Routine Activity Theory: Unterschied zwischen den Versionen

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Unter dem Element “capable guardian” werden Elemente bewusst eingesetzter sozialer Kontrolle oder aber auch zufällig anwesende Instanzen informeller Kontrolle gefasst. Instanzen formeller und [[informeller Kontrolle]] können sowohl menschliche Akteure aber auch [[Alarmanlagen]], [[Überwachungskameras]] oder andere technische Kontrollsysteme sein.   
Unter dem Element “capable guardian” werden Elemente bewusst eingesetzter sozialer Kontrolle oder aber auch zufällig anwesende Instanzen informeller Kontrolle gefasst. Instanzen formeller und [[informeller Kontrolle]] können sowohl menschliche Akteure aber auch [[Alarmanlagen]], [[Überwachungskameras]] oder andere technische Kontrollsysteme sein.   
Einige Beispiele für “capable guardians” sind:
Einige Beispiele für “capable guardians” sind:
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• Nachbarschaftliche Überwachungspatrouillen</br>
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Version vom 19. September 2007, 13:43 Uhr

1. Allgemein
2. Ursprung
3. Die Routine Activity Theory im Detail
a. „suitable target“
i. VIVA
ii. CRAVED
b. „the absence of a capable guardian“
c. „likely offender“
4. Theoretische Einordnung und Weiterentwicklung
5. Literaturhinweise


1. Allgemein

Die Routine Activity Theory (oder auch: Routine Activity Approach, nachfolgend: RAT) ist eine makrotheoretische kriminologische Theorie, die sowohl das Auftreten spezieller Delikte als auch Veränderungen der Kriminalitätsrate erklären will. Sie ist aus dem Umfeld der sog. Chicago School entwickelt worden. Im Mittelpunkt der RAT steht die Analyse von Struktur und Häufigkeit legalen Handelns (der Routine-Aktivitäten) und deren Auswirkungen auf das Auftreten oder Ausbleiben von strafrechtlich relevantem Verhalten. Die RAT beschränkt sich in ihrer Erklärung auf das Zustandekommen illegaler Aktivitäten, die einen direkten Kontakt zwischen Täter und Opfer bzw. sonstigen Objekten beinhalten (sog. direct-contact predatory violations).

2. Ursprung

Die RAT wurde erstmals 1979 von Lawrence E. Cohen und Marcus Felson formuliert. Ziel der Autoren war es, den Anstieg der Kriminalitätsrate in den USA zwischen 1960 und 1980 zu erklären. Ihr Erklärungsmodell macht den gesellschaftlichen Wandel, der sich in einem veränderten Grad sozialer Verflechtungen und Interaktionen zeigt, für die steigende Kriminalität (hier stehen vor allem die Eigentumsdelikte im Fokus der Aufmerksamkeit) verantwortlich. Die gestiegene Mobilität der US-amerikanischen Bevölkerung führt zunächst zu einer Besiedelung der Vororte (suburbs) größerer Städte. Wohn- und Arbeitsstelle sind in der Regel klar räumlich voneinander getrennt. Zeitlich auf diese Entwicklung folgend, führt ein zunehmender Anteil von berufstätigen Frauen zur relativen Auflösung informeller Kontrollsysteme. Für einen Großteil des Tages sind die Wohnhäuser unbewohnt und unbewacht. Gleichzeitig finden hochwertige transportable und leicht verkäufliche Produkte (z.B. Fernseher und Videorekorder) Einzug in viele Haushalte. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen identifizieren Cohen und Felson als Routineaktivitäten (z.B. das Verlassen des Wohnortes während der Büro- und Arbeitszeiten), die einer zeitweiligen Auflösung der Sozialkontrolle („abscence of guardiance“) gleichkommen.


3. Die Routine Activity Theory im Detail

Die RAT geht von drei situativen Elementen aus, deren Zusammenkommen für die Entstehung einer kriminellen Handlung notwendig sind. Je nach Verteilung der drei Elemente auf Raum und Zeit ergeben sich unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten für strafrechtliche Handlungen an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten.

a.) „suitable target“: taugliches, lohnendes (Ziel-)Objekt, welches Ziel einer kriminellen Handlung sein kann.

Ein „suitable target“ kann im Einzelfall durch eine Person, ein Objekt oder auch einen Ort repräsentiert sein. Nicht alle Objekte werden zum Ziel eines Verbrechens. Die Bestimmung der Tauglichkeit erfolgt aus der Perspektive des möglichen Straftäters. Zur Bestimmung der Qualität „Tauglichkeit“ werden folgende zwei Akronyme angeführt: a.i.) VIVA: Value, Inertia, Visibility, Access D.h., ein Objekt gilt dann als „geeignet“, wenn es sich durch seinen Wert, seine Trägheit / oder Beweglichkeit, seine Sichtbarkeit und den Zugangsmöglichkeiten zum Objekt auszeichnet. Alternativ werden die Qualitäten eines „suitable targets“ auch durch folgende Adjektive umschrieben: a.ii.) CRAVED: Concealable, Removable, Available, Valuable, Enjoyable, Disposable. D.h., dass ein Objekt als “geeignet” gilt, wenn es verdeckbar / verschleierbar, entfernbar, verfügbar, wertvoll, genießbar / unterhaltsam und verkäuflich ist. Unabhängig von der Tauglichkeit wird eine Person, ein Gegenstand oder ein Ort nicht Objekt eines Verbrechens, solange ein voraussichtlicher Straftäter abwesend und ein fähiger Wächter anwesend ist.

b.) Absence of a Capable Guardian / Abwesenheit eines fähigen Wächters: Fehlen einer grundsätzlich zur Verhinderung eines Verbrechens fähigen Kontrollinstanz. Unter dem Element “capable guardian” werden Elemente bewusst eingesetzter sozialer Kontrolle oder aber auch zufällig anwesende Instanzen informeller Kontrolle gefasst. Instanzen formeller und informeller Kontrolle können sowohl menschliche Akteure aber auch Alarmanlagen, Überwachungskameras oder andere technische Kontrollsysteme sein. Einige Beispiele für “capable guardians” sind: • Polizei • Sicherheitsdienste
• Nachbarschaftliche Überwachungspatrouillen
• Türsteher
• aufmerksames Personal
• Mitarbeiter
• Freunde
• Nachbarn
Videoüberwachung
Nicht jede anwesende Kontrollinstanz arbeitet effektiv. Eine Überwachungskamera kann falsch postiert sein oder das Verkaufspersonal kann unaufmerksam und ungeschult sein, so dass es trotz der Anwesenheit eines „Wächters“ (der aber eben nicht befähigt ist) zum Auftreten von Verbrechen kommt.

c.) „Likely Offender“ / möglicher Straftäter:

Ist ein Objekt geeignet, um Gegenstand eines Verbrechens zu werden und fehlen fähige Kontrollinstanzen, ist die Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens hoch. Ob tatsächlich eine Straftat geschieht, hängt von der Bewertung der Situation durch den möglichen Straftäter ab. Schätzt der „likely offender“ das Objekt des Verbrechens als „suitable“ ein und sind fähige Kontrollinstanzen abwesend, kommt es zu einer Straftat. Hier wird angenommen, dass die Begehung einer strafrechtlich relevanten Handlung eine rationale Wahlhandlung darstellt, bei der der Delinquent in einer Kosten-Nutzen-Rechnung seinen potentiellen Gewinn (Wert der Beute, Befriedigung des ‚sensation seekings’, usw.) den vermeintlichen Kosten (z.B. das Risiko ertappt zu werden, Höhe der Strafandrohung, usw.) gegenüberstellt. Es entspricht auch dem der RAT zugrunde liegenden Menschenbild des „homo oeconomicus“, wenn mögliche Motivationen, die einen potentiellen Straftäter zu einem aktualen Straftäter werden lassen, konsequent ausgeblendet werden. Ebenso bleiben entwicklungspsychologische Theorien zur Erklärung krimineller Disposition unberücksichtigt. Die RAT geht von einer allgemeinen allgegenwärtigen Neigung zum kriminellen Verhalten aus. Menschliches Verhalten ist grundsätzlich gekennzeichnet durch moralische Schwäche, Verführbarkeit und Provozierbarkeit; das menschliche Handeln wird durch situative Gegebenheiten und durch andere Personen erheblich beeinflusst.

4. Theoretische Einordnung und Weiterentwicklung

Formal lässt sich die RAT den Kriminalitätstheorien sozialer Desorganisation (Social Disorganisation Therories of Crime) zuordnen. Diesen Theorien ist ihre makrotheoretische Perspektive mit zumeist orts- und nicht personenzentrierten Erklärungsansätzen für das Auftreten strafrechtlich relevanter Handlungen gemein (siehe: Environmental Criminology). Bekannte Vertreter dieser Theorierichtung sind aus der sog. Chicago School hervorgegangen, so z.B. der sozialökologische Ansatz von Robert E. Park oder das Zonenmodell der Stadtentwicklung von Ernest W. Burgess. Die RAT gliedert sich insofern in diesen Theoriezweig ein, als sie akteurszentrierte und entwicklungspsychologische Erklärungsansätze ablehnt. Aus Sicht der RAT sind Akteure lediglich Objekte, deren mögliche Handlungsmotive und Dispositionen unberücksichtigt bleiben. Das zeigt sich bereits an den verwendeten Termini: Anstelle von Opfer (victim) wird das wertneutralere Wort Ziel (target) verwendet, statt vom Verbrechen (crime) wird von Verstoß / Übertretung (violation) gesprochen. Und schließlich zeugt die Tatsache, dass ein wesentliches Element der RAT durch seine Abwesenheit definiert wird (nämlich: Abwesenheit eines fähigen Wächters / absence of a capable guardian), vom Bemühen, einen entpersonalisierten Erklärungsansatz für kriminelles Verhalten zu formulieren, fernab biologischer, persönlichkeitsbezogener oder sozialstruktureller Modelle. Gemeinsamkeiten sind auch mit der Theorie rationaler Wahlhandlungen (Rational Choice) gegeben. Die RAT geht implizit von einem rational agierenden Straftäter aus, der sich von situativen Momenten leiten lässt (Vorhandensein eines lohnenden Zielobjekts, Abwesenheit eines fähigen Wächters). Entscheidender Unterschied zwischen den beiden Theorien sind die unterschiedlichen Erklärungsebenen (RAT = Makroebene, Rational Choice = Mikroebene) und die unterschiedliche Einbeziehung akteursspezifischer Dispositionen in die Erklärung kriminellen Verhaltens.

Die RAT dient als theoretisches Fundament situativer Präventionsansätze. Hier ist vor allem die Situational Crime Prevention (Clarke 1993) zu nennen. Der Annahme der RAT folgend, dass ein Verbrechen ein zeitgleiches Aufeinandertreffen der drei Elemente (suitable target, absence of a capable guardian, likely offender) an einem Ort voraussetzt, werden bei situativen Präventionsmaßnahmen die Tatgelegenheiten erschwert. So kann beispielsweise durch den serienmäßigen Einbau von Wegfahrsperren in Kfz’s, dem Autodiebstahl vorgebeugt werden oder durch ein zügiges Entfernen von Graffiti, Sprühern der Anreiz genommen werden, erneut Sachbeschädigungen zu verursachen. Eine Übersicht von insgesamt 25 Techniken zur situativen Kriminalitäts-Prävention findet sich bei Cornish und Clarke (2003).


5. Literaturhinweise

Clarke, R. V. and M. Felson (Eds.) (1993). Routine Activity and Rational Choice. Advances in Criminological Theory, Vol 5. New Brunswick, NJ: Transaction Books.

Clarke, R.V. (Ed.) (1997) Situational Crime Prevention: successful case studies (2nd edition). New York: Harrow and Heston.

Clarke, R.V. and D.B. Cornish (2003): Opportunities, precipitators and criminal decisions: A reply to Wortley’s critique of situational crime prevention. In: Crime Prevention Studies 16, S. 41–96 (vergleiche: http://www.crimereduction.gov.uk/learningzone/scptechniques.htm).

Cohen, L.E. and M. Felson (1979) Social Change and Crime Rate Trends: A Routine Activity Approach. American Sociological Review 44, 588-608.