Macht

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Der Begriff "Macht" ist neben den Begriffen "Herrschaft" und "Autorität" einer der zentralsten Begriffe in den Geisteswissenschaften. Je nach der fakultativen Betrachtung unterscheidet sich der Begriff "Macht" in seiner Schwerpunktsetzung: So ist unter ökonomischer Betrachtung z. B. die Fokussierung auf Machtverhältnisse und besitzende Klasse möglich. Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung kann aber auch den Scheinwerfer auf die formative Macht in Sprechakten lenken oder Machtstrukturen in Institutionen untersuchen. Es ist also schwer, den Begriff klar einzugrenzen! Im Folgenden soll der Machtbegriff in seiner vielfältigen Anwendungsweise dargestellt werden. Eine komplette Übersicht ist damit aber noch nicht gegeben, lediglich eine einführende Betrachtung. Die für die Kriminologie relevanten Bereiche seien hier herausgestellt.


Definition

Der Begriff „Macht“ hat sich abgeleitet aus dem lateinischen Wort „potestas“. Potestas heißt übersetzt “Macht, Gewalt“ zu potis „mächtig“ (Duden 1994: 1098; Beer 1995: 22). Jaeggi (1984) bezeichnet Macht als das soziale Verhalten, „in dem bestimmte Personen die Chance haben, bei anderen Gehorsam zu finden: gleichviel worauf diese Chance beruht“ (ebd.: 343). Gleichwohl bemerkt er, dass Macht und soziale Ungleichheit zusammenhängen, die er anhand des Beispiels der Besitzverhältnisse von Produktionsmitteln erläutert. Die stärkste Erscheinungsform von Macht „liegt in der Fähigkeit zur Vernichtung des anderen“ (ebd.: 344). Machtbefugnisse gelten dann als legitim, wenn sie mit den rechtlichen und moralischen Vorstellungen der Mehrheit ausgeübt werden (ebd.: 344).

Für Arendt ist Macht im systemtheoretischen Sinne die Bedingung für die Bildung eines politischen Körpers (1996). Wenn „handelnde“ und „sprechende“ Menschen aufeinander treffen, dann bildet sich für Arendt ein sogenannter „Erscheinungsraum“. Dieser verschwindet in dem Augenblick, wenn die Menschen ihre aufeinander bezogenen Tätigkeiten beendet haben. Eine Organisation bzw. ein politischer Körper bleibt aber auch noch nach dem Augenblick des Zusammenhandelns durch die Macht, die ihm innewohnt, bestehen. Diese Macht kann niemand persönlich besitzen, denn sie entsteht immer als Potential des gemeinsamen Tätigseins (ebd.: 193 ff.). Die Institutionen und Gesetze in einem Land sind Träger von Macht (Arendt 1998: 42). Dieses ist aber für Hannah Arendt nur deshalb möglich, weil die Menschen diese Institutionen und Gesetze durch einen gemeinsamen Konsens ins Leben gerufen haben und auch weiterhin unterstützen. Wenn diese „lebendige Macht“ des Volkes nicht mehr hinter den Institutionen steht, dann verfallen diese (ebd.). Für den Bereich der Kriminologie ist Arendt´s Aussage interessant, dass ein Machtverlust und Gefühle der Ohnmacht zu Gewalt führen können (vgl. hierzu Arendt 2008: 55). Gewalt ist demnach eine mögliche Alternative zu einem verhinderten "Miteinanderhandeln" (ebd.: 83), welches gerade den Menschen zu einem politischen Wesen macht (ebd.: 81) und zu seiner "Vervollkommnung" beiträgt (ebd.: 109).

Reese-Schäfer (2000) sieht bei Niklas Luhmann die Definition von Macht auf der Grundlage der Legitimation zur physischen Gewaltanwendung. Die Politik wäre nach Luhmann so ein Beispiel, da sie die Macht in die Amtsformen „codiert“. Über die Ämter hat die Politik die Möglichkeit, mit negativen Sanktionen ein Verhalten der Menschen zu erzwingen. Die Legitimation dieser Macht zur Gewaltausübung holt sich das politische System über regelmäßige Wahlen, in denen dann im Meinungsbildungsprozess diese Macht neu diskutiert wird Luhmann zitiert nach Reese-Schäfer 2000: 145). Hannah Arendt definiert Macht auf der Grundlage des Anspruches auf Gehorsam - den auch Autorität inne hat. Sie schließt ebenso wie Luhmann die Kategorien des Zwanges und der Gewalt mit in die Definition ein. Macht hat die Verfügung über Gewalt, mit dessen Hilfe eine Person zu etwas gezwungen werden kann. Arendt nennt hier das Beispiel des Verhältnisses vom Herrn und dem Diener. Jener kann vom Herrn gezwungen werden eine bestimmte Handlung auszuführen, ohne dass der Diener dieses will (Arendt 1994: 159 f. und 188 f.). In diesem Sinn versteht Arendt Macht als die Notwendigkeit für alles Herstellen und Ausführen, egal ob es sich auf Personen oder Sachen bezieht. Das Gegenüber verinnerlicht die Wünsche und Forderungen des Machtinhabers, da er durch das Mittel der Gewalt dazu gezwungen werden kann (ebd.: 189). Ein Verhältnis der Macht bedarf also nicht unbedingt einer freiwilligen Unterordnung, die auf einem gemeinsamen Konsens beruht oder anders gesagt, einer direkten Legitimation. Weber erklärt hierzu passend: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber zitiert nach Korte 1993: 112). Vogel (1989: 273) kennzeichnet Gewalt und Zwang als zerstörerische Formen von Macht. Zugleich wird Macht zum „Grenzfall von Autorität“, wenn an die Stelle von „Legitimation und Geltung Zwang und Unterwerfung treten“ (Hennen/ Prigge zitiert nach Vogel 1989: 275). Macht wird aber ebenso von Autorität getragen bzw. wird von ihr legitimiert. Ihre Ausübung wird umso problematischer, je weniger sie auf echter und anerkannter Autorität beruht und in ein Verhältnis der massiven Unterdrückung übergeht (Köck/ Ott 1997: 456). Die Ausübung von Macht muss also getragen werden von Autorität; aber sie findet auch hier ihre Grenze, will sie nicht totalitär werden und sich jeder Rechtfertigung entziehen (Beer 1995: 36).

In der Geschichts- und Politikwissenschaft wird Macht aus einer besonderen Perspektive untersucht. Dabei werden die verschiedenen Formen menschlicher Vergesellschaftung - bis hin zur Bildung von Nationalstaaten - auf die Entwicklung von Machstrukturen hin analysiert. Zum einen wird Macht beleuchtet als Mittel zur "Intergration der Untertanenschaft" und zur Ermöglichung zivilisierten Lebens (Osterhammel 2011: 833). Zum anderen wird rekonstruiert, wie die "Aneignung von Ressourcen" innerhalb einer Gesellschaft von statten geht (ebd.: 832). Hess und Stehr (1987: 23-35) beschreiben hierzu passend, welche historisch ursächliche Entwicklung und Differenzierung das Strafrecht in unterschiedlichen Gesellschaften gemacht hat. Durch demographisches Wachstum, Migration, Krieg und anwachsenden Fernhandel kam es auch zu einer gewichtigen Umverteilung von Macht und Reichtum. Die dabei aufgetretenen Ungerechtigkeiten und Abhängigkeiten in den betreffenden Gesellschaften wurden bewusst geschützt, indem Gesetze geschaffen wurden. Diese sollten den Status Quo und damit das Machtungleichgewicht aufrechterhalten. Eine historische Analyse von Peters (2009) schließt sich hier an, der im Strafrecht kapitalistischer Gesellschaften basale Prozesse und Normenkategorien aufzeigt, die allein den Produktionsprozess dauerhaft absichern sollen. Diesem System liegen drei Normen zugrunde: Produktionsnormen, Reproduktionsnormen und Tausch- und Eigentumsnormen (ebd.: 35). Ziel ist also auch hier die Aufrechterhaltung und Verteidigung von kapitalistischer Produktion und die Verteilung von Reichtümern.

Postmann (1997) erwähnt Macht zum Beispiel im Zusammenhang mit Sprache. Die Welt wird für den Menschen begreifbar, indem er sie mit Hilfe der Sprache erschafft, d. h. er kategorisiert und beschreibt sie. Durch unsere Sprachgewohnheiten teilen wir unsere Vorstellungen von der Welt mit. Entscheidend sind dabei die Begriffe und deren jeweilige Definitionen, welche den Begriff näher bestimmen bzw. beschreiben. Die „gesellschaftliche Ordnung erzwingt verbindliche Definitionen“ und setzt diese auch durch (ebd.: 204 ff.). Man kann Postmann`s Machtbegriff mit dem Begriff der „Positionsmacht“ von Vogel vergleichen, der im systemtheoretischen Ansatz die generelle und soziale Macht von Gesellschaftsstrukturen in einem politischen System erklärt. Vogel (1989) arbeitet den Unterschied zwischen „Positionsmacht“ und „persönlicher Macht“ heraus. Für die Definition von persönlicher Macht bei Vogel sind individuelle Merkmale kennzeichnend, und sie wird in interaktionistischen und handlungstheoretischen Ansätzen beschrieben (ebd.: 410). Für den Begriff der Positionsmacht sind zurechenbare soziale Merkmale beständiger Gesellschaftsstrukturen charakteristisch. Es handelt sich hier eher um den Typ genereller Macht, und es spielen systemtheoretische Ansätze eine Rolle, die „politische Macht als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“ sehen (ebd.).

In der Betrachtung von Macht als rein äußerlicher Beziehung gibt es dazu noch eine Erweiterung: In den Sozialwissenschaften und der Philosophie wird gegenwärtig Macht gekoppelt an die „Theorie der Sprechakte“. Diese moderne Diskurstheorie befasst sich mit dem Prinzip der Herrschaft und Macht innerhalb der menschlichen Sprache. Dabei liegt ihr Schwerpunkt nicht auf der Analyse von Machtverhältnissen zwischen Menschen, sondern ihr Blick ist gewendet auf gesellschaftlich-historische Macht, die sich in dem Phänomen der Sprache äußert. Zentrale Angriffspunkte dieser Theorie sind die Begriffe der „Materie“ und des „Subjekts“. Unser humanistisches Bild vom Subjekt entspricht dem eines absichtsvoll und instrumentell handelnden. Der bekannte Satz von Descartes (1596-1650) „Cogito, ergo sum“, unterstreicht das Bild von einem Subjekt, das durch den Prozess des selbstständigen Denkens sich seiner selbst bewusst ist und in seinem Handeln eine absichtsvolle Wahl hat (Descartes 2008: 12 ff.). In ihrem Buch „Körper von Gewicht“ versucht Judith Butler diese Vorstellung eines instrumentell handelnden Subjekt zu widerlegen. Nach ihrer These sind Normen, soziale Praktiken, Sprache und sogar Begriffe eingebunden in juridische Machtformen. Der Begriff „Biologie“ ist bei Butler schon etwas, was sie in Anlehnung an Foucault als „regulierendes Ideal“ bezeichnet (Butler 1995: 21). Damit ist gemeint, dass allein der Begriff in seiner Bedeutung bestimmte Eigenschaften von Materie einschließt und materialisiert. Die wahre Bedeutung eines Körpers oder Stoffes wird einem Menschen nie bewusst werden, da durch den Prozess der sprachlichen Bezeichnung (Signifikation) seine Bedeutung anhand von Macht- und Ausschlusskategorien festgelegt ist. Materialität wird als die produktivste Wirkung von Macht gesehen (ebd.: 22). In Bezug auf das wollende und handelnde Subjekt geht Butler folgendermaßen vor: Der Theorie zur Folge gibt es kein Subjekt bzw. kein „Ich“, welches dem Diskurs vorgängig ist. Vielmehr erhält ein Subjekt seine Identität erst durch den Gebrauch der verschiedenen Diskursformen. Butler verwendet den Begriff der „Matrix“, durch den ein wollendes Subjekt überhaupt erst möglich wird (ebd.: 29). Der normative Diskurs entscheidet darüber, wie Körper und Subjekte sich materialisieren - er ist eine kulturelle Bedingung. Die Nichtannahme dieser Diskurspraktiken würde gesellschaftlich gesehen einen nicht lebbaren Körper schaffen (ebd.: 16). Den Bereich des Lebbaren bezeichnet Butler als „intelligibel“ und den nicht-lebbaren als „konstitutives Außen“. Butler erläutert: „Diese Operation der Macht erzeugt die Subjekte, die sie unterwirft; das heißt, sie unterwirft sie in und durch die zwangsweisen Machtbeziehungen, die für sie als formatives Prinzip wirksam sind. Macht ist aber das, was Körper zugleich bildet, aufrechterhält, trägt und reglementiert, so daß Macht strenggenommen kein Subjekt ist, das auf die Körper als von ihm unterschiedene Objekte einwirkt“ (ebd.). In diesem Verständnis wird Macht also nicht als äußerliche Beziehung verstanden, sondern als ein formatives und schaffendes Prinzip, nach der Maxime: „Am Anfang war das Wort“. Das zum "Vorschein-Kommen" des Individuums ist vergleichbar mit einer Straßenkreuzung, an der sich die verschiedenen Machtformen in Form des Diskurses treffen. Ein historisches Beispiel, wie Macht nicht nur im Diskurs sondern auch in Normen bzw. Gesetzen lebendig wird, ist der § 175 des deutschen Strafgesetzbuches, der Unzucht zwischen Männern verbot, d. h. Homosexualität unter Strafe stellte (vgl. hierzu Schulz, C., Sartorius, M. 1994). Aber auch aktuelle Debatten, wie z. B. die eheliche Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften, spiegeln diese Machtverhältnisse wider.

Literatur

Arendt, H. (1998): Macht und Gewalt. Piper-Verlag, München.

Arendt, H. (2008): Macht und Gewalt. Piper-Verlag, München.

Arendt, H. (1996): Vita activa oder Vom tätigen Leben. Piper-Verlag, München.

Arendt, H. (1994): Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ursula Ludz (Hg.), Piper-Verlag, München.

Beer, U. (1995): Jugend braucht Autorität. Ein Aufruf zur pädagogischen Vernunft. Bahn-Verlag, Neukirchen-Vluyn.

Butler, J. (1995): Körper von Gewicht – Gender Studies. Edition Suhrkamp.

Descartes, R. (2008): Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie, December 14, 2008 [Originaltext unter http://www.gutenberg.org, EBook #27532, Gutenberg Projekt].

Duden (1994): Das große Fremdwörterbuch. Duden-Verlag, Mannheim.

Jaeggi, U. (1984): Macht, in: Handbuch Soziologie. Kerber, H./ Schmieder, A. (Hg.), Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg.

Hess, H./ J. Stehr (1987): Die ursprüngliche Erfindung des Verbrechens, in: Kriminologisches Journal 19. 2. Beiheft.

Köck, P./ Ott, H. (1997): Wörterbuch für Erziehung und Unterricht. 6., Auer-Verlag, überarbeitete und aktualisierte Aufl. – Donauwörth.

Korte, H. (1993): Einführung in die Geschichte der Soziologie. UTB-Verlag, 2. Aufl. – Opladen.

Osterhammel, J. (2011): Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. Sonderausgabe Verlag C. H. Beck.

Peters, H. (2009): Devianz und soziale Kontrolle. Eine Einführung in die Soziologie abweichenden Verhaltens. Juventa Verlag.

Postman, N. (1997): Keine Götter mehr. Das Ende der Erziehung. dtv-Verlag, 2. Aufl. – München.

Reese-Schäfer, W. (2000): Politische Theorie heute: neuere Tendenzen und Entwicklungen. Oldenbourg-Verlag, München.

Schulz, C./ Sartorius, M. (1994): Paragraph 175 (abgewickelt). MännerschwarmSkript.

Vogel, U. (1989): Macht, in: Wörterbuch der Soziologie - Band 2. Günter Endruweit (Hg.), Enke-Verlag, Stuttgart.

--Tobias Gienow-Elsner 18:47, 13. Feb. 2013 (CET)