Sozialtherapeutische Anstalt Altengamme

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Die Sozialtherapeutische Anstalt Altengamme wurde am 15.10.1984 als selbständige Anstalt des offenen Strafvollzuges in Betrieb genommen. Die Anstalt verfügte über 60 Haftplätze. Im Rahmen eines koedukativ konzipierten Vollzugs waren 6 Haftplätze der Aufnahme weiblicher Gefangener vorbehalten. Die Sozialtherapeutische Anstalt Altengamme befand sich in ländlicher Umgebung am östlichen Stadtrand Hamburgs im Bezirk Hamburg-Bergedorf (Horster Damm 80, 21039 Hamburg). Ihre Schließung erfolgte am 16.12.2005.

Innenhof mit Blick auf Schulungs- und Unterkunftsgebäude (Foto: W. Eckartsberg, 2005)

Planung

Die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg plante seit den frühen 1970er Jahren, zusätzlich zur 1969 eröffneten Sozialtherapeutischen Anstalt Bergedorf, die Eröffnung einer zweiten eigenständigen sozialtherapeutischen Anstalt. Zunächst war beabsichtigt 144 Haftplätze im sozialtherapeutischen Vollzug in der Justizvollzugsanstalt Vierlande zu schaffen. Nach dem Rückzug Bremens aus der angestrebten Kooperation der beiden Länder wurde von dieser Planung aufgrund des reduzierten Haftplatzbedarfs und der finanziellen Auswirkungen Abstand genommen. Anstelle dessen übernahm die Justizbehörde ein ursprünglich von der Behörde für Arbeit, Jugend und Soziales als geschlossenes Erziehungsheim konzipiertes Gebäude in Hamburg-Altengamme (vgl. FHH 1981). Mit der weiteren Planung und der konzeptionellen Ausgestaltung wurde 1981 eine Arbeitsgruppe unter Federführung des späteren Leiters der Anstalt, Dr. Gerhard Rehn, eingesetzt. Die Eröffnung der Sozialtherapeutischen Anstalt Altengamme erfolgte am 15.10.1984 durch Justizsenatorin Leithäuser.

Anstaltsleiter

  • 10/1984 - 09/1994: Dr. Gerhard Rehn
  • 10/1994 - 10/2005: Dr. Thomas Wegner

Mitarbeiter / Mitarbeiterinnen

In der Sozialtherapeutischen Anstalt Altengamme waren ca. 47 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unterschiedlicher Berufsgruppen tätig. Am stärksten vertreten war der Allgemeine Vollzugsdienst (AVD) mit 21 Bediensteten, von denen fünf Bedienstete als Wohngruppenbeamte eingesetzt waren. Der Fachdienst umfasste fünf Sozialarbeiter / Sozialarbeiterinnen, fünf Psychologen / Psychologinnen, einen Soziologen, einen Pädagogen, vier Werkbedienstete und eine Lehrerin. Verwaltungskräfte und externe Mitarbeiter / Mitarbeiterinnen unterschiedlicher Professionen ergänzten die Mitarbeiterschaft.

Bauliche Gliederung

Das durch Anstaltsmauern und einen Erdwall gesicherte Anstaltsgelände verfügte über einen 6000 qm großen Innenhof. Werkstätten, Schulungs-, Verwaltungs- und Unterkunftsgebäude gruppierten sich um diesen Innenbereich. Ergänzend befanden sich eine Sporthalle, Freizeiträume und eine Kantine auf dem Anstaltsgelände. Die Unterbringung der Gefangenen erfolgte in zwei Unterkunftsgebäuden, in fünf baulich voneinander getrennten Wohngruppen mit jeweils 12 Einzelhaftplätzen. Auf jeder Wohngruppe waren gemeinschaftlich nutzbare Küchen-, Gruppen- und Sanitärbereiche vorhanden. (Vgl. Justizbehörde Hamburg 1995, 13) Eine Wohngruppe war zusätzlich in zwei Wohngruppenbereiche unterteilbar. Aufgrund der baulichen Voraussetzungen erfolgte die Unterbringung weiblicher Gefangener in diesem Bereich.

Zuständigkeit

Aufgenommen wurden männliche und weibliche Gefangene, deren voraussichtliche Aufenthaltsdauer bis zu einer Haftentlassung 18 Monate nicht unter- bzw. 30 Monate nicht überschritt und die der besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen zu ihrer Resozialisierung bedurften. Gefangene mit erheblicher Suchtgefährdung waren nicht für eine Aufnahme geeignet, da die Sozialtherapie eine Anstalt des offenen Vollzuges war. Von einer Aufnahme ausgeschlossen waren ebenfalls Insassen, deren Straftaten auf einem abweichenden Sexualtrieb beruhten. Die Aufnahme eines Gefangenen / einer Gefangenen in die Sozialtherapie setzte dessen bzw. deren Zustimmung voraus. Über die beantragte Verlegung entschied die Auswahlkommission der Sozialtherapeutischen Anstalt Altengamme auf Grundlage eines Auswahlgespräches und der Stellungnahme der abgebenden JVA. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten (1998) veränderten sich zum 1.1.2003 die Aufnahmebedingungen für diese Deliktgruppe. In der Folge waren Strafgefangene, die wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung gemäß §§ 174 - 180 oder § 182 StGB zu einer Freiheitsstrafe von über 2 Jahren verurteilt worden waren, in eine Sozialtherapeutische Anstalt oder Abteilung zu verlegen, sofern eine Behandlung angezeigt war. Die Verlegung in die Sozialtherapie bedurfte in diesen Fällen (siehe § 10 Abs. 1 HmbStVollzG) nicht der Zustimmung.

Behandlungskonzept

Die Konzeption der Sozialtherapeutischen Anstalt Altengamme gründete auf einem interaktionistisch ausgerichteten und integrativen Verständnis von Behandlung. Der Entwicklung behandlungs- und lernförderlicher Strukturen innerhalb der vollzuglichen Lebenswelt kam grundlegende Bedeutung zu (vgl. Rehn und Warning 1989, 225). Diese Strukturen orientierten sich gemäß § 3 HmbStVollzG in allen Bereichen daran, schädlichen Folgen der Freiheitsstrafe entgegenzuwirken und die institutionellen an die allgemeinen Lebensverhältnisse anzupassen. Aus diesem Behandlungsverständnis resultierte eine strukturelle Verankerung der berufsgruppen- übergreifenden Zusammenarbeit der Mitarbeiter / Mitarbeiterinnen. Die Aufnahme von Gefangenen erfolgte aufgrund des Behandlungskonzeptes in Gruppen. Jeweils zum Quartalsanfang bildeten maximal 12 neu aufgenommene Gefangene eine Trainingsphasengruppe. Kennzeichnend für die Gestaltung des vollzuglichen Alltags waren u.a.:

  • die Aufnahme von männlichen und weiblichen Gefangenen
  • der Verzicht auf förmliche Disziplinarverfahren zur Konfliktlösung
  • die freie Bewegungsmöglichkeit auf dem Anstaltsgelände in der Zeit von 6 Uhr bis 22 Uhr, ab 22 Uhr Verschluss der Außentüren der Gruppen
  • der Verzicht auf Nachtverschluss der Haftraumtüren, jedoch eigene Verschlussmöglichkeit der Zellentüren für Gefangene
  • der Besitz von Bargeld und eingeschränkte Verfügung über ein externes Gehaltskonto im Freigang
  • der Verzicht auf Postkontrolle
  • zwei öffentliche Telefonzellen auf dem Anstaltsgelände
  • das gemeinsame Mittagessen von Bediensteten und Gefangenen in der Kantine

Zur Förderung der sozialen Bindungen sah die Besuchsregelung die Möglichkeit vor, sich mit dem Besuch frei auf dem Anstaltsgelände bewegen und in den Haftraum zurückziehen zu können.

Wohngruppe

Die Leitung einer Wohngruppe erfolgte durch eine Sozialarbeiterin / einen Sozialarbeiter und eine Beamtin / einen Beamten des Allgemeinen Aufsichtsdienstes, die im zeitversetzten Dienst zwischen 8 Uhr und 20 Uhr erreichbar waren. Die Wohngruppenleitung wurde durch fest zugeordnete Psychologen / Psychologinnen und Mitarbeitern / Mitarbeiterinnen aus dem Schicht-und Werkdienst mit beratender Funktion ergänzt. Dieses Betreuungsteam blieb für einen / eine Gefangenen vom Zeitpunkt der Aufnahme bis zur Haftentlassung zuständig. Der Alltag in der Wohngruppe wurde im Sinne des Angleichungsgrundsatzes von den Bewohnern und Bewohnerinnen weitgehend selbständig organisiert. Dazu zählten Vereinbarungen zur Reinigung der Gemeinschaftsräume, die selbständige Reinigung der Privatbekleidung, der pünktliche Arbeitsantritt, die Planung und Durchführung gemeinsamer Freizeitaktivitäten und die Lösung von Konflikten. Die Möglichkeit zum Austausch und zur Klärung strittiger Fragen bot sich zudem auf gemeinsamen Wohngruppensitzungen von Gefangenen und Mitarbeitern / Mitarbeiterinnen, die regelmäßig einberufen wurden. In das Wohngruppengeschehen wurde das soziale Umfeld der Gefangenen, z.B. im Rahmen von Gruppenaktivitäten, mit einbezogen.

Trainingsphase I

Mit der Aufnahme von Gefangenen begann ein dreimonatiges soziales Trainingsprogramm, dass die Gefangenen als Gruppe absolvierten. Inhaltlich eröffnete das Programm den Teilnehmern / Teilnehmerinnen soziale und kreative Erprobungsfelder, beinhaltete Elemente themenzentrierter Wissensvermittlung (z.B. abweichendes Verhalten, Zeitgeschehen, Ethik) in Unterrichtsform und die Auseinandersetzung mit dem Tatgeschehen. Eine zentrale Stellung nahm das Fach Gruppe ein. Hier fand sowohl die Auseinandersetzung mit konkreten Prozessen innerhalb der Gruppe statt, als auch die Vermittlung theoretischen Wissens über diese Thematik. Dieses Fach wurde von zwei Gruppenkoordinatoren geleitet und erstreckte sich als verbindendes Element über die Trainingsphasen I und II. Die Unterrichtsangebote wurden berufsgruppenübergreifend von Mitarbeitern / Mitarbeiterinnen der Anstalt und externen Fachkräften durchgeführt.

Trainingsphase II und Arbeit

Die sich anschließende Trainingsphase II beinhaltete ein dreimonatiges Grundbildungsprogramm im Werkstattbereich der Anstalt (Malerei, Tischlerei, Schlosserei, Hauswerkstatt). Es umfasste die Vermittlung einfacher handwerklicher Fertigkeiten und diente zur beruflichen Orientierung. Ergänzt wurde das Programm durch individuelle schulische Fördermaßnahmen. Die Zuweisung zu den Werkstattbereichen erfolgte in Abstimmung mit den Gefangenen. Die Werkstätten wurden von ausgebildeten Handwerkern geleitet. An einem Werktag in der Woche fanden sich die Trainingsphasenteilnehmer wieder als Gruppe zusammen. Dieser Verklammerungstag diente dem Erfahrungsaustausch innerhalb der Gruppe und der Durchführung gemeinschaftlicher Aktivitäten. Insgesamt standen ca. 35 Arbeitsplätze in den Werkstätten und in den Bereichen Garten, Kantine und Fertigung zur Verfügung. Nach Abschluss der Trainingsphase II erfolgte die Vorbereitung auf den Freigang. Gefangene waren bis zur Aufnahme einer Erwerbtätigkeit außerhalb der Anstalt in den Anstaltsbetrieben beschäftigt. Aufgrund der Außenorientierung der Insassen war das vorgehaltende Arbeitsplatzangebot innerhalb der Anstalt für eine Vollbeschäftigung ausreichend.

Einzelgespräche

Einzelgespräche und Psychotherapie waren in das sozialtherapeutische Konzept integriert. Von jedem / jeder Gefangenen wurde erwartet, mit einem Mitarbeiter / einer Mitarbeiterin der Wahl über den gesamten Haftverlauf hinweg vertiefende Einzelgespräche, u.a. zur Bearbeitung der Straftat, zu führen. Sofern aus behandlerischen Gründen erforderlich, wurde die Auswahl auf einen Psychologen / eine Psychologin mit psychotherapeutischer Ausbildung eingegrenzt. Verschwiegenheit über die Gesprächsinhalte wurde zugesichert. Sie fanden keinen Eingang in vollzugliche Entscheidungen. Davon ausgenommen waren Informationen über erneute Straftaten, ernsthafte Suizidabsichten oder Fluchtpläne.

Vollzugslockerungen

Das Behandlungskonzept beinhaltete die Förderung von sozialen Bindungen und die frühzeitige berufliche Integration in den Arbeitsmarkt außerhalb der Anstalt durch die Gewährung von Vollzugslockerungen. Lockerungen folgten einer transparenten Struktur, die Zeitpunkt und Form der schrittweisen Erweiterung festlegte. Die Erprobung in Vollzugslockerungen erfolgte unabhängig von therapeutischen Entwicklungen, sofern eine Gefährdung der Öffentlichkeit ausgeschlossen werden konnte. Zur Vorbereitung der Haftentlassung wurden Gefangene gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 2 HmbStVollzG bis zu maximal sechs Monate in Dauerbeurlaubung erprobt. In dieser Zeit wohnten Insassen bereits außerhalb der Anstalt und gingen einer Erwerbstätigkeit nach. Sie nahmen in dieser Phase regelmäßig Gesprächstermine in der Anstalt wahr. Die vorübergehende Wiederaufnahme von Gefangenen auf eigenen Wunsch war zur Abwendung einer Krisensituation gemäß § 18 HmbStVollzG möglich.

Rückfallforschung

Die Entwicklung der Rückfälligkeit aus der Sozialtherapeutischen Anstalt Altengamme Entlassener wurde beforscht. Jeweils zwei und fünf Jahre nach der Haftentlassung wurden Auszüge aus dem Bundeszentralregister eingesehen. Insgesamt wurden nach zweijähriger Bewährungszeit 73,2 % der ehemaligen Insassen nicht erneut verurteilt. Nach fünfjähriger Bewährungszeit sank diese Legalbewährungsquote auf 51,8 %. Zu einem erneuten Freiheitsentzug wurden nach zwei Jahren insgesamt 9,2 % verurteilt, nach fünf Jahren mussten 15,2 % der ehemaligen Gefangenen eine erneute Haftstrafe verbüßen (vgl. Rehn 2001, 372-373). Eine Bewertung dieser Ergebnisse im direkten Vergleich mit Rückfallquoten des Regelvollzuges oder anderen sozialtherapeutischen Anstalten ist aufgrund unterschiedlicher Behandlungskonzepte und fehlender Vergleichsgruppen problembehaftet.

Schließung

Am 15.6.2004 gab Justizsenator Kusch die Schließung der sozialtherapeutischen Anstalten Altengamme, Bergedorf und der Übergangsabteilung Moritz-Liepmann-Haus bis zum Ende des Jahres 2005 bekannt.[1] Mit den Schließungen sollte ein Sparbeitrag in Höhe von 0,7 Millionen €/pro Haushaltsjahr zur Konsolidierung des Hamburger Haushalts geleistet werden. Sie waren Bestandteil der geplanten Umstrukturierung des hamburgischen Vollzuges. Die Aufgaben der bestehenden sozialtherapeutischen Anstalten sollte, nach einem Umbau in eine ca. 200 Haftplätze umfassende Einrichtung, die JVA Vierlande übernehmen. Diese Planungen wurden im Februar 2005 verworfen. Mit Fertigstellung des 2. Bauabschnittes der JVA Billwerder wurde die JVA Vierlande geschlossen. [2] Die Sozialtherapie für erwachsene männliche Gefangene wurde in eine Einrichtung des geschlossenen Strafvollzuges, in das damalige Haus IV der JVA Fuhlsbüttel, die heutige Sozialtherapie Hamburg, verlagert. Für weibliche Strafgefangene wurde eine sozialtherapeutisch ausgerichtete Abteilung in der JVA Glasmoor vorgesehen. Die Sozialtherapie Bergedorf verlor ihre Eigenständigkeit und wurde der JVA Fuhlsbüttel als Außenstelle angegliedert. Die Sozialtherapeutische Anstalt Altengamme wurde offiziell am 16.12.2005 geschlossen. Aus der Fachöffentlichkeit wurde Kritik an der Schließung der als fachlich etabliert geltenden und in ihrem Behandlungsangebot differenziert aufgestellten sozialtherapeutischen Anstalten geäußert. [3] [4]

Literatur

  • Egg, R. (Hg.): Sozialtherapie in den 90er Jahren. Gegenwärtiger Stand und aktuelle Entwicklung im Justizvollzug. Kriminologische Zentralstelle. Wiesbaden 1993.
  • FHH (Hg.): Bürgerschafts-Drucksache 9/3476.1981.
  • Justizbehörde Hamburg (Hg): Sozialtherapeutische Anstalten im hamburgischen Strafvollzug.1995.
  • Rehn, G.: Vorstrafenbelastung und Rückfälligkeit bei Gefangenen aus der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg-Altengamme. In: G. Rehn u.a. (Hg.): Behandlung "gefährlicher Straftäter". Grundlagen, Konzepte, Ergebnisse. Herbolzheim 2001: Centaurus, 364-379.
  • Rehn, G., Warning, D.: Lebenswelt Sozialtherapeutische Anstalt - Grundsätzliche Bemerkungen und Konkretisierungen am Beispiel der Sozialtherapeutischen Anstalt Altengamme. In: ZfStrVo 1989, 222-231.
  • Wegner, T.: Altengamme - something works. In: G. Rehn u.a. (Hg.): Behandlung "gefährlicher Straftäter". Grundlagen, Konzepte, Ergebnisse. Herbolzheim 2001: Centaurus, 150-169.

Weblinks

<references> letzter Zugriff am 13.03.2013 <references> letzter Zugriff am 13.03.2013 <references> letzter Zugriff am 13.03.2013 <references> letzter Zugriff am 13.03.2013


Letzter Zugriff am 14.03.2013.