Menschenwürde

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Siehe auch: Würde, Verletzung der Menschenwürde, Kriminologie der Menschenwürde

Wenn die Rede auf die Würde kommt, ist meist - aber nicht immer (vgl. Hoerster 2004) - die Würde des Menschen gemeint, also die Menschenwürde. Gemeint ist damit entweder ein unveräußerliches Wesensmerkmal des Menschen oder ein Gestaltungsauftrag (Wetz 2011), der sich entweder als Appell an das Individuum und/oder an den Rechts- und/oder Sozialstaat richtet. Bezogen auf das Individuum ist die Menschenwürde ein achtungsgebietender Habitus, der aus Selbsterziehung, Impulskontrolle und ethischer Prinzipienfestigkeit entwickelt werden kann und zu dessen Bedingungen der Möglichkeit die Scham als Schutz-Affekt gegenüber dem Rückfall auf das unkultivierte Körperliche gehört.

Gezwungenermaßen und unter dem Blick der Anderen seine leibliche Souveränität (Thomas Fuchs) einzubüßen - das ist eine fundamentale Verletzung der Menschenwürde.

Dementsprechend gehört zu den massivsten Verletzungen der Würde nicht die Gewaltanwendung als solche, sondern die demütigende Brechung der leiblichen Souveränität, wie sie vor allem durch Vergewaltigung oder durch die Folter erreicht wird. Solche Würdeverletzungen wirken in besonderer Weise beschämend und nahhaltig traumatisierend. Sie durchbrechen die Barrieren der Intimität und reduzieren das Opfer auf seine nackte Körperlichkeit, ohne ihm eine Möglichkeit zu lassen, seine Würde in seinem Leib darzustellen. Ähnlich entwürdigende Wirkung hatten frühere Strafen wie der Pranger oder die Kreuzigung, die den Delinquenten in beschämender Weise zur Schau stellten. Aus jüngster Zeit ist die Folter durch erzwungene Einnahme sexueller Posen zu trauriger Berühmtheit gelangt. Solche Verfahren berauben die Opfer ihrer leiblichen Souveränität und zwingen sie auf demütigende Weise in ihre Körperlichkeit zurück (Fuchs 2008: 210).

Der Begriff der Menschenwürde kann zweierlei bezeichnen: ein angeborenes Wesensmerkmal eines jeden Menschen, das vollkommen unabhängig ist von seinen Eigenschaften, seinem Verhalten und seiner sozialen Stellung und/oder einen Gestaltungsauftrag, demzufolge Würde nicht von vornherein mitgegeben, sondern z.B. anzustreben, zu ermöglichen, zu verdienen und zu bewahren ist. Als Gestaltungsauftrag kann sich der Begriff der Menschenwürde entweder an jede einzelne Person richten - sie stellt dann einen Aufruf zu Selbststeuerung, Selbsterziehung und Selbstachtung dar (= der Mensch soll so leben, dass er seine persönliche Würde schützt, erhält und nicht preisgibt, indem er sich etwas "würdelos" oder "unwürdig" verhält) - oder aber an Dritte. Als Dritte kommen die Mitmenschen in Betracht (niemand soll andere Menschen entwürdigend behandeln), vor allem aber, wegen seiner überlegenen Machtmittel und der damit einhergehenden Missbrauchsrisiken, der Staat. An den Staat als Sozialstaat richtet sich der Gestaltungsauftrag zur Schaffung von gesellschaftlichen Verhältnissen, die es auch den Armen und Benachteiligten erlauben, ein menschenwürdiges Leben zu führen. An den Staat als Rechtsstaat richtet sich der Gestaltungsauftrag, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen (vgl. Wetz 2005, 2011).


Neutraler Begriff

Im weltanschaulich neutralen Staat definiert sich die Würde des Menschen vor allem über dessen Rechte, nämlich die (sich auf die wichtigsten allgemeinmenschlichen Interessen beziehenden)

  1. Abwehrrechte, die dem Schutz des Einzelnen vor willkürlichen Eingriffen durch den Staat dienen und dessen Zwangsgewalt begrenzen sollen (Recht auf Leben und individuelle Selbstbestimmung, Gleichheit vor dem Gesetz sowie Religions- und Weltanschuungsfreiheit)
  2. Teilhaberechte, die dem Einzelnen die Mitbestimmung über gesellschaftliche Verhältnisse ermöglichen sollen (Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit, Wahlrecht...)
  3. soziale Leistungs- und Wohlfahrtsrechte, die dem Einzelnen soziale Sicherheit für den Fall existenzgefährdender Risiken durch Krankheit, Unfall oder Arbeitslosigkeit gewährleisten sollen.

Weltanschauungsneutral lässt sich die Menschenwürde als Gestaltungsauftrag auf der Basis der Menschenrechte definieren. Die Menschenwürde existiert vor allem in den verwirklichten Menschenrechten: "einem Leben in körperlicher Unversehrtheit, freiheitlicher Selbstbestimmung und Selbstachtung sowie in sozialer Gerechtigkeit". Das verlangt den Respekt vor der leiblichen Souveränität (Thomas Fuchs) des Anderen. Und es entspricht dem fundamentalen Interesse aller Menschen, "möglichst wenig leiden zu müssen, elementare Grundbedürfnisse befriedigen zu können und sich ungestört entfalten zu dürfen" (Wetz 2008: 46, 47).


Die Bedeutung des Straftäters

Den Rechtsansprüchen des Bürgers auf Leben, körperliche Unversehrtheit, freiheitliche Selbstbestimmung und soziale Sicherung entsprechen bestimmte Grundpflichten (auch wenn das Grundgesetz da verschwiegener ist als z.B. die Weimarer Reichsverfassung). Wer die Rechte der anderen nicht achtet, verliert dadurch u.U. seine eigene Würde und damit auch eigene Rechte. Dieser Rechtsverlust darf aber nicht symmetrisch sein: sonst hätte es jeder Verbrecher in der Hand, durch den Grad seiner Selbst-Barbarisierung auch die Gesellschaft zu barbarisieren.

Doch welche Rechte und wie viel Würde haben auch noch Verbrecher? Hier kommen die Justizgrundrechte ins Spiel, die dem Einzelnen eine subjektive Rechtsposition auch für den Fall der Verhaftung oder eines Gerichtsverfahrens gewähren: neben dem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101) und den Verboten von Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3), Rückwirkung und Analogie im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2) interessieren kriminologisch vor allem der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 und die Rechtsgarantien bei Freiheitsentziehung nach Art. 104. Letzterer lautet:

  1. Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.
  2. Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.
  3. Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.
  4. Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

In der Praxis ist der Umgang mit Verdächtigen - also mit Personen, gegen die ein Anfangsverdacht einer Straftat besteht (§ 152 Abs. 2 StPO) - noch relevanter als derjenige mit Beschuldigten (= Verdächtigen, gegen die ein Ermittlungsverfahren betrieben wird). Aktenkundigkeit ist eine Art Lebensversicherung. Stufenweise verbessern sich die Chancen, wenn das Ermittlungsverfahren beendet und eine Anklage erhoben wird (= Angeschuldigter), bzw. wenn die Anklage zugelassen wird (= Angeklagter). Freilich sind Menschenrechtsverletzungen während des Prozesses und dann insbesondere wieder während der Strafhaft im globalen Maßstab keineswegs Raritäten.

Die Würde des Menschen - vom Tiere her betrachtet

Der Mensch pflegt sich selbst Würde zuzusprechen und den Würdebegriff zu essentialisieren. Wenn die Rede auf Tiere und ihre Würde kommt, zeigt sich die Schwäche dieser anthropozentrischen Sichtweise. Tiere nämlich haben nach Ansicht der meisten Denker keine eigene Würde und können daher auch keine verlieren. Andersherum wird ein Schuh daraus. Mit Michael Pawlik wäre gleichsam tugendtheoretisch zu argumentieren: es geht bei der Behandlung von Tieren durch den Menschen weniger um die Tierethik und die Tierrechte als vielmehr um die Menschenethik und die Menschenrechte. Was durch die Misshandlung von Tieren gefährdet ist, ist einerseits die Integrität des Tieres, aber in rechtlicher Hinsicht und in ethischer ist es in erster Linie die "Achtung des Menschen vor sich selbst". Wer ein Tier brutal schlägt, der brutalisiert sich selbst, der "beschädigt, aristotelisch gesprochen, seine eigene Seele", verliert seine eigene Würde.

Wenn aber die Würde in der Tierrechte-Diskussion gleichsam "auf der falschen Seite plaziert" wurde (Kummer 2007: 5), weil es nicht um die Verletzung einer angeblichen Würde-Eigenschaft der Tiere geht, sondern eher darum, dass der Mensch seine Würde verliert, wenn er ein Tier misshandelt, dann steht damit die Frage im Raum, ob gleiches nicht auch für die Menschen-Würde-Diskussion gilt. Ist es nicht eher der Täter, der sich würdelos verhält, wenn er einen Menschen misshandelt, als dass der zum Objekt gemachte Mensch in seiner Würde verletzt würde? Ist die Idee der Menschenwürde als eines Wesensmerkmals dadurch nicht obsolet?

  1. Nach Norbert Hoerster besitzt kein Lebewesen - ob Mensch oder Tier - "einen mit der bloßen Vernunft erkennbaren 'Eigenwert', auf Grund dessen dieses Lebewesen per se unsere Wertschätzung verdient." Das aus natürlicher Verbundenheit und freiwilliger Kooperation resultierende Vermögen des Menschen zu moralischem Handeln kann, muss aber nicht genügen, um für das Mensch-Mensch-Verhältnis etwas anderes anzunehmen. Es könnte also sein, dass es keine Prämissen gibt, die den Schluss erlauben, dass der Mensch eine angeborene Würde haben könnte.
  2. Außerdem hilft der Begriff der Menschenwürde als Wesensmerkmal in praktischer Absicht oft nicht weiter. In aktuellen Diskussionen (Abtreibung, Gentechnik, Sterbehilfe) berufen sich beide Seiten auf die Menschenwürde für diametral entgegengesetzte Forderungen. Der Begriff ist und bleibt so zentral wie umstritten (Brugger 2008: 49).
  3. Auch die von der deutschen Verfassungsrechtsprechung zur Konkretisierung des Menschenwürde-Begriffs lange Zeit favorisierte Kant'sche Objektformel hilft in schwierigen Fällen oft nicht weiter. Gewiss gibt es unstreitige Fälle, in denen man sagen kann, dass der Mensch hier nicht mehr als Zweck, sondern nur noch als Mittel für einen fremden Zweck angesehen wird (etwas als "nutzloser Esser", als "Ballastexistenz" aus der Sicht des ökonomischen Systems Familie, Staat oder Gesellschaft), doch hilft dieser Gedanke jedenfalls dort nicht weiter, wo ein Mensch für einen legitimen Zweck in beschränktem Maße "instrumentalisiert" wird, also etwa der einzig verfügbare Autofahrer, der sich weigert, ein todkrankes Kind ins Krankenhaus zu fahren, dazu gezwungen wird, das Kind zu fahren. Auch hier wird der Mensch für eine Weile zum bloßen Objekt gemacht - doch eine Abwägung zwischen der temporären Handlungsfreiheit des Autofahrers einerseits und dem Leben des Kindes andererseits lässt die Objektformel als wenig zielführend erscheinen.

Vieles spricht also dafür, dass der Begriff der Menschenwürde (wie andere auch: wie "Demokratie", "Freiheit", "Gerechtigkeit" oder "Kunstwerk") ein - wie Walter Bryce Gallie (1956) es nannte - essentially contested concept, ein wesensmäßig umstrittener Begriff ist. Um aus ihm Handlungsanweisungen abzuleiten, muss er nämlich vom jeweiligen Sprecher vorher schon mit bestimmten Werturteilen über gut/schlecht, legitim/illegitim angefüllt worden sein - erst dann kann man eine Lösung ethischer Fragen (scheinbar) daraus ableiten. Ausgerechnet mit Norbert Hoerster (2011: 306) lässt sich also konstatieren:

"Da dieser Begriff (...) ein normativ besetztes Schlagwort ohne jeden deskriptiven Gehalt ist, legt man das jeweilige Menschenbild mit seinen ethischen Postulaten einfach in den Begriff hinein und erweckt so den Anschein, eine aus diesen Postulaten ableitbare negative Bewertung über ein bestimmtes Verhalten mit dem Satz 'Dieses Verhalten verletzt die Menschenwürde' begründet zu haben. In Wirklichkeit hat man jedoch nichts begründet, sondern seiner Bewertung lediglich auf besonders suggestive Weise Ausdruck gegeben."

Mit anderen Worten: es wäre gut, die Frage der Menschenwürde reflexiv und tugendtheoretisch zu behandeln. Menschenwürde ist kein Wesensmerkmal, sondern Gestaltungsauftrag. Anstatt zu sagen: X verletzt die Würde von Y, sollte man sagen: X verliert seine Würde, indem er Y den Minimal-Respekt verweigert, auf den jeder Mensch einen Anspruch hat. Man kann auch einem Tier die Behandlung verweigern, auf die es einen Anspruch hat - etwa, indem man es leiden lässt.

Die Würde des Menschen - von ihrer Verletzung her gedacht

Eine praktikable Sichtweise kann sich aus der Mitleidsethik Schopenhauers ergeben - man könnte sie auch pathozentrisch nennen. Jedenfalls stünde im Mittelpunkt die Frage nach der Würde derjenigen, die sich an anderen vergehen, und nach ihrem Würdeverlust durch die Verletzung des Anerkennungs- und Respektsanspruchs der Anderen. Vielleicht muss man ja auch nicht wissen, was die Würde des Menschen ist, solange man weiß, wann eine Verletzung der Würde des anderen, also seines Anerkennungsanspruchs, vorliegt.

So wird der Verstoß gegen die Menschenwürde in dem Moment offenkundig, in dem man die Filmaufnahmen der Prozesse gegen die Verschwörer des 20. Juli vor dem Volksgerichtshof sieht. Es gibt Erniedrigungen, die den Anspruch des Gegenübers auf die Respektierung seiner Würde verletzen. Das heißt nicht, dass der Betroffene tatsächlich seiner Würde verlustig geht. Auch das zeigen diese Aufnahmen. Aber eines bleibt dennoch klar: so darf man mit einem Menschen - egal, wie dieser Mensch beschaffen ist und was er getan oder nicht getan hat - nie umgehen.

Das heute dominierende Verständnis von Art. 1 Abs. 1 GG füllt den Begriff der Menschenwürde von der Verletzung her mit Inhalt. Bild: Auschwitz 1944, Der Vernichtung der nackten Existenz geht der Angriff auf die Menschenwürde voraus

Deshalb ist es nicht verwunderlich und auch nicht zu kritisieren, dass die Menschenwürde heutzutage ihre Konturen hauptsächlich über die Thematisierung ihrer (krassen) Verletzung gewinnt. Wie es Matthias Herdegen (2011: 258) ausdrückt:

"Das heute dominierende Verständnis von Art. 1 Abs. 1 GG füllt den Begriff der Menschenwürde von der Verletzung her mit Inhalt."


Beispiele

Insofern hängt das Verständnis von der Menschenwürde als Wesensmerkmal eng mit dem Verständnis der Menschenwürde im Sinne eines Gestaltungsanspruchs an den Staat zusammen (vgl. Wetz 2011). Die beiden letztgenannten Perspektiven sind es, die dem Parlamentarischen Rat zur Aufnahme von Artikel 1 Absatz 1 in das Grundgesetz bewogen:

"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Sucht man nach Beispielen für eindeutige Menschenwürde-Verletzungen, so ist der sicherste Weg das Aufspüren von Ereignissen, in denen diejenigen, die ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde aufgerufen sind, diese prima facie verletzen: am ehesten wird man solche Fälle dort finden, wo Staatsorgane und Bürger typischerweise unmittelbar in Zwangsverhältnissen aufeinander treffen - also dort, wo die Polizei mit unmittelbarem Zwang gegen Bürger vorgeht. Sie hat dieses Recht in jedem Staat der Welt, aber in jedem Staat der Welt gibt es auch Gesetze, die diese prekären Begegnungen durch rechtliche Kanalisierung zu steuern und in gewisse Formen zu gießen suchen: es gibt nur bestimmte Gründe und Situationen, in denen die Polizei berechtigt ist, Gewalt anzuwenden - und auch dann nur die erlaubten Formen der Gewalt und jeweils situationsangemessen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Was sie bedeutet

Wolfgang Deppert (2011: 142) schlägt vor, "die Würde eines Menschen als die Sicherungsfähigkeit der eigenen inneren Existenz zu kennzeichnen, die sich vor allem in dem Willen zur Erhaltung der eigenen inneren Existenz äußert. Weil die innere Existenz an die Vergänglichkeit der äußeren Existenz geknüpft ist, so können die innere Existenz und ihre Existenzsicherung von außen verletzt werden, und sind somit schutzbedürftig."

Wolfgang Deppert (2011: 146) erklärt mit gehörigem Nachdruck: "Da die Sicherung der inneren Existenz des Menschen selbst eine notwendige Bedingung für den Erhalt seiner äußeren Existenz ist und weil der Staat seine eigene äußere und innere Existenz auf die Existenz von Menschen gründet, ist die Würde des Menschen für den Staat selbst der fundamentale Wert überhaupt. Ferner stellt der staatliche Schutz der Würde des Menschen die Bedingung der Möglichkeit für die Ableitung von Grund- oder Menschenrechten dar. Damit ist das Recht auf den Schutz der Menschenwürde das grundlegendste Recht, das es überhaupt geben kann, es sei darum als das fundamentale Menschenrecht bezeichnet." Jeder Diskussionsteilnehmer legt in den Begriff sein jeweiliges Menschenbild hinein, um sodann den Anschein zu erwecken, dass sich die eigene Position aus der Menschenwürde selbst ergebe. Das, so Hoerster (2011: 306), ist kein seriöses Argumentieren: "In Wirklichkeit hat man (...) nichts begründet, sondern seiner Bewertung lediglich auf besonders suggestive Weise Ausdruck gegeben."

Aus einer anderen Perspektive relativiert Franz Josef Wetz (2008: 46) insbesondere die rechtliche Bedeutung, die der Menschenwürde besonders in Deutschland oft zugewiesen wird. Er argumentiert gegen eine überragende Stellung der Menschenwürde gegenüber den Grund- und Menschenrechten mit dem Hinweis darauf, dass die Idee der Menschenwürde im Recht sehr viel jüngeren Datums (und weitaus weniger verbreitet und anerkannt) sei als diejenige der Menschenrechte, und dass zweitens die Grund- und Menschenrechte mühelos ohne Rückgriff auf die Menschenwürde - also aus eigener Kraft - einer ethischen Begründung fähig seien:

"Abgesehen davon, dass die im 18. und 19. Jahrhundert proklamierten Menschenrechte zur damaligen Zeit nicht ein einziges Mal auf die Idee der Menschenwürde gegründet wurden, die erst im 20. Jahrhundert nach dem brutalen Mord von Millionen Unschuldiger den Weg ins Recht fand, können die Menschenrechte durchaus ethisch begründet werden und damit für sich stehen. Es bedarf keiner tiefsinnigen Reflexion, um zu erkennen, dass Schmerz, Leid oder Unterdrückung nicht nur für einen selbst, sondern für alle etwas Schlimmes sind."

Wie sie verletzt werden kann

Wenn man Menschen in "menschenunwürdigen" Behausungen unterbringt, ihnen die Minimalvoraussetzungen für ein würdiges Leben verweigert oder sie so misshandelt, dass sie ihre Persönlichkeit nicht mehr wahren können, dann verfehlen Staat und/oder Gesellschaft ihren freiheitsphilosophisch und anthropologisch (und natürlich auch rechts- und sozialstaatlich) begründeten Gestaltungsauftrag, jedem Menschen die Bedingungen der Möglichkeit für sein "menschenwürdiges Dasein" zu schaffen oder zumindest nicht aktiv zu verweigern (näher: Brugger 2008).

Literatur

  • Deppert, Wolfgang (2011) Einführung in die Wirtschafts- und Unternehmensethik. Eine aufrührerische Vorlesung. WISO-Fakultät, UNI Kiel SS 2011 (unv. Ms.)
  • Gallie, Walter Bryce (1956) Essentially Contested Concepts. In: Proceedings of the Aristotelian Society. 56, 1956: 167–198.
  • Härle, Winfried & Bernhard Vogel, Hg. (2008) Begründung von Menschenwürde und Menschenrechten. Freiburg: Herder.
  • Hoerster, Norbert (2004) Haben Tiere eine Würde? Grundfragen der Tierethik. München: C. H. Beck.
  • Meinhof, Ulrike (2004) Die Würde des Menschen ist antastbar. Berlin: Wagenbach.
  • Vašek, Markus; Thomas Vašek (2012) Die Sache des Igels. Interview mit Ronald Dworkin. Hohe Luft. Philosophie-Zeitschrift. Heft 4: 28-38.
  • Wetz, Franz Josef (2008) Menschenwürde - eine Illusion? In: Härle & Vogel (2008) 27-48.
  • Wetz, Franz Josef (1998) Die Würde des Menschen ist antastbar. Eine Provokation. Stuttgart.

Weblinks

Videos