Würde

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Siehe auch: Menschenwürde, Verletzung der Menschenwürde, Kriminologie der Menschenwürde

Würde bezeichnet

  1. einen Anspruch auf Respekt, der jedem Menschen allein schon aufgrund der Tatsache gebührt, dass auch er ein menschliches Wesen ist. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob der Begriff der Würde (zumindest) auch auf andere Primaten angewandt werden kann - und ob gewisse Menschenrechte auch Tieren zugesprochen werden sollten (vgl. Singer/Cavalieri 1993; Hoerster 2004; Kummer 2007).
  2. einen Habitus, von dem eine Achtung gebietende Ausstrahlung ausgeht, weil er als äußere Manifestation innerer Qualitäten - insbesondere moralischer Integrität und hoher Selbstbeherrschung - erscheint.


Vorhandenes und Erlangtes

Bezogen auf Menschen kann Würde also etwas apriorisch immer schon Vorhandenes (= Wesensmerkmal aller Mitglieder der Spezies) bezeichnen - und/oder etwas jeweils erst zu Erschaffendes und zu Erlangendes, das bewahrt werden muss, wenn man es behalten will, und das man auch aufs Spiel setzen kann:

  1. ein Wesensmerkmal eines jeden Menschen, wonach jeder Mensch, unabhängig von seinem Verhalten, eine unveräußerliche Würde allein schon deshalb besitzt, weil er zur Spezies Mensch gehört (= Würde qua Mensch-Sein). "Grundsätzlich besagt die Idee der allgemeinen Menschenwürde, dass der einzelne unabhängig von seinem sozialen Rang und losgelöst von seiner Stärke und seinen Schwächen einen achtunggebietenden ideellen Wert besitzt. (...) Demnach bezeichnet die Menschenwürde (...) eine Eigenschaft, die dem Menschen bereits kraft seines Menschseins zukommt und die somit ein Wesensmerkmal darstellt" (Wetz 2011: 15 f.).
  2. eine Aufgabe oder einen Auftrag. Menschen können Würde erlangen, aber auch aufs Spiel setzen; die Gesellschaft kann die Bedingungen für eine Existenz in Würde schaffen oder ruinieren; der Staat kann Würde achten und schützen oder aber missachten und Menschen ihrer Würde berauben. In diesem Verständnis ist Würde ein positiv bewerteter Habitus, der auf ebenfalls positiv bewertete innere Qualitäten (aus dem Bereich personaler Souveränität und Moralität) verweist. Insofern hängt Würde vom Verhalten der Menschen ab und von den gesellschaftlichen Verhältnissen, unter denen sie leben: "Dabei wird Würde einmal eher als individuelles Verdienst, ein anderes Mal eher als gesellschaftliche Leistung verstanden" (Wetz 2011: 16). Würde ist in diesem Sinne eine Haltung im äußeren Auftreten, die auf bestimmte innere Qualitäten verweist, und zwar insbesondere auf solche der moralischen Reife. Üblicherweise stellt man sich nach Kant eine gewisse Erhabenheit und Würde an der Person vor, die alle ihre moralischen Pflichten erfüllt. Wo also Erscheinung und innere Qualitäten des Subjekts korrespondieren, wo eine Übereinstimmung herrscht zwischen innerer und äußerer Haltung, da kann man mit Friedrich Schiller von Würde als dem Achtung gebietenden (und ehrfürchtige Distanz schaffenden) Habitus eines in der Selbsterziehung zur moralischen Autonomie erfolgreichen Subjekts sprechen: Beherrschung der Triebe durch die moralische Kraft ist Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung.

Wenn man Würde als Auftrag zur Existenzgestaltung versteht, dann ist sie nicht angeboren, unantastbar und unverlierbar, sondern ein hohes, aber immer prekäres Gut. Ob und wie ein Mensch Würde erlangen kann, ist einerseits eine Frage seiner charakterlichen Prozesse, andererseits aber auch eine Frage der Bedingungen, unter denen er lebt, bzw. leben muss. Wo er etwa qualvoll gerade noch existieren kann und alle seine Energie in den Dienst seines individuellen Weiterlebens investieren muss, da ist es bereits um die Bedingungen der Möglichkeit des Hervortretens bzw. der Erschaffung von Würde nicht gut bestellt (vgl. Nietzsche 2011: 292). Adressaten des Auftrags zur Existenzgestaltung sind:

  1. das Individuum, das sein Leben selbst in die Hand nehmen und sich selbst erziehen könnte. Das Individuum drückt seine Würde durch bestimmte Formen des Auftretens in der Öffentlichkeit aus - wie z.B. durch den aufrechten Gang, das erhobene Haupt, den gemessenen Schritt und die gesetzte Rede, aber auch durch Souveränität im Umgang mit unerwarteten Situationen: "Wer Würde besitzt, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, er verliert nicht die Geduld oder gar die Fassung. Über kleinlichen Streit ist er erhaben. Momentane Impulse oder Triebe haben keine Macht über ihn." Damit spricht Thomas Fuchs (2008: 204 f.) den zentralen Aspekt menschlicher Würde an, den er als leibliche Souveränität bezeichnet.
  2. der Staat als Rechts- und als Sozialstaat. Der Sozialstaat soll die Verhältnisse so ordnen, dass eine menschenwürdige Existenz für alle möglich wird. Der Rechtsstaat soll die Verhältnisse so ordnen, dass die Verletzung der Menschenwürde verhindert, vermindert oder zumindest nachträglich negativ bewertet und entsprechend sanktioniert wird.


Die Sphäre und ihre Verletzung

Wie erlangt ein Mensch Würde? Von der Antike über Immanuel Kant bis heute lautet die Antwort: durch ethische Selbstkultivierung zur Überwindung reiner Impulssteuerung und durch die entsprechende Übung in der Leibbeherrschung. Eine Schutzvorkehrung gegen den Rückfall im Prozess der Selbstkultivierung ist die Entwicklung der Scham. Diese führt zur Verheimlichung der Ausscheidungs- und Sexualtätigkeit, ist aber überhaupt der zentrale Affekt des Schutzes vor Entblößung, Demütigung und Erniedrigung. Wem diese Sphäre genommen wird, der büßt gewissermaßen unter dem Blick der Anderen seine leibliche Souveränität ein und fällt zurück in seine allzu irdische Körperlichkeit.

So wie das Schamgefühl und die Selbsterziehung eine Sphäre schaffen, die sich als Bedingung der Möglichkeit von Würde deuten lässt, so lässt sich die Verletzung der Würde vor allem als Missachtung der leiblichen Souveränität und der autonomen (privaten) Sphäre des Menschen definieren.

Dementsprechend gehört zu den massivsten Verletzungen der Würde nicht die Gewaltanwendung als solche, sondern die demütigende Brechung der leiblichen Souveränität, wie sie vor allem durch Vergewaltigung oder durch die Folter erreicht wird. Solche Würdeverletzungen wirken in besonderer Weise beschämend und nahhaltig traumatisierend. Sie durchbrechen die Barrieren der Intimität und reduzieren das Opfer auf seine nackte Körperlichkeit, ohne ihm eine Möglichkeit zu lassen, seine Würde in seinem Leib darzustellen. Ähnlich entwürdigende Wirkung hatten frühere Strafen wie der Pranger oder die Kreuzigung, die den Delinquenten in beschämender Weise zur Schau stellten. Aus jüngster Zeit ist die Folger durch erzwungene Einnahme sexueller Posen zu trauriger Berühmtheit gelangt. Solche Verfahren berauben die Opfer ihrer leiblichen Souveränität und zwingen sie auf demütigende Weise in ihre Körperlichkeit zurück (Fuchs 2008: 210).

Verletzungen der Menschenwürde sind jedenfalls

  1. die demütigende Brechung der leiblichen Souveränität, weil dadurch
  2. die Barrieren der Intimität durchbrochen und
  3. die Opfer auf ihre nackte Körperlichkeit reduziert werden,
  4. ohne ihnen eine Chance zu lassen, ihre Würde in ihrem Leib darzustellen und dadurch
  5. in besonderer Weise beschämend und deshalb auch in der Tendenz
  6. nachhalig traumatisierend wirken.

Beispiele für diese massivste Form der Würdeverletzung sind

  1. Vergewaltigung
  2. Folter
  3. sadistische Misshandlung.

Ein Beispiel für sadistische Misshandlungen war die erzwungene Einnahme sexueller Posen im Stile der Pyramidenbildung nackter gegnerischer Gefangener im Gefängnis von Abu Ghraib.

Zitate

Allein der Mensch, als Person betrachtet, d.i. als Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft, ist über jeden Preis erhaben, denn als ein solcher (homo noumenon) ist er nicht bloß als Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen, d.i. er besitzt ein Würde (einen absoluten inneren Werth), wodurch er allen andern vernünftigen Weltwesen Achtung für ihn abnötigt, sich mit jedem Anderen dieser Art messen und auf den Fuß der Gleichheit schätzen kann. Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten (in der Tugendlehre im Kapitel über die Kriecherei) Akademieausgabe Band VI: 434f.

Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde. Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten ... Reclam-Ausgab 1972: 87.

Das allgemeinste Zeichen der modernen Zeit: der Mensch hat in seinen eigenen Augen unglaublich an Würde eingebüßt. - Friedrich Nietzsche (Der Wille zur Wahrheit), in: F.N., Sämtliche Werke, Krit. Studienausg. in 15 Bdn, Hrg. v. G. colli und M. Montinari, Bd. 12, Nachgel. Fragmente 1885-1887, München: dtv 1980: 254.

Beherrschung der Triebe durch die moralische Kraft ist Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung Friedrich Schiller, Über Anmut und Würde. In: Sämtliche Werke, hg. v. G. Fricke, .G. Göpfert, 9. Aufl. Bd. 5, München: 475.

Wenn man denn überhaupt früge, worauf denn diese angebliche Würde des Menschen beruhe; so würde die Antwort bald dahin gehn, daß es auf seiner Moralität sei - also die Moralität auf der Würde, und die Würde auf der Moralität. - Aber hievon auch abgesehn, scheint mir der Begriff der Würde auf ein am Willen so sündliches, am Geiste so beschränktes, am Körper so verletzbartes und hinfälliges Wesen, wie der Mensch ist, nur ironisch anwendbar zu sein (...) Daher möchte ich im Gegensatz zu besagter Form des Kantischen Moralprinzips folgende Regel aufstellen: bei jedem Menschen, mit dem man in Berührung kommt, unternehme man nichteine objektive Abswchätzung desselben nach Wert und Würde (...) sondern man fasst allein seine Leiden, seine Not, seine Angst, seine Schmerzen ins Auge - da wird man sich stets mit ihm verwandt fühlen, mit ihm sympathisieren und statt Haß oder Verachtung jenes Mitleid mit ihm empfinden, welches allein die agapé ist, zu der das Evangelium aufruft. Um keinen Haß, keine Verachtung gegen ihn aufkommen zu lassen, ist wahrlich nicht die Aufsuchung seiner angeblichen 'Würde', sondern umgekehrt der Standpunkt des Mitleids der allein geeignete. Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften II, in: A. Sch.: Sämtliche Werke, Hrsg. v. W. Frhr. v. Löhneysen, Bd. 3 Stuttgart: Cotta, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1978: 239.

Literatur

  • Fuchs, Thomas (2008) Die Würde des menschlichen Leibes. In: Wilfried Härle, Bernhard Vogel, Hg.: Begründung von Menschenwürde und Menschenrechten. Freiburg i.Br.: Herder, 202-219.
  • Fuchs, Thomas (2000) Leib, Raum, Person. Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie. Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Hoerster, Norbert (2004) Haben Tiere eine Würde? Grundfragen der Tierethik. München: C. H. Beck.
  • Kummer, Hans (2007) Die Würde der Kreatur und die Menschenaffen
  • Singer, Peter; Cavalieri, Paola, Hg. (1993) The Great Ape Project: Equality beyond humanity. London: Fourth Estate.
  • Wetz, Franz Josef, Hg. (2011) Texte zur Menschenwürde. Stuttgart: Reclam.
  • Wetz, Franz Josef (2005) Illusion Menschenwürde. Aufstieg und Fall eines Grundrechts. Stuttgart: Klett-Cotta.

Weblinks