Vorbemerkung

Die Funktion der Strafe liegt in der symbolischen Heilung der Norm. Wer eine Norm verletzt, muss bestraft werden. Das ist der Widerspruch zum Normbruch. Es ist in der bekannten Formulierung Hegels die Negation der Negation des Rechts. Die Geltung der Norm wird durch die Strafe bekräftigt: die Strafe muss eine folgenreiche, ernsthafte und nachhaltige Wirkung haben. Dann ist auch der Geltungsanspruch der Norm hinreichend bekräftigt. Niemand kann sich mehr darauf berufen, dass die Norm doch verletzt worden sei und deshalb gar nicht wirklich gelte. Sie wurde verletzt, aber seht doch nur, was mit dem passierte, der sich gegen sie aufgelehnt hatte. Also lasst Euch gewarnt sein: mit so etwas ist nicht zu spaßen. Da gibt es kein Pardon. Das ist in etwa - in verbalisierter Form - die Botschaft, die allein von der Tatsache der Bestrafung ausgehen soll.

Strafe ist so gesehen nicht einfach der Akt, in dem auf eine Beschädigung noch eine weitere Beschädigung aufgepfropft, der durch den Täter bewirkte Schaden also verdoppelt wird, sondern Strafe ist der Nachteil, den der Täter erleiden muss, damit die Geltung der Norm und damit die Würde des Rechts wieder hergestellt werden kann: die Wiedervergeltung eines Unrechts zur Wiederherstellung des Rechts.

Heutzutage wird im Kontext der Strafe allerdings auch behandelt. Das erlaubt noch einen anderen Blick auf die Funktion der Strafe. Das Thema Behandlung im Strafkontext: Funktion der Strafe lässt zunächst einmal an die vielen Zielkonflikte und täglichen Reibungen denken, die es im Strafvollzug zwischen Straf- und Sicherheitsinteressen einerseits und Behandlungsinteressen andererseits gibt.

Für die Behandlung kann es angezeigt sein, dass die Strafgefangenen ihre Haft- und Wohngruppenräume liebevoll ausgestalten, dass sie Zier- und Nutzpflanzen und Haustiere halten, damit sie Pflege, Achtsamkeit, Fürsorglichkeit und Empathie trainieren. Es kann angezeigt sein, dass sie möglichst viele Freiheiten üben und Ausführungen und Ausgänge haben, dass sie eigene Radiosendungen machen dürfen und eine eigene Zeitung. Und es kann auch sein, dass der Strafkontext - meist in eheähnlicher Gemeinschaft mit den Sicherheitsbeauftragten - die Haustierhaltung untersagt, die Reduktion der Zimmerpflanzen auf drei Stück, die Beweglichkeit des Mobiliars auf das Bett (Schränke und Regale werden angeschraubt) und die Möglichkeit der Aufstellung von Bücherregalen in den Wohngruppen oder auf den Fluren auf Null reduziert.

Wem fiele da nicht der Stoßseufzer jener Bitte um Gelassenheit ein, der auch als Gelassenheitsgebet bekannt ist und der da lautet: "Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, - gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, - und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."

Im Strafvollzug wird von den Behandlern genau diese Weisheit so gut wie täglich gefordert. Man weiß, man müßte eigentlich zahllose Details des Vollzugsalltags und sogar Strukturen der Anstalten ändern, und man weiß oder wird auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das so einfach nicht geht, dass es Sicherheitsinteressen gibt, dass es einen Strafzusammenhang gibt, dass man mit seinen Behandlungsinteressen in einem Kontext operiert, der sich nicht nur am Wohl des Gefangenen orientiert. Es ist ein endloser Lernprozess zu erfahren, was in diesem Kontext eigentlich geändert werden müßte und auch könnte und was zwar geändert werden müßte, aber nicht zu ändern ist. Was nicht zu ändern ist, sollte man nicht zu ändern trachten: das wäre reine Zeit- und Energieverschwendung.

Historischer Fortschritt

Dass wir uns heute mit dem Konflikten zwischen Behandlungs- und Bestrafungsimperativen überhaupt auseinanderzusetzen haben, ist allerdings aus historischer Perspektive sicherlich auch als ein großer Fortschritt zu feiern, für den wir dankbar sein sollten. Als Fortschritt vielleicht nicht im Vergleich zu "ganz früher", wohl aber im Vergleich zum späten Mittelalter und zur sogenannten Blutgerichtsbarkeit der Neuzeit, bei der es darum ging, zu "straffen biss ann das blut“, bzw. „straffen, so an das blut gandt und das läben kostendt“. Die peinlichen Strafen bestanden in erster Linie ja aus dem An- oder Abschneiden von Gliedmaßen und den vielen Variationen der Todesstrafen. Irgendeine psychologische Behandlung verbot sich da schon aus der Natur der Sache. Auch hier ging es zwar unter anderem um Spezialprävention.


Aber wenn ich an Behandlung und Strafe denke, dann fällt mir doch noch etwas ein. Ein Grund zur Dankbarkeit nämlich. Das hat mit der historischen Perspektive und dem historischen Ort zu tun, an dem wir uns hier befinden.

Ich meine jetzt nicht den historischen Ort Europa und die Tatsache, dass heute vor 100 Jahren und drei Tagen die Titanic unterging, der unsinkbare Ozeandampfer, der einen Eisberg rammte und rund 1500 Menschen mit in den Tod riss - und damit in der Gestalt eines Unglücks das vorwegnahm, was mit Europa selbst passieren sollte, das in den Folgejahren seinen phänomenal verblüffenden und extrem beschleunigten Weg in den Abgrund nehmen sollte, zwei Weltkriege, gigantische Massenmorde, 50 Millionen grausam Getötete ... - obwohl auch dieses Ereignis in einen Zusammenhang mit dem Thema Behandlung und Strafe gestellt werden könnte .... war doch der Untergang der Titanic auch ein Gleichnis für die Blindheit einer Gesellschaft, die sich und ihren Entwicklungsweg für den einzig wahren und zielführenden hielt und die an ihrer mangelnden Reflexionsfähigkeit und mangelnden Achtsamkeit in den Militarismus, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg und damit ethisch, moralisch und weltgeschichtlich in den Niedergang taumelte. Die europäische Gesellschaft hielt sich für so unverletzlich wie die Titanic-Eigner ihr Schiff für unsinkbar hielten.

Doch was ich meine, ist ein anderes Ereignis, das sich ebenfalls vor rund 100 Jahren, am 6. September 1912, unweit von hier in Wien, nämlich im prächtigsten Saal der prunkvollen Hofbibliothek begab. Ein Mann namens Moritz Liepmann. Liepmann, seinerzeit Professor für Strafrecht, Strafprozess und internationales Recht in Kiel und nebenberuflich auch Dozent an der Marineakademie, äußerte sich vor den Teilnehmern des 31. deutschen Juristentages, der hier in Wien zusammengekommen war, zur Frage der Todesstrafe. Seine Wortmeldung erregte Aufsehen. Sie bestand aus einem flammenden Plädoyer für die Abschaffung der Todesstrafe: das sei machbar, das sei notwendig und das sei ein zivilisatorischer Fortschritt, meinte Liepmann - und alle Bedenken, dass die Kriminalität außer Kontrolle geraten könne, seien unbegründet.

Es kam zur Abstimmung. Zur allgemeinen Überraschung war es ein knappes Rennen. Am Ende verloren die Gegner der Todesstrafe mit 424 Stimmen zu 470. Die Mehrheit glaubte, die Gesellschaft sei noch nicht bereit dazu, man war besorgt um die Abschreckung, um die Vergeltung, um das Strafbedürfnis der Bevölkerung. So blieb sie denn bestehen. Bis zur Abschaffung der Todesstrafe im Jahre 1949, bzw. 1987 gab es noch Dutzende, Hunderte, einige Zehntausend Menschen, die dieser Sanktion - in manchen Zeiten so massenhaft angewandt, dass man zu Recht von einem wahren Justizmassaker sprechen muss - zum Opfer fielen. Niemand sage, dass man nicht die Wahl gehabt hätte zwischen Zivilisation und Barbarei.

Warum erzähle ich das? Die Todesstrafe ist doch längst Geschichte - jedenfalls in unseren Breiten. Dafür gibt es drei Gründe.

Der erste Grund ist derjenige, den ich schon erwähnte: die Dankbarkeit. Ich persönlich bin dankbar dafür, in einer Gesellschaft leben zu dürfen, in der es die Todesstrafe nicht gibt. Nicht mehr gibt. In der sie also abgeschafft worden ist: im einen Teil des Landes 1949, im anderen 1987. Aber immerhin. Abgeschafft ist abgeschafft.

Der zweite Grund besteht darin, dass ich auch die Dankbarkeit anderer verstehe, dass wir heute ein System von Strafen haben, das die Behandlung nicht ausschließt, sondern einschließt. Die Todesstrafe war ja der letzte Rest der sogenannten Blutgerichtsbarkeit als eines Strafrechts, dem es darum ging, zu Diese Art des Strafvollzugs hatte aus leicht einsehbaren Gründen keinen Raum für großartige Behandlungsprogramme für Dissoziale, für neurotische oder narzisstische Täter, für Gewalt- und Sexualdelinquenten und so weiter. Aus dieser historischen Perspektive betrachtet gibt es heute nicht viel zu klagen. Insofern ist zum Thema Behandeln im Strafkontext, bzw. auf den ersten Blick gar nicht viel zu sagen. Außer vielleicht, dass wir froh sein können, dass wir - da die Strafe nun einmal sein muss (nicht zuletzt, weil sie seit unvordenklichen Zeiten tief im Alltag unserer Hoch- und Populärkultur, in Dichtung und Filmen, im Recht und im Gerechtigkeitsbewusstsein der Bevölkerung verankert ist) - uns immerhin in einer Phase der Zivilisation befinden, in der man nicht einfach pur und simpel durch das An- oder Abschneiden von Körperteilen zu strafen pflegt, sondern das Übel der Strafe so human wie möglich zufügt, die Verurteilten nicht ihres Lebens, sondern allenfalls ihrer Bewegungsfreiheit beraubt und vielleicht nicht alles und nicht einmal genügend, aber doch sehr vieles mit sehr großem Engagement tut, um die vom rechten Wege abgekommenen Mitbürger wieder auf den richtigen Weg zu bringen und damit ihnen und ihrer sozialen Umwelt letztlich doch einen großen Dienst zu erweisen.

In Dankbarkeit und Genugtuung können wir heute auf ein Jahrhundert des Fortschritts zurückblicken. Noch 1912 - vor genau 100 Jahren - gab es noch die Todesstrafe und wenn von der Funktion der Strafe die Rede war, dann war das Paradebeispiel die Todesstrafe. Mit der Frage, ob die Gesellschaft es sich leisten können, auf diese Strafe zu verzichten, setzten sich damals die hervorragendsten Geister überaus konfliktreich auseinander. Unvergessen ist das flammende Plädoyer des Kriminologen Moritz Liepmann zur Abschaffung der Todesstrafe im Jahre 1912 - hier in Wien. Es war der prächtigste Saal der Hofbibliothek, wo Liepmann am Freitag, den 6. September 1912, einen ersten mutigen Versuch machte, die einflussreiche deutschen Juristenschaft zu einer Resolution zur Abschaffung der Todesstrafe im Deutschen Reich zu bewegen - und wo er die Abstimmung verlor. zu sagen, denn auch wenn natürlich nie alle ganz zufrieden sind, wenn es nicht genügend Personal und für das Personal nicht genügend Wertschätzung, nicht genügend Gehalt und nicht genügend Supervision und Weiterbildungsanreize gibt, wenn es immer wieder Konflikte zwischen Behandlungs- und Sicherheitserfordernissen gibt, so ist doch im allgemeinen Bewußtsein im Grunde genommen an den heutigen Verhältnissen, so wie sie nun einmal sind, nicht allzu viel auszusetzen. Alles hat seinen Platz und seine Funktion. Dabei gibt es immer einige Reibungen und Konflikte, aber das muss eben auch sein. Und so gesehen lässt sich eine bessere Welt, die prinzipiell anders organisiert wäre, gar nicht vorstellen. Eine Gesellschaft ohne Strafe ist eine schöne, aber in der Realität eine gefährliche Utopie, auf die sich niemand gerne einließe, wenn sie denn vor der Tür stünde, und wenn schon gestraft werden muss, dann soll es so human, so gerecht, so menschlich und so gesellschaftlich nützlich sein wie nur eben möglich. Und das und nichts anderes ist doch, was wir heute haben.

Der Konsens über die Notwendigkeit der Strafe ist heute erreicht und er ist so stark und umfassend, so wenig von Selbstzweifeln angekränkelt, dass es eine Wucht ist. Frühere Streitigkeiten über den Sinn oder Unsinn der Strafe sind heute beigelegt. Juristen hatten lange Zeit den Schulenstreit, der mit großer Erbitterung über die Zwecke, den Sinn und die Rechtfertigungsmöglichkeit der Strafe geführt wurde. Heute ist er beigelegt. Man hat sich geeinigt. Man lässt alle Gründe gelten und addiert sie einfach. Die Strafe muss sein. Aus Gründen der Vergeltung von geschehenem Unrecht ebenso wie aus Gründen der Abschreckung, der Besserung und der Stärkung des allgemeinen Rechtsvertrauens und Rechtsbewußtseins. Es wird ja nicht nur die Kriminalität bekämpft, sondern es wird auch jemand zur Rechenschaft gezogen, damit das Unrecht auf den Straßen und Plätzen der Städte nicht triumphieren kann, damit die Bürger sich sicher fühlen, aber damit sie auch lernen, dass es so etwas wie Fairness in der Strafe gibt, Menschen- und Grundrechte, das Recht auf ein faires Verfahren und eine Strafe, die für den Bestraften nicht das Ende der Existenz bedeutet. Mit anderen Worten: die Strafe erfüllt viele Funktionen und die meisten davon haben mehr mit Menschenrechten und menschlicher Würde zu tun als mit alttestamentarischem Vergeltungseifer. Auch wenn der nicht ganz verdrängt ist und wohl auch nicht ganz verdrängt werden kann.

In die früher hitzig geführten Diskussionen um die Funktion der Strafe ist damit eine gewisse Beruhigung, man kann auch sagen: eine merkliche Zufriedenheit und Abgeklärtheit eingekehrt. Man hat sich mit dem Gedanken abgefunden, dass die Strafe nichts von Natur aus Schönes, sondern ein Übel ist - aber eben ein notwendiges Übel, so wie das Bohren des Zahnarztes, wenn sich die Karies eingenistet hat. Oder wie der Schnitt des Chirurgen, wenn der Blinddarm raus muss. Es gibt Zufügungen von Schmerz und Leid, die nun einmal alternativlos sind. Und als so eine leider erforderliche und letztlich zu einem guten und notwendigen Zweck erfolgende Zufügung von Leid gilt heute auch und besonders in sogenannten Fachkreisen die Strafe. Die Redewendung vom notwendigen Übel scheint ihr auf den Leib geschneidert.

Den reifsten Ausdruck findet diese Haltung - die auch ein wenig die behagliche Selbstgerechtigkeit des Biedermeier-Ambientes atmet - in einem Buch, das die Aufgaben und die Funktion der Strafe aus der Sicht eines kritischen Rechtsphilosophen und ehemaligen Verfassungsrichters für ein breites Laienpublikum darstellt. Der Autor Winfried Hassemer schreibt in seinem Buch "Warum Strafe sein muss" (2009) ...

Diesen Gründen könnte man sogar noch mehr hinzufügen. Nicht nur die Säuberung der Innenstädte von allerlei gemeinlästigen und häufig delinquent werdenden dissozialen oder gar antisozialen Individuen, die Abschreckung der unteren Bevölkerungsschichten vor allen Verführungen illegalen Erwerbs durch Stehlen, Hehlen und Rauben, sondern sogar die inzwischen empirisch neurophysiologisch nachgewiesene Tatsache, dass es einen starken Trieb zum Strafen, ein wahres Strafbedürfnis im menschlichen Gehirn gibt. ... altruistisches Strafen ... Arbeiten über ihre Funktion gibt es zuhauf In jüngster Zeit: Altruistisches Strafen. Gut für die Gruppenkohäsion. Gut für die Evolution. Und eine Quelle des Vergnügens: Nuclus Caudatus. Bestrafen als positives Erlebnis. Es gibt so etwas wie "altruistisches Bestrafen" (Fehr 2004), d.h. das Verlangen, andere Menschen für ihre Normabweichungen zu bestrafen - und zwar auch dann, wenn man selbst dadurch weder einen materiellen noch einen Statusgewinn erzielen kann und sogar etwas dafür investieren muss, ohne etwas zurück zu bekommen. Die Psychologie handelt das Thema unter dem Begriff "starke Reziprozität" ab. Stark reziprok orientierte Individuen bestrafen und belohnen, selbst wenn das etwas kostet und keine individuellen Vorteile mit sich bringt. Sie tun es sozusagen "aus Prinzip" und ohne Erwartung einer Belohnung für sich selbst - außer, natürlich, der Tatsache, dass es sie befriedigt, sich so zu verhalten, wie sie es nun einmal für richtig halten. Stark reziprok orientierte Individuen betreiben mit anderen Worten scheinbar irrational einen gewissen Aufwand, um andere für die Verletzung sozialer Normen zu bestrafen oder für deren Einhaltung zu belohnen. -Das "altruistische Bestrafen" dieser Art (= Neigung zur Bestrafung von Personen, die soziale Normen verletzen, ohne dass man damit einen Vorteil für sich selbst verbindet) kann verwandt sein mit dem Konzept der strafenden Gesellschaft bzw. des Bestrafungsbedürfnisses (Strafbedürfnisses) der Gesellschaft. Die neuronale Basis altruistischen Bestrafens (DeQuervain, Fischbacher u.a.). Wenn eine Person A eine Person B, die eine Fairnessregel verletzt hat, nicht bestrafen kann, ist sie frustriert. Wenn die Person die Verletzung der Regel hingegen bestrafen kann, wird ein Belohungsareal im Gehirn, nämlich der Nucleus Caudate, aktiviert, der auch auf Geld, Bilder von Schönen und Geliebten, aber auch auf Kokain-Konsum, anspricht (je stärker die Caudate-Aktivierung, desto mehr bestraft ein Individuum). Die Bestrafung ist dann altruistisch im biologischen Sinne, aber nicht im psychologischen, da psychologisch ja eine Befriedigung vorliegt. --*Seltener schon über ihre Grenzen (Präventivwirkung des Nichtwissens, Popitz). Infragestellungen in Krisenzeiten. KdstV ... oder über ihre negativen Eigenschaften oder Folgen ... obwohl sie doch eigentlich nichts inhärent Gutes ist, sondern ein Malum (Augustinus: patitur) ... allenfalls ein notwendiges Übel ... . *Womit hat dieses Ungleichgewicht im Diskurs über die Strafe zu tun? Die Hauptakteure des Diskurses sind nicht unbefangen, sondern haben die Strafe theoretisch zu rechtfertigen, nicht objektiv zu evaluieren Davon hat sich der Strafrechtsdiskurs bis heute nicht freimachen können, obwohl im seit 1882 die Hausaufgabe gegeben worden ist, das zu ändern.

Der Glaube an die Notwendigkeit und Unersetzlichkeit der Strafe als einer fundamentalen gesellschaftlichen Institution bleibt - wie jeder Glaube - nicht folgenlos. Wenn ich zum Beispiel als Behandler im Strafvollzug nicht?

Insofern ist zum Thema Behandeln im Strafkontext, bzw. auf den ersten Blick gar nicht viel zu sagen. Außer vielleicht, dass wir froh sein können, dass wir - da die Strafe nun einmal sein muss (nicht zuletzt, weil sie seit unvordenklichen Zeiten tief im Alltag unserer Hoch- und Populärkultur, in Dichtung und Filmen, im Recht und im Gerechtigkeitsbewusstsein der Bevölkerung verankert ist) - uns immerhin in einer Phase der Zivilisation befinden, in der man nicht einfach pur und simpel durch das An- oder Abschneiden von Körperteilen zu strafen pflegt, sondern das Übel der Strafe so human wie möglich zufügt, die Verurteilten nicht ihres Lebens, sondern allenfalls ihrer Bewegungsfreiheit beraubt und vielleicht nicht alles und nicht einmal genügend, aber doch sehr vieles mit sehr großem Engagement tut, um die vom rechten Wege abgekommenen Mitbürger wieder auf den richtigen Weg zu bringen und damit ihnen und ihrer sozialen Umwelt letztlich doch einen großen Dienst zu erweisen.

In Dankbarkeit und Genugtuung können wir heute auf ein Jahrhundert des Fortschritts zurückblicken. Noch 1912 - vor genau 100 Jahren - gab es noch die Todesstrafe und wenn von der Funktion der Strafe die Rede war, dann war das Paradebeispiel die Todesstrafe. Mit der Frage, ob die Gesellschaft es sich leisten können, auf diese Strafe zu verzichten, setzten sich damals die hervorragendsten Geister überaus konfliktreich auseinander. Unvergessen ist das flammende Plädoyer des Kriminologen Moritz Liepmann zur Abschaffung der Todesstrafe im Jahre 1912 - hier in Wien. Es war der prächtigste Saal der Hofbibliothek, wo Liepmann am Freitag, den 6. September 1912, einen ersten mutigen Versuch machte, die einflussreiche deutschen Juristenschaft zu einer Resolution zur Abschaffung der Todesstrafe im Deutschen Reich zu bewegen - und wo er die Abstimmung verlor. zu sagen, denn auch wenn natürlich nie alle ganz zufrieden sind, wenn es nicht genügend Personal und für das Personal nicht genügend Wertschätzung, nicht genügend Gehalt und nicht genügend Supervision und Weiterbildungsanreize gibt, wenn es immer wieder Konflikte zwischen Behandlungs- und Sicherheitserfordernissen gibt, so ist doch im allgemeinen Bewußtsein im Grunde genommen an den heutigen Verhältnissen, so wie sie nun einmal sind, nicht allzu viel auszusetzen. Alles hat seinen Platz und seine Funktion. Dabei gibt es immer einige Reibungen und Konflikte, aber das muss eben auch sein. Und so gesehen lässt sich eine bessere Welt, die prinzipiell anders organisiert wäre, gar nicht vorstellen. Eine Gesellschaft ohne Strafe ist eine schöne, aber in der Realität eine gefährliche Utopie, auf die sich niemand gerne einließe, wenn sie denn vor der Tür stünde, und wenn schon gestraft werden muss, dann soll es so human, so gerecht, so menschlich und so gesellschaftlich nützlich sein wie nur eben möglich. Und das und nichts anderes ist doch, was wir heute haben.

Der Konsens über die Notwendigkeit der Strafe ist heute erreicht und er ist so stark und umfassend, so wenig von Selbstzweifeln angekränkelt, dass es eine Wucht ist. Frühere Streitigkeiten über den Sinn oder Unsinn der Strafe sind heute beigelegt. Juristen hatten lange Zeit den Schulenstreit, der mit großer Erbitterung über die Zwecke, den Sinn und die Rechtfertigungsmöglichkeit der Strafe geführt wurde. Heute ist er beigelegt. Man hat sich geeinigt. Man lässt alle Gründe gelten und addiert sie einfach. Die Strafe muss sein. Aus Gründen der Vergeltung von geschehenem Unrecht ebenso wie aus Gründen der Abschreckung, der Besserung und der Stärkung des allgemeinen Rechtsvertrauens und Rechtsbewußtseins. Es wird ja nicht nur die Kriminalität bekämpft, sondern es wird auch jemand zur Rechenschaft gezogen, damit das Unrecht auf den Straßen und Plätzen der Städte nicht triumphieren kann, damit die Bürger sich sicher fühlen, aber damit sie auch lernen, dass es so etwas wie Fairness in der Strafe gibt, Menschen- und Grundrechte, das Recht auf ein faires Verfahren und eine Strafe, die für den Bestraften nicht das Ende der Existenz bedeutet. Mit anderen Worten: die Strafe erfüllt viele Funktionen und die meisten davon haben mehr mit Menschenrechten und menschlicher Würde zu tun als mit alttestamentarischem Vergeltungseifer. Auch wenn der nicht ganz verdrängt ist und wohl auch nicht ganz verdrängt werden kann.

In die früher hitzig geführten Diskussionen um die Funktion der Strafe ist damit eine gewisse Beruhigung, man kann auch sagen: eine merkliche Zufriedenheit und Abgeklärtheit eingekehrt. Man hat sich mit dem Gedanken abgefunden, dass die Strafe nichts von Natur aus Schönes, sondern ein Übel ist - aber eben ein notwendiges Übel, so wie das Bohren des Zahnarztes, wenn sich die Karies eingenistet hat. Oder wie der Schnitt des Chirurgen, wenn der Blinddarm raus muss. Es gibt Zufügungen von Schmerz und Leid, die nun einmal alternativlos sind. Und als so eine leider erforderliche und letztlich zu einem guten und notwendigen Zweck erfolgende Zufügung von Leid gilt heute auch und besonders in sogenannten Fachkreisen die Strafe. Die Redewendung vom notwendigen Übel scheint ihr auf den Leib geschneidert.

Den reifsten Ausdruck findet diese Haltung - die auch ein wenig die behagliche Selbstgerechtigkeit des Biedermeier-Ambientes atmet - in einem Buch, das die Aufgaben und die Funktion der Strafe aus der Sicht eines kritischen Rechtsphilosophen und ehemaligen Verfassungsrichters für ein breites Laienpublikum darstellt. Der Autor Winfried Hassemer schreibt in seinem Buch "Warum Strafe sein muss" (2009) ...

Diesen Gründen könnte man sogar noch mehr hinzufügen. Nicht nur die Säuberung der Innenstädte von allerlei gemeinlästigen und häufig delinquent werdenden dissozialen oder gar antisozialen Individuen, die Abschreckung der unteren Bevölkerungsschichten vor allen Verführungen illegalen Erwerbs durch Stehlen, Hehlen und Rauben, sondern sogar die inzwischen empirisch neurophysiologisch nachgewiesene Tatsache, dass es einen starken Trieb zum Strafen, ein wahres Strafbedürfnis im menschlichen Gehirn gibt. ... altruistisches Strafen ... Arbeiten über ihre Funktion gibt es zuhauf In jüngster Zeit: Altruistisches Strafen. Gut für die Gruppenkohäsion. Gut für die Evolution. Und eine Quelle des Vergnügens: Nuclus Caudatus. Bestrafen als positives Erlebnis. Es gibt so etwas wie "altruistisches Bestrafen" (Fehr 2004), d.h. das Verlangen, andere Menschen für ihre Normabweichungen zu bestrafen - und zwar auch dann, wenn man selbst dadurch weder einen materiellen noch einen Statusgewinn erzielen kann und sogar etwas dafür investieren muss, ohne etwas zurück zu bekommen. Die Psychologie handelt das Thema unter dem Begriff "starke Reziprozität" ab. Stark reziprok orientierte Individuen bestrafen und belohnen, selbst wenn das etwas kostet und keine individuellen Vorteile mit sich bringt. Sie tun es sozusagen "aus Prinzip" und ohne Erwartung einer Belohnung für sich selbst - außer, natürlich, der Tatsache, dass es sie befriedigt, sich so zu verhalten, wie sie es nun einmal für richtig halten. Stark reziprok orientierte Individuen betreiben mit anderen Worten scheinbar irrational einen gewissen Aufwand, um andere für die Verletzung sozialer Normen zu bestrafen oder für deren Einhaltung zu belohnen. -Das "altruistische Bestrafen" dieser Art (= Neigung zur Bestrafung von Personen, die soziale Normen verletzen, ohne dass man damit einen Vorteil für sich selbst verbindet) kann verwandt sein mit dem Konzept der strafenden Gesellschaft bzw. des Bestrafungsbedürfnisses (Strafbedürfnisses) der Gesellschaft. Die neuronale Basis altruistischen Bestrafens (DeQuervain, Fischbacher u.a.). Wenn eine Person A eine Person B, die eine Fairnessregel verletzt hat, nicht bestrafen kann, ist sie frustriert. Wenn die Person die Verletzung der Regel hingegen bestrafen kann, wird ein Belohungsareal im Gehirn, nämlich der Nucleus Caudate, aktiviert, der auch auf Geld, Bilder von Schönen und Geliebten, aber auch auf Kokain-Konsum, anspricht (je stärker die Caudate-Aktivierung, desto mehr bestraft ein Individuum). Die Bestrafung ist dann altruistisch im biologischen Sinne, aber nicht im psychologischen, da psychologisch ja eine Befriedigung vorliegt. --*Seltener schon über ihre Grenzen (Präventivwirkung des Nichtwissens, Popitz). Infragestellungen in Krisenzeiten. KdstV ... oder über ihre negativen Eigenschaften oder Folgen ... obwohl sie doch eigentlich nichts inhärent Gutes ist, sondern ein Malum (Augustinus: patitur) ... allenfalls ein notwendiges Übel ... . *Womit hat dieses Ungleichgewicht im Diskurs über die Strafe zu tun? Die Hauptakteure des Diskurses sind nicht unbefangen, sondern haben die Strafe theoretisch zu rechtfertigen, nicht objektiv zu evaluieren Davon hat sich der Strafrechtsdiskurs bis heute nicht freimachen können, obwohl im seit 1882 die Hausaufgabe gegeben worden ist, das zu ändern.

Der Glaube an die Notwendigkeit und Unersetzlichkeit der Strafe als einer fundamentalen gesellschaftlichen Institution bleibt - wie jeder Glaube - nicht folgenlos. Wenn ich zum Beispiel als Behandler im Strafvollzug nicht an die Notwendigkeit der Strafe glaubte, dann würde ich vielleicht mehr unter den Restriktionen leiden, die sich für mich und für meine Klienten aus der Tatsache der Gefangenschaft und den Erfordernissen der Sicherheits ergeben. Ich würde vielleicht vieles für unzumutbar halten und im Interesse der Qualität meiner Arbeit gegen alle möglichen Missstände vorgehen. Und wenn ich vor lauter Konflikten krank würde ,dann würde ich mich mit Leidensgenossen zusammen schließen und etwas dagegen tun. Wenn ich hingegen glaube, dass die Strafe unabänderlich ist, dann wäre ich eher bereit, meine Krankheiten als individuellen Mangel anzusehen, sie auf meine mangelnde Belastbarkeit zu schieben oder auf die unglücklichen Konfigurationen im Einzelfall. ... Gelassenheitsgebet .... Man versucht alles zu ertragen, weil man es für unabänderlich hält. Häufig und generell auftretende Konflikte und Leiden werden als massenhaft individuelle Phänomene individuell verarbeitet.


Der dritte Grund liegt darin, dass wir heute vielleicht vor einer ähnlichen Situation wie damals Liepmann stehen. Die Mehrheit ist zufrieden mit dem Status Quo und hält ihn für unsinkbar. Eine Minderheit will vielleicht die Freiheitsstrafe abschaffen, hält es für möglich und wünschenswert. Und hat vielleicht Belege. So wie es damals Belege dafür gab, dass die Todesstrafe verzichtbar war. Die nur die meisten Leute nicht hören wollten. Es gab Länder wie Sachsen, die die Todesstrafe bereits abgeschafft hatten - und wo es zu keiner Häufung von Tötungsdelikten gekommen war. Es gab Staaten, die ohne Todesstrafe auskamen - und allem Anschein nach recht gut.

Wie ist es heute? Gibt es vielleicht Beispiele dafür, dass es auch ohne Freiheitsstrafe gehen könnte?


Als Funktion der Strafe werden neben der Vergeltung häufig auch die Abschreckung, der Schutz der Gesellschaft, die Prävention und die Resozialisierung genannt. Insbesondere zur besseren Erfüllung der letztgenannten Funktion werden erhebliche Mühen auch auf die Behandlung von Straftätern im Strafvollzug verwandt. So gesehen besteht zwischen Strafe und Behandlung gar kein wirklicher Gegensatz, sondern die Behandlung ist eine Komponente einer erfolgreich resozialisierenden Strafe. Ohne Behandlung würde die Strafe vielleicht erfolgreich vergelten, aber sie würde den mittelbaren Schutz der Gesellschaft, der in der Wiedereingliederung gebesserter Straftäter liegt, nicht oder jedenfalls nicht so gut leisten wie sie es dank der Behandlung heute tut.


Kriminologische Kritik

Vielleicht können und sollten wir froh sein über die Fortschritte, die seit 1912 erreicht und nicht zuletzt auch erkämpft wurden. Vielleicht hat das Gelassenheitsgebet ja gewirkt. Und diejenigen, die heute in gleichen Teilen mit Dankbarkeit und mit einer gewissen Selbstzufriedenheit auf den Status Quo von Strafe und Behandlung blicken, verdanken ihre "complacency" ihrer Weisheit, die Strafe als etwas zu erkennen, was man nicht ändern kann und wogegen es keinen Sinn hat anzustänkern. Vielleicht.

Vielleicht - und zu dieser Meinung tendiere ich übrigens - ist es aber auch eine kleine Portion Denkfaulheit, gepaart mit einem eines Pangloss oder Leibniz würdigen Glauben, dass die heute vorhandene schon die beste aller möglichen Welten sei, die zu dieser Zufriedenheit führt.

Vielleicht stehen wir heute im Jahre 2012 - wie zu Liepmanns Zeiten im Jahre 1912 - wieder vor einer Entscheidung. Der Entscheidung nämlich, ob wir die Freiheitsstrafe abschaffen könnten und abschaffen sollten. So wie damals die Frage war, ob man die Todesstrafe abschaffen könnte und sollte und wollte.

Für die Verzichtbarkeit der Freiheitsstrafe spricht aus kriminologischer Perspektive so einiges.

Erstens gibt es überzeugende Argumente dafür, dass die Freiheitsstrafe längst obsolet geworden ist. Sie ist ein Anachronismus des Anstaltsstaates, der übrig geblieben ist, aber täglich auf seine Abschaffung wartet. Im Anstaltsstaat regierte die Obrigkeit über Untertanen. Es gab die Irrenanstalt, die Krankenanstalt, die Bildungsanstalt, und sogar die Schwimmbäder waren Badeanstalten, in denen die Bademeister das badelustige Volk in der Manier von Unteroffizieren maßregelten. Überall - auf Schulhöfen wie in Badeanstalten - dominierten Verbotsschilder mit Ausrufezeichen und der barsche Ton der Zurechtweisung, von Befehl und Gehorsam. Die Menschen konnten damals aber auch nur in räumlicher Zusammenballung beherrscht werden. Ob in der Kaserne, in der Schule, in der Fabrik, im Gefängnis oder in der Irrenanstalt - überall herrschte das gleiche Prinzip der räumlichen Einschließung, der Simultaneität, der Numerierung, des Anwesenheitsappells, des Zählappells und der Eingangs- und Ausgangsrituale. In den Schulen ist heutzutage der starre Klassenverband aufgelöst, die psychiatrische Behandlung erfolgt heute im Stadtteil und zum allergrößten Teil ambulant; die Verweildauern sind sehr kurz geworden. Im Militär gibt es keine gesichtslosen kasernierten Massen mehr, sondern Teams von Experten und Spezialisten, aus Badeanstalten sind Wellness-Zentren von einer völlig entspannten Atmosphäre geworden. Nur die Gefängnisse sind noch so wie sie im Anstaltsstaat waren und wie man sie sich um 1840 herum als ideal vorgestellt hatte. Heute sind Einschließungsmilieus aber überholt. Heute kontrolliert man digital und kommunikativ, durch Überwachung, Rückmeldung, Korrekturen, sanfte Zurechtweisungen und vorsichtige Ansprachen.



Modernere Sanktionen machen die Freiheitsstrafe überflüssig

Heilungsorientierte Sanktionen machen die Strafe überflüssig

  • Vernunft und Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit muss empirisch bewiesen werden.

Fachgerecht nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Geeignetheit, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit Vergleich mit anderen Reaktionen! Wenig Forschung! Wenig Forschung zu Folgen von Strafen. Liepmanns Dreistadiengesetz. Einsele.

Sherman: einer der wenigen. Der sagt es jedenfalls und forscht. Deterrence. es kommt also drauf an. Spricht gegen Generalisierung.

Ansätze

reintegrative shaming nach braithwaite // setting standards

  • Restorative Justice. Das ist eine echte empirische Herausforderung.

Transformativ Justice.

altruistisches Strafen, Strafbedürfnis, Ressentiment .... alles mal ein bisschen cooler sehen mit dem altruistischen strafen ... steinert, ermutigung, sich vom strafbedürfnis ... steinert funktionen der strafe

Friedrich Nietzsche

In der Genealogie der Moral erklärt Nietzsche, dass eine Gesellschaft denkbar sei, die auf die Strafe verzichte. [1] [2] Merle, Nietzsches Straftheorie Oldenbourg [3] „Es wäre ein Machtbewußtsein der Gesellschaft nicht undenkbar, ... den es für sich giebt, - ihren Schädiger straflos zu lassen. ...

[4] t – woraus es sich erklärt, daß der Krieg selbst (eingerechnet der kriegerische Opferkult) alle die Formen hergegeben hat, unter denen die Strafe in der Geschichte auftritt.

10

Mit erstarkender Macht nimmt ein Gemeinwesen die Vergehungen des einzelnen nicht mehr so wichtig, weil sie ihm nicht mehr in gleichem Maße wie früher für das Bestehn des Ganzen als gefährlich und umstürzend gelten dürfen: der Übeltäter wird nicht mehr »friedlos gelegt« und ausgestoßen, der allgemeine Zorn darf sich nicht mehr wie früher dermaßen zügellos an ihm auslassen – vielmehr wird von nun an der Übeltäter gegen diesen Zorn, sonderlich den der unmittelbar Geschädigten, vorsichtig von seiten des Ganzen verteidigt und in Schutz genommen. Der Kompromiß mit dem Zorn der zunächst durch die Übeltat Betroffenen; ein Bemühen darum, den Fall zu lokalisieren und einer weiteren oder gar allgemeinen Beteiligung und Beunruhigung vorzubeugen; Versuche, Äquivalente zu finden und den ganzen Handel beizulegen (die compositio); vor allem der immer bestimmter auftretende Wille, jedes Vergehn als in irgendeinem Sinne abzahlbar zu nehmen, also, wenigstens bis zu einem gewissen Maße, den Verbrecher und seine Tat voneinander zu isolieren – das sind die Züge, die der ferneren Entwicklung des Strafrechts immer deutlicher aufgeprägt sind. Wächst die Macht und das Selbstbewußtsein eines Gemeinwesens, so mildert sich immer auch das Strafrecht; jede Schwächung und tiefere Gefährdung von jenem bringt dessen härtere Formen [814] wieder ans Licht. Der »Gläubiger« ist immer in dem Grade menschlicher geworden, als er reicher geworden ist; zuletzt ist es selbst das Maß seines Reichtums, wieviel Beeinträchtigung er aushalten kann, ohne daran zu leiden. Es wäre ein Machtbewußtsein der Gesellschaft nicht undenkbar, bei dem sie sich den vornehmsten Luxus gönnen dürfte, den es für sie gibt – ihren Schädiger straflos zu lassen. »Was gehen mich eigentlich meine Schmarotzer an?« dürfte sie dann sprechen. »Mögen sie leben und gedeihen: dazu bin ich noch stark genug!«... Die Gerechtigkeit, welche damit anhob »alles ist abzahlbar, alles muß abgezahlt werden«, endet damit, durch die Finger zu sehn und den Zahlungsunfähigen laufen zu lassen – sie endet wie jedes gute Ding auf Erden, sich selbst aufhebend. Diese Selbstaufhebung der Gerechtigkeit: man weiß, mit welch schönem Namen sie sich nennt – Gnade; sie bleibt, wie sich von selbst versteht, das Vorrecht des Mächtigsten, besser noch, sein Jenseits des Rechts. Quelle: Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 799-814. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20009255974 Lizenz: Gemeinfrei Kategorien: Weltanschauungsphilosophie Buchempfeh Zitat Nietzsche

Einwände

  • Der Trend geht nicht Richtung Abschaffung.

Ja, das stimmt. Aber unterscheiden zwischen Trend und Möglichkeit.

  • Allerdings gibt es das Problem der dangerous few.

Selbst in Utopien.

  • Einsperrung ohne Vorwurf: SV ...

Sonderopfer hat man heute erst entdeckt. Klägliche Phantasie der Politik und Gesellschaft. Vorschläge für die Reform der SV ....

  • Quarantäne ist auch Freiheitsentzug. Aber eben nicht als Strafe.

Gegenargument: na, kann auch verkappte Strafe sein. Dagegen kann man was machen: so schön wie Palmasola. Dann gehen die Leute quasi freiwillig dahin. Das eignet sich nicht als verkappte Strafe. Aber als Freiheitsentzug schon.

  • Was ist gewonnen, wenn wir die Strafe abschaffen, aber die Freiheitsentziehung aus Sicherheitsgründen nicht?

Na ja, das ist wie: man schafft die Todesstrafe ab, auch wenn es vorkommt, dass man einen zum Töten bereiten Täter in berechtigter Notwehr erschießen muss.

Das ist ein quantiativer gewaltiger Unterschied. 50-70.000 Menschen in Deutschland. Millionen in den USA.

  • Qualitativer Sprung.

Symbol für ein anderes Verständnis vom Rechtsbruch, vom Rechtsbrecher, von der Gesellschaft und der Solidarität.

  • Hulsman, Christie, limits to pain ... v t rotha ...
  • Schmidhäuser, geht nicht um Unkraut in Blumenbeet.

Liepmann: keiner ist verloren. Liepmann hat vor genau 100 Jahren für die Abschaffung der Todesstrafe gekämpft. Das hat noch eine Weile gedauert. Und dauert in der Welt noch an. Doch ohne ihn hätten die Stimmen bei der Verabschiedung des Artikels 102 nicht gereicht. Und die Strafe ist auch an der Reihe. Nicht nur die Gefängnisstrafe. Das kann noch dauern. Aber es wird noch länger dauern oder nie geschehen, wenn wir uns nicht darüber klar werden, dass die Strafe kein notwendiges Übel ist, sondern eine traurige Unvollkommenheit unserer Kultur, eine Schande, die nicht sein muss. Und die theoretisch durchdacht und praktisch überwunden gehört.

Und was ist mit der sozialen Evolution und dem Nucleus Caudatus? Na ja, vielleicht genügt ja "redress", Bekräftigung der Normgeltung auf subtilere Weise. Kein Blockwart, nicht jeder ist Hilfssherriff, besser so .... von der "Strafe als Missbilligung" zur "Missbilligung als/statt Strafe". Reintegrative Shaming. Transformative Justice. Zum Beispiel ....



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