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Zum Begriff der Schuld findet sich keine einheitliche allgemein gültige Definition. Dieses Problem ergibt sich durch die Relevanz des Begriffs für unterschiedliche Kontexte und somit keiner eindeutigen Zuweisungsmöglichkeit. Es handelt sich um einen abstrakten Begriff, der an das jeweilige Begriffsverständnis gebunden ist und somit auch nicht unabhängig von Zeitepochen, gesellschaftlichen und kulturellen Normen und Werten betrachtet werden kann.

Wortherkunft und Definitionsversuche

Nach Kluge (1999) handelt es sich bei 'Schuld' um ein germanisches Rechtswort, das ursprünglich ebenso wie der Begriff 'Sünde' in altnordisch von syn, in altfränkisch von sinne sowie in altsächsisch von sunda abstammt. Im Deutschen wurde 'Schuld' schließlich von 'Sollen' abgeleitet. Problematisch ist, dass keine allgemein gültige Begriffsdefinition von 'Schuld' existiert, was nicht zuletzt mit der Verwendung des Begriffs in unterschiedlichen Bezügen und Disziplinen verwandt wird. So versteht man beispielsweise aus betriebswirtschaftlicher Sicht unter der 'Schuld' eine selbständig bewertbare und abgrenzbare Verbindlichkeit (vgl. auch Corsten & Reiß 2008). Bereits Johann Christoph Adelung führte in seinem Grammatisch-kritischen Wörterbuch der hochdeutschen Mundart (1. Auflage 1774-1786) zwei Dimensionen der Schuld mit jeweils herrschenden Begriffen an (zit. nach Kemper 2007, S. 23). Als erstes nennt er den Begriff des Vergehens oder Verbrechens sowie den des begangenen Fehlers, des Versehens und der Ursächlichkeit eines Übels. In der zweiten Dimension sieht Adelung als Hauptbegriff die jedwede Verbindlichkeit, einschließlich der von ihm als gewöhnlichste Bedeutung bezeichneten: einer Geldsumme.

Haesler (2010, S. 47) weist auf die Unmöglichkeit einer einheitlichen Begriffsfindung hin und versteht 'Schuld' vielmehr als einen übergeordneten Konstruktionsbegriff, welcher der Zusammenfassung der vielfältigen Erfahrungsmöglichkeiten dient. Machlitt (2010) ergänzt dahingehend, dass sich Schuld das Bewertungsergebnis darstellt, an dem sowohl innere als auch äußere Instanzen beteiligt sind. Des Weiteren weist er auf das notwendige Vorhandensein mindestens einer Instanz hin, die über inhaltliche Definitionsmacht verfügt und auch die Person/en als Schuldige/n bezeichnet.

Insbesondere die von Machlitt angeführte Begriffsbestimmung verdeutlicht die Abhängigkeit des Schuldbegriffs von gesellschaftlichen und (sub-)kulturellen Normen und Werten sowie die Schwierigkeit der Findung eines zeit- und situationsüberdauerndenden Begriffs (vgl. hierzu auch Kemper 2007, S. 15).

Strafrechtliche Sicht

Im strafrechtlichen Sinne versteht man unter Schuld die Vorwerfbarkeit eines strafrechtlich relevanten Verhaltens. Aufgrund des Aspekts der Vorwerfbarkeit ist die Frage der Schuld im Strafrecht zentral verbunden mit der subjektiven Zurechenbarkeit. Hierdurch wird also die Frage aufgeworfen, ob jemand verantwortlich gemacht werden kann und wenn ja, in welchem Umfang und in welcher Form. Nach gültigem Strafrecht in Deutschland ist deshalb selbst im Falle der objektiven Zurechenbarkeit einer Tat, das Vorhandensein eines Unrechtsbewusstseins sowie das Vorliegen etwaiger Entschuldigungsgründe zu prüfen, z. B. im Sinne einer fehlenden oder verringerten Schuldfähigkeit. Letzt genanntes bezieht sich auf den Aspekt der subjektiven Zurechnung. (Vgl. Hassemer 1993)

Kriminologische Sicht

Der Begriff der Zurechnung, der sich im Strafrecht ausschließlich auf das Individuum bezieht, nimmt nach Hassemer (1993) hingegen in der Kriminologie keine zentrale Rolle ein. Auch stellt die Kriminologie wenn die Frage nicht (ausschließlich) in Bezug auf das Individuum sondern auf Politik, Ökonomie, Medien und Familie. Hierauf begründet wird, dass es sich bei 'Schuld' nicht um eine Kategorie der Kriminologie, sondern vielmehr des Strafrechts und des alltäglichen Lebens handele (ebds., S. 451). Kemper (2007, S. 21) versteht unter 'Schuld' u. a. die kommunizierbare Verantwortlichkeit auf individueller, gesellschaftlicher und kollektiver Ebene. Dieses Begriffsverständnis scheint dem der Kritischen Kriminologie am nächsten zu kommen.

Zitate zum Thema Schuld

Die nachfolgenden Zitate spiegeln beispielhaft die Mehrdimensionalität, aber auch kritische Betrachtungen des Schuldbegriffs wider:

"Gar manches ist vorherbestimmt; das Schicksal führt ihn in Bedrängnis. Doch wie er sich dabei benimmt, ist seine Schuld und nicht Verhängnis." Wilhelm Busch

"Wer weiß, was er zu tun hat, und tut es nicht, der macht sich schuldig." Jakobus 4.17

"Denke vor allem daran, daß du niemandes Richter zu sein vermagst. Denn es kann auf Erden niemand Richter sein über einen Verbrecher, bevor nicht der Richter selber erkannt hat, daß er genau so ein Verbrecher ist wie der, der vor ihm steht, und daß gerade er an dem Verbrechen des vor ihm Stehenden vielleicht mehr als alle anderen auch die Schuld trägt. Wenn er aber das erkannt hat, dann kann er auch Richter sein." Fjodor M. Dostojewski

Kritische Begriffsbetrachtung

Hassemer (1993) wirft aus kriminologischer Sicht die Frage auf, ob es im Umgang mit delinquenten Menschen überhaupt um die Feststellung von Schuld und damit dem Erheben von Schuldvorwürfen gehen darf. Aus diesem Grund sei zur weiteren kritischen Betrachtung auf die begrifflichen Annäherungen von Nietzsche und Freud hingewiesen (vgl. Gasser 1997).

Nietzsche nähert sich dem Begriff der Schuld über "materielle Schulden", da er davon ausgeht, dass dieser hieraus abgeleitet wurde. Dem Mensch liege nach Nietzsche seit jeher daran, Wertbemessung vorzunehmen und Wertigkeiten gegeneinander abzuwiegen. Eben hierin sei der Ursprung für die Übertragung des Gläubiger-Schuldner-Verhältnisses auch auf moralische Schulden zu suchen, was dazu führe, dass ein herbeigeführter Schaden ausgeglichen bzw. wettgemacht werden muss - materiell oder in Form seelischer Wiedergutmachung. Nietzsche erachtet das Bedürfnis hinsichtlich der Schuldfrage demnach schlicht als Legitimation für eine rächende Strafe.

Freud wiederum betrachtet den Begriff Schuld als affektiven Zustand. Dieser Zustand, der sich Folge einer normverletzenden Handlung ergibt, wird von Freud als 'soziale Angst' bezeichnet, da dieser eng mit der - zumindest befürchteten - äußeren Reaktion sozialer (Kontroll-)Organe verbunden sei. Hierzu grenzt Freud das Gewissen ab, das mit intrinsischer Schuld und Scham zu vergleichen ist. Diese Form der empfundenen Schuld sei nach Freud erst zu bejahen, wenn das Schuldgefühl nicht allein durch äußere Autorität, sondern vielmehr aufgrund einer verinnerlichten moralischen Instanz, dem Über-Ich, herbeigeführt wird. Haesler greift 2010 die Gedanken von Freud auf, und unterstreicht die seines Erachtens gegebene Sinnhaftigkeit einer synonyme Verwendung von Schuld, Schuldgefühlen und Schuldbewusstsein. Als Begründung benennt er die Notwendigkeit einer psychischen Präsenz, um Schuld aufgrund einer objektiv zurechenbaren Tat auch als solche zu erleben.

Kriminologisch relevantes Spannungsfeld des Schuldbegriffs

Bei Betrachtung der verschiedenen Definitionsversuche zeichnet sich eine unumgängliche Verstrickung von 'Schuld' mit den Begriffen Verantwortung, Moral, Gewissen, Scham, Wiedergutmachung, Vergeltung und Strafe ab. In diesem Zusammenhang sei nochmals die Begriffsbestimmung von Machlitt (2010) aufgegriffen, in der auf die Notwendigkeit einer Instanz mit Definitionsmacht hingewiesen wird. Nach Max Weber (1956 zit. nach Erdheim 2005, S. 12) bedeutet Macht "(…) jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen durchzusetzen, gleichwohl worauf diese Chance beruht." Zur Definitionsmacht zurückkommend wirft auch Safranski (2003, S. 34 u. 36) verschiedene Fragen auf, so z. B.: Ob der der Mensch sich überhaupt nach sich selbst richten kann? Und wenn ja, wonach richtet er sich dann tatsächlich und wie ist der jeweilige Mensch geworden, was er ist? Und was ist der Richtwert: die eigene Vernunft oder auf die gemeinschaftliche Tradition, derer man angehört? Aus kriminologischer Sicht erscheint es - wenn schon die Schuldfrage gestellt wird - zu eindimensional, diese ausschließlich an das Individuum zu richten, ohne die Institutionen der sozialen Kontrolle diesbezüglich zu betrachten und zu hinterfragen.

Zur Verdeutlichung des kriminologisch relevanten Spannungsfeldes sei hier das Beispiel der Situation pädophiler Männer aufgegriffen. Verwendet man den Begriff der Pädophilie im Sinne des ICD-10 oder des DSM-IV so handelt es sich um eine Störung der sexuellen Präferenz, also um einen auf das vorpubertierende Kind gerichteten und vom pädophilen Menschen nicht selbst gewählten sexuellen Stimulus. Allein hieraus lässt sich die Kritik von Hassemer (1993) angebrachte Kritik zur Schuldfrage ableiten: Kann nun allein dem pädophilen Menschen die Schuld an einem nicht selbst gewählten sexuellen Stimulus und per se an den daraus resultierenden Verhaltensweisen gegeben werden? Nun ist dies eine Frage, der sich aus strafrechtlicher Sicht im Sinne der subjektiven Zurechnung genähert werden kann. Betrachtet man nun aber weitere Aspekte zum etwaig delinquenten Verhalten pädophiler Menschen, wird die kriminologische Relevanz deutlicher: In der (rückfall-)präventiven Arbeit mit pädophilen Menschen geht es neben der Betrachtung von Schutzfaktoren auch um die Erfassung von Risikofaktoren, die in statische und variable Faktoren unterteilt werden (vgl. auch Nedopil 2005; Rotermann, Köhler & Hinrichs 2009). Zu den statischen Faktoren zählen u. a. auch prägende sozialisatorische Aspekte, wie z. B. spezifische Belastungsfaktoren im Elternhaus. Als weitere erwiesene und zentrale Risikofaktoren werden soziale Isolation und Einsamkeit benannt (vgl. Marshall 1989). Ist dies nun ein selbst gewählter, eigenverantwortlicher Risikofaktor oder ist dieser auch im Hinblick auf die negative, mit Ekeln und Ablehnung besetzte Haltung eines Großteils der Bevölkerung gegenüber pädophilen Menschen (vgl. Vogt 2006, S. 37), der medialen Aufbereitung durch Sendungen wie beispielsweise "Tatort Internet" sowie Aussagen von Politikern zum Umgang mit Missbrauchstätern, wie z. B. die des Altkanzlers Gerhard Schröder im Jahre 2001 "Wegschließen - und zwar für immer!". Sowohl am Beispiel der Herkunftsfamilie als auch anhand der Risikofaktoren 'soziale Isolation' und 'Einsamkeit' empfiehlt sich die Diskussion um die kriminologischen Sichtweisen der Zurechnung nämlich auf die Familie, Politik, Ökonomie und Medien zu erweitern.

Auf Grundlage der verschiedenen kriminologischen Theorien, so z. B. der Kontrolltheorie und der Anomietheorie, können soziale Phänomene u. a. mittels der von Safranski aufgeworfenen Fragen ebenso wie das Zitat von Dostojewski kritisch diskutiert werden.

Schuld, Scham und Strafe

Die Klärung einer Schuldfrage zieht im Falle einer Bejahung stets auch die Frage nach dem Umgang mit der Schuld mit sich. So soll beispielsweise im Strafverfahren Recht und im Falle einer Verurteilung eine oder mehrere Personen schuldig gesprochen werden. Böhm und Kaplan (2009) weisen nun daraufhin, dass der Wortstamm von 'Recht', Gerechtigkeit' und 'richten' eng verwandt ist mit dem Stamm des deutschen Wortes 'Rache'. So spricht Bongardt (2010) von einem Teufelskreis von Schuld und Strafe. Er wirft die Frage auf, womit ein Mensch der Schuld auf sich geladen hat außer mit Strafe zu rechnen hat - insbesondere im Falle schwerer Schuld. Hierdurch sieht Bongardt post-behavioral Rationalisierungen von Taten, z. B. in Form von Verleugnungen und Bagatellisierungen, begünstigt, was wiederum einen rückfallpräventiven Zugang zu den Tätern erschwert mitunter gänzlich verhindert. Stigmatisierungen, soziale Isolation, Widerstände in der Tatbearbeitung usw. werden als beispielhafte Folgen genannt (vgl. hierzu auch Labeling Approach). Im Umgang mit delinquent gewordenen Menschen werden Schuld und Scham einerseits als zentrale Mechanismen zur Herausbildung einer Opferempathie, zugleich aber auch als widerstandsfördernde Aspekte gewertet, weshalb ein reflektierter Umgang mit Schuld und Scham - insbesondere im Hinblick auf die Angst vor (sozialer) Strafe - als von Nöten erachtet wird (vgl. Machlitt 2010; Bongardt 2010).

Literatur

  • Bischöfe Deutschlands und Österreichs und der Bistümer Bozen-Brixen und Lüttich (1999): Die Bibel: Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung. 13. Auflage. Freiburg: Herder
  • Böhm, Tomas; Kaplan, Suzanne (2009): Rache. Zur Psychodynamik einer unheimlichen Lust und ihrer Zähmung. Gießen: Psychosozial
  • Bongardt, Michael (2010): Jenseits von Angst und Strafe. Theologisches und Philosophisches zum Thema Schuld. In: Jürgen Körner; Burkhard Müller (Hrsg.): Schuldbewusstsein und reale Schuld. Gießen: Psychosozial. S. 225-238
  • Busch, Wilhelm (2008): Hans Huckebein - der Unglücksrabe. In: Rolf Hochhuth (Hrsg.): Und die Moral von der Geschicht. Wilhelm Busch. Sämtliche Werke. 12. Auflage. München: Bertelsmann. S. 646
  • Corsten, Hans; Reiß, Michael (Hrsg. 2008) Betriebswirtschaftslehre, Band 1 Grundlagen, Internes Rechnungswesen, Externes Rechnungswesen, Beschaffung. ‪Lehr- und Handbücher der Betriebswirtschaftslehre. München: Oldenbourg
  • Dostojewski, Fjodor M. (2004): Die Brüder Karamasow. München: Piper. S. 525
  • Erdheim, Marion (2005): Das Traumatisierende an der Macht. Anne Springer; Alf Gerlach; Anne-Marie Schlösser (Hrsg.): Macht und Ohnmacht. Gießen: Psychosozial: S. 11-26
  • Gasser, Reinhard (1997): Nietzsche und Freud. Berlin: De Gruyter. S. 295-312
  • Haesler, Ludwig (2010): Von der Angst vor Vernichtung, Rache und Vergeltung zum Gewissen. Psychoanalytische Überlegungen zur Entwicklung von Schuldbewusstsein und Verantwortungsgefühl. In: Jürgen Körner; Burkhard Müller (Hrsg.): Schuldbewusstsein und reale Schuld. Gießen: Psychosozial. S. 41-67
  • Hassemer, Winfried (1993): Schuld und Verantwortung. In: Günther Kaiser; Hans-Jürgen Kerner; Fritz Sack; Hartmut Schellhoss (Hrsg.): Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. völlig neubearb. u. erw. Auflage. Heidelberg: C. F. Müller. S. 450-454
  • Kemper, Angelika (2007):"Auf, aufgelebt, du alter Adam!": "Schuld" in der deutschsprachigen Komödie des 18. und frühen 19. Jahrhunderts‬. ‪Band 41 von Mannheimer Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft. St. Ingbert: Röhrig
  • Kluge, Friedrich (1999): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 23. erw. Auflage. Berlin: De Gruyter
  • Machlitt, Klaus (2010): Schuld, Scham und Wiedergutmachung in der Therapie sexuell grenzverletzender Jugendlicher. In: Peer Briken; Aranke Spehr; Georg Romer; Wolfgang Berner (Hrsg.): Sexuell grenzverletzende Kinder und Jugendliche. Lengerich: Pabst Science. S. 243-252
  • Marshall, William L. (1989): Intimacy, loneliness and sexual offenders. In: Behaviour Research and Therapy, 27, 5. S. 491-503.
  • Nedopil, Norbert (2005): Prognosen in der Forensischen Psychiatrie – Ein Handbuch für die Praxis. Lengerich: Pabst Science
  • Rotermann, I.; Köhler, D.; Hinrichs, G. (2009): Legalbewährung jugendlicher und heranwachsender Sexual- und Gewaltstraftäter. Eine Studie zur prädiktiven Validität von Risiko- und Schutzfaktoren. Frankfurt: Polizeiwissenschaft
  • Safranski, Rüdiger (2003): Das Böse oder das Drama der Freiheit. 5. Auflage. Frankfurt/Main: Fischer
  • Vogt, Horst (2006): Pädophilie. Leipziger Studie zur gesellschaftlichen und psychischen Situation pädophiler Männer. Lengerich: Pabst Publisher
  • Weigend, Thomas (2009): Strafgesetzbuch StGB. 47. Auflage. München: dtv

Weblinks

Vortagsreihe zum Thema Scham