Salafismus

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Der Begriff Salafismus (arab. Salafiyya) beschreibt eine stark vom saudi-arabischen Wahhabismus geprägte Islamauffassung, die sich streng am Ideal der islamischen Frühzeit (7.-9. Jahrhundert) orientiert. Unterschieden wird zwischen einem puristischen, politischen und jihadistischen Salafismus. Dem Phänomen wird sowohl in Deutschland wie auch auf internationaler Ebene eine wachsende Bedeutung beigemessen (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz 2011, 205).


Begriffserklärung

Bei dem Begriff Salafismus handelt es sich um einen Neologismus. Das Suffix -ismus bezeichnet hier ein Kollektiv von Anhängern einer theoretischen und theologischen Bewegung, eine Ideologie bzw. eine Geisteshaltung. Das arab. Wort Salaf bedeutet Vorfahren und bezieht sich auf die ersten drei Generationen der Muslime. Die Zeit der rechtschaffenen Altvorderen (arab. as-Salaf as-salih) umfasst die Gefährten des Propheten Muhammad, deren Nachfolger wie auch die Nachfolger der Nachfolger und endet im Jahr 855 n. Chr. mit dem Begründer der hanbalitischen Rechtsschule, Ahmad Ibn Hanbal (vgl. Sadr 2010).

Entstehungsgeschichte

In den nachfolgenden Epochen entstanden islamische Erneuerungsbewegungen, die an die Gemeinde der ersten Muslime in Mekka und Medina festhielten und sich nach diesen ausrichteten. Die zunächst geistig-moralisch orientierten Bewegungen entwickelten sich mit Muhammad Ibn Abd al-Wahhab (1703-1792) mehr in eine politisch ausgerichtete Ideologie. Die vom Namen des Reformers abgeleitete Bezeichnung Wahhabismus (arab. Wahhabiyya) entstand im politischen Zusammenspiel mit dem saudischen Königshaus auf der Arabischen Halbinsel und wurde in Saudi-Arabien 1932 zur Staatsdoktrin. Die Verbreitung wahhabitischer Lehren erfolgte durch finanzielle Unterstützung des saudischen Staates, Missionierungstätigkeiten und Veröffentlichungen von zeitgenössischen und historischen Gelehrten. Mit dem Zugriff auf gewaltige Erdölquellen erlangte Saudi-Arabien zudem einen wirtschaftlichen Aufschwung (vgl. Steinberg 2004). Die Rückkehr von Gastarbeitern in ihre Heimatländer ermöglichte einen weiteren Zugang zu wahhabitischen Inhalten. Für die gesamte islamische Welt, aber auch für Europa und damit Deutschland, stellte die Etablierung und Expansion der wahhabitischen Lehren einen religiösen Wendepunkt dar (vgl. Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen 2010).

Ideologie

Muhammad Ibn Abd al-Wahhab und seine Nachfolger forderten eine umfassende Reform, eine Reinigung der Religion und wandten die authentischen Quellen (Koran und Sunna) sowie das islamische Recht (Scharia) kompromisslos an. Der stark von der wahhabitischen Ideologie geprägte Salafismus stellt damit eine 1:1 Imitation der islamischen Frühzeit dar. Alle Veränderungen, die der Islam nach dieser Zeit erfahren hat, werden als „unislamische“ Neuerungen (arab. bid’a) abgelehnt. Zu den ideologischen Grundsätzen zählt weiter die göttliche Souveränität, die das Bekenntnis zur Einheit bzw. Einzigartigkeit Gottes (arab. tauhid) impliziert und eine uneingeschränkte Anwendung der islamischen Gesetzgebung vorgibt. Das Konzept der Loyalität und Lossagung für Allah (arab. al-Wala´ wa-l-Bar´a) mündet in Abgrenzung und Ablehnung gegenüber Andersgläubigen (vgl. Dantschke et. al. 2011). Aus dieser strengen Form des Monotheismus erwächst ein dualistisches Weltbild, das aus Gläubigen und Ungläubigen (arab. kuffar) besteht. Das Ziel ist die Errichtung einer islamischen Ordnung, die vor allem durch Missionierung (Da´wa) umgesetzt werden soll. Eine Minderheit setzt auf den bewaffneten Kampf (Jihad).

Typologisierung

Im wissenschaftlichen und sicherheitspolitischen Diskurs hat sich eine Dreiteilung des Phänomens Salafismus herausgebildet (vgl. Wiktorowicz 2006). Neben gemeinsamen theologischen Grundsätzen unterscheiden sich die verschiedenen Typologien hinsichtlich Einstellung zur Politik und Anwendung von Gewalt. Die Übergänge zwischen den nachfolgenden Kategorien sind fließend.

Puristischer Salafismus

Der puristische Salafismus ist eine Denkrichtung, die politische Betätigung ablehnt und sich gegen Gewalt ausspricht. Anhänger dieses Typus setzen im Rahmen der Missionierung auf die reine Erziehung.

Politischer Salafismus (Mainstream-Salafismus)

Im Unterschied zum puristischen Typus üben Anhänger des politischen Salafismus Kritik gegenüber bestehenden Herrschaftssystemen aus. Diese Typologie distanziert sich vordergründig von Gewalt, dennoch wird das Mittel des bewaffneten Jihad zur Zielerreichung nicht grundsätzlich abgelehnt (vgl. Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen 2010). Der Begriff Mainstream-Salafismus wird synonym verwandt und zeigt die Dominanz innerhalb der Typologien auf. Im Vordergrund steht die Verknüpfung politischer Themen mit religiösen Inhalten, die im Zeichen der Da'wa öffentlichkeitswirksam verbreitet werden.

Jihadistischer Salafismus

Der jihadistische Salafismus zeichnet sich durch Gewaltanwendung gegenüber Ungläubigen aus. Die innerislamischen Regierungsformen waren zunächst Adressaten der Gewalt. Das Erstarken eines gewaltbereiten Spektrums gegenüber westlichen Staaten erfolgte im Jahr 1989 nach dem Rückzug der Sowjetunion aus Afghanistan. Unterschieden wird zwischen einem passiven und einem aktiven Jihad. Unter dem Begriff des passiven Jihad sind Propagandatätigkeiten, die Rekrutierung von Kämpfern und das Sammeln von Spenden zu subsumieren. Der aktive Jihad umfasst hingegen die Teilnahme an bewaffneten Kampf- und Gewalthandlungen.

Das arab. Wort Takfir bedeutet „zum Ungläubigen erklären“. Die Exkommunikation von Muslimen ist kein salafistisches Monopol, dennoch kann dieses theologische Prinzip als eine Subkategorie des jihadistischen Salafismus bezeichnet werden. Eine Minderheit der Salafisten benutzen den Takfir inflationär und legitimieren so die Bekämpfung eines vom Glauben abgefallenen Muslims. Der Gelehrte Taqi ad-Din Ibn Taimiyya (1268-1328) formulierte bereits im späten 13. Jahrhundert in einem Rechtsgutachten (Mongolen-Fatwa) die Bekämpfung von mongolischen Muslimen. „Der Tenor des fatwas war, dass ein muslimischer Herrscher zum Apostaten werde, wenn er die shari`a nicht anwende. Die Mongolen aber wendeten ihr noch aus Zentralasien stammendes Gewohnheitsrecht, yasa genannt, an, und wurden somit zu Ungläubigen, die im jihad bekämpft werden mussten“ (vgl. Steinberg 2005, 45).

Salafismus in Deutschland

In Deutschland stellt der Salafismus ein verspätetes, heterogenes Phänomen dar. Der Mainstream-Salafismus überwiegt und untergliedert sich in Moscheen, Vereine, Zusammenschlüsse und Netzwerkstrukturen. In der Öffentlichkeit wahrnehmbar wurde der Salafismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch offensives Auftreten sog. „Wanderprediger“ wie Pierre Vogel alias Abu Hamza[1], Ibrahim Abou Nagie, Abu Dujana, Muhamed Ciftci alias Abu Anas und Hassan Dabbagh alias Abul Hussein (vgl. Dantschke et. al. 2011). Die überwiegend aus Deutschland stammenden oder in Deutschland sozialisierten Multiplikatoren fungieren als Sprachrohr für den Salafismus und überzeugen insbesondere durch eine auf junge Menschen abgestimmte Rhetorik. Aus dem jihadistischen Spektrum predigen beispielhaft Abou Maleeq[2] und Abu Usama al-Gharib[3].

Kriminologische Relevanz

Die ideologischen Grundsätze des Salafismus, insbesondere die Konzeption der göttlichen Souveränität und damit die Forderung einer uneingeschränkten Anwendung der islamischen Gesetzgebung, stehen im Widerspruch zu den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Loyalität gegenüber den wahren Muslimen und die Lossagung von Andersgläubigen bewirken einen Abgrenzungsprozess von der demokratischen Gesellschaft. Folglich bilden sich Parallelgesellschaften, die eine Integration erschweren. Die Akzentuierung der eigenen Islaminterpretation trägt zur Aufwertung des Ichs bzw. der Gruppierung bei und weckt ein Überlegenheitsgefühl. Die Ablehnung, Abwertung und Verurteilung anderer Religionen sowie anderer Lebensstile werden durch ein polarisierendes Welt- und Menschenbild neutralisiert. Fraglich sind die Beweggründe gerade junger Menschen, den ursprünglichen Lebensraum für den „wahren“ Islam zu durchbrechen und sich dem Salafismus hinzuwenden. Es spielen insbesondere Entfremdungserfahrungen eine Rolle. Marginale Positionen können nach der soziologischen Marginalitätstheorie einen Kulturkonflikt bewirken. „Gegenstand der Marginalitätstheorie sind bestimmte, aus unklarer sozialer und ethnisch-kultureller Zugehörigkeit sowie „doppelter Sozialisation“ stammende Motivlagen bei Personen aus Minderheitengruppen“ (vgl. Heckmann 2002, 11). Junge muslimische Migranten bewegen sich in zwei Gesellschaften, die unterschiedlich strukturiert sind und mithin einen Gegensatz zwischen traditioneller und moderner Kultur darstellen. Es entsteht eine Kluft zwischen Herkunft, Tradition und dem Streben nach Akzeptanz der Mehrheitsgesellschaft. Die Vermittlung von religiösen und kulturellen Werten der Eltern scheinen nicht auf die Lebensumstände in der neuen Heimat zu passen. Die negativen Alltags- und Lebenserfahrungen finden sich auch unter nicht-muslimischen Jugendlichen / Heranwachsenden, die im Salafismus Orientierung, Zugehörigkeit, Anerkennung, Gerechtigkeit sowie Autorität suchen. Die Konversion zum Islam stellt dann die Lösung aller Probleme dar. Die missionarisch-salafistischen Akteure knüpfen daran an, geben scheinbar Antworten auf Alltagsfragen und vermitteln öffentlichkeitswirksam via Internet ein nach ihrer Lesart spezifisches Islamverständnis. Vor dem Hintergrund strafrechtlicher Konsequenzen distanzieren sich salafistische Multiplikatoren offen den bewaffneten Kampf zu propagieren, dennoch erfolgt unterschwellig eine politische, ideologische Indoktrination. Die Gewaltbereitschaft gegenüber „Ungläubigen“ wird unter Bezugnahme der religiösen Quellen legitimiert. Diese Beeinflussung von einzelnen Personen oder Gruppen in der Gemeinschaft kann sich zu einer weiteren Radikalisierung entwickeln. Dass das Phänomen Salafismus einen Nährboden für den islamistischen Terrorismus liefern kann, zeigt sich am Beispiel der Sauerland-Gruppe.

Literatur

  • Dantschke, Claudia et. al. (2011). „Ich lebe nur für Allah“. Argumente und Anziehungskraft des Salafismus. Eine Handreichung für Pädagogik, Jugend- und Sozialarbeit, Familie und Politik. Schriftenreihe Zentrum Demokratische Kultur.
  • Heckmann, Friedrich (2002). Islamische Milieus - Rekrutierungsfeld für islamistische Organisationen? In: Politischer Extremismus in der Ära der Globalisierung. Ein Symposion des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Bundesamt für Verfassungsschutz. 6-20.
  • Sadr, Ali (2010). Islamismus. Hintergründe, Entstehungsgeschichte, Grundzüge. In: Kriminalistik. Unabhängige Zeitschrift für die kriminalistische Wissenschaft und Praxis. 64.Jahrgang. 547-557.
  • Steinberg, Guido (2005). Der nahe und der ferne Feind. ISBN 3406535151
  • Steinberg, Guido (2004): Saudi-Arabien. Politik, Geschichte, Religion. ISBN 3406511120

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Pierre Vogel – Was für ein Muslim bist Du?. Video. Abgerufen am 21. Februar 2012.
  2. Abou Maleeq. Nasheed (religiöser Gesang). Video. Abgerufen am 27. März 2012.
  3. Abu Usama al-Gharib. Wa Islamah. Video. Abgerufen am 21. Februar 2012.