Geschichte und Kriminologie: Unterschied zwischen den Versionen

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*Dinges, Martin .. unsichere grossstädte?
*Dinges, Martin .. unsichere grossstädte?
*Dölling, 1989
*Dölling, 1989
*[http://www.jstor.org/discover/10.2307/1147697?uid=3737864&uid=2&uid=4&sid=21102389093631 Eisner, Manuel (2003) Long-Term Historical Trends in Violent Crime. Crime and Justice Vol. 30: 83-142].
*[http://books.google.de/books?id=ty9h5XlIbxsC&pg=PA7&source=gbs_toc_r&cad=4#v=onepage&q&f=false Elias, Norbert (2009) Was ist Soziologie? 11. Aufl. Weinheim: Juventa].
*[http://books.google.de/books?id=ty9h5XlIbxsC&pg=PA7&source=gbs_toc_r&cad=4#v=onepage&q&f=false Elias, Norbert (2009) Was ist Soziologie? 11. Aufl. Weinheim: Juventa].
*Emsley, Clive, and Louis A. Knafla, eds. (1996) Crime History and Histories of Crime: Studies in the Historiography of Crime and Criminal Justice in Modern History (Contributions in Criminology and Penology). Westport, CT and London: Greenwodd Press.
*Emsley, Clive, and Louis A. Knafla, eds. (1996) Crime History and Histories of Crime: Studies in the Historiography of Crime and Criminal Justice in Modern History (Contributions in Criminology and Penology). Westport, CT and London: Greenwodd Press.

Version vom 27. Juni 2013, 10:02 Uhr

Das Verhältnis zwischen den akademischen Disziplinen Geschichte und Kriminologie war lange Zeit durch beidseitiges Desinteresse gekennzeichnet. Weder interessierte sich die Historiographie für Kriminalität - noch war Geschichte ein Thema für Kriminologen.

Kriminologie war am Pflock der Aktualität fest angebunden. Sie war zu einem erheblichen Teil zudem Kriminalanthropologie. Wo sie das nicht war, war sie forensischen Zwecken der Gegenwart verpflichtet: der Frage nach dem sozialen Milieu des Straftäters, dem Ziel seiner Resozialisierung, der Verbesserung des Strafvollzugs und des Strafjustizsystems. Dass der Blick in die Vergangenheit da viel bringen könnte, war kein Gedanke, der in der Frühzeit der Kriminologie irgend jemanden inspiriert zu haben scheint.

Auch wenn es stimmt, dass die Figur des Turiner Arztes, Psychiaters und Kriminalanthropologen Cesare Lombroso in der deutschsprachigen Kriminalwissenschaft im weitesten Sinne eher abwehrende Reaktionen hervorrief (Baer, Näke, v. Liszt), so führt doch kein Weg um die Anerkenntnis herum, dass die Suche nach Tätertypen einen Großteil der Energie in der frühen Kriminologie absorbierte.

Eine Wissenschaft, die sich von der Aufgabe faszinieren lässt, den typischen Dieb vom typischen Vergewaltiger und diesen vom typischen Mörder zu unterscheiden, findet so schnell natürlich keine Schnittstelle zur Geschichtswissenschaft - außer vielleicht zur Geschichte der Evolution.

Ungeachtet der Ablehnungsfront stellte Lombroso deshalb in der Frühzeit der Kriminologie die herausragende Figur dar. Er veröffentlichte seine wichtigsten Werke zwischen 1875 und 1909 und stand ganz im Banne von Charles Darwin und dessen Werk über Die Entstehung der Arten (1859).

Lombroso glaubte, die Existenz geborener Verbrecher (Enrico Ferri) nachweisen zu können, also des homo delinquens als einer Unterart des homo sapiens. Danach waren geborene Verbrecher nichts anderes als die Vertreter einer früheren Entwicklungsphase des Menschengeschlechts - bezeugt durch die körperlichen Merkmale menschlicher Urahnen. So wie es auch bei anderen Arten Atavismen gab - also Rückschläge der Evolution - so gab es sie beim Menschen auch. Und der auffälligste Atavismus beim homo sapiens war eben der Verbrechermensch, auch homo criminalis genannt.

Nach seiner eigenen Darstellung - die später von seiner Tochter Gina noch ausgeschmückt wurde - machte Lombroso diese Entdeckung im Jahre 1872, als er die Hirnschale eines damals berühmt-berüchtigten Räubers namens Giuseppe Villella in Händen hielt:

"Beim Anblick dieser Hirnschale glaubte ich ganz plötzlich, das Problem der Natur des Verbrechens zu schauen. Ein atavistisches Wesen, das in seiner Person die wilden Instinkte der primitiven Menschheit und der niederen Tiere wieder hervorbringt. So wurden anatomisch verständlich: die enormen Kiefer, die hohen Backenknochen, die bei Verbrechern, Wilden und Affen gefunden werden, die Fühllosigkeit gegen Schmerzen, (...) und die unwiderstehliche Begierde nach Bösem um seiner selbst willen."

Die Vorstellung, dass äußere Merkmale wie eine bestimmte Schädelform oder zusammengewachsene Augenbrauen auf eine atavistische, d.h. niedrigere und gewalttätigere Anlage zum Verbrecher hindeuteten, und dass Verbrecher mit den aggressiveren, nicht kulturell domestizierten Vorfahren des heutigen Menschen durch eine direkte Verwandtschaft verbunden seien, trieb bekanntlich seltsame Blüten. Hier ein Beispiel aus der deutschen Übersetzung des Uomo delinquente von 1894 (S. 229-231)):

„Diebe haben im allgemeinen sehr bewegliche Gesichtszüge und Hände; ihr Auge ist klein, unruhig, oft schielend; die Brauen gefältet und stoßen zusammen; die Nase ist krumm oder stumpf. Der Bart spärlich, das Haar seltener dicht, die Stirn fast immer klein und fliehend, das Ohr oft henkelförmig abstehend (...). - Die Mörder haben einen glasigen, eisigen, starren Blick, ihr Auge ist bisweilen blutunterlaufen. Die Nase ist groß, oft eine Adler- oder vielmehr Habichtsnase; die Kiefer starkknochig, die Ohren lang, die Wangen breit, die Haare gekräuselt, voll und dunkel, der Bart oft spärlich, die Lippen dünn, die Eckzähne groß (...). - Im allgemeinen sind bei Verbrechern von Geburt die Ohren henkelförmig, das Haupthaar voll, der Bart spärlich, die Stirnhöhlen gewölbt, die Kinnlade enorm, das Kinn viereckig oder hervorragend, die Backenknochen breit – kurz ein mongolischer oder bisweilen negerähnlicher Typus vorhanden.“

Auf die Gefahr der Wiederholung des Offensichtlichen hin: Es liegt auf der Hand, dass Geschichte als idiographische Wissenschaft, als Ereignisgeschichte, die es "mit individuellen Vorgängen und Zuständen der geschichtlichen Welt" (Wieacker 1967: 17) zu tun hat, in einem solchen Bezugsrahmen schlechterdings keine Rolle spielen kann, geht es doch allenfalls um die Diagnose biologischer Besonderheiten vor dem Hintergrund der Entwicklung der Arten.

So sprach denn auch Lombroso zeitlebens, wenn er die von ihm mitbegründete und mit-angeführte Wissenschaft meinte, nicht von der "Kriminologie" oder der "Wissenschaft vom Verbrechen" (Mergen 1961; Baumann 2006: 16), sondern immer nur von der Wissenschaft vom Verbrecher - und die nannte er, um keinen Zweifel an der Leitfunktion der Anthropologie aufkommen zu lassen, ganz bewusst "Kriminalanthropologie" (antropologia criminale, anthropologie criminelle). Gewiss gab es daneben noch konkurrierende Ideen - man denke etwa an die seit 1857 von Bénédict Auguste Morel propagierte Degenerationstheorie - oder an Enrico Ferris Kriminalsoziologie, die das Verbrechen ausdrücklich als soziale Erscheinung (1883) untersuchen wollte. Doch so wie einerseits Lombroso durchaus bereit war, auch sozialen Faktoren einen Einfluss zuzugestehen, so war andererseits auch sein Schüler und Freund Ferri - übrigens zugleich Chefredakteur der sozialistischen Parteizeitung Avanti! und als römischer Professor für ein Dutzende Jahre das Opfer eines politisch motivierten Berufsverbots, das er freilich produktiv zu nutzen wusste - alles andere als ein Kritiker der anthropologischen Schule. Im Gegenteil: er war überzeugt, allein durch den Anblick der Gefangenen, die sich in einem Gefängnishof aufhielten, die Diebe von den Vergewaltigern und diese von den Mördern unterscheiden zu können. So etabliert und so unangreifbar erschien seinerzeit die Lehre von der Existenz eines homo criminalis, bzw. uomo delinquente, also Verbrechermenschen, dass sich niemand mehr über die vielen gedruckten Schautafeln in den Lehrbüchern wunderte, auf denen eine Seite den typischen Betrügern, die nächste den Taschendieben und eine dritte den Mördern gewidmet war.

Ob man den Verbrecher nun mit Morel als ein Wesen ansah, bei dem sich die typischen Fähigkeiten des Menschen degenerativ zurückentwickelt hätten, oder aber als Wesen, das im Gegensatz zu seinen unmittelbaren Vorfahren durch eine Laune der Natur so aussah, als stamme es direkt von Vorfahren von einer längst überwundenen Stufe der Evolution ab - in beiden Fällen handelte es sich für die damaligen Zeitgenossen bei der Kriminalität nicht um ein Phänomen der Kultur, sondern der Natur und mithin eben nicht um eine Angelegenheit der Historiographie.

Dass die lombrosianische Kriminalanthropologie zu keinem Zeitpunkt allgemein anerkannt war, dass er immer Widersacher und Kritiker hatte - und zwar insbesondere in Frankreich mit Gabriel Tarde (1843-1904) und Alexandre Lacassagne (1843-1924), dessen Ausspruch "Die Gesellschaften haben die Verbrecher, die sie verdienen" ihn jedenfalls in vielfältigen Variationen bis heute überlebte - dass Lombroso selbst dazu überging, auch soziale und politische Faktoren mit einzubeziehen, alles das genügte angesichts der dominierenden Fixierung auf die Tätertypen jedenfalls bei weitem nicht, um dem Gedanken an historische Forschungen den Raum und die Gelegenheiten zu verschaffen, praktisch zu werden.


Geschichte des Gegenstands

So war denn die Beziehung zwischen Geschichte und Kriminologie während der längsten Zeit immer noch am treffendsten als Nicht-Verhältnis zu charakterisieren. Und so waren es auch weder die Geschichtswissenschaft stricto sensu noch die Kriminologie, die historische Forschungen über Verbrechen und Strafen zu Beginn des 20. Jahrhunderts voranbrachten. Wer sich solcher Themen gelegentlich annahm, war eher die Rechtsgeschichte. Man denke da an den Kölner Professor für Strafrecht, Zivil- und Strafprozessrecht und zeitweiligen Rektor der Albertus-Magnus-Universität, Gotthold Bohne (1890-1957) und seine 1922 und 1925 veröffentlichte Habilitationsschrift über die Freiheitsstrafe in den italienischen Stadtrechten des 12. bis 16. Jahrhunderts - oder an Gustav Radbruch und seine postum 1951 von Heinrich Gwinner publizierte Geschichte des Verbrechens mit dem Zusatztitel: Versuch einer historischen Kriminologie.

Diese historische Kriminologie befand sich damals und dann noch für längere Zeit in statu nascendi. Die Geburtsmetapher liegt auch wegen der Merkwürdigkeit nahe, dass zwei wichtige Werke sie in ihrem Titel bzw. Zusatztitel selbst verwenden. Nämlich im Jahre 1951 das Buch "Geburt der Strafe" des Kölner rechtswissenschaftlichen Privatdozenten und späteren außerordentlichen Professors Viktor Achter, in dem es um den Übergang von der Automatik der Sühne zur Bestrafung des Täters (im Hochmittelalter in Südfrankreich) ging - und dann, mit einem ganz anderen Donnerschlag, im Jahre 1975 das Buch "Überwachen und Strafen" des Philosophen und Psychologen Michel Foucault, dessen Zusatztitel bekanntlich "Die Geburt des Gefängnisses" lautete. Es war im Anschluss an den epochalen Erfolg dieses Werkes, dass sich Quantität und Qualität im Diskurs der historischen Kriminologie auf höchst erfreuliche Art zu mausern begannen. Wobei dahingestellt bleiben muss, inwiefern post hoc hier auch tatsächlich auf ein propter hoc verweist.

Jedenfalls begann nun eine Zeit zunehmender Bereicherung der historischen Kriminologie durch eine vergleichsweise Fülle von Arbeiten. In einer ersten Welle kam die Rezeption der britischen Sozialgeschichte in der Gestalt der Übersetzungen von Eric J. Hobsbawms (Übersetzung der Primitive Rebels von 1959 im Jahre 1962 als Sozialrebellen. Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert. Luchterhand, Neuwied/Berlin; dann wieder 1979 im Focus-Verlag, Gießen; die Bandits von 1969 erschienen auf deutsch 1972 als Die Banditen. Suhrkamp, Frankfurt (dann wieder 2007 unter dem Titel Die Banditen. Räuber als Sozialrebellen bei Hanser in München). Ich selbst erinnere mich aber noch mehr an die Faszination, die von Edward P. Thompsons 1975 in England erschienenen "Whigs and Hunters" und von dem von ihm herausgegebenen Band "Albion's Fatal Tree" ausging.

Danach erst kam es zu einer Annäherung zwischen Kriminologie und Geschichte auch in Deutschland, wobei das Verdienst der Initiative zu diesem Rendezvous mehr der Geschichtswissenschaft als der Kriminologie zukommt.

Aus der Sicht eines der Protagonisten der historischen Kriminalitätsforschung, Gerd Schwerhoff (Historiker an der TU Dresden):

Für die gegenwartsbezogenen Wissenschaften, nicht nur für die Jurisprudenz, sondern auch für die Gesellschaftswissenschaften, ist eine Beschäftigung mit Kriminalität seit Langem selbstverständlich, so selbstverständlich, dass sich mit der Kriminologie ein eigener Wissenschaftszweig entwickelt hat. Historiker taten sich allerdings meist schwer mit dem Thema ‚Kriminalität‘. Neben den Rechtshistorikern, die sich vor allem auf die Entwicklung der Rechtsnormen konzentrierten, die Rechtspraxis dagegen eher stiefväterlich behandelten und die sanktionierten Taten kaum betrachteten, waren es im deutschsprachigen Raum bis in die jüngere Vergangenheit eher wenige Exoten, die sich mit Kriminalität beschäftigten. Während im englisch- und französischsprachigen Raum Forschungen zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kriminalität blühten, tat sich im deutschsprachigen Raum wenig. Heute dagegen ist die historische Kriminalitätsforschung eine etablierte Subdisziplin der Geschichtswissenschaft, deren Ergebnisse und Fallstudien weithin anerkannt sind und, noch wichtiger, mit anderen sozial- und kulturhistorischen Forschungsfeldern eng vernetzt sind. - Ein Arbeitskreis an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der von 1991 bis 2010 zwanzig Zusammenkünfte in Stuttgart-Hohenheim veranstaltete, hat sehr wesentlich zu dieser Etablierung beigetragen. Die ersten Anstöße kamen dabei aus dem Kreis der Hexenforscher, die bereits 1985 einen eigenen Arbeitskreis (AK für Interdisziplinäre Hexenforschung) gegründet hatten. Auch Hexerei war, jedenfalls in der Frühen Neuzeit, ein Kriminaldelikt, und viele Diskussionen, die unter Hexenforschern geführt wurden, waren grosso modo auch für Kriminalitätshistoriker interessant. Gemeinsam war allen die Faszination für Gerichtsakten, für Quellen mithin, die nicht nur über die Rechtswirklichkeit Auskunft gaben, sondern die darüber hinaus als Schlüssellöcher taugten, um Blicke in die komplexe Alltagswelt vergangener Zeitalter zu riskieren. - Mit Andreas Blauert gab ein Hexenforscher die Anregung für ein erstes Treffen der „Krimi“-Historiker, eine Anregung, die Dieter R. Bauer als Geschichtsreferent der Akademie bereitwillig aufnahm. Über 20 Personen kamen Anfang Juni 1991 in Hohenheim zusammen, um Vorträge zu hören (z. T. konkrete Fallstudien, z. T. sehr programmatische Beiträge) und vor allem: um sich die Köpfe heißzureden und zu diskutieren! Darunter waren wenige Privatdozenten, viele mehr oder weniger frisch Promovierte und etliche Doktorandinnen und Doktoranden – jedoch kein etablierter Professor! Im Einleitungsreferat machte Gerd Schwerhoff diesen für die deutsche Tagungslandschaft eher ungewöhnlichen Tatbestand zum Gegenstand einer selbstreflexiven Betrachtung: „Dass sich über zwanzig Historikerinnen und Historiker der jüngeren Generation ohne finanziellen Anreiz und ohne die Aussicht auf kurzfristige innerwissenschaftliche Prämien mitten im Semester an einer katholischen Akademie zusammenfinden, um über ein in der deutschen Geschichtswissenschaft noch kaum etabliertes Gebiet ins Gespräch zu kommen, könnte aus der Sicht etablierter Vertreter der Zunft wenn nicht als ‚delinquent‘ so doch als ‚deviant‘ erscheinen. Würden wir uns diese Betrachtung zumindest probeweise einmal zueigen machen, dann könnten wir unser Treffen selbst zum Gegenstand einer kriminalsoziologischen Analyse machen und einige Theorien abweichenden Verhaltens auf ihre Anwendbarkeit testen. Naheliegend wäre z. B. die Adaption der Subkulturtheorie, in den USA vor allem von Forschern entwickelt, die sich mit dem Problem jugendlicher Straßengangs konfrontiert sahen. Sie gehen davon aus, dass die Subkultur von anderen Normen und Werten beherrscht wird als das Gesamtsystem. Ihre Mitglieder verhalten sich also durchaus normkonform, wenn auch nicht konform zu den Werten der Etablierten. Inwieweit diese Kriterien auf unser Treffen anwendbar sind, inwieweit wir uns über gemeinsame Normen und Werte verständigen können, wird die Tagung zeigen […]. Eine andere Möglichkeit des Zugangs böte der ‚labeling approach‘, der Etikettierungsansatz, der die Definition abweichenden Verhaltens durch die umgegebenen Instanzen der sozialen Kontrolle in den Mittelpunkt stellt. Unter diesem Blickwinkel würde sehr deutlich, dass unser Thema in Deutschland zwar gerade erst entdeckt wird, andernorts aber, in Frankreich, den Niederlanden oder der angelsächsischen Welt, fast schon ein ‚alter Hut‘ ist. Auch hierzulande, so kann man deshalb risikolos prognostizieren, wird es mit der Devianz der Kriminalitätshistoriker bald vorbei sein. […] Das stärkt die Aussicht auf stärkere Kommunikation und Vernetzung untereinander, auf mehr Tagungen und Publikationen […]. Andererseits ist es aber auch schade: Das Arbeiten jenseits ausgetretener Pfade ist ja durchaus reizvoll und interessant, Abweichung macht in gewisser Weise auch Spaß. In diesem Sinne hoffe ich, dass uns ein Schuss Devianz noch lange erhalten bleibt […].“

Die historische Kriminologie weist mehrere Schwerpunkte auf:

  1. Geschichte der Gerichtsverfahren und des Strafens: neben "Suveiller et punir" ist da vor allem Richard van Dülmen (1985) mit seinem Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München: C.H. Beck 1985 zu nennen (sowie der von ihm herausgegebene Band über Verbrechen, Strafen und soziale Kontrolle. Frankfurt: Fischer 1990. Dann kam bereits 1988 die 1987 in Paris veröffentlichte Arbeit des Kunsthistorikers Daniel Arasse (1987) über die Guillotine. Die Macht der Maschine und das Schauspiel der Gerechtigkeit (Rowohlt, Reinbek 1988)heraus (La Guillotine et l’imaginaire de la Terreur, éd. Flammarion, 1987). Zahlreiche Veröffentlichungen über die Geschichte von Zucht- und Arbeitshäusern, von Gefängnissen und von einzelnen Strafen - man denke auch an Pieter Spierenburg (Asouade) - kulminierten dann gewissermaßen in Richard Evans modernem Klassiker über die Rituale der Vergeltung, nämlich über vier Jahrhunderte der Todesstrafe in Deutschland(2001)
  2. Geschichte der Kriminalpolizei, besonders im Dritten Reich: Patrick Wagner über "Volksgemeinschaft ohne Verbrecher. Konzeptionen und Praxis der Kriminalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte. Bd. 34). Christians, Hamburg 1996, ISBN 3-7672-1271-4; dann ebenfalls von Patrick Wagner: ,Hitlers Kriminalisten. Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozialismus zwischen 1920 und 1960 (= Beck'sche Reihe 1498). Beck, München 2002, ISBN 3-406-49402-1. Nicht nur, aber auch zur Polizei forschten natürlich auch sehr vielseitig und schon gleichsam eine Generation vor Wagner: Alf Lüdtke und Herbert Reinke.
  3. Geschichte des Entstehens von, des Umgangs mit und des Vergehens von Einzeldelikten wie z.B. der Hexerei oder der Blasphemie (Schwerhoff). Wo die Geschichte von den Einzeldelikten zu Deliktsgruppen und der Kriminalität insgesamt übergeht, wo dann lange, sich über Jahrhunderte oder Jahrtausende erstreckende Entwicklungen etwa der Gewalt und der Gewaltkriminalität ins Auge gefasst werden, da wenden sich Historiker meist schaudernd ab und überlassen das Feld gerne den Generalisten wie z.B. Steven Pinker mit seiner kürzlich erschienenen The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined (2011) - auf Deutsch: Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit.

Es geht hier nicht um die Vollständigkeit der Aufzählung, sondern um Schlaglichter auf die Konjunktur der historischen Kriminalitätsforschung, die man - auch das sei gesagt - nicht ohne weiteres gleichsetzen kann mit historischer Kriminologie, was ja eine gewisse Leitfunktion speziell kriminologischer Theorien und Fragestellungen implizierte; dennoch bitte ich vorsorglich um Verzeihung für Auslassungen, Lücken und Nichterwähnungen aller Art. Auf jeden Fall zeigt diese kleine Aufzählung aber schon eines: dass es Historiker waren, die sich die historische Kriminalitätsforschung eroberten und die damit den Löwenanteil der Annäherung zwischen Geschichte und Kriminologie leisteten. Das heißt nicht, dass Kriminologen absolut untätig geblieben wären - ich denke da an die ausgesprochen illuminierende kleine Arbeit über "Die ursprüngliche Erfindung des Verbrechens" von Henner Hess und Johannes Stehr (1987) - aber insgesamt ist doch ein ganz gewaltiges Übergewicht der Historiker zu verzeichnen.

Aus der Sicht der Kriminologie ist dieses Ungleichgewicht auch ein bisschen schade. Warum? Man könnte ja froh sein, dass die anderen die Arbeit machen und man selbst das Vergnügen hat, in den Ergebnissen zu schmökern. Die Geschichte geht im wesentlichen idiographisch vor, das heißt sie befasst sich mit Einzelereignissen. Wie anders die durch und durch nomologisch orientierte Kriminologie. Sie klassifiziert, typisiert und systematisiert gesellschaftliche Prozesse im historischen und internationalen Vergleich - immer auf der Suche nach (einst) eher deterministisch eingefärbten, heutzutage (hingegen) durchweg eher bescheiden auf probabilistische Relationen zurechtgestutzten Wenn-Dann-Gesetzmäßigkeiten. Die Frage „Warum tritt dieses oder jenes Phänomen auf?“ wird aufgefasst als Frage „Aufgrund welcher allgemeinen Gesetze und konkreten Vorbedingungen tritt dieses oder jenes Phänomen auf? - Und dies bezogen auf die Vergangenheit (Erklärung) wie auf die Zukunft (Prognose)" (vgl. Hempel/Oppenheim 1948: 136). Derlei Fokussierung unter dem Gesichtspunkt der Erklärung durch Gesetzmäßigkeiten und der Weiterentwicklung der Theorien, die sich mit den Entwicklungen von Kriminalität und Kontrolle befassen, kommt dann leicht zu kurz.

Die Historiker die Arbeit machen zu lassen hat also nicht nur Vorteile, sondern auch einen nicht zu unterschätzenden Nachteil für die Kriminologie. Zugespitzt könnte man behaupten: die historische Kriminalitätsforschung hat ihren Ausgangspunkt in Fragestellungen der Historiographie, nicht der Kriminologie. Das ist der wichtigste Grund dafür, dass ihre Ergebnisse auch im Wesentlichen innerhalb der Geschichtswissenschaft und ihrer spezifischen Öffentlichkeit verbleiben, aber in der Kriminologie kaum rezipiert werden. Oder: sie geht nicht von der Kriminologie aus und sie kommt in der Kriminologie nicht an. Die Kriminologie - ausweislich ihrer Lehrbücher und Monographien, ihrer Curricula und ihrer Schwerpunkte - bleibt aus seltsame unberührt von der reichen, überwältigend reichhaltigen Ernte, die sie mittlerweile in die Scheuer gefahren hat.

Geschichte des Fachs

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Aufarbeitung der Geschichte der Kriminologie als Wissenschaft. Auch was die Fachgeschichte betrifft: zunächst eine Phase des allgemeinen Desinteresses. Weder die Kriminologie selbst noch die Geschichtswissenschaft interessiert sich für die Geschichte des Faches Kriminologie.

Dann eine Phase der Annäherung; wobei vor allem die bewegte Fachgeschichte der Kriminologie in Deutschland internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht (jur: Schütz 1972; Dölling 1989, Streng 1993). Kein Wunder, wenn man an die engen Beziehungen zwischen Kriminologie und kriminalpolitischer Praxis denkt und an die schnelle Abfolge unterschiedlichster und zum Teil extremer Regime in Deutschland zwischen 1870 und 1990: da gab es die deutschen Kleinstaaten und den Norddeutschen Bund, dann das Deutsche Kaiserreich von 1871, die Revolution von 1918, die Weimarer Republik, den NS-Staat von 1933 bis 1945, die deutsche Teilung in Bundesrepublik einer- und und Deutsche Demokratische Republik andererseits, und schließlich die Wiedervereinigung von 1990 durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Mit jedem Schritt änderten sich Regierungsformen, Verfassungen und/oder einfache Gesetze, Paragraphen des Strafgesetzbuchs, vorherrschende Anschauungen und die Grenzen zwischen erlaubt und verboten, legal und strafbar, sagbar und unsagbar. Und die Kriminologie als Wissenschaft aus der Praxis und für die Praxis der Bekämpfung von Kriminalität hatte es mit einem ständig wechselnden Begriffsinhalt ihres Gegenstands zu tun: was tun mit der Ursachenforschung, mit den Statistiken und den Langzeitverläufen von Kriminalität, wenn sich das, was darunter verstanden wurde, immer wieder und nicht selten auch grundlegend änderte? Was bedeutet das für die Kriminologie als Erkenntnissystem einerseits, wenn man alle Naslang unter völlig veränderten Bezugsrahmen zu forschen hat - und was für die Kriminologie als soziales System, in dem einzelne Professoren ihre Theorien zwischen Kaiserreich, Weimar, Nationalsozialismus und Bundesrepublik immer wieder anzupassen hatten - jedenfalls dann, wenn sie, was der Normalfall war, das oberste Ziel verfolgten, über alle Zeitläufte hinweg in erster Linie ihre Lehrstühle und ihren Status innerhalb der scientific community zu bewahren? Möglicherweise gibt es keine andere Disziplin, in der sich die Anpassungsprozesse von Wissenschaft(lern) an die politische Herrschaft besser untersuchen lässt als eben die Kriminologie. Insofern ist es schade, dass der Arbeit von Walter Fuchs (2008) über Franz Exner (1881-1947) und das Gemeinschaftsfremdengesetz: Zum Barbarisierungspotenzial moderner Kriminalwissenschaft, der mit großem Gewinn die Klassifikation von Dieter Langewiesche (1997) verwendete, noch keine Nachfolger gefunden hat, die einmal die gesamte Professorenschaft der Kriminologie unter dem Gesichtspunkt untersuchte, wie diese sich auf die vier Verhaltenstypen von (1) fachwissenschaftlicher und institutioneller Selbstbehauptung durch Distanz zur Politik; (2) illusionärer Selbstgleichschaltung; (3) nachholender Selbstgleichschaltung; (4) identifizierender Selbstgleichschaltung durch fachwissenschaftliche Vorausplanung nationalsozialistischer Programme und Praxis verteilten.

Ich nenne nur

  • 1999: Jan Telp: Ausmerzung und Verrat. Zur Diskussion um Strafzwecke und Verbrechensbegriffe im Dritten Reich. (Rechtshistorische Reihe; Bd. 192). Lang, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-631-34170-9; Zugl. München, Univ., Diss., 1998, insbesondere S. 161-206
  • 2000: Gerit Thulfaut:, Kriminalpolitik und Strafrechtslehre bei Edmund Mezger (1883-1962). Nomos, Baden-Baden 2000 (Munoz-Conde ... )
  • 2000: Wetzell, Richard F. (2000) Richard Wetzells Geschichte der deutschen Kriminologie von 1880 bis 1945 Inventing the Criminal: A History of German Criminology, 1880-1945. Chapel Hill & London: University of North Carolina Press (von demselben: "Gustav Aschaffenburg: German Criminology." In Enyclopedia of Criminological Theory, edited by Francis T. Cullen and Pamela Wilcox, 58-62. Los Angeles: Sage, 2010; "Die Rolle medizinischer Experten in Strafjustiz und Strafrechtsreformbewegung: Eine Medikalisierung des Strafrechts?" In Experten und Expertenwissen in der Strafjustiz von der Frühen Neuzeit bis zur Moderne, edited by Alexander Kästner and Sylvia Kesper-Biermann, 57-71. Leipzig: Meine-Verlag, 2008; "Der Verbrecher und seine Erforscher: Die deutsche Kriminologie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus." Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 8 (2006/2007): 256-279.
  • 2002: Verderbnis und Entartung. Eine Geschichte der Kriminologie des 19. Jahrhunderts als Diskurs und Praxis. Vandenhoeck und Ruprecht Verlag, Göttingen 2002 von Peter Becker, der bekanntlich auch noch mit einer Geschichte der Kriminalistik aufwartete
  • 2004: Silviana Galassis Kriminologie im Deutschen Kaiserreich. Geschichte einer gebrochenen Verwissenschaftlichung (auch 2004: Christian Müller: Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat: Psychiatrie, Kriminologie und Strafrechtsform in Deutschland. 1871-1933. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht).
  • 2006: Imanuel Baumanns (2006) Geschichte der Kriminologie und Kriminalpolitik in Deutschland von 1880 bis 1980

Aber auch hier gilt: die Erträge der Aufarbeitung der Fachgeschichte bleiben der Kriminologie äußerlich. Sie finden keinen Eingang in das Selbstverständnis, in die Lehrbücher, in die Selbstreflexion des Faches - sie verändern den Charakter der Kriminologie in keiner Weise. Es ist, als gäbe es sie nicht.

Ornamentaler Gebrauch der Geschichte

Die Geschichte gehört nach Nietzsche dem Leben und den Lebenden. Sie tut dies als monumentalische, als antiquarische und als kritische Historie. Die monumentalische gehört den Tätigen, den Strebenden, denen, die große Leistungen vollbringen wollen: sie liefert die Vorbilder, die Mut machen und Orientierung geben. Die antiquarische verleiht das Wissen um die eigene Herkunft, um die Wurzeln des Daseins, die Leistungen der Vorfahren und vermittelt auf diese Weise Geborgenheit und Identitätsgefühl, sie schützt und sie macht dankbar und schafft eine intergenerationelle Verantwortung. Die kritische Historie wiederum geht den Ursachen für die heutige Ungerechtigkeit und das heutige Leiden auf den Grund: sie gehört den Leidenden und den der Befreiung Bedürftigen.

Wenn wir uns die Rolle ansehen, die die Geschichte im harten Kern des kriminologischen Diskurses spielt, dann sehen wir hauptsächlich Monumentalisches und Antiquarisches, kaum aber Kritisches. Monumentalisch ist der andauernde Bezug auf die großen Männer des Faches: die Protagonisten und die Antagonisten, die großen Helden und die großen Schurken.

Was David Garland (1997) für den englischsprachigen Diskurs der Kriminologie beschrieb, hat auch für Deutschland Gültigkeit. Geschichte hat in den Lehrbüchern der Kriminologie einen festen Platz. Und dieser befindet sich in der Einleitung. Dass man auf die Geschichte eingeht, gehört zur Konvention. Wie geht man auf sie ein? Sehr komprimiert auf wenigen Seiten, sehr standardisiert nach immer demselben Strickmuster, vor allem aber sehr lustlos. Warum geht man überhaupt auf die Geschichte ein? Die Antwort lautet: einfacher lässt sich nicht beginnen. Zumal das Publikum in das Thema eingeführt wird: schon lange hat man über Kriminalität und Strafe nachgedacht, und der aktuelle Text, den ich, der Autor, hier vorlege, steht selbst in dieser langen Tradition.

Regelmäßig erkennt man in den lustlos und routiniert hingeschriebenen Hinweisen auf die Geschichte der Kriminologie keinen erkennbaren Zweck verfolgt jenseits dessen, dass es eben üblich ist und dass die Leserschaft ein paar solcher Bemerkungen erwarten. Ironischerweise, so Garland, hat aber genau diese mantramäßige Routine-Wiederholung überkommenen Wissens ganz unabhängig von ihrer wissenschaftlichen Qualität einen durchaus realen Einfluss.

  • Initiation. Das standardisierte Wieder-Erzählen einer Geschichte des Faches dient der Einführung junger Studierender in das Wissen, dass es die Kriminologie gibt, dass es sich um ein ehrwürdiges Fach handelt, und dass - was auch sonst immer streitig und unklar oder konturlos sein mag - zumindest die Geschichte ein stabiles und unerschütterliches Fundament dieser Disziplin darstellt. Woran erkennt man einen Kriminologen: daran, dass er die Namen Beccaria, Quetelet, Lombroso und Ferri kennt und einordnen kann.
  • Wenn es aber einen bescheidenen Anfang der Kriminologie gab, dann gibt es auch eine Linie vom Früher zum Heute, und der Weg von A nach B ist eine Linie fortschreitenden Wissens. Das, zumindest, scheint dann klar. Und das wiederum ist gut für die Identität als Kriminologe.
  • Die typische Abfolge von großen Männern in der Geschichte der Kriminologie lautet: zuerst war da die klassische Schule mit ihrem Repräsentanten Cesare Beccaria und dessen Hauptwerk Über Verbrechen und Strafen aus dem Jahre 1764. Dann kamen Adolphe Quetelet und die sogenannten Moralstatistiker, als Datum kann man sich vielleicht merken 1833 als Erscheinungsdatum von André Michel Guerry's Essai sur la statistique morale de la France. Manchmal werden die Moralstatistiker auch übersprungen und auf die klassische Schule folgt sofort die positive Schule mit dem Dreigestirn aus Cesare Lombroso, Enrico Ferri und Raffaele Garofalo. Manchmal endet die Geschichte dann mit Hinweisen auf Émile Durkheim oder andere sozialwissenschaftlich orientierte Denker - auch Marx und Engels sind möglich - um eine Brücke zur Gegenwart zu schlagen. An dem Minimalprogramm "klassische Schule, positive Schule" führt aber nichts vorbei. Das ist der harte Kern der Fachgeschichte.
  • Gelegentlich bieten Kriminologen allerdings auch etwas pointiertere Darstellungen. Die holen manchmal auch etwas weiter aus, bieten aber auch ein sichtlich tendenziöses Narrativ, das als eine Art Vorwegnahme nachfolgender Argumente dient. Geschichte wird in solchen Momenten eine Möglichkeit, theoretische oder wissenschaftspolitische Kontroversen mit anderen Mitteln zu bestreiten. Meist geht es dabei um die Frage, welcher Wissenschaft es gebührt, als Leitdisziplin für die Kriminologie anerkannt zu werden. In der Kriminologie gab und gibt es ja hegemoniale Ansprüche von so verschiedenen Disziplinen wie der Psychiatrie (Zurechnungsfähigkeit, Schuld, Behandelbarkeit), der Psychologie (Tätertypen, Tätermotivation, ...), der Genetik und der Anthropologie, aber auch der Soziologie (Milieu und Kriminalität). Der verbissen und polemisch geführte Kampf gegen den sog. Lombrosianischen Mythos durch Lindesmith und Levin, durch Sutherland und durch die soziologisch inspirierte kritische Kriminologie der 1970er und 1980er Jahre lässt sich aus den blassen Argumenten, die da gewechselt wurden, allein nicht erklären. Verstehen kann man ihn allerdings sofort, wenn man in Betracht zieht, dass der Besitz der Geschichte die beste Legitimation für die Domination der Kriminologie in der Gegenwart ist. Wenn sich die Behauptung durchsetzen lässt, dass nicht der Anthropologe Lombroso der wahre Begründer der Kriminologie war, dann ist die Psychiatrie als Leitdisziplin damit schon halb delegitimiert. Wenn man zeigen kann, dass der wahre Gründer Kriminologie ein Strafrechtsreformer, ein Aufklärer oder ein Soziologe war, dann kann man die Neuorientierung der Kriminologie entlang dieser Linie als Aufgabe der Wiederherstellung einer verlorenen theoretischen Tradition ausgeben. Diese Vaterschaftsstreitigkeiten betreffen in erster Linie die drei Herren Beccaria, Quetelet und Lombroso. War Beccaria der Begründer oder nur ein Vorläufer? War der Gründervater Lombroso oder nicht doch, einige Jahrzehnte zuvor, Adolphe Quetelet und die weiteren Moralstatistiker? Kurzum: ist die Kriminologie eigentlich eine Sache der Aufklärung und der illuminierten Kriminalpolitik? Oder handelt es sich eigentlich um eine Wissenschaft von den schlechten genetischen Anlagen der Verbrecher - oder um eine Gesellschaftswissenschaft, die die Ursachen der Kriminalität in den Strukturen des Sozialen selbst sucht? Müssen wir das Böse dingfest machen oder die Gesellschaft verändern? Hier verstärken sich die Ressortegoismen der akademischen Disziplinen und allgemein-politische Positionierungen (links vs. rechts vs. liberal) gegenseitig. Die besondere Heftigkeit, mit der in der Kriminologie Ansprüche und Gegenansprüche über die wahren "Gründer" der Disziplin aufeinanderprallen, sind anders als durch Statuskonflikte der Professionen nicht zu erklären. Das Thema Geschichte der Kriminologie wird auf diese Weise in aktuelle Kontroversen einbezogen und macht es zur Pflicht für jeden Neuankömmling in der Disziplin, sich für die eine oder die andere Seite zu entscheiden.
  • Die Beliebtheit des Satzes "Die Geschichte der Disziplin hat, ein paar Mal, bildete den zentralen Gegenstand für ein Buch oder einen Artikel. Die meisten dieser Ausflüge in historische Kriminologie sind kleinere Versuche an Bedeutung, um einen bestimmten Autor, dessen Einfluss auf das Thema empfunden worden beleidigt haben zuschreiben, aber einige historische Schriften haben ehrgeiziger Absichten. Bücher wie der Mannheimer Pioniere in der Kriminologie (1960) oder Radzinowicz Ideologie und Verbrechen (1966) - beide von führenden Persönlichkeiten in den Prozess der veröffentlichten Disziplin-building-spielte eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Konturen und das Selbstbewußtsein der discip ¬ Linie, und versuchte, seinen Status durch den Aufruf einer aufstrebenden Aufklärung Vergangenheit und eine progressive wissenschaftliche Mission zu verbessern.

Die neue Sammlung mit dem Titel The History of British Kriminologie (Fels 1988a) herausgegeben von einer der Soziologen, die Remake britischen Kriminologie in den 1960er und 1970er Jahren half-bekennt ähnliche Disziplin bildenden Ambitionen, mit dem Ziel, neue Generationen von Kriminologen an einer überarbeiteten Geschichte mehr vorstellen im Einklang mit con ¬ temporären Interessen und Auffassungen. Es ist nicht nur die Schulbücher, die angepasst werden, wenn eine Disziplin Änderungen werden müssen, die Geschichte muss auch umgeschrieben werden. Das empfangene Geschichte der Disziplin, oft in eine Erzählung von Symbolen und Dämonen (Beccaria, Lombroso, Burt, Radzinowicz ...), ein paar wichtige Unterscheidung ¬ gen (Klassizismus, Positivismus, Radikalismus, ...) und eine übergreifende Erzählung vereinfacht in dem ideologischen Fehler allmählich von den Erkenntnissen der Wissenschaft (zB der Mythos des kriminellen geboren und seine anschließende Entlarvung) verschoben wird, spielt eine kleine, aber wichtige Rolle in der Gestaltung der Horizonte und Bezugspunkte der zeitgenössischen Kriminologie.

Eine Disziplin, die Praktiker arbeiten mit einem Gefühl von wo ihr Gegenstand hat kommen und wohin er geht, welche Probleme abgewickelt werden und die noch leben, wer sind die Vorbilder zu imitieren und wer die anathemas vermieden werden. Vielleicht am wichtigsten ist, liefert das empfangene Geschichte Praktiker mit einer Standard-Ausgabe-Kit der kollektiven Bedingungen und gemeinsamen Werten. So zum Beispiel, würde jeder, der sich über die Disziplin der Geschichte aus den Lehrbüchern der 1970er Jahre lernte finden es schwer, mit den Methoden und Zielen der 'Positivismus' zu identifizieren, auch wenn dieser Begriff weit genug, um nahezu die gesamte Disziplin vor dem schließen war Aufstieg der "Etikettierung" Theorien und den damit verbundenen anti-positivistischen Kritik. Das Standard-Lehrbuch Konto der Kriminologie Geschichte beginnt mit den Schriften des Strafrechts Reformer im achtzehnten Jahrhundert, insbesondere Beccaria, Bentham, Romilly, und Howard.

Diese Autoren sind gesagt haben char ¬ durch gekennzeichnet der Täter als rational, mit freiem Willen Schauspieler, der in Verbrechen greift in eine berechnete, nützliche Weise und ist daher die auf Abschreckung, pro ¬ ßig Strafen von der Art, dass die Reformer bevorzugt. Diese "klassische Schule der Kriminologie", wie es gewöhnlich genannt wird, wurde in der Folge angefochten, in den späten neunzehnten Jahrhunderts, von den Schriftstellern der "positivistischen Schule '(Lombroso. Ferri und Garofalo sind in der Regel zitiert), die eine empirische, wissenschaftliche angenommen Annäherung an das Thema und untersucht "die Verbrecher" mit den Techniken der Psychiatrie, Anthropologie, Anthropometrie und andere neue Humanwissenschaften. Die positivistische Schule behauptet, entdeckt Beweise für die Existenz von "kriminellen Typen", deren Verhalten bestimmt wurde anstatt gewählt und für die Behandlung statt Strafe war angemessen gewesen. Spätere Forschung widerlegt oder modifiziert die meisten der spezifischen Ansprüche von Lombroso und restauriert die Glaubwürdigkeit der einige der "klassizistischen" Ideen, die er im Gegensatz, aber das Projekt einer wissenschaftlichen Kriminologie gegründet worden war, und das Unternehmen weiterhin in einer vielfältiger und anspruchsvoller Weise, heute.

Dieses Standard-Lehrbuch der Geschichte ist natürlich, im Großen und Ganzen genau-es wäre sehr verwunderlich, wenn es nicht. Aber die breite Sweep seiner Erzählung und dem durchschlagenden Einfachheit seiner Oberbegriffe kann zutiefst irreführend, wenn sie als wahre Geschichte, und nicht als eine Art Gründungsmythos für heuristische anstatt historische Zwecke entwickelt getroffen werden.

Irreführende Kategorien

Ein großer Mangel dieser Geschichten ist ihre unkritische Verwendung von Schlüsselbegriffen, die anschließend in Standard-kriminologischen Diskurs in einer ebenso unbefangen Weg geben. Der Begriff 'Klassizismus', um ein wichtiges Beispiel zu nehmen, wird als Oberbegriff für die Kriminologie von Beccaria und Bentham und achtzehnten Jahrhunderts Gedanken allgemein bezeichnen. Es wird auch verwendet, durch die Erweiterung, den modernen Theorien, die die Rationalität und die Freiheit der Täter Entscheidungsprozesse (siehe Roshier 1989) bestätigen, zu beschreiben. Aber trotz dieser herkömmlichen Nutzung, macht es eigentlich wenig Sinn zu behaupten, dass diese Denker des achtzehnten Jahrhunderts eine "Kriminologie", da sie machte keine allgemeine Unterscheidung zwischen den Eigenschaften von Kriminellen und Nicht-Kriminellen besaß, und hatte keine con ¬ Ausnahme von Forschung über Verbrechen und Verbrecher als unverwechselbare Form der Untersuchung.

Um einen solchen Begriff zu verwenden, um achtzehnten Jahrhunderts charakterisieren Gedanken ernsthaft entstellt den Charakter dieser Schriften und zwangsweise assimiliert sie zu einem Projekt, das nicht erfunden wurde, bis ein Jahrhundert später. Die Vorstellung, dass diese verschiedenen Autoren alle gleich gehalten rational, frei ¬ wird der Täter zu sehen ist auch eine Verzerrung, von der Polemik des späten neunzehnten Jahrhundert Positivisten anstatt von einer Lektüre der Texte des achtzehnten Jahrhunderts abgeleitet. Es gibt zum Beispiel sehr große Unterschiede zwischen den Autoren wie Bentham und Howard zu den Fragen der menschlichen Natur und die Freiheit der Wahl und Beccaria, als eine gute Lockean Empiriker, menschliche Zeichen ¬ ter angesehen und führen als geprägt durch Sinneseindrücke und Gewohnheit sowie durch den freien Willen und reason.5 Andere achtzehnten Jahrhunderts Schriftsteller über Kriminalität näherte sich der Frage aus einer ganz anderen Perspektive, betont die sozialen Bedingungen, die so geformt individuelle Verhalten und die Verwendung eines deterministischen Sprache in den Prozess des Werdens criminal.6 der Begriff beschreiben von 'Klassizismus' tendiert daher dazu, unter die Lupe genommen auflösen, Ableiten jede Kohärenz hat es nicht aus den Tatsachen der Geistesgeschichte, sondern von den Anforderungen des zeitgenössischen kriminologischen Lehre. 'Positivismus' hält wenig besser als ein beschreibender Begriff, obwohl im Gegensatz zu Klassizismus, hat es zumindest das Verdienst, war die Selbstbeschreibung einer Schule der Kriminologen.

Der Gebrauch dieses Wortes auf die spezifischen Ansprüche von Lombroso und seine scuola positiva im späten neunzehnten Jahrhundert (geboren Verbrecher, die verfassungsrechtlichen und erblichen Wurzeln des kriminellen Verhaltens-, Straf-Typen, etc.) zu beschreiben und auch die große und vielfältige Palette beschreiben der kriminologischen Arbeit, die bisher aus innerhalb einer empiristischen Rahmen durchgeführt (dh mit Theorie-neutral 'Beobachtung als Grundlage für induktive Aussagen und betonte, Messung, Objektivität, etc.) ist eine Quelle großer Verwirrung in der Disziplin. Eingemachte Geschichten verschanzen dieses Durcheinander, wenn sie indiscrimi ¬ abwechselnd sprechen von einem "positivistischen Ära", die von den 1870er Jahren bis in die 1960er gespannt. Der Gegenstand der Untersuchung Einer der problematischsten Themen von jedem Geistesgeschichte angesprochen werden, ist die Frage der Kriterien für die Aufnahme und den Ausschluss. Wenn man schreibt die Geschichte der Kriminologie, was als relevant zu zählen? Woher kommt das Thema anfangen und wo hört es auf? Schulbuch Geschichte im Allgemeinen zu vermeiden und das Problem einfach mit Beccaria, die Willkür dieser Entscheidung durch die Tatsache, dass diese inzwischen ist der traditionelle Ort, um verborgen zu beginnen. Aber man kann das Problem viel klarer zu sehen bei diesen Gelegenheiten, wenn die Geistesgeschichte der Kriminologie ist das Thema eines ganzen Artikels oder einer Reihe von Kapiteln. So, zum Beispiel, Israel Drapkin Essay in der Encyclopedia of Crime and Justice (Drapkin 1983)-wie die mehr historisch orientierten Lehrbüchern von Bonger (1936) und Void (1958)-soll ein ernster, wissenschaftlicher Konto des Subjekts Geschichte bieten .

Der Gebrauch dieses Wortes auf die spezifischen Ansprüche von Lombroso und seine scuola positiva im späten neunzehnten Jahrhundert (geboren Verbrecher, die verfassungsrechtlichen und erblichen Wurzeln des kriminellen Verhaltens-, Straf-Typen, etc.) zu beschreiben und auch die große und vielfältige Palette beschreiben der kriminologischen Arbeit, die bisher aus innerhalb einer empiristischen Rahmen durchgeführt (dh mit Theorie-neutral 'Beobachtung als Grundlage für induktive Aussagen und betonte, Messung, Objektivität, etc.) ist eine Quelle großer Verwirrung in der Disziplin. Eingemachte Geschichten verschanzen dieses Durcheinander, wenn sie indiscrimi ¬ abwechselnd sprechen von einem "positivistischen Ära", die von den 1870er Jahren bis in die 1960er gespannt. Der Gegenstand der Untersuchung Einer der problematischsten Themen von jedem Geistesgeschichte angesprochen werden, ist die Frage der Kriterien für die Aufnahme und den Ausschluss. Wenn man schreibt die Geschichte der Kriminologie, was als relevant zu zählen? Woher kommt das Thema anfangen und wo hört es auf? Schulbuch Geschichte im Allgemeinen zu vermeiden und das Problem einfach mit Beccaria, die Willkür dieser Entscheidung durch die Tatsache, dass diese inzwischen ist der traditionelle Ort, um verborgen zu beginnen. Aber man kann das Problem viel klarer zu sehen bei diesen Gelegenheiten, wenn die Geistesgeschichte der Kriminologie ist das Thema eines ganzen Artikels oder einer Reihe von Kapiteln. So, zum Beispiel, Israel Drapkin Essay in der Encyclopedia of Crime and Justice (Drapkin 1983)-wie die mehr historisch orientierten Lehrbüchern von Bonger (1936) und Void (1958)-soll ein ernster, wissenschaftlicher Konto des Subjekts Geschichte bieten . Drapkin Spuren Kriminologie Geistesgeschichte zurück durch den frühen Neuzeit, das Mittelalter und die Klassik bis in die Antike und "Urzeit". Das Problem ist hier, dass die Auswahlkriterien unargued sind hoffnungslos und breit. Kriminologie der Geschichte wird die Geschichte alles, was jemals wurde gesagt oder gedacht oder getan in Bezug auf Gesetzesbrecher, und die Verbindungen zwischen diesem amorphen Vergangenheit und insbesondere dann vor, bleiben vage und unbestimmt. Schlimmer noch sind die Schriften der antiken und mittelalterlichen Autoren auf der Suche nach 'crimino-logische Aussagen und Argumente durchwühlt, als ob sie die dieselben Fragen ¬ gen in der gleichen Weise wie die moderne Kriminologen, und wir sind anachronistisch Kreaturen wie eingeführt als "frühen modernen Kriminologie" und Thomas von Aquin 'Analyse' kriminogenen Faktoren "(Drapkin 1983 550).

"Geschichte ist die Gewissheit, die dort entsteht, wo die Unvollkommenheiten der Erinnerung auf die Unzulänglichkeiten der Dokumentation treffen." - "Ach ja? Wo haben Sie das her?" - "Lagrange, Sir. Patrick Lagrange. Ein Franzose." Julian Barnes, Vom Ende einer Geschichte (2011: 12, 24, 25)

Dieses Kriminologie-through-the-Alter Stil der Geschichte ist zu beanstanden einer Reihe von Gründen. Zunächst einmal ist es die Bedeutung der früheren Schriftstellern und verdeckt die Tatsache, dass ihre Aussagen von Annahmen und Ziele-ganz zu schweigen von institutionellen Kontexten und kulturellen Verpflichtungen-die sind so strukturiert sind sehr verschieden von denen der modernen criminology.7 Zweitens verzerrt, gibt es das falschen Eindruck, dass unsere moderne Kriminologie Antwort zu einem zeitlosen und unveränderlichen Reihe von Fragen, die früheren Denker auch nachgedacht haben, allerdings mit deutlich weniger Erfolg. Kriminologie als Wissenschaft, die auf uns zukommen, den Endpunkt eines langen Prozesses der Untersuchung, die erst vor kurzem durch den Status der wahre, wissenschaftliche Kenntnisse gebrochen hat gesehen wurde. Diese progressivist scheitert presentist Sicht der Dinge zu erkennen, dass Kriminologie, ist in der Tat ein sozial konstruiert und historisch spezifische Organisation von Wissen und Ermittlungsmethoden-ein bestimmter Stil des Denkens, was, und dazwischen-der in einem bestimmten Satz von Institutionen geerdet und Formen des Lebens.

Es ist eine "Disziplin", ein Regime der Wahrheit mit seiner eigenen speziellen Regeln für die Entscheidung zwischen Wahrheit und Falschheit, anstatt der Inbegriff des rechten Denkens und richtige Wissen. Um diese trügerische Art des Denkens über die Disziplin der Geschichte anzunehmen ist, abgeschnitten von der Ansicht der anderen "Problematisierungen" (wie Foucault sie nennen würde), dass die historische Aufzeichnung zeigt, und zu vergessen, dass unsere eigenen Wege zu konstituieren und Wahrnehmen "Verbrechen" und "Abweichung" sind Konventionen, anstatt unanfechtbare Wahrheiten gegründet. Ein wichtiger Zweck der Geschichtsschreibung ist es, ein Bewusstsein dafür, wie Konventionen gemacht werden und im Laufe der Zeit erneuert, und fördern damit eine kritische Selbst-Bewusstsein über unsere eigenen Fragen und Annahmen. Der Mythos von entstehender Kriminologie, voran von den alten Fehler zu modernen Wahrheit, tut wenig, um unser Verständnis der Vergangenheit oder der Gegenwart zu verbessern. Meine Ausführungen bis jetzt gegen Kriminologie der Geschichte gerichtet gewesen sein, wie durch Kriminologen zu Kriminologen erzählt. Aber in den letzten Jahren unser historisches Verständnis des Themas wurde erheblich erweiterte durch die Arbeit von "Außenseitern", die keinen Eid auf die Disziplin zu verdanken und dessen Arbeit von ganz unterschiedlichen historischen und kritischen Bedenken angetrieben. Die Schriften von Michel Foucault (1977), Robert Nye (1984), Daniel Pick (1989), Martin Wiener (1990)

  • Drittes Reich. Stößt an Grenzen.

Das heißt nicht, dass "Geschichte" überhaupt nicht vorkommt. Das Wort kommt vor. Und Informationen zur Geschichte kommen auch vor. Doch die Geschichte, die in kriminologischen Einführungen und Lehrbüchern vorkommt, betrifft nicht historische Perspektiven auf den Gegenstand der Kriminologie, sondern historische Informationen über die Entwicklung der Kriminologie selbst, ist also "Fachgeschichte".

Die in dieser Disziplin gängigen Einführungen und Lehrbücher. Was sich in diesem gleichsam harten diskursiven Kern meiner häufig als zur Geschichte findet, verdient jedenfalls aus meiner Perspektive ganz ohne Zweifel das Adjektiv "erstaunlich". Wobei ich allerdings sofort und ohne Umschweife zweierlei zugestehen würde, nämlich dass die Merkwürdigkeit dessen, was da zur Geschichte steht, a. nicht völlig offensichtlich ist und b. durchaus noch übertroffen wird von dem, was man dort nicht findet.

Die Entmythologisierung von Lombroso. Die ohne Fundament war - ausgenommen ein politisches. Sack, Stangl.

Gewaltkriminalität: immer dasselbe. Anthropologisch konstant. Geschichte: riesige Unterschiede. Einerseits Gewaltminderung (Spitzer), andererseits Gewaltmehrung (Staatskriminalität). Gewaltkriminalität geht von Bösen aus. Aggressionstrieb. Geschichte: Gewaltkriminalität geht von Guten aus. Und wird neutralisiert. Die westliche Welt. Vietnam. Irak. Syrien.


Das Verhältnis von Geschichte und Kriminologie lässt sich in größter Skizzenhaftigkeit als Kurzgeschichte in zwei Teilen erzählen. Im ersten Teil haben beide nichts miteinander zu tun. Ihr Verhältnis ist ein Nicht-Verhältnis. Im zweiten Teil kommt es dank der Initiative der Geschichtswissenschaft zu einer gewissen Annäherung. Das Happy End bleibt aber aus. Jedenfalls die Kriminologie bleibt von dem Rendezvous, das der Geschichtswissenschaft viel gebracht zu haben scheint, letztlich unbeeindruckt. Der harte Kern der Kriminologie bleibt wie er ist: Man macht so weiter wie bisher. Das heißt: in den Lehrbüchern der Kriminologie dienen stereotype Darstellungen der "Geschichte der Kriminologie" als nützliches Ornament - nützlich zur Affirmation des Wissenschafts-Status und zur Affirmation von Hegemonialansprüchen als Leitdisziplin für den gesamten kriminologischen Diskurs. In der Theorie hinterlässt die Geschichte keine aufklärende Wirkung. Dort ist es, als hätte es die jüngste Blüte der historischen Kriminologie nie gegeben.


Wir haben gesehen: Geschichte und Kriminologie haben sich in den letzten Jahren angenähert. Und dennoch sind sie noch lange nicht das Traumpaar, das sie darstellen könnten. Für eine solche Feststellung bedarf es natürlich einer gewissen Vorstellung darüber, wann sie denn ein solches Traumpaar wären und wie man das erkennen könnte. Dafür müssen wir neben unserem Realitäts- auch unseren Möglichkeitssinn aktivieren, jene von Robert Musil beschriebene Fähigkeit, das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist - und angesichts des So-Seins der Verhältnisse immer zugleich auch zu denken: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. Vor allem: dass es besser sein könnte.

Und selbst das Monumentalische Die Rolle der Fachgeschichte für das heutige Selbstverständnis der Kriminologie: Ornament, Vergewisserung, Statuspolitik im Kampf um die Anerkennung als Leitdisziplin.

Das Potential

Die historische Dimension der Kriminologie aus der Sicht des Faches Die Befassung mit der historischen Dimension der gesellschaftlichen Strukturen ist ein Gegenmittel zu den epistemologischen Verkürzungen, den Reifizierungen des rein gegenwartsbezogenen Denkens.

Eine historische Perspektive auf die eigendynamischen geschichtlichen Prozesse, die zur konkreten Ausgestaltung heutiger sozialer Praktiken, Institutionen und Wertvorstellungen geführt haben, sind wesentlich für das Verständnis und die Kritik der gegenwärtigen Gesellschaft.

Wie könnten sich die beiden Disziplinen auf die bestmögliche Weise gegenseitig stützen, befruchten und uns zu neuen Fragestellungen, originellen Vorgehensweisen und zur Entdeckung bislang unbekannter Zusammenhänge führen? Eines ist klar: indem sie besser miteinander kooperieren und ineinander verschränken. Aber was bedeutet das konkret? In der Konkretion liegt der Hase im Pfeffer. Was heißt "besser"? Besser soll hier aus der Perspektive der Kriminologie heißen: förderlich für die Kriminologie als Erkenntnissystem. Erkenntnisfördernd im Hinblick auf die Geschichte des Faches, auf die Geschichte der Kontrolle und auf die Geschichte der Kriminalität. Geschichte kann in der Kriminologie aufklärend wirken, indem sie die Kriminologie aus dem Kerker der Gegenwartsbezogenheit befreit. Denn der unverwandte Blick auf die Gegenwart, der die Kriminologie kennzeichnet, stellt eine Art von Gedankengefängnis (Quensel 1980) dar. Obwohl es sich bei den Phänomenen, mit denen sich die Kriminologie befasst, durchweg um Entstandenes, Gemachtes und um Prozesshaftes handelt, das auch wieder vergehen kann und wird, ist doch das Denken, Sprechen und Schreiben in der Kriminologie durch eine unübersehbare Tendenz zur Reifizierung gesellschaftlicher Verhältnisse gekennzeichnet. Der Diskurs der Kriminologie ist durch die Gegenwart borniert: er scheint auf der unhinterfragten Prämisse zu beruhen, dass sich zwar die Kriminalität bewegt - sie nimmt neue Formen an wie die Computerkriminalität oder die Finanzmarktkriminalität, sie nimmt außerdem ab (selten) oder zu, die Täter werden immer älter (selten) oder jünger (das ist die Regel) und so weiter und so fort. Aber die Kriminalität als solche erscheint unwandelbar: Kriminalität gibt es nun einmal, es gab sie immer schon und es wird sie immer geben, bis alle Menschen Engel werden oder aber bis es überhaupt keine Menschen mehr auf Erden gibt (Schmidhäuser). Hatte nicht schon Kain seinen Bruder Abel erschlagen, also ein Verbrechen begangen? Und zogen Verbrechen nicht schon immer Strafen nach sich? So war es doch schon immer, so ist es noch heute und so wird es nun einmal auch künftig sein (müssen). Man kann die Strafen humaner machen, neue und alternative Strafen ausprobieren, aber letztlich wird man an der Tatsache der Strafe als solcher nichts ändern können. Oder sollen. Die Dinge sind nun einmal so, wie sie sind.

Eine historisch informierte Kriminologie würde den Realismus, der aus derlei Überzeugungen sprich, als Schein entlarven, als scheinbar realistische Attitüde, aus der nichts anderes als ein Mangel an Wissen um die Bandbreite des bereits Dagewesenen und damit auch das künftig Möglichen spricht. Vieles, was man sich als gegenwartsfixierter Kriminologe gar nicht vorstellen kann, weil die Phantasie einfach nicht reicht, kann man über die historische Perspektive lernen: man kann erfahren, dass vieles, was die eigene Vorstellungskraft von dem, was möglich ist, bei weitem übersteigt, tatsächlich schon einmal existierte - und dass es also möglich ist, obwohl man es für unmöglich halten würde.

  1. Gab es immer schon Verbrechen? Die historisch informierte Antwort müßte lauten: nein. Es gab immer schon Schädigungen, Verletzungen, Tötungen - aber ihre Klassifikation als Verbrechen ist keineswegs zwangsläufig. Die Kategorie des Verbrechens musste erst erfunden werden - und vorher war die Wahrnehmung solcher Phänomene eine andere, genau wie der Umgang mit ihnen ein anderer war. Lucy Mair. Herrschaftswiderspruch. Akephale Gesellschaften.
  2. Gab es immer schon Strafen? Die historisch informierte Antwort müßte lauten: nein. Kompositionensystem. Leopardenfellmann. Ausgleich und Zukunftsorientierung.
  3. Gab es immer schon Strafrecht? Nein. Die Durkheimsche Idee, dass bei den primitiven Völkern alles Recht im Grunde Strafrecht war, ist längst - spätestens seit Malinowski (1948) - widerlegt.
  4. Man kann das weiter durchdeklinieren. War Raub schon immer als gravierender eingeschätzt worden als Diebstahl? Nein. War Drogenkonsum immer schon mit Suchtproblemen einhergegangen? Nein. War der Konsum von Opium, Heroin, Kokain usw. immer schon als soziales Problem angesehen und mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft worden? Nein. Gab es damals deshalb mehr Probleme mit Drogen? Nein. Gab es andere Kontrollen? Ja. Waren sie genau so wirksam oder wirksamer als die heutigen? Ja. Drogenkriminalität: werden die Dealer immer skrupelloser? Früher hatte man das Suchtpotential nicht erkannt und die Drogen nur leicht bestraft. Heute weiß man mehr und ist aufmerksamer geworden. Die historische Perspektive könnte zeigen: es ging auch anders und zivilisierter ohne Strafverfolgung.
  5. Gefängnis. Das Gefängnis gilt als Höhepunkt und Endpunkt der Reaktion auf Verbrechen. Die Todesstrafe wird als Vergleichsfolie benutzt: da ist doch die Freiheitsstrafe ein Riesenfortschritt. Fortschritt gibt es also, aber heute ist er nicht mehr als Fortschreiten von der Freiheits- zu anderen Strafen vorstellbar, sondern allenfalls als Fortschritt innerhalb des Gefängnissystems. Früher, noch vor 100 Jahren, hatte eine Einzelzelle 5 qm, ausgestattet mit einem ausklappbaren Bett, das in Gebrauch fast den ganzen Raum einnimmt, einer einfachen Toilette, einem Holztisch mit Hocker und einem kleinen Regal. Gewiss gab es auch etwas vor der Freiheitsstrafe. Die Todesstrafe. Oder die anderen Schandstrafen: Pranger, Prügelbock, Schandgeige. - Welch Glück, dass es heute besser ist. Etwas besseres als die heutige Freiheitsstrafe, den Behandlungsvollzug, kann man sich aber nicht vorstellen.
  6. Die Geschichte könnte darauf hinweisen, dass es vor den peinlichen Strafen in den germanischen Volksrechten das sog. Kompositionensystem gab: wobei die compositio für eine ritualisierte (ggf. unter Beteiligung eines Vermittlers herbeigeführte) außergerichtliche oder vor Gericht getroffene Einigung zwischen Täter- und Opferseite mit dem Inhalt steht, den durch das Unrecht ausgelösten Konflikt beizulegen (Konfliktbewältigung), indem die Opferseite auf Rache und Fehde (faida) verzichtet und die Täterseite das Unrecht durch Zahlung einer Geldsumme (Buße, Wergeld) ausgleicht. Die Geldbuße sollte einerseits den verletzten Rechtsfrieden wieder herstellen und einer Fehde vorbeugen, andererseits Strafwirkung auf den Schädiger haben. Neben der als Schadensersatz geltenden Summe war ein Teil der Buße als Strafe an den Vermittler oder Richter zu zahlen.
  7. Strafe ist die natürliche Reaktion auf Verbrechen. Verbrechen verlangen nach Strafe: begriffsnotwendig und um der Gerechtigkeit halber. Strafe muss sein (Hassemer). Strafe muss human und zweckmäßig sein und der Besserung des Straftäters dienen. Deshalb ist es gut, dass die Todesstrafe überwunden wurde und wir jetzt die Freiheitsstrafe haben. Die Freiheitsstrafe ist immer humaner geworden. Ludwigsburg. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sahen die Zellen so aus:
  8. Die Geschichte ..
  9. Das Verbrechen gilt als natürliches Übel. Und als ahistorische anthropologisch begründete Konstante: seit es Menschen gibt, gibt es Verbrechen und Strafen. Daran wird sich auch nichts ändern, solange es noch Menschen gibt (Jürgen Baumann).
  10. Nun erschöpft sich die Kriminologie noch lange nicht in der Erkundung der Erscheinungsformen des Verbrechens und der Häufigkeit, bzw. dem Umfang der Kriminalität. Sie will auch wissen, was Kriminalität verursacht und was für die jeweils unterschiedlichen Viktimisierungsrisiken an verschiedenen Orten oder in verschiedenen Bevölkerungsgruppen verantwortlich gemacht werden kann. Auch hier könnte man erwarten, dass historische Untersuchungen weiterhelfen.
  11. Und, last not least, die Frage der Wirksamkeit von Sanktionen. Wann wurden welche Sanktionen mit welchen Zielvorstellungen und welchen realen Wirkungen und Auswirkungen ausprobiert: wie wirkten die Todesstrafe, die Deportationen, die Galeerenstrafen, wie wirkten die sog. peinlichen Strafen der "Blutgerichtsbarkeit" im Vergleich zu den verschiedenen Varianten der Freiheitsstrafe oder im Vergleich zu ambulanten Sanktionen postmoderner Art? Was bezweckten und bewirkten in frühester Zeit die Bußsysteme des Kompositionensystems - und inwiefern und warum zeigen sich Analogien zu vorstaatlichen Konfliktregelungen in heutiger Zeit (man denke an Restorative Justice und Family Group Conferences)?

Hier nun macht sich das Fehlen der Geschichte als Blockierung der Phantasie bemerkbar. Man untersucht und erforscht und erkennt im Strafvollzug ein im Grunde absurdes System, eine "Hochschule des Verbrechens" und sieht durchaus das Paradox, das darin liegt, dass man Menschen aus der Gesellschaft herausnimmt, um sie in die Gesellschaft zu integrieren. Gefängnisse, das sind "steingewordene Riesenirrtümer". Und doch führt die ganze Forschung in der kriminologischen Wissenschaft zu nicht mehr als der ewigen Wiederholung des Gleichen. Das Mantra der Kontraproduktivität des Gefängnisses bleibt folgenlos.

Der Grund dafür liegt in der Unerschütterlichkeit eines Gedankengefängnisses, das Verbrechen und Strafe miteinander verknüpft und diese Verknüpfung als naturnotwendig begreift. Das ist es, was die Geschichte kann. Sie kann uns lehren, dass die Dinge nicht immer so sein müssen, wie sie sind, dass sie ebenso gut auch anders sein können, weil sie nämlich vor längerer Zeit schon einmal nicht so waren, wie sie heute sind - und weil manches, was uns heute stabil und ewig erscheint, früher gar nicht da war und künftig vielleicht auch nicht mehr da sein wird. Oder jedenfalls nicht da sein müßte. Geschichte könnte zeigen, dass das Gegebene jeweils ein Gemachtes ist. Jedes Datum ist ein Faktum. Jedes Faktum wurde irgendwann erfunden, hergestellt - und so wie es geschichtlich entstanden ist, so vergeht es auch wieder. Die Geschichte kann uns helfen, unsere verdinglichende Denkweise über Verbrechen und Strafen zu überwinden. Der Diskurs der Kriminologie setzt die Existenz des Verbrechens und der Kriminalität nur allzu oft auf eine naturalisierende, ontologisierende Art voraus. So als habe es Verbrechen schon immer gegeben. Und Strafen auch. Denkbar wäre, dass der Topos "Geschichte" in mehrfacher und sehr unterschiedlicher Weise auftauchte: erstens in Gestalt von Informationen über die Geschichte des Gegenstands der Kriminologie, also von Informationen über die Geschichte des Verbrechens als sozialer Erscheinung. Das setzte voraus, dass die Kriminologie ein Interesse daran hätte oder bei ihrem Publikum voraussetzte, wie sich wohl die Erscheinungsformen der Eigentums- und der Gewaltkriminalität im Allgemeinen und im Besonderen, also etwa des Diebstahls und der Hehlerei, des Betruges, des Mordes und des Totschlags, des politischen Attentats und des Terrorismus, der Drogendelinquenz oder der Kriminalität bewaffneter Banden im Laufe der Zeit - der vergangenen Dekaden oder Dezennien - verändert haben. Damit würde zusammenhängen die Untersuchung veränderter moralischer und juristischer Bewertungen, des Auf- und Abtauchens von Verbrechen wie denen der "Hexerei" und "Zauberei", der "widernatürlichen Unzucht", der "Blutschande" und vieler anderer Delikte mehr. Neben den Themen der Schaffung und Abschaffung von Straftaten de jure und de facto durch das gesatzte Recht (Max Weber) sowie durch Veränderungen in der Intensität der exekutiven Implementierungsstrategien (z.B. nachlassende Verfolgungsintensität bei Abtreibungsdelikten) stünden Themen des epochalen Wandels. Damit ist das Interesse daran gemeint zu erfahren, in welcher Art von Gesellschaft wir heute eigentlich im Vergleich zu vor zwei-, vier-, achthundert oder eintausendsechshundert Jahren leben. Wie hoch war damals jeweils das Risiko, eines gewaltsamen Todes zu sterben, im Vergleich zu heute? Wie hoch war das Risiko, aufgrund von Eigentums- und Vermögenskriminalität der personellen und familiären Ernährungsgrundlagen beraubt zu werden, gegebenenfalls zu verhungern? Wie hoch das Risiko, zum Opfer innerfamiliärer Sexual- und Gewaltkriminalität zu werden?

Idealiter könnte man sich eine Fülle von Informationen vorstellen, die alles Wissen über die heutige Situation durchtränkte mit Hintergrundwissen und Relativierungen ebenso wie Alternativ-Optionen aus geschichtlichem Wissen. Man könnte einen lebhaften und von Ideen nur so sprühenden Austausch sich vorstellen zwischen kriminologisch bewanderten Historikern und historisch bewanderten Kriminologen, eine Art historisch-kriminalpolitischen Think Tank oder eine Task Force mit der Funktion, nicht nur l'art pour l'art zu produzieren - obwohl auch dagegen gar nichts einzuwenden wäre - sondern auchz in einen kritischen, vielleicht sogar weisen Dialog mit der aktuellen Kriminal- und Gesellschaftspolitik einzutreten.

Der Befund

Wer mit diesen Erwartungen sich den Einführungen und Lehrbüchern der Kriminologie nähert, wird eine große Enttäuschung erleben. Denn von alldem wird sie (oder er) nichts finden. Geschichte spielt für die Kriminologie im Kern so gut wie keine Rolle. Da, wo es der Kriminologie um Erkenntnisse über die Ursachen, Erscheinungsformen, den Umfang der Kriminalität und um die Reaktionen auf Kriminalität geht, befindet sich an dem Punkt, wo man jeweils "Geschichte" als Perspektive und Erkenntnismittel erwarten könnte, eine Leerstelle. Das befreiende Potential einer historischen Perspektive auf den Gegenstand der Kriminologie, also auf Kriminalität und Kontrolle, wird ebenso wenig genutzt wie dasjenige einer kritischen Fachgeschichte.

Es gibt die historische Kriminologie. Aber bekannt ist sie nicht. Nicht einmal in der Kriminologie. Es gibt historische Kriminalitäts- und Kontrollforschung. Aber sie spielt im harten Kern der Kriminologie - in ihren Lehrbüchern und in ihrem Literaturkanon, in ihren Klausuren und Forschungsprojekten - keine Rolle. Stattdessen herrschen auch in dieser wissenschaftlichen Disziplin diejenigen stereotypen Vorstellungen vor, die wir auch aus dem Alltagswissen kennen und die ihrerseits auf Sprech- und Denkweisen beruhen, die den gesellschaftlichen Verhältnissen rund um Kriminalität und Strafe einen quasi-natürlichen Charakter unterstellen.

Wo Geschichte der Kriminalität und der Kontrolle überhaupt vorkommt, folgt sie dem schlichten Modell, alles, was bisher war, als wenig human und wenig effizient darzustellen und die Gegenwart vor diesem Hintergrund als besonders human und effizient und aufgeklärt zu bejubeln. Sie folgt also einer Leitidee, die Herbert Butterfield (1900-1979) einmal als The Whig Interpretation of History (1931) bezeichnet hat, also als eine Art der Historiographie, bei der die Vergangenheit als Fortschritt in Richtung auf immer größere Freiheit, Demokratie, Humanität und Rationalität präsentiert wird: "to produce a story which is the ratification if not the glorification of the present" (Butterfield 1931: ) Geschichte ist Fortschrittsgeschichte und nirgendwo ist dieser Fortschritt besser mit Händen zu greifen als in der Geschichte der Kriminalstrafen: von der Vierteilung zur Sozialtherapie und Wiedereingliederung. - Presenting criminological figures of the past as heroes, who advanced the cause of progress, or villains, who sought to hinder its inevitable triumph.

Der heimliche Lehrplan der Kriminologie

Die Geschichte spielt für die Kriminologie, kurz und bündig gesagt, nicht wirklich eine Rolle - jedenfalls keine legitime und produktive Rolle in der Kriminologie als Erkenntnissystem. Woher aber kommt die Immunität der Kriminologie gegen die Geschichte?

Die Kriminologie ist die empirische Wissenschaft vom Verbrechen, bzw. von der Kriminalität. Sie interessiert sich für die Ursachen der Jugend-, Erwachsenen- und Alterskriminalität, der In- und Ausländerkriminalität, der Gewalt-, Sexual-, Drogen-, Eigentums- und Vermögenskriminalität und für das, was man präventiv, ermittlungstechnisch und rückfallverhindernd dagegen unternehmen kann. Wie sich die Dinge vor zwei, fünf oder zehn Jahrzehnten oder gar vor Jahrhunderten darstellten, ist Anekdote oder Ornament, im Kern aber Schnee von gestern. Selbst die Zukunft ist da noch interessanter, obwohl die Kriminologie auch allen Prognosen oder gar Szenarien künftiger Möglichkeiten mit größter Reserviertheit gegenüberzustehen pflegt. Spekulationen gab es schon in der Vergangenheit genug. Spekulationen über die Zukunft wird wenig Nährwert zugetraut. Selbst die Gegenwartsdiagnosen haben noch einen Überschuss von Vermutungen, Angst- oder Wunschdenken. Was die Kriminologie braucht, sind Fakten. Fakten über das, was heute der Fall ist und über das, was für morgen zu erwarten ist. Savoir pour prévoir, prévoir pour prévenir (Auguste Comte). Nicht mehr und nicht weniger. Und das ist schwer genug.

Die offiziellen Aussagen zur Rolle der Geschichte antworten auf diese Frage mit den üblichen Floskeln: man könne die Gegenwart nicht verstehen, wenn man nicht einiges über die Vergangenheit wisse, man könne aus der Geschichte lernen; es sei einfach besser, wenn man auch über die Ursprünge kriminologischen Denkens Bescheid wisse und so weiter und so fort.

Eine kritische Analyse der Funktion von "Geschichte" im Korpus kriminologischer Literatur, wie sie vom New Yorker Kriminologen David Garland (1997) vorgelegt wurde, ergibt jedoch ein ganz anderes Bild. In seinem Aufsatz "Of Crime and Criminals" beschrieb Garland ... Stereotype Dreischritte .. Klassische, Positive, Heute. Whiggish. Geschichte nur als Folie, um die heutige (richtige) Kriminologie von den Vorläufern und Irrtümern der Vergangenheit abzuheben. Fortschrittsgeschichte. Erstens also: Geschichte als Ornament.

Allerdings ist das nicht alles. Denn die Funktion des Ornaments kann einen merkwürdigen Sachverhalt nicht erklären. Das ist der Sachverhalt des Streits um den Ursprung, man kann auch sagen, um die Vaterschaft der Kriminologie als Wissenschaft.

Derlei Kontroversen gibt es auch in anderen Disziplinen. Aber in der Kriminologie ist sie besonders intensiv. Sie wird mit einer gewissen Verbitterung und Härte ausgetragen, die anch Erklärung verlangt.

Es gibt viele Väter. Und es gibt vor allem zwei: Lombroso und Beccaria. Oder drei: Moralstatistiker.

Dahinter steht Professions-Status-Politik. Die Kriminologie ist eine Mehr-Disziplinen-Wissenschaft. Psychowissenschaften, Neurowissenschaften, Soziologie, Jura, Praktiker ...

Wer hat das sagen: Leitdisziplin. Der Streit um die Leitfunktion ist auch ein Streit um Erklärungsmodelle und Politik-Ansätze, es ist ein politischer Streit. Die wissenschaftliche Motivation ist sekundär. Primär ist die wissenschaftspolitische und die gesellschaftspolitische Motivation. Parteimitgliedschaften. Intellektuelle für die SPD oder die FDP oder die CDU.

Die zweite Funktion ist also im Gegensatz zur ornamentalen die politische. Je nachdem wer die Wissenschaft eigentlich begründet hat, .... sind die maßgeblichen Leute und ihre Ratschläge entweder individualistisch-konservativ oder gesellschaftskritisch ...

Links und rechts.

Daher: Degradierung zum Ornament als Statusmerkmal für die Wissenschaftliche Identität und zweitens Instrumentalisierung als Statusmerkmal für die Legitimierung einer bestimmten Kriminalpolitik.

Der häufigste Widerspruch gegen die Diagnose der Nicht-Bedeutung der Geschichte für die Kriminologie - so wie sie ist (nicht unbedingt, wie sie sein sollte) - lautet: "Natürlich ist die Geschichte wichtig. Nichts über sie zu wissen, wäre ein Armutszeugnis für jeden Kriminologen. Sie für irrelevant zu erklären, wäre einfach absurd."

- vertieftes Verständnis, Abbau von simplen Vorstellungen über Rezepte zur Kriminalitätsbekämpfung (Lea)


Bilanz

Bisher ist also festzuhalten:

  1. Die akademischen Disziplinen der Geschichte (als ältere Wissenschaft) und der Kriminologie (als jüngere Wissenschaft) hatten zunächst - also im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert - kaum Berührungspunkte.
  2. In den 1970er Jahren begann mit dem erstarkenden Interesse an der Sozialgeschichte und mit der Rezeption kriminologisch relevanter Werke der sog. New Social Historians eine Blütezeit der historischen Kriminologie, die sich zunächst in der Rezeption anglo-amerikanischer, aber auch französischer Arbeiten, später auch in eigenen deutschsprachigen Forschungen zur Geschichte von Kriminalität und Kontrolle manifestierte.
  3. Die wesentlichen Schritte zur Begegnung zwischen Kriminologie und Geschichtswissenschaft gingen von letzterer aus, nicht von ersterer. Wenn sich die Lage in den letzten Jahren und vielleicht Jahrzehnten deutlich verbessert hat, dann gebührt der Dank dafür in allererster Linie der Geschichtswissenschaft.

Was nun die Kriminologie angeht, so kann man getrost folgende Aussagen treffen: das Interesse der Kriminologie an der Geschichte ist eher beschränkt. Die Befassung mit der Geschichte des Verbrechens gilt eher als Hobby für Randfiguren, die sich am ornamentalen Charakter des Anekdotisch-Merkwürdigen erfreuen, sich damit aber zugleich der eigentlichen systematischen und analytischen Aufgabe der Wissenschaft entziehen. Was soll man aus der Geschichte schon für die Gegenwart oder gar die Zukunft lernen? Hatte nicht ein großer Philosoph - kein Geringerer als Hegel - schon erklärt: Dass das einzige, was man aus der Geschichte lernen könne, sei, dass man nichts aus ihr lernen könne?

Die Kriminologie ist eine der Gegenwart zugewandte Wissenschaft. Was zählt, sind die neuesten Erkenntnisse, gewonnen auf der Grundlage der neuesten amtlichen Kriminalstatistiken und der neuesten Dunkelfelduntersuchungen. Was etwas älter ist, ist veraltet. Die Feststellung, dass die Thesen eines Kollegen auf "alten, inzwischen doch längst durch neue Untersuchungen überholten Daten" beruhten, ist ein sehr gravierender Vorwurf. Ein Kriminologe, der sich mehr als nur am Rande mit der Geschichte der Kriminologie befasst, führt eher eine Nischenexistenz, vielleicht auch deshalb, weil er im eigentlichen Kerngeschäft nicht mithalten will oder kann.

Zitate

  • "Rechtsgeschichte als Immunschutz vor (allzu) Aktuellem“ nennt sich der Beitrag von Gerhard Lingelbach, der Rechtsgeschichte ansieht als Bildung durch die Methode des Denkens, Wissen um Zusammenhänge und Einbindung eines Rechtsinstituts, „Würzung“ der Lehre. Sie vermag Werden und Vergehen von Rechtsinstitutionen überhaupt erst verständlich zu machen und populistische Forderungen zu mäßigen oder verhindern und die Chancen für die Stabilität in der Wertordnung zu vergrößern. - Koebler
  • "Kapitel III ist ein Abriss der Grundlinien der historischen Entwicklung der Sozialforschung. Sich mit der Geschichte der Sozialforschung zu befassen ist schon deshalb von Wert, um eine etwas gelassenere Haltung gegenüber ‹neuen› Methoden oder bisweilen hochgespielten ‹methodischen Kontroversen› einzunehmen. Vieles, was heute vielleicht technisch perfekter gemacht wird, wurde im Ansatz schon in manchen recht kreativen ‹klassischen› Studien vorgedacht. Wer allerdings weniger Interesse und Neugier bezüglich der historischen Entwicklung einer Disziplin hat, kann dieses Kapitel überschlagen" (Dieckmann 2007: 13)
  • Perhaps because medical progress has been one of modernity's signal accomplishments, the history of medicine, in its early phases, tended toward a Whiggish account of scientific advancement. In recent decades, however, historians have broadened their purview to reveal how the study of medicine can increase our understanding of underlying social and cultural realities. - Andrew Keitt

Literatur

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Reste

Welche Rolle spielt eigentlich die historische Dimension in der Kriminologie? Welche Bedeutung misst die Kriminologie selbst der Geschichte und der Geschichtswissenschaft bei? Was hat die Historie der empirischen Wissenschaft vom Verbrechen, die sich traditionell mit den Ursachen der Kriminalität und mit verschiedenen Methoden der Prävention und Reaktion befasst, heute noch oder wieder oder immer noch zu sagen?

Nietzsche: man könnte sich drei historien vorstellen, Walter Benjamin.

welche Bedeutung die Geschichte des Faches für deren heutiges Selbstverständnis besitzt und welche Bedeutung die jeweilige Disziplin den Geschichtswissenschaften beimisst. In diesem Zusammenhang erlaube

1. Es gibt eine quasi-kanonisierte Geschichtsschreibung der > Kriminologie, die sich z.B. in nahezu allen Kriminologie-Lehrbüchern > findet. Das Muster ist denkbar schlicht: Vorläufer, klassische > Schule (Beccaria), Moralstatistiker (Quetelet), positive Schule > (Lombroso), heutige Kriminologie. > 2. Es gibt aber auch eine ungewöhnlich intensive Auseinandersetzung > darum, wer denn nun "wirklich" der Vater der Kriminologie und wer > nur Vorläufer oder Irrläufer gewesen sei. Die Matadore als > potentielle Väter sind: Lombroso oder Beccaria oder die > Moralstatistiker. Es gibt aber auch Außenseiter-Kandidaten wie Hans > Gross. > 3. Der Grund für die besondere Intensität der Auseinandersetzung ist > in der Funktion der Geschichtsschreibung für die Gegenwart und die > Zukunft zu suchen. In dem Gemenge der Disziplinen, die sich in der > Kriminologie tummeln, wollen verschiedene jeweils die Leit-Disziplin > sein (Status, Reputation, Ressourcen, kriminalpolitische > Leitfunktion). Beispiele für Phasen dieses Konflikts: Streit um den > "Lombrosian Myth in Criminology"; aber auch: Sutherland/Glueck; > 1960er Jahre in Deutschland. > 4. Wenig aufgearbeitet ist nach wie vor die Geschichte der > Kriminologie 1933-1945. Einen Grund dafür kann man in den üblichen Interessenkonflikten vermuten, die auch andere Disziplinen behinderten (Selbstschutz der akademischen Lehrer: Kritik als Karrierehindernis). Dreier. Streng. Allerdings oberflächlich geblieben. Und zu hart gegenüber Exner, zu weich gegenüber von Hentig, und wohl auch Mezger. Munoz-Conde. Speziell kommt bei der Kriminologie noch ein weiterer Punkt hinzu. Das explosive Potential für die Grundfesten, die axiomatische Basis der Kriminologie sozusagen. 2. Die Aufarbeitung der Geschichte aller anderen Wissenschaften im Dritten Reich würde nicht die Parameter selbst in Frage stellen: die grundlegenden Theorien der Geografie, der Mathematik, der Physik, der Soziologie. Genau das müsste aber bei einer Reflexion der Geschichte der Kriminologie im Dritten Reich passieren. Warum? 3. Die Kriminologie existiert als Wissenschaft nur, weil und insofern sie die staatliche > Perspektive auf Ordnung/Unordnung, Recht/Unrecht usw. übernimmt. Den > Staat als Täter nicht nur de-kontextualisiert gelegentlich einmal zu > thematisieren, sondern in die Kriminalitäts- und Täter-Theorien > aufzunehmen, brächte die Parameter der Disziplin ins Wanken. > Interessant sind Seitenblicke auf Leute, die das versucht haben: > Wayne Morrisson, Peter Strasser, Anne-Eva Brauneck, aber auch Henner > Hess mit seinem "Repressiven Verbrechen". > 5. Anregung für eine künftige Kriminologie-Geschichte kommt von > außen: 1. Nietzsche, Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, > 2. Peter Becker, Wetzell u.a. aus der Geschichtswissenschaft selbst > (inklusive Silviana Galassi). In Argentinien entwickeln sie gerade > mit Alvaro Pires (Kanada) eine Geschichte der Kriminologie als > Geschichte des Wissens mit foucaldischen Anklängen. Auch sehr schön.

  • Die Heftigkeit der Vaterschafts-Ansprüche und -Konflikte hängt mit dem Kampf um die Hegemonie zusammen. Der Kampf um die Leitwissenschaft hängt mit gesellschaftspolitischen Präferenzen zusammen. Wissenschaft und Politik: aktive und passive Funktion.

Kriminologie in Deutschland und Kriminologie in den USA