Das Böse

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Das Böse (Gegensatz: das Gute) ist im Diskurs der Kriminal- und Sicherheitspolitik (ganz im Sinne Spinozas) ein standpunktabhängiges Etikett: was die Selbstbehauptung der sprechenden Partei fördert, wird "gut", was sie hemmt, wird "böse" genannt ("Achse des Bösen"; "Kampf gegen das Böse"; "evil Empire").

Der Begriff bezieht sich bei Kant (und auch sonst überwiegend) auf die Qualität einer menschlichen Willensrichtung. "Böse" ist also eine (von Grund auf) verdorbene Willensrichtung einer Person, von der angenommen wird, dass diese sich dazu entschlossen habe. Augustinus: das Böse kommt über den freien Willen des Menschen in die Welt (Erbsünde). Dass der Entschluss zum Bösen aufgrund von Sozialisationsbedingungen etc. nicht "völlig frei" erfolgt sein mag, ändert nichts daran, dass die Intention "böse" ist, kann aber bei der Frage der sozialen Reaktionen auf die von böser Intention getragenen Handlungen (schuldmindernd) ins Gewicht fallen.

Versuche, das "Böse" als Qualität eines Verhaltens unter Absehung von der Willensrichtung - oder gar als Eigenschaft der Konsequenzen von Handlungen - aufzufassen (unter Absehung von der Qualität der Handlungen selbst oder der sie tragenden Intentionen) wirken im Vergleich zum Sprachgebrauch weit hergeholt, kursieren aber in der teleologischen und konsequentialistischen Philosophie gleichwohl.

  • Nietzsche: das Böse ist ein Konstrukt christlicher Sklavenmoral, welche aus der ursprünglichen Unterscheidung von gut und schlecht diejenige von gut und böse machte.

Als Vermeidungsimperative verstandene Normen benennen das Nicht-Mehr-Gute (Böse), lassen damit aber das Gute als das material Sittliche offen.

Im Vordergrund steht die Werteinsicht und darüber hinaus dann weniger die Frage nach den richtigen Normen als vielmehr diejenige nach der personalen Aneignung der Sittlichkeit („Wie soll ich sein? Was kann ich tun?“).

  • Karl Jaspers stellt für das Verhältnis zwischen Gut und Böse drei Stufen vor, auf denen der Mensch Alternativen hat und damit zur Entscheidung gefordert ist.

Moralisches Verhältnis: Dieses Verhältnis steht im kantschen Sinn zwischen Pflicht und Neigung. Böse ist, sich von den unmittelbaren Antrieben leiten zu lassen. Dem gegenüber steht die Beherrschung der unmittelbaren Antriebe durch den sittlichen Gesetzen folgenden Willen. Wie auf den anderen Stufen entscheidet nicht das konkrete Handlungsergebnis darüber, ob der handelnde Mensch böse sei, sondern die Auswahl seines Antriebs.

Ethisches Verhältnis: Das Verhältnis wird erst von der Wahrhaftigkeit der Motive bestimmt. In der Realität des Handelns sowohl unter Bedingtem wie auch Unbedingtem macht das Unbedingte vom Bedingten abhängig. Er nimmt sich selbst seine Wahlfreiheit und entzieht sich somit seiner Verantwortung. Böse ist hier Schwäche, die der Neigung nachgibt. Böse ist sogar die Scheingüte als Luxus glücklicher Verhältnisse. Alternativlosigkeit wird instrumentiert, um dem Handelnden den Konflikt zu ersparen.

Metaphysisches Verhältnis: Hier bestimmt das Verhältnis zwischen zum Sein drängender Liebe und zum Nichtsein drängender Hass das Verhältnis zwischen Gut und Böse. Böse ist erst der Wille zum Bösen (auch ausgedrückt in der Entschuldigung des Bösen), der hier ein Wille zur Zerstörung ist. Die erste Stufe ist die strikteste hinsichtlich ihrer Anforderung an den Handelnden: Triebhaftigkeit jeder Art. Auf der zweiten und schwächeren Stufe ist erst ein Mangel das Kriterium für das Böse: der Mangel an Wille zum Guten, zur Wahrhaftigkeit. Auf der dritten und schwächsten Stufe ist ein Vorhandensein das Kriterium für das Böse: das Vorhandensein des Willens zum Bösen. Den drei Stufen gemeinsam ist, dass das Handlungsergebnis nicht als Kriterium für das Böse dient. Kein Zweck kann so die Mittel heiligen. Die Mittel sind im Fokus. Dieser bei sorgfältig durchdachtem Handeln mögliche Ansatz zur Definition des Bösen ist eine Herausforderung sowohl einerseits an die Gruppe Relativismus, Pragmatismus und Subjektivismus, die den Raum für Alternativen durch ergebnisorientierte Vorwertungen einschränkt, wie auch andererseits an den Fundamentalismus, der Alternativlosigkeit hart konstruiert.

Der Bezug auf die Entscheidungsweise - auf den Weg - anstelle eines Bezugs auf Handlungsergebnisse - auf das Ziel - hat auch Gemeinsamkeiten mit urbuddhistischen Auffassungen, in denen nicht Ergebnisse bewertet und göttliche Vorgaben befolgt werden, sondern Getriebenheit durch Gier und fehlenden Bemühen um Erkenntnis zu bösem Handeln führt.

  • Christliche und jüdische Traditionen sprechen von einer jeden Menschen prägenden Erbsünde. Dieses mit dem Mythos des Sündenfalls des ersten Menschenpaares verbundene Motiv wird oft als Ätiologie interpretiert, also als ein Versuch, eine legendarische Antwort auf die Frage zu geben, warum es Böses in der Welt gibt, genauer: von menschlichen Individuen selbst verursachtes Übel (moralisches Übel, malum morale) bzw. Unheil erzeugende soziale Strukturen. Daneben wird auch von Übel bzw. Bösem gesprochen, das nicht durch Menschen verursacht ist und für das nach Auffassung einiger Philosophen und Theologen Gott selbst verantwortlich sei (malum physicum et metaphysicum).
  • Religionswissenschaftlich lassen sich zwei Formen des Bösen unterscheiden: einerseits Böses in der menschlichen Sphäre (der Gegenpol des sittlich Guten), andererseits böse 'göttliche' bzw. geistige Mächte oder Kräfte, die in schädlicher Weise wirken oder denen in ethischer Hinsicht schlechte Einflüsse zueigen sind, das „numinose Böse.“
  • In vielen Religionen (das typische Beispiel Manichäismus wird in jüngeren Forschungen oft differenzierter beurteilt), tendenziell auch in Phasen und Teilen des Christentums, gibt es Strömungen, die die Welt als Schauplatz eines Kampfes zwischen „Gut“ und „Böse“ betrachten. Die guten Elemente (Götter/Engel) bekämpfen die bösen Elemente (Götter/Dämonen). In diesem Konzept hat jeder Mensch die Wahl, sich entweder für die gute oder die böse Seite zu entscheiden.

Ein solcher Dualismus steht allerdings im Widerspruch zu einem konsequent verstandenen Monotheismus: Wenn Gott die einzige Ursache der Welt ist, kann daneben keine zweite (böse) Macht als eigenständig gedacht werden. Im dogmatischen System christlicher Lehre wurde das Böse daher Gott immer untergeordnet (etwa als gefallener Engel, der nur mit Gottes Zulassung agieren könne). Die Ambivalenz dieser Vorstellung illustriert schon die biblische Erzählung davon, wie das Böse nach der Schöpfung in die Welt kam (Gen 3): Es schlich sich in Gestalt einer Schlange in den Garten ein. Dabei wird ausdrücklich gesagt, dass es sich um ein Geschöpf Gottes handelte, dass sich freilich (wie der Mensch) durch Klugheit und nackte Unbehaartheit (ein Wortspiel im Hebräischen) besonders auszeichnete. Dem aufmerksamen Leser entgeht nicht, dass Gott mit seiner wenigstens überzogen zu nennenden Begründung die Übertretung des Gebotes selbst provoziert hat. Von zahlreichen Philosophen und Theologen (z. B. bei Augustinus und fast durchweg im Mittelalter) wird das Böse als substanzlos charakterisiert. Es ist ein bloßer Mangel des Guten (ein Privativum). Als Privation wird beispielsweise auch die Blindheit analysiert: Blindheit sei keine positive Qualität, sondern schlicht Mangel an Sehfähigkeit. Das Böse sei dem menschlichen Wesen innewohnend und wesentlich (vgl. Immanenz) postuliert Immanuel Kant 1793 in seiner religionsphilosophischen Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“.

Personifikationen

Es gibt in den verschiedenen Kulturen verschiedene Personifikationen des Bösen, etwa heidnische Götter wie der germanische Loki, den christlichen Teufel, aber auch bestimmte Arten arabischer Dschinns oder die Dämonen des Hinduismus. Ihnen allen ist – ihrer bösen Natur gemäß – gemeinsam, dass sie aus freiem Willen und eigenständig Unglück und Verderben bringen. Wichtiges Unterscheidungskriterium des Judentums ist es hier, dass nichts als das personifizierte Böse betrachtet und gelehrt wird, es gibt keinen "Teufel" in der jüdischen normativen Tradition, siehe auch Satan. Im Laufe der Geschichte wechselten die personifizierten Mächte durch den Wechsel der Religion bisweilen vom Guten zum Bösen, so wandelte sich z. B. der gute griechische Hirtengott Pan in Folge der christlichen Missionierung zu einer heute weit verbreiteten Darstellung des Teufels (eine solche Umdeutung ist ein Fall von Interpretatio Christiana). In der Moderne werden auch reale Menschen oft zu Personifikationen des Bösen stilisiert. Prominente Personen, die in einigen Kulturen „das Böse“ verkörpern, sind Josef Stalin, Mao Zedong, Adolf Hitler, Pol Pot, Osama bin Laden, Rasputin u. a. - Schwarzweiß-Denken ist in einigen modernen Gesellschaften und Religionen immer noch weit verbreitet und findet seinen Ausdruck darin, dass ein Gegner als das „Reich des Bösen“, als „Teufel“, als „Ungläubiger“, als „Antichrist“, als „Ketzer“ bezeichnet wird. Solche Personifikationen sind auch in zahlreichen Fantasy-Bücher und -Filmen ausgestaltet. Nach einigen Auffassungen wird das Böse auch als eigenständige Urkraft betrachtet, die sich manchmal in Dämonen personalisiert, manchmal aber auch eigenständig auftritt als das Absolut Böse (z. B. im Cthulhu-Mythos). Die Entwicklung der Gesellschaft verläuft nach Auffassung einiger in Zyklen zwischen Zeitaltern des Guten (Goldene Zeitalter) und Zeitaltern des Bösen (Dunkle Zeitalter).

Literatur

  • Arendt, Hannah (2006) Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik. München: Piper. ISBN 3-492-04694-0 (Responsibility and Judgment).
  • Jean Baudrillard: Transparenz des Bösen. Ein Essay über extreme Phänomene", Berlin 1992.
  • Ludger Honnefelder: Was soll ich tun, wer will ich sein? Vernunft und Verantwortung, Gewissen und Schuld, Berlin 2007. ISBN 978-3-940432-05-6
  • Susan Neiman: Das Böse denken: Eine andere Geschichte der Philosophie, Suhrkamp, Frankfurt/M. 2004, ISBN 3-518-45753-5, engl.: Evil in modern thought. An Alternative History of Philosophy, 2002
  • Christoph Schulte: radikal böse. Die Karriere des Bösen von Kant bis Nietzsche, München 1991.
  • Walter Simonis: Schmerz und Menschenwürde. Das Böse in der abendländischen Philosophie; Königshausen und Neumann 2001, ISBN 978-3-8260-2100-8
  • Karl-Heinz Bohrer: Das Böse - eine ästhetische Kategorie?, In: ders., Nach der Natur. Über Politik und Ästhetik, München/Wien 1988.
  • Karl Heinz Bohrer: Imaginationen des Bösen. Für eine ästhetische Kategorie. – Hanser, München u. a. 2004, ISBN 3-446-20494-6
  • Friedrich Hermanni, Peter Koslowski (Hgg.): Die Wirklichkeit des Bösen, 1998.
  • Friedrich Hermanni: Das Böse und die Theodizee. Eine philosophisch-theologische Grundlegung, 2002.
  • Peter Koslowski (Hrsg.): Ursprung u. Überwindung des Bösen und des Leidens in den Weltreligionen, 2001.
  • Paul Ricœur: “Das Böse: eine Herausforderung für Philosophie und Theologie (Vortrag in Lausanne 1985), Zürich: Tvz Theologischer Verlag 2006. ISBN 3-290-17401-8
  • Werner H. Ritter (Hg.): Okkulte Faszination. Symbole des Bösen und Perspektiven der Entzauberung. Theologische, religionssoziologische und religionspädagogische Annäherungen. – Neukirchener, Neukirchen-Vluyn 1997, ISBN 3-7887-1655-X
  • Elmar Willnauer: heute das Böse denken. Mit Immanuel Kant und Hannah Arendt zu einem Neuansatz für die Theologie, 2005
  • Konrad Lorenz: Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggressivität
  • Erich Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität, dt. Ausgabe, Stuttgart, DVA, 1974, ISBN 3-421-01686-0
  • Carsten Colpe / Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hgg.): Das Böse. Eine historische Phänomenologie des Unerklärlichen, Frankfurt/M. 1993.
  • Gerald Messadié: Teufel Satan Luzifer - Universalgeschichte des Bösen, Frankfurt/M. 1995.
  • Werner H. Ritter, Jörg A. Schlumberger: Das Böse in der Geschichte., Bayreuther Historische Kolloquien Bd. 16, Röll, Dettelbach 2003, ISBN 3-89754-209-9
  • Rüdiger Safranski: Das Böse oder Das Drama der Freiheit. München u. a., Hanser. 1997. ISBN 3-446-18767-7 [Rezension: Micha Brumlik in Die Zeit, 19. September 1997]
  • Alexander Schuller / Wolfart von Rhaden (Hgg): Die andere Kraft: Zur Renaissance des Bösen, Berlin 1993.

Weblinks

  • Eisler, Rudolf (1930) Das Böse, in: Kant-Lexikon, 1930 [[1]]
  • Eisler, Rudolf (1904) Böse, in: ders., Wörterbuch der philosophischen Begriffe, 1904 [[2]]
  • Sharpe, Alfred B. (1900) Evil. In: Catholic Encyclopedia. New York: Knopf Vol. 5 [[3]]
  • Tooley, Michael (2009) The Problem of Evil. [[4]]

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