Kulturkonflikt und Kriminalität

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Kulturkonflikte und Kriminalität werden in der Kriminalsoziologie häufig miteinander in Verbindung gebracht. Auch in Punkto Glaubenszugehörigkeit, als eine der Ursachen für delinquentes Verhalten, richtet sich der Blick verstärkt auf den Islam. Bei Betrachtung der Medien wird ebenfalls deutlich, dass die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dem Islam bzw. dem Islamismus nach den Ereignissen des 11. Septembers überall verbreitet ist. Allerdings wird Kriminalität zum größten Teil durch gesellschaftliche Umstände gefördert. Dies beweist die sogenannte "Ausländerkriminalität". Viele Jugendliche mit Migrationshintergrund sind zusätzlich zu dem Kulturkonflikt, in den vor allem die zweite Generation geraten ist, oft erheblich gesellschaftlich benachteiligt. Aus kriminalpolitischer Sicht kann ihre Integration und soziale Vernetzung Kriminalität verringern.


Definitionen des Dschihads

Islamkritiker sehen den Islam als gewalttätige Religion an und verweisen dabei auf das islamische Konzept des Dschihad, dessen klassische Ausformulierung in der islamischen Rechtslehre den Kampf gegen die nichtmuslimische Welt vorsieht. Allerdings spielt die Darbietung der Medien in Europa dabei eine bedeutende Rolle, da sie zum Teil zur Beeinflussung der politischen Meinungsbildung beiträgt.

Bei der Beurteilung des Dschihads sind zwei Sichtweisen zu betrachten: Die eine Seite sieht in diesem Konzept, welches im islamischen Recht fest verankert ist, einen Grund fur die Friedensunfähigkeit der Muslime, da es auf die Ausbreitung des Islams mit Waffengewalt abziele. Die andere Sichtweise wird vor allem von den in Europa lebenden moderaten Muslimen vertreten. Sie wiesen schon in früheren Jahren die Interpretation des Dschihad als religiosen Dauerauftrag zum militarischen Kampf gegen Nicht-Muslime als verzerrende Klischeevorstellung zurück und hoben hervor, dass von Anbeginn der islamischen Geschichte der Dschihad im Wesentlichen ein allgemeines "Sicheinsetzen" fur die Religion gewesen sei.

Zudem sei der Dschihad mit der Waffe in der Hand, dem geistigen Dschihad, dem Kampf gegen die bösen Kräfte der eigenen Seele immer nachgeordnet gewesen. Insofern stelle der innere Kampf den eigentlichen Dschihad dar.



Eine Studie über Religion, Integration und abweichendes Verhalten

Im Rahmen einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen "Kinder und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrung, Integration, Medienkonsum" wurde eine repräsentative Dunkelforschung zum Thema „Jugendgewalt“ durchgeführt. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes beziehen sich auf Befragungen unter Jugendlichen der neunten und Kindern der vierten Jahrgangsstufe aus den Jahren 2007/2008. Eines der Ergebnisse aus der Studie, die sich auf die Gewaltbereitschaft Jugendlicher in Bezug auf ihre Religionzugehörigkeit, ist folgende:


Der Zusammenhang zwischen der Religiosität und dem Gewaltverhalten wird u.a. dadurch vermittelt, dass sehr religiöse, westdeutsche Christen seltener gewaltorientierten Männlichkeitsnormen zustimmen, seltener Gewaltmedien konsumieren und seltener Kontakt zu delinquenten Freunden haben. Für ostdeutsche Christen ebenso wie für Christen mit Migrationshintergrund ist ein in der Richtung nach vergleichbarer, aber z.T. deutlich schwächerer Zusammenhang mit dem Gewaltverhalten festzustellen. Bei islamischen Jugendlichen wiederum geht eine höhere Religiosität nicht mit niedrigeren Gewaltraten einher: So haben etwas religiös gebundene islamische Jugendliche zu 7,7 % fünf und mehr Gewalttaten begangen, sehr religiös gebundene islamische Jugendliche zu 10,2 %.

Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen-Studie, 2007/2008


Laut der Intepretation und Auswertung der Diagramme aus der Studie existiert ein Zusammenhang zwischen Religion, bzw. Religionszugehörigkeit und Gewaltbereitschaft. Bei Betrachtung der statistischen Signifikanz der Ergebnisse wird allerdings deutlich, dass zwischen der Religiösität der Jugendlichen und der Gewaltvergehen kein bedeutender Zusammenhang existiert.


Mit stärkerer religiöser Bindung steigt die Gewaltbereitschaft tendenziell an. Da dieser Zusammenhang aber als nicht signifikant ausgewiesen wird, ist bei islamischen Jugendlichen von keinem unmittelbaren Zusammenhang (und damit auch nicht von einem Gewalt reduzierenden Zusammenhang) zwischen der Religiosität und der Gewaltdelinquenz auszugehen.

Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, 2007/2008


Aus der Kfn-Studie geht hervor, dass die erhöhte Gewaltbereitschaft von den betroffenen Jugendlichen weitestgehend auf andere Belastungsfaktoren zurückzuführen ist, wie z.B. gewaltlegitimierender Männlichkeitsnormen, Erfahrungen mit Diskriminierung, sozialer Ausgrenzung und mangelnde Integration. Dabei spielen auch die sozialen Beziehungen im Elternhaus und die damit verbundene Erziehung eine signifikante Rolle. Aus den Ergebnissen verschiedener Studien geht ebenso hervor, dass soziale und ökonomische Marginalisierung positiv mit Kriminalität korrelieren.



Entstehung von Delinquenz

Über die Ursachen von Delinquenz wird viel diskutiert und geforscht. Aggressive und gewalttätige Kinder und Jugendliche werden nicht als solche geboren, sondern im Laufe ihrer Lebensgeschichte und ihrer Sozialisation, dazu gemacht. Ein Schlüssel zum Verständnis dafür liegt zum Großteil in der Familie und im Umfeld des jeweiligen Menschen, demnach gehört auch der Freundeskreis dazu. Die Familie ist der Bereich, in dem Gewalt entstehen und sich verfestigen kann. Gewalt wird vor allem dann wahrscheinlich, wenn sich verschiedene ungünstige Merkmale häufen, wie z.B. fehlende emotionale Bindung, Erziehungsuntüchtigkeit, eheliche Konflikte, soziale Probleme, Arbeitslosigkeit, schlechte Wohnbedingungen, soziale Isolation der Familie oder auch der Missbrauch von Alkohol. Gewaltbereitschaft wird mit Faktoren wie der Akzeptanz gewaltlegitimierender Männlichkeitsnormen ("Machokultur"), der Zahl straffälliger Freunde, der Nutzung gewalthaltiger Medien und mangelhafter sozialer Integration begründet.



Die Frage nach dem Warum

Eine Vielzahl von Erklärungsansätzen geht von der gesellschaftlichen Abhängigkeit der Kriminalität aus. Kriminelles Verhalten ist nach vielen Ansätzen bedingt durch die Interaktion zwischen angeborenen Merkmalen und individueller Sozialisation. Die Kriminalitätsrate einer Gesellschaft ist demnach vom Niveau der Normgeltung abhängig, und dieses wird sowohl von traditionellen als auch von modernen gesellschaftlichen Werten beeinflusst.



Die „Macho-Kultur“ - Bilder von Männlichkeit und Kriminalität

Bei nahezu allem, was in unseren Kulturen als Kriminalität und ihre Kontrolle aufgefasst wird, erscheinen Täter und Beschützer als kulturell tief verwurzelte Bilder von bösen und guten Männern. Der Kampf gegen das Böse ist im Alltagsverständnis mit Vorstellungen von männlichen Beschützern verbunden. Deutlich ist dies gleichermaßen in Mythen, Märchen, Geschichten, in den Gestalten von Film und Fernsehen sowie im Spielzeug, das uns vom Kindesalter an bis hin zum Computerspiel für Erwachsene umgibt. Die Rolle des Mannes als starker Retter und Beschützer ist im Bewusstsein der Bevölkerung schon tief verwurzelt.

Allerdings wird dieses Bild auch oft im negativen Sinne wahrgenommen. Stärke und Kraft werden als Mittel zur Anerkennung eingesetzt. Gewalt wird dabei oft als einzige Möglichkeit wahrgenommen, sich Respekt und Anerkennung zu verschaffen und das Verlangen nach Status und Ansehen entgültig zu stillen. Verstärkt werden diese Faktoren, wenn in der Familienstruktur schon Gewalt zum Alltag zählte. Dabei wird das Verhalten der Eltern kopiert und anschließend „draußen“ angewendet. Durch das Bestehen und die Wahrnehmung der Gewalt im Elternhaus wird diese dadurch legitimiert. Inwiefern Männlichkeit und Kriminalität miteinander im Zusammenhang stehen, hängt davon ab, welche Rolle die jeweilige Person in seiner Gesellschaft einnimmt. Wenn soziale Stigmatisierung und Vorteile gehäuft zum Alltagsleben gehören, verstärken diese die Abgrenzung von der Gesellschaft, allerdings verstärken sie auch gleichzeitig das Bedürfnis, sich der Gesellschaft beweisen zu wollen. Dabei wird das Können und die Fähigkeit sich zu beweisen oft auf die eigene Männlichkeit und die eigene Stärke reduziert.



Die Kulturkonflikttheorie und sozialstrukturelle Benachteiligung

Nach der Kulturkonflikttheorie entwickelt sich zwischen unterschiedlichen kulturellen Wert- und Verhaltensnormen ein sozial abweichendes Verhalten. Um sich eine neue soziale Identität im Gastland aufzubauen, müssen die Einwanderer sich den Normen und Standards des Gastlandes anpassen. Aus dieser Situation entstehen Innen- und Außenkonflikte. Auf den ausländischen Kindern bzw. den Kindern mit Migrationshintergrund lastet ein sich widersprechender Sozialisationsdruck. Die gesellschaftlichen Einflüsse (Schule, Massenmedien, Gruppendynamik) bringen die Einstellungen der Kinder mit denen ihrer Eltern und den von ihnen geprägten Leitbildern in Konflikt. Hinzu kommen die Erkenntnis der Andersartigkeit, Autoritäts- und Sprachprobleme, die zu Entfremdungserscheinungen zwischen Eltern und Kindern und auch zur Kriminalitätsanfälligkeit führen können.


Die Theorie der sozialstrukturellen Benachteiligung betrachtet die sozialen Benachteiligungen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund (ghettoähnliche Wohnsituationen, höhere Arbeitslosenquote, schlechtere Schul- und Bildungschancen) als Ursache ihres kriminellen Verhaltens. Die Ursachen der Kriminalität würden demnach potenziert bei der "zweiten" und "dritten" Generation der Jugendlichen wirksam. Ihre Kriminalität lässt sich primär auf ihre soziale Lage zurückführen.



Der Etikettierungsansatz

Im Prozesss der Delinquenz spielen auch oft Etikettierungs- und Stigmatisierungsprozesse im gesellschaftlichen Umfeld eine Rolle. Gewalt kann auch dadurch hervorgerufen werden, dass sobald sich Personen auch nur einmal "abweichend" verhalten haben, sie von ihrem Umfeld etikettiert werden. In der Gesellschaft werden sie als ständig auffällige bzw. gewalttätige Personen betrachtet. Dieser Etikettierungsprozess kann dadurch Frustration hervorrufen und weitere Gewalt produzieren, da die handelnde Person sich somit verpflichtet fühlt, ihrer angeblich aggressiven Rolle und dem dadurch gebildeten Stereotyp in der Gesellschaft gerecht zu werden.



Literatur

  • Dr. Christian Pfeiffer, Kinder und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrungen, Integratin, Medienkonsum, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Forschungsbericht Nr. 1092007/2008
  • Dieter Herrmann, Werte und Kriminalität. Konzeption einer allgemeinen Kriminalitätstheorie, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 2003
  • Siegfried Lamnek, Theorien abweichenden Verhaltens UTB, München, 1997
  • Göran Aijmer & Jon Abbink, Introduction: The Idiom of Violence in Imagery and Discourse (Meanings of Violence: a cross cultural perspective, 2000)
  • Heinrich Popitz, Gewalt, S. 43-79
  • Joachim Kersten, Gut und (Ge)schlecht: Männlichkeit, Kultur und Kriminalität, Berlin ; New York: de Gruyter, 1997



Weblinks