnehmung der Kriminaliätslage
  5. unübersichtliche öffentliche Räume
  6. diffuse Lebensängste
  7. soziale Desorganisation
a. Störung der Integration in der Nachbarschaft
b. Verlust der informellen sozialen Kontrolle und
c. Wahrnehmung von Verfall und Unordnung ( „signs of incivility“).


Die intensivsten Beeinflussungen werden in den indirekt und medial vermittelten Opfererfahrungen sowie der Wahrnehmung von „signs of incivility“ gesehen. (Schewe 2009: S. 130)

Kriminologische Relevanz

Nach wie vor werden eine Vielzahl von internationalen und nationalen Untersuchungen zum subjektiven Sicherheitsgefühl durchgeführt. Diese geben vielfach Hinweise und bieten Möglichkeiten für aktuelle Kriminalpolitik, welche diese jedoch selten umsetzt. In der Regel werden aktuelle Sicherheits- und Polizeigesetze in Folge des verstärkten öffentlichen Diskurses über subjektive Sicherheit verschärft. So seien beispielhaft die Videoüberwachung, die aktuellen Alkohol- und Bettelsatzungen in München, Fulda oder Saarbrücken oder die Platzverweisungen und Aufenthaltsverbote gegen „Randgruppenangehörige“ genannt. Diese stellenweise tiefgreifenden Grundrechtseingriffe werden durch individuelle Sicherheitsgefühle begründet und als geboten anerkannt. Hieraus resultiert die Gefahr der Zuschreibung einer neuen Aufgabe an die Sicherheitsorgane, welche neben der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr existiert. (Schewe 2009: S. 259)

Literatur

  • Boers, Klaus/ Kurz, Peter: Kriminalitätseinstellungen, soziale Milieus und sozialer Umbruch, in Boers, Klaus/ Gutsche, Günter/ Sessar, Klaus (Hrsg.): Sozialer Umbruch und Kriminalität in Deutschland, Opladen 1997, S. 187 – 253.
  • Braun, Hans: Soziales Handeln und soziale Sicherheit – Alltagstechniken und gesellschaftliche Strategien, Frankfurt/Main 1978.
  • Daase, Christopher: Wandel der Sicherheitskultur, in Bundeszentrale für politische Bildung: Aus Politik und Zeitgeschichte – Sicherheitspolitik, 50/2010, Bonn 2010, S. 9 – 16.
  • Eifler, Stefanie/ Thuma, Daniela/ Schnell, Rainer: Unterschiede zwischen subjektiven und objektiven Messungen von Zeichen öffentlicher Unordnung („Signs of Incivility“), in Weichbold, Martin/ Bacher, Johann/ Wolf, Christof (Hrsg.): Umfrageforschung. Herausforderungen und Grenzen – Sonderheft 9 der Österreichischen Zeitschrift für Soziologie, Wiesbaden 2009, S. 415-441.
  • Frevel, Bernhard: Wer hat Angst vor ’m bösen Mann? Ein Studienbuch über Sicherheit und Sicherheitsempfinden, Baden-Baden 1998.
  • Holst, Christian: Sicherheit und Bedrohung – Determinanten subjektiver Sicherheit in der Bundesrepublik zu Beginn der neunziger Jahre, Hamburg 1998.
  • Kaufmann, Franz-Xaver: Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem – Untersuchungen zu einer Wertidee hochdifferenzierter Gesellschaften, Stuttgart 1973.
  • Schewe, Christoph S.: Das Sicherheitsgefühl und die Polizei – Darf die Polizei das Sicherheitsgefühl schützen?, Berlin 2009.
  • Schwind, Hans-Dieter: Kriminologie – Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen, Heidelberg 2003.
  • Wetzels, Peter et al.: Kriminalität im Leben alter Menschen – Eine altersvergleichende Untersuchung von Opfererfahrungen, persönlichem Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsfurcht, Stuttgart 1995.

Weblinks