Workplace violence

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Definition

Im Gegensatz zum deutschen „Gewalt am Arbeitsplatz“ geht die mittlerweile international gültige Definition der „workplace violence“ weiter:

Vorfälle, bei denen Personen im unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit bedroht, misshandelt oder in ihrer psychischen oder physischen Gesundheit angegriffen werden.

Damit werden nicht nur non physische Angriffe mit eingeschlossen, sondern auch Vorfälle, die sich lediglich im engeren Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz darstellen, jedoch nicht unmittelbar an diesem statt fanden. (Canadian Centre for Occupational Health and Safety (CCOHS))[1]

Typisierung des FBI

Das FBI unterscheidet, in einem 2003 erschienen Forschungsbericht, 4 Tattypen der "workplace violence":


'Typ 1:' Gewalt durch betriebsfremde Personen. Dies sind meist Vorfälle, die im Zusammenhang mit einem kriminellen Akt gegen den Betrieb an sich einher gehen. Damit sind z.B. Überfälle gemeint.

'Typ 2:' Gewalt gegen Service Personal, hier findet die Gewalt oft aufgrund von Unzufriedenheit mit dem Verhalten des Gegenübers im oft engen Umganges mit anderen Menschen im Dienstleistungsgewerbe statt. Ein hier besonders hervorzuhebender Bereich ist der der Gesundheitsversorgung und häuslicher Pflege.

Auch Lehrpersonal an Schulen und Universitäten fällt unter diesen Punkt, daher sind Amokläufe an Schulen auch gleichzeitig stets workplace violence.

'Typ 3:' Gewalt zwischen Mitarbeitern, hier ist die Gewalt oft Ausdruck von Unzufriedenheit und richtet sich gegen andere Angestellte. Dies können auch Vorsetzte oder Untergebene sein. Der Auslöser der Gewalt ist oft eine Entlassung oder als ungerecht erachtete Bestrafung. Die Gewalt kann sich aus Arbeitskämpfen ergeben, was jedoch nicht der Regelfall ist. Eine Sonderform ist die Sabotage von Maschinen oder Arbeitsgeräten oder die Entwendung und Verbreitung von Firmengeheimnissen.

'Typ 4:' Häusliche Gewalt, bei der der Täter meist nicht in dem Betrieb arbeitet, er diesen jedoch als Tatort wählt, da er weiß, dass sich sein Opfer dort regelmäßig aufhält. [2] In diesem Zusammenhang kommt es meißt zu Fällen von Stalking.

Situation in den USA

Im Gegensatz zu Deutschland, wo bisher hauptsächlich das Mobbing, jedoch nicht die „workplace violence“ in ihrer Gesamtheit betrachtet wurde, ist dieses Phänomen in Nordamerika seit mehreren Jahren gut beobachtet.

So stellte das US Amerikanische Arbeitsministerium schon 2004 in seinem jährlichen Bericht zur Sicherheit am Arbeitsplatz fest, dass von den 16 Menschen, die täglich in den USA am Arbeitsplatz verstarben, durchschnittlich 2,2 ermordet wurden, womit Tötungsdelikte mit 809 Fällen die viert häufigste Todesursache am Arbeitsplatz waren. [3]

Schon 2002 stellte die selbe Behörde fest, dass in den USA etwa 2 Millionen Menschen Opfer einer Form von workplace violence wurden. [4]


Das Bureau of Labor Statistics veröffentlichte 2006 eine Statistik, nach der die Hälfte aller US- Amerikanischen Betriebe mit mehr als 1000 Beschäftigten, in einem Zeitraum von 12 Monaten mindestens einen Fall von "workplace violence" verzeichneten. 2,5 % dieser Vorfälle waren gewalttätiger Art. Die Umfrage schloss staatliche Betriebe und Behörden mit ein. [5]


In einer Studie des U.S. Bureau of Justice Statistics wurde 2003 veröffentlicht, dass 728,000 Personen Opfer von gewalttätigen Übergriffen am Arbeitsplatz wurden.

Die Delikte reichten von einfacher, über schwere Körperverletzung, über Raub und Sexualdelikte bis hin zum Mord. [6]


Situation in Deutschland:

In Deutschland ist besonders das Mobbing [7] bekannt, welches eine psychische Form des "workplace violance", in Form von Beschimpfungen, Bedrohungen und gezieltem Ausschließen, darstellt. Dieses ist im englischsprachigen Raum als „Bullying“ bekannt.[8]

Die erste Studie zur "workplace violence" in Deutschland wurde 2009 von der Technischen Universität Darmstadt unter der Leitung von Dr. Jens Hoffmann vorgestellt.

Bei den 20 in der Studie ausgewerteten Fällen in Deutschland starben 21 Menschen, und mehr als zehn wurden zum Teil schwer verletzt. [9]

Gründe für Workplace violence

Die Gründe für "workplace violence" sind je nach Typ unterschiedlich. Während bei Tattyp 1 und 4 die Verhältnisse am Arbeitsplatz kaum ein Rolle spielen, sind diese bei den Tattypen 2 und 3 meist Hauptursache für die Gewalt.

Nach dem Psychologen Thomas Müller, der das Thema "workplace violence" als erster im Deutschsprachigen Raum aufgriff, sind Stress, Mangel an eigener Identifizierung mit dem Betrieb und eine massive persönliche Belastungssituation Hauptgründe dafür, das bisher unauffällige Mitarbeiter "plötzlich ausrasten". Nach Müller werde die "workplace violence" zu einem der größten Probleme unserer Zeit:

Er begründet seine These damit, dass die Arbeitswelt immer anonymer werde, sich immer weniger Menschen mit ihrer Arbeit identifizierten und sich daherh als Manövriermasse der Beraterunternehmen in Zeiten der Fusionen fühlten, als lästiges Übel.


"In der heutigen Zeit, in der aus ökonomischen Gründen umstrukturiert, vereinfacht und zusammengelegt wird, geht häufig die Identifikation mit dem Unternehmen verloren", sagt Müller. Wenn außerdem bei manchen Mitarbeitern wegen schlechter Kommunikation der Eindruck entsteht, dass hinter den ganzen Reformen und Umstrukturierungen kein Konzept stehe, dürfe man sich über anonyme Mails nicht wundern, über Beschimpfungen, Beschuldigungen oder betriebsschädigende Handlungen." [10]

Folgen

Die Folgen von "workplace violence" für die Wirtschaft sind enorm. Schätzungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungen gehen davon aus, dass Mitarbeiter deutscher Unternehmen ihren Arbeitgebern jährlich einen Schaden in Milliardenhöhe zufügen. [11]

Die Betroffenen leiden vielfach noch lange nach der Tat an Depressionen, Angstzuständen oder körperlichen Auswirkungen, die oftmals zu geringerer Produktivität, Fehlzeiten oder Berufsunfähigkeit führen.[12] Damit einher gehen hohe Kosten für das Gesundheitswesen. So ergab eine Studie bei 550 Stalkingopfern (Tattyp 4), dass jeder vierte Betroffene mindestens einmal krank geschrieben war. Die durchschnittliche Dauer der Krankschreibung betrug 61 Tage. [13]

Laut einer DAK-Statistik stiegen die Arbeitsunfähigkeitstage ihrer Mitglieder auf Grund psychischer Erkrankungen zwischen 1997 und 2004 um 69 Prozent. Ein Teil dieser Erkrankungen dürfte auf "workplace violence" zurückzuführen sein. [14]

Der betriebswirtschaftliche Schaden wird auf ungefähr 50 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Der Verlust für die Volkswirtschaft beläuft sich nach Schätzungen auf bis zu 100 Milliarden Euro. [15]

Risikoerkennung

Eine möglicher Risikoeinschätzung kann zunächst über die Art des betroffenen Betriebes erfolgen.

Nach Einschätzung des Canadian Centre for Occupational Health and Safety ist besonders gefährdet Opfer von "workplace violence" zu werden, wer:


- in der Öffentlichkeit arbeitet

- mit Geld, Wertgegenständen oder Medikamenten umgeht

- eine Überwachungsfunktion inne hat oder andere bewertet

- Service – Beratungs -oder Lehrfunktion hat

- mit instabilen oder vorbestraften Personen arbeitet

- an Örtlichkeiten tätig ist, an denen Alkohol ausgeschenkt wird

- allein oder in Kleinstgruppen arbeitet

- Hausbesuche macht oder einen mobilen Arbeitsplatz hat [16]


Bezüglich der Täter bei den Tattypen 2 und 3 sind die Frühsignale nach Hoffmann ähnlich denen des leakings in School Shootings.


- Erkennbarer Konflikt mit dem späteren Opfer

- Opfer hat Entscheidungsbefugnis über Täter

- Berufliche Diskontinuität, beispielsweise ein häufiger Arbeitsplatzwechs

- Zusammentreffen mehrerer beruflicher und privater Krisen

- Psychische Labilität

- Paranoide oder querulatorische Persönlichkeitszüge

- Gewaltdrohungen und Tatankündigungen

- Vorbereitungshandlungen des Täters wie Abschiedsbriefe oder Beschaffen einer Waffe

[17]

Möglichkeiten der Intervention bei Tattypen 1 und 4

Auch in Behörden kommt es neuerdings vermehrt zu Gewalttaten durch Kunden an den Mitarbeitern.

Aus diesem Grund hat die Stadt Hamburg eine "AG Gewalt" gegründet, in der dieses Problem thematisiert wurde.

Dort wurde ein Katalog an Maßnahmen zusammengefasst:


  • Festlegen, was als "aggressiver Übergriff" gilt, welche Folgen dieser hat, und regelmässige Fortbildungen zum Umgang mit solchen Taten
  • Bauliche Maßnahmen in Form geeigneter Arbeitsräume, besonders beim Umgang mit bekannt aggressivem Klientel
  • Hinweise an Mitarbeiter, bei geplantem Kontakt mit bekanntermaßen gewalttätigen Personen
  • Anstellung eines Wachschutzes und Schaffung eines stets besetzten Empfangsbereiches
  • Erlass eines Verbots zum Mitführen von Waffen und Hunden
  • ggf. Bereitstellung von Mobiltelefonen und anderen technischen Möglichkeiten des Notrufs

[18]

Darüber hinaus finden ständige Zählungen derartiger Vorfälle statt. Aus den Auswertungen dieser Berichte sollen wirksame Gegenstrategien entwickelt werden.


Weiterhin beschreibt Hoffmann, dass "Privates nicht immer privat bleiben" sollte. [19]

Dies gilt, seiner Meinung nach, insbesondere für häusliche Gewalttaten gegen Mitarbeiter, welche sich auf den Arbeitsplatz ausweiten (Tattyp 4). Hoffmann beschreibt ein Beispiel, an dessen Ende die Ermordung einer Hotelmitarbeiterin steht. Dieser geschah an ihrem Arbeitsplatz, an den sich der Täter einschleichen konnte, da keiner der Mitarbeiter und Vorgesetzten des Opfers von der Gefahr wusste.

Möglichkeiten der Intervention bei Tattypen 2 und 3

Nach Hoffmann sollte eine Intervention möglichst in vier Stufen erfolgen:


1. mögliche Bedrohung erkennen, ein besonderes Augenmerk muss hier auf den oben genannten Signalen liegen. Dies erfordert Offenheit im Umgang miteinander.

Gleichzeitig muss eine Aufklärung der Mitarbeiter erfolgen, dass keinerlei Übergriffe auf Andere geduldet werden.


2. Bewertung erkannter Bedrohungen, diese erfolgt nach einem drei Punkte Programm:

  1. keine Gefährdung erkennbar, Abbruch der Maßnahmen
  2. mögliche Gefährdung vorhanden: weitere Informationsgewinnung und Analyse
  3. akute Gefahr: sofortiges Treffen Gefahren abwehrender Maßnahmen, der Zeitpunkt ab wann die Polizei eingeschaltet wird, muss vorher verbindlich festgehalten werden.


3. Informationsrecherche und tiefere Analyse anhand der Personalakten und durch Gespräche mit Vorgesetzten.

Weiterhin: Einbeziehung geschulter Gesprächspartner oder externer Experten.


4. Fallmanagement: lösungsorientierte Gespräche, rechtliche Maßnahmen [20]

Literatur:

Thomas Müller, Gierige Bestie: Erfolg. Demütigung. Rache [ISBN 3499622335 <A href='www.pickitisbn:3499622335'><img style='border: 0px none' src='https://www.citavi.com/softlink?linkid=findit' title='Titel anhand dieser ISBN in Citavi-Projekt übernehmen'/></A>]

Hoffmann/ Wondrak, Amok und zielgerichtete Gewalt an Schulen, [ISBN 3866760116 <A href='www.pickitisbn:3866760116'><img style='border: 0px none' src='https://www.citavi.com/softlink?linkid=findit' title='Titel anhand dieser ISBN in Citavi-Projekt übernehmen'/></A>]

Peter Langmann, Amok im Kopf: Warum Schüler töten, [ISBN 3407858876 <A href='www.pickitisbn:3407858876'><img style='border: 0px none' src='https://www.citavi.com/softlink?linkid=findit' title='Titel anhand dieser ISBN in Citavi-Projekt übernehmen'/></A>]

Zeitschriften und Magazine

Zeitschrift "Personalwirtschaft", Fachteil "Bedrohungsmanagement", 02/2008, Autor Dr. Jörg Hoffmann

Weblinks:

http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_OeffentlicheSicherheit/2006/11_12/files/Workplace_Violence.pdf

http://definitions.uslegal.com/w/workplace-violence/

http://www.osha.gov/OshDoc/data_General_Facts/factsheet-workplace-violence.pdf

http://safety.blr.com/news.aspx?id=102249

http://idw-online.de/pages/de/news332075

http://wiki.mobbing-gegner.de/Mobbing/Workplace_violence

http://www.ccohs.ca/oshanswers/psychosocial/violence.html#_1_3

http://www.fbi.gov/publications/violence.pdf

http://www.rp-online.de/beruf/arbeitswelt/Gewalt-am-Arbeitsplatz-nimmt-zu_aid_755559.html

http://pit-test.com/content/section/5/46/

http://www.vida.at/servlet/ContentServer?pagename=S03/Page/Index&n=S03_83

http://www.fairness-stiftung.de/ps/pdf/NahKampfWDR.pdf

http://www.dguv.de/inhalt/praevention/aktionen/abba_projekt/weiter_info/Lexikon_Gewalt%5B1%5D.pdf