Sozialtherapeutische Einrichtung

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Unter Sozialtherapie versteht man in der Sozialarbeit einen Teil der gesundheitsspezifischen Fachsozialarbeit und in der anthroposophischen Heilpädagogik insbesondere die Betreuung geistig behinderter Jugendlicher und Erwachsener [1]. Sozialtherapie im Strafvollzug stellt einen Sammelbegriff für verschiedene Methoden der Verhaltens- und Einstellungsänderungen bei Delinquenten in Institutionen/Anstalten dar; Behandlungsziel ist auch hier die Resozialisierung. Sozialtherapie findet in speziellen Justizvollzugsanstalten oder Abteilungen statt. Derzeit befinden sich von rund 60200 zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten [2] etwa 1800 Gefangene in sozialtherapeutischen Anstalten.


Sozialtherapie im Strafvollzug

Die durchaus unterschiedlichen Konzepte basieren auf einem psychotherapeutische Ansatz sowie auf Einbettung in pädagogische, sozialpädagogische und berufsbildende Maßnahmen. Die Notwendigkeit einer Kombination von mehr und weniger strukturierten Angeboten zur Erweiterung sozialer Fähigkeiten und Kompetenzen, zum Erlernen neuer Verhaltensformen und Beziehungsgestaltungen verlangt in besonderer Weise eine integrative Arbeit verschiedener Berufsgruppen und der durch sie repräsentierten Behandlungsansätze.

Zeitliche Entwicklung der sozialtherapeutischen Einrichtungen

Im Juli 1969 beschloss der Deutsche Bundestag die Einführung von § 65 StGB, der die „Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt“ gesetzlich regeln sollte. Der Bundestag folgte damit teilweise einer Empfehlung der sog. Alternativ Professoren aus dem Jahre 1966. Leitidee war die Resozialisierung von Straftätern mit hoher Rückfallgefahr in besonderen Einrichtungen des Strafvollzuges. Vorbild waren mehrere ausländische Einrichtungen, insbesondere die bereits 1935 eröffnete Anstalt in Herstedvester, Dänemark, sowie die holländische Van-der-Hoeven-Klinik in Utrecht.

Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser dritten therapeutischen Maßregel der Besserung und Sicherung – neben psychiatrischem Krankenhaus (§ 63 StGB) und Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) - war zunächst der 01.10.1973, der aber später auf den 01.01.1978 und dann nochmalig auf den 01.01.1985 verschoben wurde.

In der Folge wurden in mehreren Bundesländern verschiedene Modell- bzw. Erprobungsanstalten eingerichtet, in die Gefangene allerdings nicht auf richterliche Anordnung, sondern nach freiwilliger Meldung oder nach einer Empfehlung durch das Vollzugspersonal aufgenommen wurden.

Im Herbst 1984 wurde u.a. aufgrund knapper werdender finanzieller Mittel § 65 StGB wieder gestrichen, ohne dass er je geltendes Recht geworden war. Übrig blieb die "Vollzugslösung" der Sozialtherapie: § 9 des 1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetzes (StVollzG), der die Verlegung eines Gefangenen in eine sozialtherapeutische Einrichtung vorsah, „wenn die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen einer solchen Anstalt zu seiner Resozialisierung angezeigt sind“. Ein Anspruch auf eine solche Behandlung ergibt sich daraus allerdings nicht. Auch blieb es den Ländern überlassen, derartige Anstalten einzurichten, auszubauen oder auch nicht vorzusehen.

Gesetzliche Neuregelungen seit 1998

Allgemein

Am 26.1.1998 wurde das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualstraftätern und anderen gefährlichen Straftaten verabschiedet, was u.a. eine Veränderung des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) zur Folge hatte [3]. Betroffen sind hiervon Sexualstraftäter, die gem. §§ 174 bis 180 oder 182 StGB verurteilt wurden.

Gesetzlich verändert wurde, dass die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt von Gefangenen, die wegen o.g. Straftaten verurteilten wurden, besonders gründlich zu prüfen ist (§ 6 Abs. 1 S.2 StVollzG) und wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen der o.g. Delikte verhängt wurde, über eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt jeweils nach Ablauf von 6 Monaten neu zu entscheiden ist (§ 7 Abs. 4 S . 4 StVollzG). Wenn die Behandlung der erwähnten Straftäter angezeigt ist, sind sie in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen, wenn sie zu zeitiger Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden sind (§ 9 Abs. 1 StVollzG). Andere Gefangene können mit ihrer Zustimmung in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden, wenn die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen der Anstalt zu ihrer Resozialisierung angezeigt sind (§ 9 Abs. 2 StVollzG).

Vorteile ergeben sich, weil erstmalig für eine im Strafvollzug befindliche Tätergruppe ein zwingend formulierter Behandlungsauftrag Gesetzeskraft erlangt hat. Die Vollzugsbehörden werden verpflichtet, die Behandlung von Sexualstraftätern zu ermöglichen. Dabei genügt es nicht mehr, ein nur allgemeines und ungefähres, sonst aber nicht weiter verbindliches Angebot zu machen. Vielmehr sind auch solche Täter an Therapie heranzuführen, die von sich aus nicht aktiv werden oder die zunächst nicht motiviert zu sein scheinen.

Gem. § 9 Abs. 1 S. 2 StVollzG ist der Gefangene jedoch zurückzuverlegen, wenn der Zweck der Behandlung aus Gründen, die in der Person des Gefangenen liegen, nicht erreicht werden kann. Mit diesem zwingenden Rückverlegungsgebot wird schließlich „der Erfahrung Rechnung getragen, dass …. Psychotherapien zwar unter einem gewissen Druck eingeleitet, aber nicht mit Aussicht auf Erfolg fortgesetzt werden können, wenn sich hierzu bei dem zu Therapierenden keine eigene Motivation herausbildet“ (Rechtsausschuss des Bundestages, Bt.-Drs. 13/9062,13)[4].

Am 07.07.2006 wurde durch die Förderalismusreform [5] die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes für den Strafvollzug durch eine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder abgelöst.

In Niedersachsen (§104 NJVollzG)[6] werden nicht nur Gefangene in eine Sozialtherapie verlegt, wenn sie wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 StGB sondern auch wenn sie u.a. wegen eines Verbrechens gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit oder wegen schweren Raubes verurteilt worden sind, wenn die dortige Behandlung zur Verringerung einer erheblichen Gefährlichkeit der Gefangenen für die Allgemeinheit angezeigt sind. Andere Gefangene können in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden, wenn der Einsatz der besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen der Anstalt zur Erreichung des Vollzugsziels angezeigt ist.

Die Regelungen der Länder Bayern (Art. 11 BayStVollzG) [7] und Hamburg (§ 10 HmbStVollzG)[8] entsprechen dem bisherigen Strafvollzugsgesetz. Für alle anderen Bundesländer gilt nach wie vor das (Bundes-) Strafvollzugsgesetz (s.o.)

Jugendliche

Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (2 BvR 1673/04 und 2 BvR 2402/04) vom 31.05.2006 [9]haben sämtliche Bundesländer zum Ende des Jahres 2007 eigene gesetzliche Grundlagen für den Jugendstrafvollzug erlassen.

Für den Jugendstrafvollzug gelten in den Länder Bayern (Art. 11 BayStVollzG) und Niedersachsen ( § 104 NJVollzG) die gleichen Vorschriften wie für Erwachsene. In Hamburg gilt ab 01.09.09 § 10 HmbJStVollzG, der inhaltlich im Wesentlichen der Vorschrift des Erwachsenenstrafvollzugsgesetzes entspricht, jedoch bei Sexualstraftätern keine Mindestverurteilung vorsieht. In Nordrhein-Westfalen[10] und Sachsen-Anhalt[11]werden Sexual- und Gewaltstraftäter in einer sozialtherapeutischen Einrichtung des Jugendstrafvollzuges untergebracht, wenn Anlass zu der Annahme besteht, dass der Gefahr einer Wiederholung aufgrund einer Störung ihrer sozialen und persönlichen Entwicklung mit den Mitteln der Sozialtherapie entgegengewirkt werden kann.

In den übrigen Bundesländern können bzw. sollen Gefangene in eine sozialtherapeutische Abteilung untergebracht werden, wenn deren besondere therapeutische Mittel und sozialen Hilfen zum Erreichen des Vollzugsziels angezeigt sind. [12]

Sozialtherapeutische Einrichtungen in Deutschland

Nach Erhebung der Kriminologischen Zentralstelle e.V. (KrimZ) gab es zum Stichtag 31.03.2009 [13] bundesweit 52 sozialtherapeutische Einrichtungen im Strafvollzug. Es handelt sich dabei um 7 selbstständige und 45 unselbstständige Einrichtungen.

Insgesamt gibt es 34 Einrichtungen für männliche, 3 für weibliche und 15 für (männliche) jugendliche Strafgefangene. Von insgesamt 2043 verfügbaren Haftplätzen standen im Jahr 2009 für weibliche Gefangene 38 Haftplätze zur Verfügung.

Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten

Der Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten [14] wurde 1983 gebildet. Er ist ein Fachverband, der u.a. Sozialtherapeutische Anstalten unterstützt und berät, den Austausch, die Zusammenfassung und die Auswertung von Erfahrungen aus den sozialtherapeutischen Einrichtungen sowie die Anwendung von Forschungsergebnissen fördert. Mitglieder sind Personen, die auf dem Gebiet der Sozialtherapie im Justizvollzug praktisch, planend und wissenschaftlich tätig sind.

Der Arbeitskreis hat 1989 Mindestanforderungen für Sozialtherapeutische Einrichtungen formuliert, die für diese Einrichtungen Qualitätsstandards vorgegeben haben. Unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom Januar 1998 wurden diese Standards modifiziert und ergänzt.

Integrative Sozialtherapie wurde vom Arbeitskreis vor allem durch drei Merkmale gekennzeichnet:

- Berücksichtigung und Einbeziehung des gesamten Lebensumfeldes in und außerhalb der Sozialtherapeutischen Einrichtungen bis zur Entlassung.
- Gestaltung der Handlungsmöglichkeiten und Beziehungsformen innerhalb der Sozialtherapeutischen Einrichtungen im Sinne einer therapeutischen Gemeinschaft.
- Modifizierung und Verknüpfung psychotherapeutischer, pädagogischer und arbeitstherapeutischer Vorgehensweisen.


Quellen

  • Beier, Klaus M. (1995): Psychotherapie mit Straffälligen. Standorte und Thesen zum Verhältnis Patient - Therapeut - Justiz ; [… "Sankelmarker" Tagungen im Dezember 1993 und im April 1994 …]. Stuttgart: Fischer.
  • BVerfG, 2 BvR 1673/04 und 2 BvR 2402/04, NJW 2006 S. 2093 bis 2098
  • Egg, Rudolf & Ellrich, Karoline (Bearb.) (2009). Sozialtherapie im Strafvollzug 2009: Ergebnisübersicht zur Stichtagserhebung zum 31.03.2009. Wiesbaden: KrimZ.
  • Egg, Rudolf (1984): Straffälligkeit und Sozialtherapie. Konzepte, Erfahrungen, Entwicklungsmöglichkeiten. Köln: Heymann.
  • Gaertner, Adrian (1982): Sozialtherapie. Konzepte zur Prävention und Behandlung des psychosozialen Elends. Neuwied: Luchterhand.
  • Rehn, Gerhard (2001): Behandlung "gefährlicher Straftäter". Grundlagen, Konzepte, Ergebnisse. Herbolzheim: Centaurus-Verl.-Ges.
  • Sörgel, Rudolf (1989): Sozialtherapie. Die Möglichkeiten nach dem Strafvollzugsgesetz.
  • Wischka, Bernd (2005): Sozialtherapie im Justizvollzug. Aktuelle Konzepte, Erfahrungen und Kooperationsmodelle ; [9. Überregionale Fachtagung der Sozialtherapeutischen Einrichtungen im Justizvollzug, 29. September bis 02. Oktober 2003 in Lingen]. 1. Aufl. Lingen: Kriminalpädag. Verl.

Siehe auch