Stammheim

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Justizvollzugsanstalt Stuttgart

Stammheim ist ein Ortsteil von Stuttgart (Baden-Württemberg) und zugleich der Name einer dort befindlichen Justizvollzugsanstalt (Stuttgart-Stammheim), die speziell für die Inhaftierung von Gefangenen der Roten Armee Fraktion (RAF), aber auch für die Durchführung der Strafprozesse gegen diese errichtet wurde und durch die hohe Aufmerksamkeit, die den Haftbedingungen und den Prozessen zuteil wurde, schon bald zu einer Art Sinnbild für den "Deutschen Herbst" wurde. Sowohl als Maßnahme gegen eine RAF-Mythenbildung als auch aus wirtschaftlichen Gründen erwog man in der Landesregierung in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts einen Abriss der Anstalt.

Wichtigstes Ereignis in "Stammheim" war der Tod der RAF-Gefangenen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in der Nacht zum 18. Oktober 1977 im 7. Stock der JVA - die durch Messerstiche in die Herzgegend verletzte Irmgard Möller war die einzige Überlebende.

In der Öffentlichkeit entspann sich eine jahrelange Kontroverse um die Frage, ob es sich um "Mord" oder "Selbstmord" gehandelt habe. Die RAF und ihr Umfeld sprachen von staatlichem Mord. Staatliche Stellen von Selbstmord. Der Journalist Stefan Aust äußerte den Verdacht, dass es sich um einen staatlich geduldeten Suizid gehandelt haben könnte, weil einiges dafür sprach, dass staatliche Stellen (evtl. durch das Abhören der Zellen) die Suizidabsichten gekannt hatten und trotzdem nichts zur Verhinderung der Taten unternommen hatten. In diesem Fall hätten die staatlichen Stellen, die den Tod der Häftlinge billigend in Kauf genommen hätten, sich strafbar gemacht. Tatsächlich wurden zumindest die Besucherräume der Haftanstalt und zwei Zellen des Gebäudes, wo der Strafprozess statt fand, spätestens seit Juni 1975 unstreitig abgehört. Abgehört wurde seit Anfang Oktober 1977, wenige Tage vor dem Tod der Häftlinge, auch die Anwaltskanzlei von Rechtsanwalt Klaus Croissant. Zudem hatte der RAF-Sonderermittler Alfred Klaus (gest. 2008) am 08. Oktober 1977 in Stammheim mit Andreas Baader gesprochen und von diesem gehört, dass die Bundesregierung künftig nicht mehr über die Gefangenen würde verfügen können - es werde "irreversible Entscheidungen" geben. Klaus gab diese Ankündigung, die er als Information über einen bevorstehenden Suizid wertete, auch weiter: "Alle verantwortlichen Stellen, in erster Linie die baden-württembergischen Justizbehörden, waren von mir über die Suiziddrohungen informiert worden. Weder die Behörden noch der Krisenstab hatten die Drohungen ernst genommen" (Alfred Klaus).

Unklar ist, ob es tatsächlich zum Abhören der Gefangenenzellen (bzw. des Gruppenraums) im 7. Stock gekommen war. Zwar hatte schon im August 1974 das Landeskriminalamt in einem Brief an das Innenministerium "ein Abhören der Zellen der BM-Häftlinge für notwendig erachtet", doch gab es auch Widerstände dagegen und die Innenministerkonferenz wollte z.B. auch keinen förmlichen Beschluss dazu fassen.

Einzelaspekte

Ein Beamter des baden-württembergischen Landeskriminalamts namens Dieter Löw hatte in seinem Einsatzkalender für den besagten Tag das Wort "Sondermaßnahmen" vermerkt. Der Beamte erklärte bislang nicht, was damit gemeint war. Im Jahre 2008 konnte Aust im Staatsarchiv in Ludwigsburg die Handakte des damaligen Präsidenten des baden-württembergischen Landeskriminalamts (Kuno Bux) sowie einige zuvor als geheim eingestufte Akten des Innenministeriums und des Hochbauamts einsehen. Aust fand zwei Dokumente, die seine Hypothese stärkten: zwei rote Kringel markierten auf einem Grundriss des siebten Stocks beim Gruppenraum und bei einem Materialraum die Versorgungsschächte mit zwei roten Kringeln; drei Wohnzellen waren mit schwarzen Kreuzen markiert; eine Rechnung eines Elektrohändlers über zwei von einem Kriminaloberrat bestellte Mikrofone zum Stückpreis von je 36 Mark vom Oktober 1975 befand sich ebenso in der Handakte wie ein Vermerk über die Verbesserung der "Abhöranlage in der JVA Suttgart-Stammheim am 24. Januar 1976." - Denkbar bleibt freilich, dass es sich nicht um das Abhören der Hafträume handelte, sondern um das Abhören der Besucherzellen. Wären von den fünf Aktenmeters zu den Vorgängen in Stammheim nicht nur rund 10 cm freigegeben, ließe sich die Frage vielleicht besser klären.

Ein Vermerk

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft beschloss am 25. September 2008, kein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Der Verdacht auf das Vorliegen eines Mordes galt als ausgeräumt, wurde daher nicht eigens erwähnt. Der Verdacht auf einen staatlich geduldeten Suizid galt als widerlegt. "Die Staatsanwaltschaft habe Akten des Innenministeriums geprüft und keine Anhaltspunkte für die Behauptung gefunden, dass die Häftlingszellen in Stammheim in der Nacht des Selbstmords und davor abgehört worden seien Allerdings sei damals über die Möglichkeit, auch Häftlingszellen abzuhören, diskutiert worden."

Quellen

  • Kein Verfahren zu RAF-Selbstmorden. FAZ 27.09.08: 5.
  • Soldt, Rüdiger (2008) Sieg oder Tod - so viel wusste man auch ohne Mikrofone. Trotz der Freigabe weiterer Akten gibt es für die Abhörthese über den Terroristen-Selbstmord 1977 immer noch wenige Indizien. FAZ 25.09.2008: 3.