Kaukasus-Emirat

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Das Kaukasus-Emirat ist eine überwiegend im Nordkaukasus agierende Terrororganisation. Der Name basiert auf der Ausrufung des islamischen Gottesstaates „Imarat Kawkas“ im Nordkaukasus durch den Gründer der Terrororganisation Doku Chamatowitsch Umarow im Jahr 2007.

Flagge des Kaukasus-Emirats
Vom Kaukasus-Emirat beanspruchte Velajate (Provinzen)


Entstehung

Seit dem Zerfall der UdSSR zu Beginn der Neunzigerjahre, existierte in Tschetschenien bereits eine Widerstandsbewegung, die sich unter dem ehemaligen sowjetischen General Dschochar Dudaew formierte. Diese als „Tschetschenische Republik Itschkeria“ (TschRI) bekannt gewordene Bewegung, verfolgte zunächst nationalistisch orientierte Ziele. Nach dem ersten Tschetschenienkrieg (1994-1996) zeichneten sich innerhalb der TschRI jedoch Konflikte zwischen dem nationalistisch orientierten und dem stärker werdenden islamistisch motivierten Flügel ab (vgl. Singhofen 2012: 236). Sichtbar wurde der in den Folgejahren zunehmende Konflikt insbesondere im Konkurrenzkampf zwischen Aslan Maschadow (Präsident der TschRI von 1997 bis 2005) und dem islamistisch motivierten Feldkommandeur Schamil Bassajew (vgl. Halbach/Logvinov 2012: 2). Nach der Flucht vieler nationalistisch orientierter Führungspersonen der TschRI in Folge ihrer Niederlage im zweiten Tschetschenienkrieg (1999-2000), gewann der Einfluss der islamistischen Kräfte innerhalb der TschRI zunehmend an Stärke. Der seit dem Jahr 2006 als Präsident der TschRI fungierende Doku Umarow vollzog im Jahr 2007 endgültig den Bruch zwischen den beiden Flügeln (vgl. Singhofen 2012: 236), Logvinov spricht in diesem Zusammenhang vom Jahr 2007 als „islamistische Wende“ (2012: 90).

Mit einer am 21.11.2007 im Internet veröffentlichten Erklärung [1] rief Doku Umarow das Kaukasus-Emirat aus, ernannte sich selbst zu dessen Amir (arabisch: ‏امير‎ = Fürst, Befehlshaber, Anführer) und vollzog damit gleichzeitig die Abspaltung von der nationalistisch geprägten TschRI (vgl. Singhofen 2012: 235). Als Mitbegründer des Kaukasus-Emirats und Gefährte von Doku Umarow wird auch der im Jahr 2010 getötete Anzor Astemirow benannt (vgl. Halbach/Logvinov 2012: 2).

Zu einem Konflikt innerhalb des Kaukasus-Emirats kam es, als am 02.08.2010 im Internet eine Erklärung per Videobotschaft von Doku Umarow veröffentlicht wurde, in der dieser seine Amir-Funktion niederlegte und Aslanbek Wadalow zu seinem Nachfolger bestimmte. Bereits einen Tag später bezeichnete Doku Umarow diese Videobotschaft jedoch als Fälschung und bekräftige erneut seinen alleinigen Führungsanspruch. In der Folge kündigten einige Feldkommandeure Doku Umarow die Gefolgschaft, im Juli 2011 kehrte jedoch ein Teil der Abtrünnigen wieder unter den Treueeid zu Doku Umarow zurück (vgl. Singhofen 2012: 237 f.). Als Gründe für den internen Konflikt werden einerseits Unstimmigkeiten zwischen islamistischen und national orientierten Kräften innerhalb des Kaukasus-Emirats vermutet (vgl. Halbach 2010:17), aber auch die mangelnde Akzeptanz des designierten Nachfolgers Aslanbek Wadalow für möglich gehalten (vgl. Halbach/Logvinov 2012:3).

Ziele

Primäres Ziel des Kaukasus-Emirats ist die Errichtung eines Gottesstaates auf Basis der Scharia in der Kaukasusregion. Doku Umarow fordert die Vertreibung der Ungläubigen aus dem Kaukasus, er dehnt den räumlichen Gebietsanspruch hierbei jedoch in einem zweiten Schritt auch über die Kaukasusregion hinaus aus, indem er die Rückeroberung aller historischen Gebiete der Muslime verlangt (vgl. Singhofen 2012: 239 f.). Als Mittel zur Zielerreichung setzt das Kaukasische Emirat auf den bewaffneten Kampf (vgl. BMI 2012: 311). Damit fügt sich die Zielsetzung des Kaukasischen Emirats in das Bestreben des globalen Jihads ein, setzt jedoch einen räumlichen Schwerpunkt auf die Kaukasusregion (vgl. Halbach/Logvinov 2012: 3).

Ideologie

Mit der Gründung des Kaukasischen Emirats wurde der Wandel von national-säkularen Leitmotiven der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung zu einer Bewegung besiegelt, die sich an der Ideologie des jihadistischen Salafismus orientiert (vgl. Halbach 2010: 17). Die islamistische Bewegung des Salafismus verlangt die Restitution der Gesetzmäßigkeiten der islamischen Frühzeit, der Scharia. Zentrales Element bei der jihadistischen Ausprägung des Salafismus ist die „Befürwortung unmittelbarer und sofortiger Gewaltanwendung“ als Mittel zur Zielerreichung (BfV 2012: 9). Bereits im Jahr 2001 benannte Aiman al-Zawahiri, der später Osama bin Ladens Nachfolge des Terrornetzwerkes al-Qaida antrat, unter anderem auch Tschetschenien als Schauplatz des internationalen Jihads (vgl. Halbach/Logvinov 2012: 2). Auch gegenwärtig verfügt das Kaukasus-Emirat über Kontakte zu Ideologen des globalen Jihads (vgl. Singhofen 2012: 247). Unter Rückbesinnung auf die spezifische kaukasische Historie, beruft sich das Kaukasus-Emirat zudem auf die früheren islamischen Staatsgebilde, die Widerstand gegen das Zarenreich und später gegen die Sowjetunion geleistet hatten. Hierbei findet insbesondere das Emirat unter Imam Schamil (1832-1859) Erwähnung (vgl. Logvinov 2012:94 und vgl. Halbach 2010:17). Logvinov bezeichnet diesen Bezug auf die historischen Ereignisse als „soziokulturelles Vorbild“ für die Ideologie des Kaukasischen Emirats (2012:94).

Struktur

Das Kaukasus-Emirat verfügt über eine Führungsstruktur mit „Netzwerkcharakter“, die sich organisatorisch in einen administrativen und einen militärischen Bereich gliedern lässt (vgl. Singhofen 2012: 242 f.).

Militärischer Bereich

Das Kaukasische Emirat ist militärisch in Fronten mit jeweils zuständigen Feldkommandeuren untergliedert. Die Fronten teilen sich wiederum je nach Stärke in Sektoren und kleinere Kampfgruppen (Jama`at) auf (vgl. Singhofen 2012: 241). Den einzelnen Kampfeinheiten an der Basis wird weitgehend Autonomie eingeräumt, lediglich bedeutende Operationen müssen mit dem jeweils zuständigen Amir abgestimmt werden. Die Anzahl der dem Kaukasus-Emirat zugehörigen Kämpfern wird auf ca. 1.000 - 1.500 geschätzt (vgl. ebd.: 243 f.). Der militärische Arm des Kaukasus-Emirats soll zudem über einen eigenen Geheimdienst verfügen (vgl. Halbach 2010: 17).

Im Jahr 2009 reaktivierte Doku Umarov die militärische Sondereinheit „Riyad-us-Salihin“. Die Einheit war ursprünglich bereits von Schamil Bassajew im Jahr 2000 gegründet worden, wurde jedoch später von Abdul Halim Sadulajew wieder aufgelöst. Die Sondereinheit ist schwerpunktmäßig für Anschläge innerhalb Russlands vorgesehen und setzt dabei insbesondere auf Operationen mit Selbstmordattentätern (vgl. Singhofen 2011: 202 f. und Halbach 2010: 203 f.).

Administrativer Bereich

Zentrales Koordinationsorgan des Kaukasus-Emirats ist der Militärrat (Schura), der mit hochrangigen Feldkommandeuren und ideologischen Führern besetzt ist. Darüber hinaus existiert eine nach den Regeln der Scharia urteilende Instanz der Rechtsprechung (vgl. Halbach 2010: 17 und Singhofen 2011: 203). Weiterer Organisationsbestandteil ist eine „Informations- bzw. Propagandaabteilung“, die mehrere Internetseiten administriert (Singhofen 2012: 241). Bekanntes Beispiel ist die Seite "Kavkaz Center", die der Verbreitung der jihadistischen Ideologie des Kaukasus-Emirats dient und als Rekrutierungswerkzeug insbesondere die Jugend im Nordkaukasus ansprechen soll (vgl. Knysh 2009: 22). Das beanspruchte Territorium teilt das Kaukasus-Emirat in fünf Provinzen (Velajate) ein:

  • „Dagestan
  • Notschijtscho (Tschetschenien)
  • Galgajtsche (Inguschetien, Nordossetien)
  • Nogajskaja Step (Nogajer Steppe)
  • Kabardy-Balkarii-Karatschaja (Karbadino-Balkarien und Karatschaewo-Tscherkessien)“ (Singhofen 2012: 241)

Der Amir des Kaukasus-Emirats nimmt die oberste zentrale Führungsfunktion ein. Der Amir ernennt die Umaraa (pl. von Amir) der Velajate bzw. Fronten und setzt die Richter der Scharia-Gerichte ein. Die Umaraa verpflichten sich mittels Treueeid zur Gehorsamkeit gegenüber dem obersten Amir (vgl. ebd.: 243).

Anschläge

Für den Zeitraum von 2008 bis 2011 werden dem Kaukasus-Emirat im Nordkaukasus und in Russland insgesamt 1.497 Anschläge zugerechnet (vgl. Singhofen 2012: 254). Anschlagsziele des Kaukasus-Emirats sind zumeist Staatsbedienstete (insbesondere örtliche Polizei- und Sicherheitsdienste), staatstreue Geistliche sowie Einrichtungen der Infrastruktur (vgl. Halbach 2010: 12). Bei den Arten der Anschlagsausführung handelt es sich überwiegend um bewaffnete Angriffe und Sprengstoffanschläge (vgl. Singhofen 2011: 200 f.). Das Phänomen der sog. „Schwarzen Witwen“ als Selbstmordattentäterinnen wird quantitativ überbewertet. Zwischen 2008 und 2010 wurden von den in diesem Zeitraum erfassten 27 Selbstmordattentaten, lediglich 5 Anschläge von Frauen verübt (vgl. Malarkey / Moore 2010: 15). Die Anschlagsereignisse deuten auf eine in qualitativer Hinsicht zunehmende Entwicklung hin, was anhand der Auswahl von vermehrt hochwertigen Zielen ersichtlich wird. Es ist ferner ein Trend zu einer gesteigerten Anschlagsaktivität in Russland, außerhalb der Kaukasusregion zu erkennen (vgl. Möckli 2011: 1). Des Weiteren ist für das Ursprungsgebiet des Widerstandes, Tschetschenien, ein deutlicher Rückgang der Anschläge zu verzeichnen, bei gleichzeitiger Zunahme in den angrenzenden Republiken Dagestan und Inguschetien (vgl. Singhofen 2011: 198 f.).

Auswahl größerer Anschlagsereignisse, die dem Kaukasus-Emirat zugerechnet werden (vgl. Singhofen 2012: 251 ff., Singhofen 2011: 201, Halbach 2010: 3, 12 ff., Logvinov 2012: 92):

  • 23.10.2002 Geiselnahme im Dubrowka-Theater, Moskau
  • 01.09.2004 Geiselnahme in einer Schule, Beslan
  • 11.08.2004 Anschlag auf die Metro, Moskau
  • 17.08.2009 Anschlag auf das Innenministerium in Nasran, Inguschetien
  • 27.11.2009 Anschlag auf den Newskji-Express, Russland
  • 29.03.2010 Anschlag auf die Metro, Moskau
  • 21.07.2010 Anschlag auf ein Wasserkraftwerk in Karbadino-Balkarien
  • 24.01.2011 Anschlag auf den Flughafen Demodowo, Moskau

In einer am 03.02.2012 im Internet veröffentlichen Erklärung wies Doku Umarow das Kaukasus-Emirat an, künftig die russische Zivilbevölkerung zu verschonen. Inwieweit diese Erklärung jedoch tatsächlich Gültigkeit besitzt, oder lediglich eine vorübergehend strategische Bedeutung während der Wahlen in Russland innehatte, wird von Singhofen mit Skepsis betrachtet (2012: 252 f.).

Erfassung in Terrorlisten

Das Kaukasus-Emirat (bzw. Doku Umarow als Einzelperson und die Riyad-us-Salihin-Einheit als Bestandteil des Kaukasus-Emirats) ist wie folgt in Terrorlisten verzeichnet und unterliegt somit u.a. finanziellen Restriktionen bzw. Beschränkungen bezüglich der Reisefreiheit:

  • United Nations (UN): Kaukasus-Emirat, QE.E.131.11, gelistet am 29.11.2011 [2] / Doku Umarow, QI.U.290.11, gelistet am 10.03.2011 [3] / Riyad-us-Salihin, QE.R.100.03, gelistet am 04.03.2003 [4]
  • United States of America (USA): Kaukasus-Emirat, gelistet am 26.05.2011 [5] / Doku Umarow, gelistet am 23.06.2010 [6] / Riyad-us-Salihin, gelistet am 28.02.2003 [7]
  • Europäische Union (EU): Doku Umarow, Nr. 6125, gelistet am 17.03.2011 [8] / Riyad-us-Salihin, Nr. 1012, gelistet am 19.01.2012 [9]

Aktivitäten in Deutschland

Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht für das Jahr 2011 von ca. 200 in Deutschland lebenden Anhängern des Kaukasus-Emirats aus. Lediglich vereinzelt sollen dabei auch Kontakte bis in die Führungsebene der Organisation im Kaukasus existieren. Die Aktivitäten in Deutschland beschränken sich im Wesentlichen auf die finanzielle und logistische Unterstützung des Kaukasus-Emirats. Im Jahr 2010 kam es u.a. in Deutschland zu Exekutivmaßnahmen bei einer Personengruppe, die verdächtigt wird, auch Kämpfer für die Kaukasusregion rekrutiert zu haben (vgl. BMI 2012: 312 f.).

Literatur

  • Bundesamt für Verfassungsschutz [BfV] (Hrsg.), Salafistische Bestrebungen in Deutschland, Köln, 2012
  • Bundesministerium des Innern [BMI] (Hrsg.),Verfassungsschutzbericht 2011, Berlin, 2012
  • Halbach, Uwe / Logvinov, Michail, Das Kaukasus-Emirat und der internationale Jihadismus, in: SWP - Aktuell Nr. 41, Stiftung Wissenschaft und Politik (Hrsg.), Berlin, 2012
  • Halbach, Uwe, Russlands inneres Ausland, in: SWP - Studie Nr. 27, Stiftung Wissenschaft und Politik (Hrsg.), Berlin, 2010
  • Knysh, Alexander, The Caucasus Emirate: Between Reality and Virtuality, in: Keyman Program in Turkish Studies / Working Paper Series Nr. 09-001, Buffet Center / Northwestern University (Hrsg.), Evanston, 2009
  • Logvinov, Michail, Das Kaukasus-Emirat, in: Auslandsinformationen 3/2012, Wahlers, Gerhard / Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), Sankt Augustin / Berlin, 2012
  • Möckli, Daniel (Hrsg.), Nordkaukasus: Wachsende Instabilität im Süden Russlands, in: CSS Analysen zu Sicherheitspolitik Nr. 95, Center for Security Studies, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Zürich, 2011
  • Singhofen, Sven, Das Kaukasus-Emirat, in: Jahrbuch Terrorismus 2011/2012, Krause, Joachim / Hansen, Stefan / Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.), Opladen / Berlin / Toronto, 2012
  • Singhofen, Sven, Terrorbekämpfung in Tschetschenien und im Nordkaukasus: Mission accomplished or failed?, in: Jahrbuch Terrorismus 2010, Krause, Joachim / Witt, Diana, Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.), Opladen / Berlin / Toronto, 2011

Weblinks

  1. Kavkaz Center Gründungserklärung des Kaukasus-Emirats, abgerufen am 20.02.2013.
  2. http://www.un.org/sc/committees/1267/NSQE13111E.shtml UN - Security Council Comittee, QE.E.131.11. EMARAT KAVKAZ, abgerufen am 25.02.2013.
  3. http://www.un.org/sc/committees/1267/NSQI29011E.shtml UN - Security Council Comittee, QI.U.290.11. DOKU KHAMATOVICH UMAROV, abgerufen am 25.02.2013.
  4. http://www.un.org/sc/committees/1267/NSQE10003E.shtml UN - Security Council Committee, QE.R.100.03. RIYADUS-SALIKHIN RECONNAISSANCE AND SABOTAGE BATTALION OF CHECHEN MARTYRS (RSRSBCM), abgerufen am 25.02.2013.
  5. http://www.state.gov/r/pa/prs/ps/2011/05/164312.htm U.S. Department of State, Designation of Caucasus Emirate, abgerufen am 25.02.2013.
  6. http://www.state.gov/j/ct/rls/other/des/143210.htm U.S. Department of State, Individuals and Entities Designated by the State Department Under E.O. 13224, abgerufen am 25.02.2013.
  7. http://www.state.gov/j/ct/rls/other/des/143210.htm U.S. Department of State, Individuals and Entities Designated by the State Department Under E.O. 13224, abgerufen am 25.02.2013.
  8. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:070:0033:0034:EN:PDF Official Journal of the European Union, COMMISSION REGULATION (EU) No 260/2011 of 16 March 2011, abgerufen am 25.02.2013.
  9. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:015:0001:0019:EN:PDF Official Journal of the European Union, COMMISSION IMPLEMENTING REGULATION (EU) No 34/2012 of 17 January 2012, abgerufen am 25.02.2013.