MARAC

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MARAC- Multi-Agency Risk Assessment Conference


MARAC ist eine Methode zum Schutz für Betroffene von häuslicher Gewalt, die 2003 in Cardiff/Wales in Großbritannien von der Polizei und der Opferschutzeinrichtung Women's Safety Unit entwickelt wurde (vgl Home Office, 2011).

Inhaltsverzeichnis

Begriff

MARAC steht für multi-institutionelle Konferenz zur Risikoeinschätzung und Sicherheitsplanung zur Prävention von Gewalt bei besonders gefährdeten Opfern häuslicher Gewalt. Vertreterinnen und Vertreter staatlicher und nicht-staatlicher Institutionen aus den Bereichen Polizei, Justiz, Frauen- und Kinderschutz, Jugendwohlfahrt, Gesundheitwesen, Bewährungshilfe und Suchthilfe halten regelmäßig Fallkonferenzen ab, mit dem Ziel gemeinsam effektive und koordinierte Maßnahmen zum Schutz besonders gefährdeter Opfer zu entwickeln und durchzuführen (vgl Sticker, 2011). Im Zeitraum von 01. Oktober 2011 bis 30. September 2012 operierten 264 MARACs in England, Wales und Nord-Irland, die 56.989 Opfer von familiärer Gewalt unterstützten. In 24% der Fälle handelte es sich um wiederholte Viktimisierung.[1]

Entstehung multi-institutioneller Zusammenarbeit in Cardiff/Wales

Bevor das MARAC Modell im Jahr 2003 entstanden ist, bildeten Justizbehörden und Freiwilligenorganisationen in Cardiff bereits Partnerschafts-Programme, mit dem Ziel ein verbessertes Unterstützungsangebot speziell für Opfer häuslicher Gewalt zu gewährleisten. Ein inter-institutioneller Ansatz im Umgang mit von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern galt als zentraler Leitsatz der Opferschutzprogramme. Die im Jahr 2001 errichtete unabhängige Frauenorganisation Women‘s Safety Unit mit Sitz in Cardiff und die Süd- Walisische Polizei (englisch South Wales Police, SWP) waren Hauptträger der verstärkten Zusammenarbeit zwischen den mit Gewalt in der Familie befassten Institutionen. Die Arbeitsdefinition der SWP für den Begriff häusliche Gewalt beinhaltet jede Form von physischen, psychischen, sexuellen oder finanziellen Missbrauch einer Person durch ein Familienmitglied, den Partner oder die Partnerin, sowie den Ex-Partner oder die Ex-Partnerin in einer aufrechten oder früheren Beziehung, unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung. Die SWP setzte im April 2002 ein drei-stufiges Interventionsprogramm (Police Watch) um, zur Reduzierung der Anzahl wiederholter Vorfälle von Gewalt in der Familie. Verstärkten Polizeipräsenz am Ort des Geschehens und Beratung von Opfern und Täter und Täterinnen sollen erneute Gewaltvorfälle verhindern. Nach dem dritten Vorfall bei dem es zu einem Polizeieinsatz kommt, ruft die DVU ein Treffen mit verschiedenen Einrichtungen ein zum Zweck der verstärkten Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs. Diese Treffen sind inzwischen durch die MARACs formalisiert (vgl. Robinson 2004).

Risk Assessment

Im Dezember 2002 begann die SWP die Gefährdung der Opfer anhand eines Fragenkataloges zur Riskoeinschätzung zu dokumentieren. Die dafür verwendete Risiko-Indikatorenliste ergab sich aus einer Untersuchung 47 inländischer Morde im sozialen Nahbereich, relevanter Forschungsergebnisse und dem Austausch zwischen Kommunal- und Justizbehörden und überlebenden Opfern. Der Einsatz der Risiko-Befragung hatte zum Ziel, schwere Fälle von häuslicher Gewalt zu identifizieren (vgl. Robinson 2005). Das Formular zur Risikoeinschätzung enthält 15 Ja-Nein-Fragen über vergangene körperlichen Misshandlungen, Eskalationen der Gewalt, Alkohol- oder Drogenmissbrauch, Arbeitslosigkeit, Schwangerschaft, seelische oder sexuelle Gewalt, Trennung und Suizidgedanken des Opfers (vgl. Robinson, 2006). Das Auswertungsergebnis des Fragebogens ermöglicht die Einteilung der Gefährdung in vier Kategorien von einem niedrigen bis zu einem sehr hohen Risiko für die betroffene Person erneut Opfer von häuslicher Gewalt zu werden. Wenn ein Opfer sechs oder mehr Fragen positiv beantwortete, wurde der Fall ab 2003 im Zuge der MARAC besprochen.

Armanda Robinson, Dozentin für Sozialwissenschaften an der Universität Cardiff in Wales bezeichnete den Einsatz des Risk Assessment als Möglichkeit für die Polizei auf strukturierte Weise detaillierte und relevante Informationen von den Betroffenen selbst zu erhalten. Diese Informationen, die mit anderen befassten Einrichtungen ausgetauscht werden, können dabei helfen, den Betroffenen das bestmögliche und auf ihre speziellen Bedürfnisse zugeschnittene Unterstützungsangebot zu bieten. Der gezielte Einsatz spärlicher Ressourcen aus dem Bereich Justiz zur Unterstützung hoch gefährdeter Opfer familiärer Gewalt soll in weiterer Folge chronischen Gewaltbeziehungen und Homizide verhindern, weswegen letztendlich staatliche Kosten häuslicher Gewalt reduziert werden können. Im Hinblick auf einen multi-institutionellen Rahmen ermöglicht ein Risk Assessment auch Einrichtungen abseits von Polizei und Bewährungshilfe ein Bewusstsein für die Gefährlichkeit des Täters oder der Täterin zu verschaffen. Demnach ist das Risk Assessment ein wichtiger Bestandteil der koordinierten gemeinschaftlichen Reaktion auf häusliche Gewalt (vgl. Robinson, 2006).

Anwendung der MARAC Methode

Leitlinien

Seit den Anfängen MARACS bemühten sich vor allem Opferhilfe-Organisationen um die Standardisierung eines allgemeine Verfahrens der multi-institutionellen Konferenzen und um die Schaffung einheitlicher Standards für die Verringerung des Risikos für hochgefährdete Opfer erneut durch häusliche Gewalt viktimisiert zu werden. Studien ergaben, dass vor allem Trennungssituationen das Risiko einer Reviktimisierung erheblich erhöhen können (vgl. Dichter und Gelles, 2012). Die unabhängige Opferorgansiation CAADA (Coordinated Action Against Domestic Abuse) hat zusammen mit einer Auswahl von Handbüchern für Praktiker und Praktikerinnen eine eine Reihe von 10 Leitgrundsätzen entwickelt, die die einheitliche Administration und Koordination von MARACs festlegen sollen (vgl. Home Office, 2011). Der Kern aller Leitlinien ist der Opferschutz, der in allen Stadien des MARAC Prozesses zu berücksichtigen ist. Die Leitlinien umfassen Standards zur Identifizierung hoch gefährdeter Opfer häuslicher Gewalt und dem Verweisungsverfahren an die MARACs bis zum Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Einrichtungen, sowie von der Aktionsplanung bis zur Administration der Umsetzung. Die Leitlinien sollen gewährleisten, dass die Betroffenen im Zentrum des Prozesses stehen und so die Gefahr erneuter Viktimisierung gemindert wird.[2].

Ablauf einer MARAC

Nach dem hochgefährdete Opfer durch eine Einrichtung identifiziert und an die lokale MARAC-Koordinationsstelle verwiesen wurde, beginnt der ideale Ablauf einer Fallkonferenz damit, dass jene Institution, die eine MARAC organisiert, Informationen für das Treffen zusammenträgt, eine Tagesordnung aufsetzt und 8 Tage vor dem Sitzungstermin an alle Teilnehmenden versendet. In Großbritannien übernehmen meistens Mitglieder der Polizei oder der Bewährungshilfe diese Koordinationsfunktion. Die Sitzungen besprechen im Durchschnitt 15-20 Fälle von hoch eskalierter Fälle häuslicher Gewalt, dauern einen halben Tag und finden monatlich oder 14-tägig statt (vgl. CAADA, 2010). Mitglieder von Institutionen, die eine ständige Unterstützungsfunktion für die Opfer ausüben, müssen bei jeder MARAC anwesend sein. Dazu gehören Polizei, Opferschutzeinrichtungen, inklusive Frauen- und Kinderhilfseinrichtungen, Gesundheitswesen, Wohnungsbeschaffungseinrichtungen, Bewährungshilfe und unabhängige Berater und Beraterinnen für häusliche Gewalt (IDVA-Independent Domestic Violence Adviser). Die Opfer sollten, wenn es dadurch nicht zu einer erhöhtem Risiko kommt, vor der Sitzung verständigt werden, aber nicht daran teilnehmen (vgl. CAADA, 2010). Am Beginn wird eine Pflicht zur Verschwiegenheit aller Beteiligten vereinbart. Im Anschluss daran werden die jeweiligen Informationen der einzelnen Institutionen zusammengetragen, um über jeden Fall eine möglichst umfassende Darstellung zu erhalten. Die Teilnehmenden nehmen auf Basis der vorgelegten Informationen erneut eine Risikoeinschätzung vor. Danach erstellen die Teilnehmenden gemeinsam einen Aktionsplan zum Schutz der Opfer, der den jeweiligen Risikofaktoren gerecht wird. Auf jeder MARAC wird Protokoll geführt, das alle beschlossenen Maßnahmen des Aktionsplans beinhaltet (vgl. Interventionsstelle, 2008). In weiterer Folge führen die jeweiligen Institutionen die ihnen zugewiesenen Maßnahmen aus.

Das Britische Home Office erläutert in einer Untersuchung der Effektivität der MARACs für die Sicherheit für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und Kinder aus dem Jahr 2011 typische Abläufe, die aus einer MARAC Sitzung folgen. Es wird dabei auf Praxisanleitungen der Organisation CAADA Bezug genommen mit dem Hinweis, dass sich die Abläufe von Fall zu Fall unterscheiden können. Die Polizei unternimmt für gewöhnlich weitere Massnahmen gegen den Täter oder der Täterin, sowie Schutzmaßnahmen für das Opfer. Teilnehmende des Gesundheitswesens stellen sicher, dass das Opfer während der medizinischen Untersuchung allein mit der Pflegefachkraft ist. Ein besseres Bewusstsein über die erlittenen Verletzungen soll dadurch geschaffen werden. Mitarbeitende von Opferhilfeinstitutionen halten den Kontakt zum Opfer und unterstützen bei sozialen und rechtlichen Anliegen. Sie sind verantwortlich für den laufenden Informationstransfer an das Opfer und an die MARAC-Koordinationsstelle. Wenn Kinder involviert sind, veranlassen Jugendinstitutionen Begutachtungen der Familiensituation und verweisen die Familienmitglieder allenfalls an psychologische Dienste. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus dem Wohnungswesen unterstützen bei der Suche nach alternativen Wohnmöglichkeiten und organisieren Sicherheitsvorrichtungen zum Schutz der Opfer. Vertreter und Vertreterinnen des Bildungswesen übermitteln Fallinformationen an Schulen, um involvierte Kinder zu unterstützen und ihre schulischen Leistungen und ihr Verhalten zu beobachten. Die Bewährungshilfe verwendet die aus der MARAC erhaltenen Informationen für die Berichterstattung an die Justiz. Frauenhäuser stellen Notunterkünfte zur Verfügung und betreuen das Opfer. Teilnehmende aus dem Suchtbereich veranlassen schnellen Zugang zu spezialisierten Einrichtungen und Therapien (vgl. Steel, Blakeborough und Nicholas, 2011).

Erfolge und Grenzen der multi-institutionellen Zusammenarbeit

Nach dem Beginn der Anwendung der MARAC Methode in Cardiff, evaluierte Armanda Robinson im Auftrag der Cardiff Universität zwei Mal in Folge den MARAC Prozess. In der ersten Evaluation 2004 untersuchte Robinson die ersten sechs monatlich abgehaltenen MARACs. Die Evaluation enthielt zwei Komponenten, die Prozessevaluation und die Ergebnisevaluation. Die Prozessevaluation untersuchte, inwieweit verschiedene Institutionen in der Lage waren, Schadensminderungs-Strategien für Betroffene häuslicher Gewalt zu erarbeiten. Dafür wurden Interviews mit Teilnehmenden verschiedener Institutionen und Datenanlysen der MARACs durchgeführt. Das Ziel der Ergebnisevaluation war zu dokumentieren, inwieweit die abgehaltenen MARACs tatsächlich mehr Sicherheit für die Opfer erreichen konnten. Dafür sichtete Robinson Polizeiunterlagen und führte stichprobenartige Telefoninterviews mit den Opfern. Die Stichprobe untersuchte 146 Opfer, von denen allesamt weiblich waren. In der Mehrzahl der untersuchten Fälle (77%) gab es bereits mehrere Polizeianzeigen vor Durchlaufen einer MARAC Sitzung. Das Durchschnittsalter der Frauen war 29 Jahre und in dreiviertel der Fälle lebten Kinder im Haushalt der Opfer (vgl. Robinson, 2006). Die Hauptergebnisse der ersten Evaluationsphase zeigten, dass 6 von 10 Frauen nach den MARACs nicht erneut Opfer häuslicher Gewalt wurden. Außerdem betonten die Befragten, dass die MARACS einige der gewünschten Ziele erreichen konnten, wie den erhöhten Informationsaustausch zwischen den Institutionen, stärkeren Schutz für die Opfer und mehr Bewusstsein über die Auswirkungen häuslicher Gewalt. Außerdem ging hervor, dass die Polizei im gesamten Prozess eine tragende Rolle einnimmt, vor allem bezüglich der Identifizierung hoch gefährdeter Opfer und der Beschaffung notwendiger Unterlagen (vgl. Robinson 2004).

Die Einjahres-Evaluation im Jahr 2005 untersuchte 102 der 146 Fälle der ersten Phase ein weiteres Mal. Sie diente als Follow-Up, um zu ermitteln, wie viele der Frauen über einen längeren Zeitraum hinweg gewaltfrei leben konnten und wie viel Unterstützung sie durch die MARAC erhalten hatten. Dafür wurden Interviews mit einer Teilprobe von Opfern geführt und erneut Polizeidaten gesammelt und analysiert. Die Evaluation hatte zum Ergebnis, dass 4 von 10 Frauen innerhalb eines Jahres nach Durchlaufen des MARAC Prozesses ohne erneute Gewaltvorfälle lebten. Im Hinblick auf das Ausmaß der Gewaltgeschichte der Frauen wurde dieses Ergebnis als positiv bewertet. Die interviewten Opfer befanden mehrheitlich die Unterstützung, die sie durch die MARACs erhielten, als sehr hilfreich bei ihrem Versuch ein gewaltfreies Leben zu erreichen (vg. Robinson, Tregidga 2007). Eine Untersuchung des britischen Home Office im Jahr 2011 bestätigte die Kosteneffektivität der MARACs, da sie nachweislich die Sicherheit für Opfer häuslicher Gewalt verbessern und die Gefahr ihrer Re-Viktimisierung verringern würden. Bemängelt wurde jedoch die geringe Aussagekraft der bisherigen Untersuchungen, da sie sich lediglich auf die Anzeigestatistik der Polizei beziehen (vgl.....2011). Prinzipiell liegt die Hauptschwäche der MARACs bzw. des multi-institutionellen Zugangs darin, dass immer noch die Mehrzahl der verwiesenen Fälle, über die Polizei identifiziert werden. Andere Institutionen erhalten nur in seltenen Fällen als erste Anlaufstelle Zugang zu den betroffenen Opfern. Studien belegen, dass nur ein sehr geringern Prozentsatz der Opfer, gewalttätige Übergriffe im Haushalt an die Polizei melden (vgl. British Crime Survey.....)

MIREK- Das österreichische Modell

Literatur

  • Amanda L. Robinson: Reducing Repeat Victimization Among High-Risk Victims of Domestic Violence: The Benefits of a Coordinated Community Response in Cardiff, Wales. In: Violence Against Women 12/2006, pp. 761-81, ISSN 1077-8012, (PDF-Datei; 139 KB).
  • Amanda L Robinson, Jasmin Tregidga: "The perceptions of high-risk victims of domestic violence to a coordinated community response in Cardiff, Wales." In: "Violence against women, 2007, Vol.13(11), pp. 1130-48, ISSN 1077-8012, .
  • Melissa E. Dichter, Richard J. Gelles: Women's Perceptions of Safety and Risk Following Police Intervention for Intimate Partner Violence. In: "Violence Against Women" Vol. 18/2012, pp.44-63, ISSN 1077-8012 , (2,4 MB).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. MARAC- Data and Performance. Website von CAADA-Co-ordinated Action Against Domestic Abuse. Abgerufen am 15. Februar 2013.
  2. "The principles of an effective MARAC". Website von CAADA-Co-ordinated Action Against Domestic Abuse. Abgerufen am 16. Februar 2013.