Kinderdelinquenz: Unterschied zwischen den Versionen

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===Historischer Hintergrund===
Kinderdelinquenz ist kindliches Verhalten, das - würde es von einer strafmündigen Person ausgeführt - im Sinne des Strafrechts als eine Straftat verstanden werden würde, das aber mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Umgangs mit Kindern unterhalb der [[Strafmündigkeitsgrenze]] auch sprachlich nicht dem Bereich der strafrechtlich verstandenen Kriminalität zugeordnet werden soll und deshalb in aller Regel nicht als "Kriminalität", sondern als "Delinquenz" bezeichnet wird. Das impliziert als Reaktion eher erzieherische Einwirkungen als kriminalrechtliche Sanktionierungen.  
Im Rahmen der Industrialisierung im 19. verbreitete sich in den westlichen Gesellschaften allmählich die Überzeugung, dass „Kindheit“ ein vom Jugend- und Erwachsenalter abzugrenzender eigenständiger Lebensabschnitt im Leben eines jeden Menschen ist, der besonderen Schutz z.B. vor Ausbeutung und anderen schädlichen Einflüssen bedarf.<br>
Im Strafgesetzbuch von 1871 wurde die Altersgrenze für eine Strafmündigkeit mit 12 Jahren festgelegt. Psychologische Erkenntnisse, insbesondere der Entwicklungspsychologie, zeigten eine Unreife von Kindern, für ihr Handeln Verantwortung zu übernehmen. Um die Jahrhundertwende wurde mit Bezug auf diesen Aspekt die [[Strafmündigkeitsgrenze]] von 12 Jahren diskutiert. MIt dem ersten Jugendgerichtsgesetz von 1923 wurde die Strafmündigkeitsgrenze auf 14 Jahre heraufgesetzt.Dabei trat die Zielsetzung einer Erziehung (anstelle des Gedankens einer Bestrafung) von Kindern in den Vordergrund.<br>
Eine Festlegung auf diese Altersgrenze erfolgte u.a. mit Argumenten wie dem Volksschulabschluss.


===Begriffliche Abgrenzung Kinderdelinquenz / Kinderkriminalität===
==Abgrenzung vom Kriminalitätsbegriff==
Es gibt weltweit Kinder, die gegen die in dem jeweiligen Land bzw. der jeweiligen Gesellschaft geltenden Norman verstoßen und Handlungen begehen, die als Straftatbestände definiert sind. Die Reaktionen auf ein normverletzendes Verhalten von Kindern sind dabei sowohl in den verschiedenen Ländern / Gesellschaften als auch im zeitlichen Verlauf gesehen verschieden.<br>
*Der Begriff "Kriminalität" beinhaltet einen bewussten Normenverstoß, insofern ein "tatbestandliches, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten", welches einer Strafverfolgung und ggf. Bestrafung zugänglich ist. Kinder unter 14 Jahren können sich in Deutschland "tatbestandlich" und "rechtswidrig", aber nicht "schuldhaft" verhalten, da nach § 19 StGB eine "unwiderlegbare Vermutung der Schuldunfähigkeit" für bei Begehung einer Tat unter 14-Jährige vorliegt.
Von Kindern realisiertes von Normen abweichendes Verhalten ist unter Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Aspekte im Rahmen der kindlichen Sozialisation einzuordnen: Um eine gesellschaftlich festgelegte Norm befolgen zu können, muss diese zunächst kennengelernt, verstanden und ausprobiert werden, ggf. müssen Erfahrungen mit Konsequenzen auf Normverstöße gemacht werden. Erst durch einen Prozess des Internalisierens von außen vorgegebener Normen wird eine Grundlage dafür geschaffen, bei Verstößen gegen die Norm eine Vorwerfbarkeit (im Sinne eines absichtsvollen normübertretenden Verhaltens) annehmen zu können. <br>
*Von Kindern realisiertes von Normen abweichendes Verhalten ist im Rahmen der kindlichen Sozialisation unter Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Aspekte einzuordnen: Um eine gesellschaftlich festgelegte Norm befolgen zu können, muss diese zunächst kennengelernt, verstanden und ausprobiert werden, ggf. müssen Erfahrungen mit Konsequenzen auf Normverstöße gemacht werden. Erst durch einen Prozess des Internalisierens von außen vorgegebener Normen wird eine Grundlage dafür geschaffen, bei Verstößen gegen die Norm eine Vorwerfbarkeit (im Sinne eines absichtsvollen normübertretenden Verhaltens) annehmen zu können. <br>
Der Begriff "Kriminalität" beinhaltet einen bewussten Normenverstoß, insofern ein "tatbestandliches, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten", welches einer Strafverfolgung und ggf. Bestrafung zugänglich ist. Kinder unter 14 Jahren können sich in Deutschland "tatbestandlich" und "rechtswidrig", aber nicht "schuldhaft" verhalten, da nach § 19 StGB eine "unwiderlegbare Vermutung der Schuldunfähigkeit" für bei Begehung einer Tat unter 14-Jährige vorliegt. Um geltende Normen brechendes Verhalten von Kindern auch verbal nicht im Bereich der strafrechtlich verstandenen [[Kriminalität]] anzusiedeln, wird in der Literatur der neutralere Begriff der "Delinquenz" bevorzugt: Kinder handeln danach delinquent, wenn sie gegen die Strafrechtsnormen verstoßen, auch wenn dieses nicht vorwerfbar (also nicht schuldhaft) ist. Kinderdelinquenz wird danach als ein kindliches Verhalten definiert, das im Sinne des Strafrechts als eine Straftat verstanden werden würde, wenn es durch einen Erwachsenen (bzw. eine über 14 Jahre alte Person) gezeigt werden würde.<br>
*Die begriffliche Unterscheidung weist auch auf eine unterschiedliche Reaktionsweise gegenüber kindlichen vs. erwachsenen Normen brechenden Verhaltens hin: Während auf (erwachsene) Kriminalität repressiv zu reagieren ist, soll auf (kindliche) Delinquenz präventiv reagiert werden.
Die begriffliche Unterscheidung weist auch auf eine unterschiedliche Reaktionsweise gegenüber kindlichen vs. erwachsenen Normen brechenden Verhaltens hin: Während auf (erwachsene) Kriminalität repressiv zu reagieren ist, soll auf (kindliche) Delinquenz präventiv reagiert werden.


===Die Rechtsstellung des tatverdächtigen Kindes - ein Überblick===
== Umfang und Erscheinungsformen ==
====Völker- und Europarecht====
===Umfang===
Im Völker- und Europarecht  werden als "Kinder" Personen bezeichnet, die das 18.Lebensjahr noch nicht vollendet haben (''Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes'' (KRÜ, Artikel 1) und ''Charta der Grundrechte der Europäischen Union'' (EU-GRCharta, Art. 24)). Damit umfasst der Begriff "Kind" eine Altersgruppe, die in Deutschland weiter in Kinder und Jugendliche differenziert wird.
In der Polizeilichen Kriminalstatistik [[PKS]] erfasste Daten des sog. Hellfeldes bedürfen vor einer Interpretation bezogen auf die Entwicklung der Kriminalität der Ergänzung und Kontrastierung durch weitere Datenquellen (z.B. durch eine statistikbegleitende Dunkelfeldforschung oder Daten aus Staatsanwaltschaft und Justiz). Auf diese Weise können z.B. Veränderungen im Anzeigeverhalten, institutionelle Bewertungsvorgänge oder Veränderungen normativer Rahmenbedingungen einbezogen werden, die Auswirkungen auf die erhobenen Zahlen haben (können).<br>


Im ''Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes'' steht die Anerkennung des Vorranges des Kindeswohls im Vordergrund. Bezogen auf Kinder, die von strafrechtlichen Ermittlungen betroffen sind, wird in Art. 40 KRÜ die Behandlung des Kindes im Strafrecht und Strafverfahren geregelt ( so ist die Würde des Kindes zu wahren und das Kind ist altersgemäß so zu behandeln, dass es seinem Wohl dienlich ist. U.a. ist das Recht auf einen Beistand, auf eine baldige Entscheidung in einem fairen gerichtlichen Verfahren oder die Achtung der Privatsphäre des Kindes festgelegt. Es wird u.a. geregelt, dass die Staaten ein Strafmündigkeitsalter festlegen sollen, wobei keine angemessene Untergrenze benannt und die Festlegung in die Verfügung der einzelnen Staaten gelegt wird). <br>
Bezogen auf den Bereich Kinderdelinquenz bestehen dabei verschiedene Schwierigkeiten: Risiken von Fehlern in der Erfassung und rechtlichen Bewertung sowie in der qualitativen Interpretation der Daten sind deutlich ausgeprägter als bei strafmündigen Personen. Zu Fragen ist z.B., ob die Registrierung unter 6-jähriger Kinder als tatverdächtig mit dem Entwicklungsstand von Kindern dieses Alters vereinbar ist, ob ein Kind diesen Alters also bewusst normverletzend gehandelt haben kann. Auch eine Mitregistrierung von Kindern als Tatverdächtige, wenn sie sich (ohne eigenen Tatbeitrag) in einer Gruppe von Personen, die eine Straftat begangen haben, befunden haben, lässt die Annahme einer Normabweichung dieses - registrierten - Kindes diskutierbar erscheinen. Auch fehlt bei Kindern die Möglichkeit der Prüfung und ggf. der Korrektur eines polizeilichen Tatverdachtes durch die Justiz, da ein Strafverfahren gegen sie nicht weitergeführt werden kann. <br>
In Art. 37 KRÜ sind bezogen auf Kinder ein Verbot der Folter, der Todesstrafe und der lebenslangen Freiheitsstrafe geregelt. <br>
Unter der Annahme, dass im Fall strafunmündiger Täter die Anzeigehäufigkeit niedrig ist, führt schon ein geringfügiger Wandel der Anzeigebereitschaft bezogen auf Kinder zu erheblichen Veränderungen der Daten. Schließlich ist einzubeziehen, dass Veränderungen der personellen Kapazitäten z.B. der Polizei zu ggf. gravierenden Veränderungen in der Registrierung strafunmündiger Kinder führen können, ohne dass ein tatsächlich erhöhtes Aufkommen normabweichenden Verhaltens in dieser Altersgruppe vorhanden sein muss. <br>
Hinzuweisen ist darauf, dass die Tatsache der Ratifizierung der Konvention nicht bedeutet, dass es in den unterzeichnenden Staaten keine (z.T. auch massiven) Verletzungen der Kinderrechte mehr gibt.


Im Europarecht haben Kinder Anspruch auf Schutz und Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind (Art 24 EU-GRCharta, Kapitel III, Abs. 1), das Kindeswohl wird als vorrangig eingestuft (Abs. 2). Es gibt keine speziellen Regelungen zum Umgang mit tatverdächigen Kindern. Es gelten die Mindeststandards für Strafverfahren (z.B. EU-GRCharta, Kapitel VI "Justizielle Rechte"). Neben der ''EU-Grundrechtecharta'' sind Artikel der ''Europäischen Menschenrechtskonvention'' bedeutsam (Art. 3, 5, 6 und 7 EMRK), in denen z.B. Beschuldigten bestimmte Verfahrensrechte absolut garantiert werden.
Insgesamt finden sich in der PKS wellenförmige Verläufe in der Entwicklung der Tatverdächtigenanteile von Kindern, die unter dem Vorbehalt möglicher verzerrender Einflussfaktoren zu sehen sind. Eine kontinuierliche Verjüngung der Tatverdächtigen im Hellfeld läßt sich (bis 2005) anhand der Daten nicht belegen. Auch eine deutliche Zunahme von Mehrfach- oder Intensivtätern lässt sich nicht ableiten. Ein zunehmender Trend findet sich bis etwa 2004 bezogen auf einfache und qualifizierte Körperverletzung, wobei Gewalt-, Körperverletzungs- und Drogendelikte den kleinsten Teil der Kinderdelinquenz ausmachen. Bei dem größten Anteil der Kinderdelinquenz, den Eigentumsdelikten, ist ab Mitte der 90er Jahre ein deutlicher Rückgang festzustellen.  
 
Der Vergleich der Tatverdächtigenanteile der strafunmündigen Kinder an der Gesamtkriminalität zeigt, dass die registrierte Kinderdelinquenz zwar gestiegen ist, insgesamt aber nach wie vor nur einen geringen Anteil ausmacht. <br>
Die Rechtslage auf völker- und europarechtlicher Ebene zielt darauf ab, Kindern in den Mitgliedsstaaten einen annähernd gleichen rechtlichen Standard anzubieten. Die Vorgaben sind in Deutschland im verfassungsrechtlichen wie im einfachrechtlichen Bereich verankert.
Die Datenlage zur Erfassung des Umfangs und der Struktur der Kinderdelinquenz ist in Deutschland noch als unzureichend anzusehen. Eine alleinige Interpretation der Hellfelddaten der Polizei sollte im Bereich der Kinderdelinquenz zurückhaltend erfolgen.
 
====Sanktionierung von Kinderdelinquenz in Deutschland====
Auf ''verfassungsrechtlicher Ebene'' sind Kinder laut BVerfG von Geburt an wie Erwachsene Träger aller Grundrechte. Bezogen auf Grundrechte für Personen, die sich in einem Strafverfahren befinden, kommen verschiedene Artikel des Grundgesetzes (GG) zur Anwendung. Kinder sind nach § 19 StGB und § 1 Abs. 3 JGG nicht strafmündig und damit von einem Strafverfahren ausgeschlossen. Sie können sich nicht auf die angeführten grundrechtlichen Garantien berufen, sind aber über die Grundrechte hinaus geschützt.<br>
 
In der ''einfachen Rechtsordnung'' besteht ein abgestuftes System rechtlicher Verantwortung, orientiert an einer zunehmenden Selbstständigkeit von Kindern und Jugendlichen: Es bestehen Altersgrenzen bezogen auf eine Geschäftsfähigkeit, auf eine Verantwortlichkeit Minderjähriger im zuvilrechtlichen Haftungsrecht und auf die Strafmündigkeit. <br>
 
Bezogen auf den Umgang mit einem einer Tat verdächtigen Kindes ist aufgrund der Regelung des § 19 StGB umstritten, ob die Strafprozessordnung (StPO) Anwendung finden kann. So stellt bereits die Aufnahme einer Strafanzeige gegen ein Kind oder die Abgabe des Vorganges an die Staatsanwaltschaft im Prinzip eine Ermittlungstätigkeit der Polizei dar. Da eine solche vom Willen getragen ist, ein Strafverfahren gegen einen einer Straftat Verdächtigen zu betreiben, ist zu fragen, ob ein Kind unter Beachtung von § 19 StGB überhaupt eine Beschuldigteneigenschaft innehaben kann und entsprechend von Ermittlungen betroffen werden darf. Strafunmündigkeit stellt aufgrund einer normativ bindenden Schuldlosigkeitsvermutung bezogen auf Kinder ein Strafverfolgungshindernis dar. Eine formelle Sozialkontrolle im Sinne einer strafrechtlichen Verfolgung ist bei Kindern deshalb ausgeschlossen, da sie gem. § 19 StGB unwiderlegbar schuldunfähig sind. Der Schutz des Kindes vor strafrechtlich-formeller Sozialkontrolle bedeutet jedoch nicht, dass ein Kind nicht unmittelbar und mittelbar als Folge seines delinquenten Handelns mit formellen Reaktionen konfrontiert wird. <br>
 
Im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechtes wird bezogen auf den Begriffe des "Störers" nicht zwischen Kindern und Erwachsenen bzw. zwischen Schulfähigen und Schuldunfähigen unterschieden. Gegenüber dem "Störer" muss auch kein Tatverdacht bestehen, der darauf abzielt, ein Strafverfahren gegen die Person zu betreiben. Gefahrenabwehrrechtliche Vorschriften können insofern auch bei Kindern angewendet werden. Hierzu wird die Problematik diskutiert, ob das Polizeirecht erlauben kann, was die StPO verbietet. Soweit die Polizei präventive Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Kinder anwenden dürfen soll, müssen diese der Verhältnismäßigkeit unterlieben, kind- und sachbezogen sein. <br>
Kinder können bei einem bestehenden Tatverdacht von der Polizei mit den Eltern zu einer informellen Anhörung geladen werden, dabei dürfen sie weder zur Wahrheit ermahnt noch seitens der Polizei erzieherisch beeinflusst werden. Bereits durch die Situation an sich ergibt sich jedoch ein gewisser ermahnender Charakter im Sinne einer Verdeutlichung, dass das gezeigte Verhalten nicht normkonform war.
 
Eine besondere Problematik stellt sich bezogen auf die Speicherung von Daten über kinderdelinquentes Verhalten, soweit diese in einem späteren Jugendstrafverfahren zur Kenntnis gelangen. Es ist einzubeziehen, dass die Kenntnis dieser Informationen (die im Sinne einer Einschätzung des bisherigen Sozialverhaltens eingeordent werden können) Einfluss auf die Beurteilung des jugendlichen Fehlverhaltens haben kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zum einen bereits die Registrierung kindlicher Delinquenz von Verzerrungen betroffen ist und dass zum anderen auch die Episodenhaftigkeit und Ubiquität kindlicher Delinquenz einbezogen werden müssten.
 
Eine Konfrontation des Kindes mit formellen Reaktionen kann auch durch kinder- und jugendhilferechtliche Reaktionen (z.B. §§ 11 ff SGB VIII, §§ 16 ff SGB VIII und §§ 22 SGB VIII), familiengerichtliche Maßnahmen bezüglich eventueller Sorgerechtsentscheidungen und Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen durch schulische Einrichtungen erfolgen.<br>
Reaktionsformen der Jugendhilfe können z.B. auf freiwilliger Basis eine Erziehungsberatung oder freiwillige Erziehungshilfe sein. Hierbei ist einzubeziehen, dass diese Hilfen durch die Familien beantragt werden müssen und ggf. mit Kosten verbunden sind.<br>
Bei einer angenommenen Gefährdung des Kindeswohles kann den Eltern nach §§ 1666, 1666 a BGB das Sorgerecht ganz oder teilweise entzogen werden. Durch Anordnung des Familiengerichtes können z.B. eine Erziehungsbeistandschaft oder eine Fürsorgeerziehung erfolgen (§§ 55 ff. JWG). Maßnahmen des Familiengerichtes haben dabei vor allem eine kontrollierende und nur wenig eine unterstützende Funktion bezogen auf die Familie, im Sinne des Wächteramtes des Staates (Art 6 II 1 GG). Hierbei wird u.a. diskutiert, inwieweit durch gerichtlich angeordnete Maßnahmen wie eine Fürsorgeerziehung auch Stigmatisierungseffekte entstehen können, die ggf. eine Entstehung sekundärer Devianz (im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung) begünstigen können. <br>


Um Reaktionen der Jugendhilfe für die Kinder und die Familien sinnvoll und nutzbar zu machen, ist eine zeitnahe Reaktion erforderlich, was häufig aufgrund von unterschiedlichen Verfahrensweisen der beteiligten Institutionen (z.B. Polizei und Jugendamt) nicht erfolgt. Ein weiterer Aspekt ist die Bereitstellung ausreichender auch personeller Ressourcen, um auf eingehende Meldungen oder Hinweise auf kindliche Auffälligkeiten oder Delinquenz mit einem pädagogisch angemessenen Angebot reagieren zu können.
Um Reaktionen der Jugendhilfe für die Kinder und die Familien sinnvoll und nutzbar zu machen, ist eine zeitnahe Reaktion erforderlich, was häufig aufgrund von unterschiedlichen Verfahrensweisen der beteiligten Institutionen (z.B. Polizei und Jugendamt) nicht erfolgt. Ein weiterer Aspekt ist die Bereitstellung ausreichender auch personeller Ressourcen, um auf eingehende Meldungen oder Hinweise auf kindliche Auffälligkeiten oder Delinquenz mit einem pädagogisch angemessenen Angebot reagieren zu können.


====Strafmündigkeitsgrenzen im europäischen Vergleich (ein Überblick)====
===Formen===
In den europäischen Ländern bestehen z.T. sehr unterschiedliche Altersgrenzen für eine Strafmündigkeit (und damit für eine Anwendung strafrechtlicher Regeln).<br>
Das europäische Jugendkriminalrecht wird von zwei Konzepten bestimmt: <br>
Das sog. ''Wohlfahrtsmodell'' konzentriert sich auf Jugendhilfe und ist duch ein spätes Strafmündigkeitsalter gekennzeichnet.Maßnahmen sollen als Ziel einen Erziehungserfolg erreichen und sind zeitlich eher unbestimmt.<br>
Dassog. ''Justizmodell'' reagiert im Sinne des allgemeinen Strafrechts auf auffälliges Verhalten, Sanktionierung orientiert sich hierbei an einer Tatschuld und ist zeitlich begrenzt.<br>
In neuerer Zeit findet sich weiterhin ein sog. ''Konfliktlösungsmodell'', hierbei sollen Konflikte, die sich in einer Straftat ausdrücken oder auf einer Straftat beruhen, in der Gemeinschaft geschlichtet oder gelöst werden (z.B. restorative justive approach oder Täter-Opfer-Ausgleich).<br>
 
In einigen Längern finden sich sehr hohe Altersgrenzen für die Strafmündigkeit (z.B. in Belgien, 18 Jahre, oder Rumänien, Litauen, Slowenien, 16 Jahre).
Länder mit sehr niedrigen Altersgrenzen für eine Strafmündigkeit sind z.B. die Länder des Vereinigten Königreiches, Frankreich, Griechenland und die Schweiz. Dabei ist zu beachten, dass in diesen Ländern nicht mit dem Überschreiten der Altersgrenze Kriminalstrafen zur Anwendung kommen. <br>
Bezogen auf z.B. Griechenland (8 Jahre) oder Frankreich (10 Jahre) bezeichnen die Altersgrenzen den Zeitpunkt, ab dem überhaupt Reaktionen aufgrund von Straftaten erfolgen, die zunächst erzieherischer Natur sind. <br>
In den Ländern des Vereinigten Königreichs sind z.B. stationäre Maßnahmen auch für Kinder ab 10 bzw. 12 Jahren möglich, wenn z.B. das Gericht der Ansicht ist, dass die Allgemeinheit anders nicht vor dem Kind geschützt werden kann oder das Kind als Intensivtäter eingeordnet werden. Gegen Kinder unter 10 Jahren sowie gegen ihre Eltern können Anordnungen wie z.B. eine Ausgangssperre für Kinder oder eine Beratungsverpflichtung für Eltern (im Zusammenhang mit einer auf das Kind bezogenen Anordnung, die das Kind unter die Aufsicht eines Mitarbeiters des Jugendamtes stellt) ergehen. Es finden sich auch zwischen den Ländern des Vereinigten Königreichs noch Unterschiede in der Festlegung von Altersgrenzen bzw. in der Anwendung von strafrechtlichen Reaktionsweisen gegenüber Kindern.
 
===Erscheinungsformen delinquenten Verhaltens von Kindern===
====Überblick über Formen von Kinderdelinquenz====
Delikte von Kindern, die nach strafrechtlichen Definitionen als Straftaten angesehen werden, treten meist nicht als bewusste Normbrüche, sondern im Rahmen aus entwicklungspsychologischer Sicht normalen kindlichen, explorativen Verhaltens auf, wobei es zu Grenzüberschreitungen kommen kann. Kinderdelinquenz tritt häufig in der Freizeit auf und ist durch typisch kindliche Motive, emotional gesteuerte Begehensweisen und eine Verteilung der Verantwortung auf die Gruppe gekennzeichnet. Häufig stehen ein Streben nach Anerkennung insbesondere in der peer-group und nach Statussymbolen im Vordergrund. Delinquente Verhaltensweisen sind häufig Laden- und Fahrraddiebstahl, Sachbeschädigung oder leichte Körperverletzung, sie werden meist spontan und unüberlegt realisiert. <br>
Delikte von Kindern, die nach strafrechtlichen Definitionen als Straftaten angesehen werden, treten meist nicht als bewusste Normbrüche, sondern im Rahmen aus entwicklungspsychologischer Sicht normalen kindlichen, explorativen Verhaltens auf, wobei es zu Grenzüberschreitungen kommen kann. Kinderdelinquenz tritt häufig in der Freizeit auf und ist durch typisch kindliche Motive, emotional gesteuerte Begehensweisen und eine Verteilung der Verantwortung auf die Gruppe gekennzeichnet. Häufig stehen ein Streben nach Anerkennung insbesondere in der peer-group und nach Statussymbolen im Vordergrund. Delinquente Verhaltensweisen sind häufig Laden- und Fahrraddiebstahl, Sachbeschädigung oder leichte Körperverletzung, sie werden meist spontan und unüberlegt realisiert. <br>
Kinderdelinquenz richtet sich häufig gegen etwa gleichaltrige Opfer. Vor allem Gewaltdelikte, bei denen Kinder Täter sind, ereignen sich in der Regel im näheren Wohnumfeld, so dass von Täter-Opfer-Beziehungen auszugehen ist.
Kinderdelinquenz richtet sich häufig gegen etwa gleichaltrige Opfer. Vor allem Gewaltdelikte, bei denen Kinder Täter sind, ereignen sich in der Regel im näheren Wohnumfeld, so dass von Täter-Opfer-Beziehungen auszugehen ist.  
== Verlaufsformen ==
== Sanktionierungen ==


====Kinderdelinquenz nach Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)====
In der [[PKS]] erfasste Daten des sog. Hellfeldes bedürfen vor einer Interpretation bezogen auf die Entwicklung der Kriminalität der Ergänzung und Kontrastierung durch weitere Datenquellen (z.B. durch eine statistikbegleitende Dunkelfeldforschung oder Daten aus Staatsanwaltschaft und Justiz). Auf diese Weise können z.B. Veränderungen im Anzeigeverhalten, institutionelle Bewertungsvorgänge oder Veränderungen normativer Rahmenbedingungen einbezogen werden, die Auswirkungen auf die erhobenen Zahlen haben (können).<br>


Bezogen auf den Bereich Kinderdelinquenz bestehen dabei verschiedene Schwierigkeiten: Risiken von Fehlern in der Erfassung und rechtlichen Bewertung sowie in der qualitativen Interpretation der Daten sind deutlich ausgeprägter als bei strafmündigen Personen. Zu Fragen ist z.B., ob die Registrierung unter 6-jähriger Kinder als tatverdächtig mit dem Entwicklungsstand von Kindern dieses Alters vereinbar ist, ob ein Kind diesen Alters also bewusst normverletzend gehandelt haben kann. Auch eine Mitregistrierung von Kindern als Tatverdächtige, wenn sie sich (ohne eigenen Tatbeitrag) in einer Gruppe von Personen, die eine Straftat begangen haben, befunden haben, lässt die Annahme einer Normabweichung dieses - registrierten - Kindes diskutierbar erscheinen. Auch fehlt bei Kindern die Möglichkeit der Prüfung und ggf. der Korrektur eines polizeilichen Tatverdachtes durch die Justiz, da ein Strafverfahren gegen sie nicht weitergeführt werden kann. <br>
==Kinderdelinquenz als Prädiktor für späteres kriminelles Verhalten?==
Unter der Annahme, dass im Fall strafunmündiger Täter die Anzeigehäufigkeit niedrig ist, führt schon ein geringfügiger Wandel der Anzeigebereitschaft bezogen auf Kinder zu erheblichen Veränderungen der Daten. Schließlich ist einzubeziehen, dass Veränderungen der personellen Kapazitäten zu ggf. gravierenden Veränderungen in der Registrierung strafunmündiger Kinder führen können, ohne dass ein tatsächlich erhöhtes Aufkommen normabweichenden Verhaltens in dieser Altersgruppe vorhanden sein muss. <br>
Retrospektive Untersuchungen an Rückfalltätern zeigen, dass diese häufig als Kinder früh wegen strafbarer Handlungen auffielen. Umgekehrt finden sich aber keine belastbaren Daten dafür, dass das Tatalter oder die Häufigkeit delinquenten Verhaltens in der Kindheit eine Prognose späterer Kriminalität erlaubt. <br>
 
Hinweise auf eine Kumulation von Belastungsfaktoren und auf nicht erfolgreiche Interventionsbemühungen im Vorfeld bei sog. Intensivtätern machen deutlich, dass präventive Bestrebungen ggf. noch gezielter im Hinblick auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit der beteiligten Personen und Institutionen und z.B. auf eine Verbesserung der Sozialisationsbedingungen von Kindern ausgerichtet werden könnten. Zeitnahe Reaktionen auf delinquentes kindliches Verhalten im Sinne einer Normverdeutlichung (nicht einer Strafe)befördert die Entwicklung eines Normenverständnisses bei Kinder (welches durchaus bei den meisten Kindern Studien zufolge anzutreffen ist) und eine Internalisierung, die es den Kindern im weiteren Verlauf erlaubt, bewusst Entscheidungen für (oder auch gegen) ein normenkonformes Verhalten zu treffen.<br>
Insgesamt finden sich in der PKS wellenförmige Verläufe in der Entwicklung der Tatverdächtigenanteile von Kindern, die unter dem Vorbehalt möglicher verzerrender Einflussfaktoren zu sehen sind. Eine kontinuierliche Verjüngung der Tatverdächtigen im Hellfeld läßt sich (bis 2005) anhand der Daten nicht belegen. Auch eine deutliche Zunahme von Mehrfach- oder Intensivtätern lässt sich nicht ableiten. Ein zunehmender Trend findet sich bis etwa 2004 bezogen auf einfache und qualifizierte Körperverletzung, wobei Gewalt-, Körperverletzungs- und Drogendelikte den kleinsten Teil der Kinderdelinquenz ausmachen. Bei dem größten Anteil der Kinderdelinquenz, den Eigentumsdelikten, ist ab Mitte der 90er Jahre ein deutlicher Rückgang festzustellen.
Eine sachliche Darstellung des Phänomens kindlicher Delinquenz in der Öffentlichkeit und eine zurückhaltende Interpretation von Daten der PKS kann eine Skandalisierung entwicklungspsychologisch normaler Verhaltensweisen vermeiden und Stigmatisierungsprozesse verhindern helfen.
Der Vergleich der Tatverdächtigenanteile der strafunmündigen Kinder an der Gesamtkriminalität zeigt, dass die registrierte Kinderdelinquenz zwar gestiegen ist, insgesamt aber nach wie vor nur einen geringen Anteil ausmacht. <br>
Die Datenlage zur Erfassung des Umfangs und der Struktur der Kinderdelinquenz ist in Deutschland noch als unzureichend anzusehen. Eine alleinige Interpretation der Hellfelddaten der Polizei sollte im Bereich der Kinderdelinquenz zurückhaltend erfolgen.


===Ursachen/Entstehungsbedingungen für delinquentes kindliches Verhalten===
==Entstehungsbedingungen==
Mit der Auflösung der Großfamilie, veränderten Erziehungsstilen oder einer zunehmenden Berufstätigkeit der Eltern außer Haus veränderte sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Damit einhergehend verringerten sich die innerfamiliären Kontakte und die Beaufsichtigung der Kinder durch die Eltern, aber auch die innerfamiliären Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder. Kinder orientier(t)en sich zunehmend an außerfamiliären Personen, z.B. in der Gleichaltrigengruppe (peer group), an Lehrkräften oder Rollenvorbildern in den Medien (Fernsehen, Internet). Eine Sozialisation und damit auch die Vermittlung von Normen erfolgt(e) insofern zunehmend nicht mehr (vorwiegend) innerhalb des familiären Verbandes. <br>
Mit der Auflösung der Großfamilie, veränderten Erziehungsstilen oder einer zunehmenden Berufstätigkeit der Eltern außer Haus veränderte sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Damit einhergehend verringerten sich die innerfamiliären Kontakte und die Beaufsichtigung der Kinder durch die Eltern, aber auch die innerfamiliären Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder. Kinder orientier(t)en sich zunehmend an außerfamiliären Personen, z.B. in der Gleichaltrigengruppe (peer group), an Lehrkräften oder Rollenvorbildern in den Medien (Fernsehen, Internet). Eine Sozialisation und damit auch die Vermittlung von Normen erfolgt(e) insofern zunehmend nicht mehr (vorwiegend) innerhalb des familiären Verbandes. <br>
Durch veränderte Sozialisationsbedingungen, Indivualisierungstendenzen und einen Strukturwandel der Kindheitsphase werden Kinder zunehmend Freiheiten zugewiesen und sie werden zu einer früheren Verselbstständigung angehalten, die nicht unbedingt ihrem Entwicklungsstand entspricht. Zum Erwerb eines Moral- und Normenverständnisses als Grundlage für eine bewusste Entscheidung, sich diesen entsprechend verhalten zu wollen, sind Kinder auf die Vorgabe eines verbindlichen Rahmens, auf Vorbilder und die Bereitschaft ihrer Bezugspersonen, sich mit ihnen über Normen und soziale Regeln auseinanderzusetzen, angewiesen. <br>
Durch veränderte Sozialisationsbedingungen, Indivualisierungstendenzen und einen Strukturwandel der Kindheitsphase werden Kinder zunehmend Freiheiten zugewiesen und sie werden zu einer früheren Verselbstständigung angehalten, die nicht unbedingt ihrem Entwicklungsstand entspricht. Zum Erwerb eines Moral- und Normenverständnisses als Grundlage für eine bewusste Entscheidung, sich diesen entsprechend verhalten zu wollen, sind Kinder auf die Vorgabe eines verbindlichen Rahmens, auf Vorbilder und die Bereitschaft ihrer Bezugspersonen, sich mit ihnen über Normen und soziale Regeln auseinanderzusetzen, angewiesen. <br>
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Soweit (eine vergleichsweise kleine Zahl) Kinder in großem Umfang oder durch besonders gravierende Delikte auffällig werden, finden sich dagegen Hinweise auf eine Kumulation familiärer, individueller und sozialer Belastungsfaktoren sowie häufig eine Vorgeschichte nicht erfolgreicher Interventions- und Hilfeangebote. Einzubeziehen ist, dass ggf. nicht "schwierige Kinder", sondern "Kinder in schwierigen Situationen" durch häufige Delinquenz auffällig werden.Einzubeziehen ist weiter, dass sozial benachteiligte Kinder aus verschiedenen Gründen (größere Aufmerksamkeit seitens der Institutionen, geringere Fähigkeiten zur Vermeidung einer Entdeckung) ggf. vermehrt als mit delinquentem Verhalten auffällig registriert werden, so dass sie im Hellfeld der registrierten Kinderdelinquenz überrepräsentiert sein können. <br>
Soweit (eine vergleichsweise kleine Zahl) Kinder in großem Umfang oder durch besonders gravierende Delikte auffällig werden, finden sich dagegen Hinweise auf eine Kumulation familiärer, individueller und sozialer Belastungsfaktoren sowie häufig eine Vorgeschichte nicht erfolgreicher Interventions- und Hilfeangebote. Einzubeziehen ist, dass ggf. nicht "schwierige Kinder", sondern "Kinder in schwierigen Situationen" durch häufige Delinquenz auffällig werden.Einzubeziehen ist weiter, dass sozial benachteiligte Kinder aus verschiedenen Gründen (größere Aufmerksamkeit seitens der Institutionen, geringere Fähigkeiten zur Vermeidung einer Entdeckung) ggf. vermehrt als mit delinquentem Verhalten auffällig registriert werden, so dass sie im Hellfeld der registrierten Kinderdelinquenz überrepräsentiert sein können. <br>


===Kinderdelinquenz in der öffentlichen Wahrnehmung / Einfluss von Politik und Medien===
==Öffentliche Wahrnehmung / Einfluss von Politik und Medien==
Die Problematik der Kinderdelinquenz wird (in der jüngeren Vergangenheit z.B. im Zeitraum des Regierungswechsel in Hamburg von der SPD zur CDU/ Schill-Partei im Jahr 2001 sowie CDU/ Schill-Partei zur CDU im Jahr 2004) z.T. massiv als Wahlkampfthema benutzt, wobei Erkenntnisse z.B. der Psychologie, der Kriminologie oder der Pädagogik kaum einbezogen werden. Anlass für eine starke Medienpräsenz des Themas Kinderdelinquenz bieten auch spektakuläre Einzelfälle (z.B. Amokläufe in Schulen oder ausgeprägte Mobbingvorfälle unter Kindern). Soweit Bezug auf Daten der PKS genommen wird, um einen Anstieg einer "Kinderkriminalität" zu belegen, ist dies ohne die gleichzeitige Darstellung der möglichen Verzerrungsfaktoren dieser Daten ggf. geeignet, in der Öffentlichkeit eine falsche - überzogene - Vorstellung des Ausmaßes delinquenten Verhaltens von Kindern zu erzeugen. Zusammen mit (durch Studien nicht belegten) Behauptungen z.B. zu Persönlichkeitsvariablen bei kindlichen Normverletzern, die ein solches Verhalten quasi bedingen, kann dies zu Tendenzen in der Meinungsbildung führen, den Präventionsgedanken als Reaktion auf delinquentes kindliches Verhalten allgemein zugunsten einer Betonung repressiver Vorgehensweisen zurückzustellen. Da zudem die Altersgrenze eher normativ-politisch als z.B. entwicklungspsychologisch begründet ist und für andere Bereiche gesellschaftlichen Handelns (z.B. eine zivilrechtliche Volljährigkeit) andere - höhere - Altersgrenzen festgelegt sind, wird wiederkehrend über eine Veränderung der Strafmündigkeitsgrenze nach oben oder unten (je nach aktueller Situation und Interessenlage) diskutiert.
Die Problematik der Kinderdelinquenz wird (in der jüngeren Vergangenheit z.B. im Zeitraum des Regierungswechsel in Hamburg von der SPD zur CDU/ Schill-Partei im Jahr 2001 sowie CDU/ Schill-Partei zur CDU im Jahr 2004) z.T. massiv als Wahlkampfthema benutzt, wobei Erkenntnisse z.B. der Psychologie, der Kriminologie oder der Pädagogik kaum einbezogen werden. Anlass für eine starke Medienpräsenz des Themas Kinderdelinquenz bieten auch spektakuläre Einzelfälle (z.B. Amokläufe in Schulen oder ausgeprägte Mobbingvorfälle unter Kindern). Soweit Bezug auf Daten der PKS genommen wird, um einen Anstieg einer "Kinderkriminalität" zu belegen, ist dies ohne die gleichzeitige Darstellung der möglichen Verzerrungsfaktoren dieser Daten ggf. geeignet, in der Öffentlichkeit eine falsche - überzogene - Vorstellung des Ausmaßes delinquenten Verhaltens von Kindern zu erzeugen. Zusammen mit (durch Studien nicht belegten) Behauptungen z.B. zu Persönlichkeitsvariablen bei kindlichen Normverletzern, die ein solches Verhalten quasi bedingen, kann dies zu Tendenzen in der Meinungsbildung führen, den Präventionsgedanken als Reaktion auf delinquentes kindliches Verhalten allgemein zugunsten einer Betonung repressiver Vorgehensweisen zurückzustellen. Da zudem die Altersgrenze eher normativ-politisch als z.B. entwicklungspsychologisch begründet ist und für andere Bereiche gesellschaftlichen Handelns (z.B. eine zivilrechtliche Volljährigkeit) andere - höhere - Altersgrenzen festgelegt sind, wird wiederkehrend über eine Veränderung der Strafmündigkeitsgrenze nach oben oder unten (je nach aktueller Situation und Interessenlage) diskutiert.
    
    
===Kinderdelinquenz als Prädiktor für späteres kriminelles Verhalten? Was ist mit Prävention?===
==Zusammenhänge mit anderen Begriffen==
Retrospektive Untersuchungen an Rückfalltätern zeigen, dass diese häufig als Kinder früh wegen strafbarer Handlungen auffielen. Umgekehrt finden sich aber keine belastbaren Daten dafür, dass das Tatalter oder die Häufigkeit delinquenten Verhaltens in der Kindheit eine Prognose späterer Kriminalität erlaubt. <br>
Hinweise auf eine Kumulation von Belastungsfaktoren und auf nicht erfolgreiche Interventionsbemühungen im Vorfeld bei sog. Intensivtätern machen deutlich, dass präventive Bestrebungen ggf. noch gezielter im Hinblick auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit der beteiligten Personen und Institutionen und z.B. auf eine Verbesserung der Sozialisationsbedingungen von Kindern ausgerichtet werden könnten. Zeitnahe Reaktionen auf delinquentes kindliches Verhalten im Sinne einer Normverdeutlichung (nicht einer Strafe)befördert die Entwicklung eines Normenverständnisses bei Kinder (welches durchaus bei den meisten Kindern Studien zufolge anzutreffen ist) und eine Internalisierung, die es den Kindern im weiteren Verlauf erlaubt, bewusst Entscheidungen für (oder auch gegen) ein normenkonformes Verhalten zu treffen.<br>
Eine sachliche Darstellung des Phänomens kindlicher Delinquenz in der Öffentlichkeit und eine zurückhaltende Interpretation von Daten der PKS kann eine Skandalisierung entwicklungspsychologisch normaler Verhaltensweisen vermeiden und Stigmatisierungsprozesse verhindern helfen.
 
===Zusammenhänge mit anderen Begriffen===


[[Devianz]], [[Jugendkriminalität]], [[Jugendgewalt]], [[abweichendes Verhalten]], [[Kinderkriminalität]]
[[Devianz]], [[Jugendkriminalität]], [[Jugendgewalt]], [[abweichendes Verhalten]], [[Kinderkriminalität]]


===Literatur===
==Literatur==


*Bott, Klaus/Reich, Kerstin/Kerner, Hans-Jürgen: Kriminalitätsvorstellungen von Kindern, In: Praxis der Rechtspsychologie 16. Jahrgang, Heft 1/2 Juli 2006 Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn (S. 8-29)
*Bott, Klaus/Reich, Kerstin/Kerner, Hans-Jürgen: Kriminalitätsvorstellungen von Kindern, In: Praxis der Rechtspsychologie 16. Jahrgang, Heft 1/2 Juli 2006 Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn (S. 8-29)
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*Heßler, Manfred: Institutioneller Umgang mit Kinderdelinquenz am Beispiel von Polizei und Jugendamt - Rechtlicher Rahmen, tatsächliche Praxis und aktuelle Entwicklungen, In: Praxis der Rechtspsychologie 16. Jahrgang, Heft 1/2 Juli 2006 Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn (S. 94-119)
*Heßler, Manfred: Institutioneller Umgang mit Kinderdelinquenz am Beispiel von Polizei und Jugendamt - Rechtlicher Rahmen, tatsächliche Praxis und aktuelle Entwicklungen, In: Praxis der Rechtspsychologie 16. Jahrgang, Heft 1/2 Juli 2006 Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn (S. 94-119)
*Holzmann, Alexa: Polizeilicher Umgang mit unter 14-jährigen Tatverdächtigen, Eine kritische Analyse der PDV 382, 2008 Verlag Dr. Kovac, Hamburg
*Holzmann, Alexa: Polizeilicher Umgang mit unter 14-jährigen Tatverdächtigen, Eine kritische Analyse der PDV 382, 2008 Verlag Dr. Kovac, Hamburg
*Plewig, Hans-Joachim: Was braucht der kleine Willy? In: Müller, Siegfried/Peter, Hilmar (Hrsg.): Kinderkriminalität, 1998 Leske + Budrich, Opladen(S. 277-288).
*Plewig, Hans-Joachim: Was braucht der kleine Willy? In: Müller, Siegfried/Peter, Hilmar (Hrsg.): Kinderkriminalität, 1998 Leske + Budrich, Opladen (S. 277-288).
*Pongratz, Eckhard L.: Zum Umgang mit kindlichen Auffälligkeiten. Eine Untersuchung zum Dunkelfeld und zur Prävention von Kinderdelinquenz in Grundschulen, 2000 Weißer Ring Verlags-GmbH, Mainz
*Pongratz, Eckhard L.: Zum Umgang mit kindlichen Auffälligkeiten. Eine Untersuchung zum Dunkelfeld und zur Prävention von Kinderdelinquenz in Grundschulen, 2000 Weißer Ring Verlags-GmbH, Mainz
*Pongratz, Lieselotte/Jürgensen, Peter: Kinderdelinquenz und kriminelle Karrieren. Eine statistische Nachuntersuchung delinquenter Kinder im Erwachsenenalter, 1990 Centaurus, Pfaffenweiler  
*Pongratz, Lieselotte/Jürgensen, Peter: Kinderdelinquenz und kriminelle Karrieren. Eine statistische Nachuntersuchung delinquenter Kinder im Erwachsenenalter, 1990 Centaurus, Pfaffenweiler  
*Reuter, Dirk: Kinderdelinquenz und Sozialkontrolle, 2001 Verlag Dr. Kovac, Hamburg
*Reuter, Dirk: Kinderdelinquenz und Sozialkontrolle, 2001 Verlag Dr. Kovac, Hamburg
*Weitekamp, Elmar/Meier, Ulrike: Werden unsere Kinder immer krimineller? In: Müller, Siegfried/ Peter, Hilmar (Hrsg.): Kinderkriminalität, 1998 Leske + Budrich, Opladen, S. 83-112 (83-85, 98f, 111)
*Remschmidt, Helmut/Walter, Reinhard (2009) "Kinderdelinquenz". Gesetzesverstöße Strafunmündiger und ihre Folgen. Heidelberg: Springer.
*Weitekamp, Elmar/Meier, Ulrike: Werden unsere Kinder immer krimineller? In: Müller, Siegfried/ Peter, Hilmar (Hrsg.): Kinderkriminalität, 1998 Leske + Budrich, Opladen (S. 83-112)




Weitere Informationen zum Stichwort Kinderdelinquenz finden Sie im Kriminologie-Lexikon ONLINE unter [http://www.krimlex.de/artikel.php?BUCHSTABE=K&KL_ID=98 Kinderdelinquenz].
Vgl. auch: Kriminologie-Lexikon ONLINE unter [http://www.krimlex.de/artikel.php?BUCHSTABE=K&KL_ID=98 Kinderdelinquenz].

Aktuelle Version vom 9. Februar 2010, 19:32 Uhr

Kinderdelinquenz ist kindliches Verhalten, das - würde es von einer strafmündigen Person ausgeführt - im Sinne des Strafrechts als eine Straftat verstanden werden würde, das aber mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Umgangs mit Kindern unterhalb der Strafmündigkeitsgrenze auch sprachlich nicht dem Bereich der strafrechtlich verstandenen Kriminalität zugeordnet werden soll und deshalb in aller Regel nicht als "Kriminalität", sondern als "Delinquenz" bezeichnet wird. Das impliziert als Reaktion eher erzieherische Einwirkungen als kriminalrechtliche Sanktionierungen.

Abgrenzung vom Kriminalitätsbegriff

  • Der Begriff "Kriminalität" beinhaltet einen bewussten Normenverstoß, insofern ein "tatbestandliches, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten", welches einer Strafverfolgung und ggf. Bestrafung zugänglich ist. Kinder unter 14 Jahren können sich in Deutschland "tatbestandlich" und "rechtswidrig", aber nicht "schuldhaft" verhalten, da nach § 19 StGB eine "unwiderlegbare Vermutung der Schuldunfähigkeit" für bei Begehung einer Tat unter 14-Jährige vorliegt.
  • Von Kindern realisiertes von Normen abweichendes Verhalten ist im Rahmen der kindlichen Sozialisation unter Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Aspekte einzuordnen: Um eine gesellschaftlich festgelegte Norm befolgen zu können, muss diese zunächst kennengelernt, verstanden und ausprobiert werden, ggf. müssen Erfahrungen mit Konsequenzen auf Normverstöße gemacht werden. Erst durch einen Prozess des Internalisierens von außen vorgegebener Normen wird eine Grundlage dafür geschaffen, bei Verstößen gegen die Norm eine Vorwerfbarkeit (im Sinne eines absichtsvollen normübertretenden Verhaltens) annehmen zu können.
  • Die begriffliche Unterscheidung weist auch auf eine unterschiedliche Reaktionsweise gegenüber kindlichen vs. erwachsenen Normen brechenden Verhaltens hin: Während auf (erwachsene) Kriminalität repressiv zu reagieren ist, soll auf (kindliche) Delinquenz präventiv reagiert werden.

Umfang und Erscheinungsformen

Umfang

In der Polizeilichen Kriminalstatistik PKS erfasste Daten des sog. Hellfeldes bedürfen vor einer Interpretation bezogen auf die Entwicklung der Kriminalität der Ergänzung und Kontrastierung durch weitere Datenquellen (z.B. durch eine statistikbegleitende Dunkelfeldforschung oder Daten aus Staatsanwaltschaft und Justiz). Auf diese Weise können z.B. Veränderungen im Anzeigeverhalten, institutionelle Bewertungsvorgänge oder Veränderungen normativer Rahmenbedingungen einbezogen werden, die Auswirkungen auf die erhobenen Zahlen haben (können).

Bezogen auf den Bereich Kinderdelinquenz bestehen dabei verschiedene Schwierigkeiten: Risiken von Fehlern in der Erfassung und rechtlichen Bewertung sowie in der qualitativen Interpretation der Daten sind deutlich ausgeprägter als bei strafmündigen Personen. Zu Fragen ist z.B., ob die Registrierung unter 6-jähriger Kinder als tatverdächtig mit dem Entwicklungsstand von Kindern dieses Alters vereinbar ist, ob ein Kind diesen Alters also bewusst normverletzend gehandelt haben kann. Auch eine Mitregistrierung von Kindern als Tatverdächtige, wenn sie sich (ohne eigenen Tatbeitrag) in einer Gruppe von Personen, die eine Straftat begangen haben, befunden haben, lässt die Annahme einer Normabweichung dieses - registrierten - Kindes diskutierbar erscheinen. Auch fehlt bei Kindern die Möglichkeit der Prüfung und ggf. der Korrektur eines polizeilichen Tatverdachtes durch die Justiz, da ein Strafverfahren gegen sie nicht weitergeführt werden kann.
Unter der Annahme, dass im Fall strafunmündiger Täter die Anzeigehäufigkeit niedrig ist, führt schon ein geringfügiger Wandel der Anzeigebereitschaft bezogen auf Kinder zu erheblichen Veränderungen der Daten. Schließlich ist einzubeziehen, dass Veränderungen der personellen Kapazitäten z.B. der Polizei zu ggf. gravierenden Veränderungen in der Registrierung strafunmündiger Kinder führen können, ohne dass ein tatsächlich erhöhtes Aufkommen normabweichenden Verhaltens in dieser Altersgruppe vorhanden sein muss.

Insgesamt finden sich in der PKS wellenförmige Verläufe in der Entwicklung der Tatverdächtigenanteile von Kindern, die unter dem Vorbehalt möglicher verzerrender Einflussfaktoren zu sehen sind. Eine kontinuierliche Verjüngung der Tatverdächtigen im Hellfeld läßt sich (bis 2005) anhand der Daten nicht belegen. Auch eine deutliche Zunahme von Mehrfach- oder Intensivtätern lässt sich nicht ableiten. Ein zunehmender Trend findet sich bis etwa 2004 bezogen auf einfache und qualifizierte Körperverletzung, wobei Gewalt-, Körperverletzungs- und Drogendelikte den kleinsten Teil der Kinderdelinquenz ausmachen. Bei dem größten Anteil der Kinderdelinquenz, den Eigentumsdelikten, ist ab Mitte der 90er Jahre ein deutlicher Rückgang festzustellen. Der Vergleich der Tatverdächtigenanteile der strafunmündigen Kinder an der Gesamtkriminalität zeigt, dass die registrierte Kinderdelinquenz zwar gestiegen ist, insgesamt aber nach wie vor nur einen geringen Anteil ausmacht.
Die Datenlage zur Erfassung des Umfangs und der Struktur der Kinderdelinquenz ist in Deutschland noch als unzureichend anzusehen. Eine alleinige Interpretation der Hellfelddaten der Polizei sollte im Bereich der Kinderdelinquenz zurückhaltend erfolgen.

Um Reaktionen der Jugendhilfe für die Kinder und die Familien sinnvoll und nutzbar zu machen, ist eine zeitnahe Reaktion erforderlich, was häufig aufgrund von unterschiedlichen Verfahrensweisen der beteiligten Institutionen (z.B. Polizei und Jugendamt) nicht erfolgt. Ein weiterer Aspekt ist die Bereitstellung ausreichender auch personeller Ressourcen, um auf eingehende Meldungen oder Hinweise auf kindliche Auffälligkeiten oder Delinquenz mit einem pädagogisch angemessenen Angebot reagieren zu können.

Formen

Delikte von Kindern, die nach strafrechtlichen Definitionen als Straftaten angesehen werden, treten meist nicht als bewusste Normbrüche, sondern im Rahmen aus entwicklungspsychologischer Sicht normalen kindlichen, explorativen Verhaltens auf, wobei es zu Grenzüberschreitungen kommen kann. Kinderdelinquenz tritt häufig in der Freizeit auf und ist durch typisch kindliche Motive, emotional gesteuerte Begehensweisen und eine Verteilung der Verantwortung auf die Gruppe gekennzeichnet. Häufig stehen ein Streben nach Anerkennung insbesondere in der peer-group und nach Statussymbolen im Vordergrund. Delinquente Verhaltensweisen sind häufig Laden- und Fahrraddiebstahl, Sachbeschädigung oder leichte Körperverletzung, sie werden meist spontan und unüberlegt realisiert.
Kinderdelinquenz richtet sich häufig gegen etwa gleichaltrige Opfer. Vor allem Gewaltdelikte, bei denen Kinder Täter sind, ereignen sich in der Regel im näheren Wohnumfeld, so dass von Täter-Opfer-Beziehungen auszugehen ist.

Verlaufsformen

Sanktionierungen

Kinderdelinquenz als Prädiktor für späteres kriminelles Verhalten?

Retrospektive Untersuchungen an Rückfalltätern zeigen, dass diese häufig als Kinder früh wegen strafbarer Handlungen auffielen. Umgekehrt finden sich aber keine belastbaren Daten dafür, dass das Tatalter oder die Häufigkeit delinquenten Verhaltens in der Kindheit eine Prognose späterer Kriminalität erlaubt.
Hinweise auf eine Kumulation von Belastungsfaktoren und auf nicht erfolgreiche Interventionsbemühungen im Vorfeld bei sog. Intensivtätern machen deutlich, dass präventive Bestrebungen ggf. noch gezielter im Hinblick auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit der beteiligten Personen und Institutionen und z.B. auf eine Verbesserung der Sozialisationsbedingungen von Kindern ausgerichtet werden könnten. Zeitnahe Reaktionen auf delinquentes kindliches Verhalten im Sinne einer Normverdeutlichung (nicht einer Strafe)befördert die Entwicklung eines Normenverständnisses bei Kinder (welches durchaus bei den meisten Kindern Studien zufolge anzutreffen ist) und eine Internalisierung, die es den Kindern im weiteren Verlauf erlaubt, bewusst Entscheidungen für (oder auch gegen) ein normenkonformes Verhalten zu treffen.
Eine sachliche Darstellung des Phänomens kindlicher Delinquenz in der Öffentlichkeit und eine zurückhaltende Interpretation von Daten der PKS kann eine Skandalisierung entwicklungspsychologisch normaler Verhaltensweisen vermeiden und Stigmatisierungsprozesse verhindern helfen.

Entstehungsbedingungen

Mit der Auflösung der Großfamilie, veränderten Erziehungsstilen oder einer zunehmenden Berufstätigkeit der Eltern außer Haus veränderte sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Damit einhergehend verringerten sich die innerfamiliären Kontakte und die Beaufsichtigung der Kinder durch die Eltern, aber auch die innerfamiliären Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder. Kinder orientier(t)en sich zunehmend an außerfamiliären Personen, z.B. in der Gleichaltrigengruppe (peer group), an Lehrkräften oder Rollenvorbildern in den Medien (Fernsehen, Internet). Eine Sozialisation und damit auch die Vermittlung von Normen erfolgt(e) insofern zunehmend nicht mehr (vorwiegend) innerhalb des familiären Verbandes.
Durch veränderte Sozialisationsbedingungen, Indivualisierungstendenzen und einen Strukturwandel der Kindheitsphase werden Kinder zunehmend Freiheiten zugewiesen und sie werden zu einer früheren Verselbstständigung angehalten, die nicht unbedingt ihrem Entwicklungsstand entspricht. Zum Erwerb eines Moral- und Normenverständnisses als Grundlage für eine bewusste Entscheidung, sich diesen entsprechend verhalten zu wollen, sind Kinder auf die Vorgabe eines verbindlichen Rahmens, auf Vorbilder und die Bereitschaft ihrer Bezugspersonen, sich mit ihnen über Normen und soziale Regeln auseinanderzusetzen, angewiesen.
Normen verletzendes Verhalten stellt ein entwicklungspsychologisch gesehen normales Phänomen dar, soweit es sich um ein episodenhaftes Verhalten handelt. Ein solches Verhalten ist nicht in unmittelbarer Abhängigkeit von besonderen Belastungsfaktoren in der kindlichen Umwelt zu sehen. So weisen Studien darauf hin, dass zu kindlichen Delinquenten keine signifikanten Hinweise auf Auffälligkeiten bezogen auf eine psychosoziale Belastung oder z.B. bestimmte Persönlichkeitsmerkmale dieser Kinder festgestellt werden können.
Soweit (eine vergleichsweise kleine Zahl) Kinder in großem Umfang oder durch besonders gravierende Delikte auffällig werden, finden sich dagegen Hinweise auf eine Kumulation familiärer, individueller und sozialer Belastungsfaktoren sowie häufig eine Vorgeschichte nicht erfolgreicher Interventions- und Hilfeangebote. Einzubeziehen ist, dass ggf. nicht "schwierige Kinder", sondern "Kinder in schwierigen Situationen" durch häufige Delinquenz auffällig werden.Einzubeziehen ist weiter, dass sozial benachteiligte Kinder aus verschiedenen Gründen (größere Aufmerksamkeit seitens der Institutionen, geringere Fähigkeiten zur Vermeidung einer Entdeckung) ggf. vermehrt als mit delinquentem Verhalten auffällig registriert werden, so dass sie im Hellfeld der registrierten Kinderdelinquenz überrepräsentiert sein können.

Öffentliche Wahrnehmung / Einfluss von Politik und Medien

Die Problematik der Kinderdelinquenz wird (in der jüngeren Vergangenheit z.B. im Zeitraum des Regierungswechsel in Hamburg von der SPD zur CDU/ Schill-Partei im Jahr 2001 sowie CDU/ Schill-Partei zur CDU im Jahr 2004) z.T. massiv als Wahlkampfthema benutzt, wobei Erkenntnisse z.B. der Psychologie, der Kriminologie oder der Pädagogik kaum einbezogen werden. Anlass für eine starke Medienpräsenz des Themas Kinderdelinquenz bieten auch spektakuläre Einzelfälle (z.B. Amokläufe in Schulen oder ausgeprägte Mobbingvorfälle unter Kindern). Soweit Bezug auf Daten der PKS genommen wird, um einen Anstieg einer "Kinderkriminalität" zu belegen, ist dies ohne die gleichzeitige Darstellung der möglichen Verzerrungsfaktoren dieser Daten ggf. geeignet, in der Öffentlichkeit eine falsche - überzogene - Vorstellung des Ausmaßes delinquenten Verhaltens von Kindern zu erzeugen. Zusammen mit (durch Studien nicht belegten) Behauptungen z.B. zu Persönlichkeitsvariablen bei kindlichen Normverletzern, die ein solches Verhalten quasi bedingen, kann dies zu Tendenzen in der Meinungsbildung führen, den Präventionsgedanken als Reaktion auf delinquentes kindliches Verhalten allgemein zugunsten einer Betonung repressiver Vorgehensweisen zurückzustellen. Da zudem die Altersgrenze eher normativ-politisch als z.B. entwicklungspsychologisch begründet ist und für andere Bereiche gesellschaftlichen Handelns (z.B. eine zivilrechtliche Volljährigkeit) andere - höhere - Altersgrenzen festgelegt sind, wird wiederkehrend über eine Veränderung der Strafmündigkeitsgrenze nach oben oder unten (je nach aktueller Situation und Interessenlage) diskutiert.

Zusammenhänge mit anderen Begriffen

Devianz, Jugendkriminalität, Jugendgewalt, abweichendes Verhalten, Kinderkriminalität

Literatur

  • Bott, Klaus/Reich, Kerstin/Kerner, Hans-Jürgen: Kriminalitätsvorstellungen von Kindern, In: Praxis der Rechtspsychologie 16. Jahrgang, Heft 1/2 Juli 2006 Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn (S. 8-29)
  • Brettfeld, Katrin: Umfang, Struktur und Entwicklung der Kinderdelinquenz: Befunde und Aussagekraft der polizeilichen Kriminalstatistik für Deutschland, In: Praxis der Rechtspsychologie 16. Jahrgang, Heft 1/2 Juli 2006 Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn (S. 30-52)
  • Drenkhahn, Kirstin: Rechtliche Reaktionsmöglichkeiten auf Kinderdelinquenz im europäischen Vergleich, In: Praxis der Rechtspsychologie 16. Jahrgang, Heft 1/2 Juli 2006 Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn (S. 82-93)
  • Feest, Johannes: Kinderkriminalität In: Kaiser, Günther/Kerner, Hans-Jürgen/Sack, Fritz/Schellhoss, Hartmut (Hrsg.): Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3.Auflage, 1993 C.F. Müller Juristischer Verlag Heidelberg (S. 210-214)
  • Heßler, Manfred: Institutioneller Umgang mit Kinderdelinquenz am Beispiel von Polizei und Jugendamt - Rechtlicher Rahmen, tatsächliche Praxis und aktuelle Entwicklungen, In: Praxis der Rechtspsychologie 16. Jahrgang, Heft 1/2 Juli 2006 Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn (S. 94-119)
  • Holzmann, Alexa: Polizeilicher Umgang mit unter 14-jährigen Tatverdächtigen, Eine kritische Analyse der PDV 382, 2008 Verlag Dr. Kovac, Hamburg
  • Plewig, Hans-Joachim: Was braucht der kleine Willy? In: Müller, Siegfried/Peter, Hilmar (Hrsg.): Kinderkriminalität, 1998 Leske + Budrich, Opladen (S. 277-288).
  • Pongratz, Eckhard L.: Zum Umgang mit kindlichen Auffälligkeiten. Eine Untersuchung zum Dunkelfeld und zur Prävention von Kinderdelinquenz in Grundschulen, 2000 Weißer Ring Verlags-GmbH, Mainz
  • Pongratz, Lieselotte/Jürgensen, Peter: Kinderdelinquenz und kriminelle Karrieren. Eine statistische Nachuntersuchung delinquenter Kinder im Erwachsenenalter, 1990 Centaurus, Pfaffenweiler
  • Reuter, Dirk: Kinderdelinquenz und Sozialkontrolle, 2001 Verlag Dr. Kovac, Hamburg
  • Remschmidt, Helmut/Walter, Reinhard (2009) "Kinderdelinquenz". Gesetzesverstöße Strafunmündiger und ihre Folgen. Heidelberg: Springer.
  • Weitekamp, Elmar/Meier, Ulrike: Werden unsere Kinder immer krimineller? In: Müller, Siegfried/ Peter, Hilmar (Hrsg.): Kinderkriminalität, 1998 Leske + Budrich, Opladen (S. 83-112)


Vgl. auch: Kriminologie-Lexikon ONLINE unter Kinderdelinquenz.