Intensivtäter: Unterschied zwischen den Versionen

950 Bytes hinzugefügt ,  18:29, 9. Mär. 2016
keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 4: Zeile 4:
In der Polizeilichen Kliminalstatistik (PKS) werden als Mehrfachtäter Tatverdächtigte mit zwei, drei oder vier Fällen pro Statistikjahr angegeben. Als Intensivtäter werden in der PKS Tatverdächtigte mit mehr als vier Fällen pro Statistikjahr angesehen.
In der Polizeilichen Kliminalstatistik (PKS) werden als Mehrfachtäter Tatverdächtigte mit zwei, drei oder vier Fällen pro Statistikjahr angegeben. Als Intensivtäter werden in der PKS Tatverdächtigte mit mehr als vier Fällen pro Statistikjahr angesehen.
Kaiser definiert Intensivtäter als "Mehrfachdelinquenten, die aufgrund von Art, Schwere und Häufigkeit des Rechtsbruchs eine besonders hohe Sozialgefährlichkeit gegenüber nur gelegentlich deliktisch handelnden Rückfalltätern erkennen lassen."(Kaiser, 1993, S.178; Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss, 1993, S.178) Von diesen unterscheiden sie sich durch eine besonders hohe Sozialgefährlichkeit aufgrund von Art, Schwere und Häufigkeit der verübten Straftaten. Die Auftrittswahrscheinlichkeit ereignet sich bei der Mehrzahl der Intensivtäter nur während eines begrenzten Zeitraums. (vgl. Boegner, 2011, S.143)  
Kaiser definiert Intensivtäter als "Mehrfachdelinquenten, die aufgrund von Art, Schwere und Häufigkeit des Rechtsbruchs eine besonders hohe Sozialgefährlichkeit gegenüber nur gelegentlich deliktisch handelnden Rückfalltätern erkennen lassen."(Kaiser, 1993, S.178; Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss, 1993, S.178) Von diesen unterscheiden sie sich durch eine besonders hohe Sozialgefährlichkeit aufgrund von Art, Schwere und Häufigkeit der verübten Straftaten. Die Auftrittswahrscheinlichkeit ereignet sich bei der Mehrzahl der Intensivtäter nur während eines begrenzten Zeitraums. (vgl. Boegner, 2011, S.143)  
===Jugendliche Intensivtäter===
===MIT===
===MIT===
Eine Projektgruppe der Länder und des Bundes hat 2003 eine Begriffsbestimmung für sogenannte Mehrfach- und Intensivtäter (MIT) erarbeitet. Danach sind MITs Personen,
Eine Projektgruppe der Länder und des Bundes hat 2003 eine Begriffsbestimmung für sogenannte Mehrfach- und Intensivtäter (MIT) erarbeitet. Danach sind MITs Personen,
Zeile 13: Zeile 12:
===Entwicklung===
===Entwicklung===
Bei [[Cesare Lombroso]] findet sich zum ersten Mal in der Literatur der [[geborene Verbrecher]], also ein Menschen, der schon böse und kriminell geboren wird und an körperlichen Merkmalen wie Kopfform, Kieferstellung, Augenbrauen etc. erkannt werden kann. Dieser Gedanke wurde in mehreren nachfolgenden Theorien und Strömungen aufgegriffen, weiter ausdifferenziert, aber auch widerlegt und kritisiert. Nach Begründung der Chicagoer Schule in den 1930er Jahren wurde die Untersuchung der Lebensläufe von Straftätern forciert, um Strukturen und Änderungen im zeitlichen Ablauf einer delinquenten Karriere zu verfolgen, dies war der Anfang der [[Karriereforschung]]. Das Ehepaar Glueck untersuchte unter anderem Faktoren, denen die größtmögliche prognostische Bedeutung zukommen, und identifizierte insbesondere drei davon: a) Beaufsichtigung der Kinder durch die Mutter b)Strenge der Erziehung und c)Ausprägung des Zusammenhalts der Familie.(vgl. Hessisches Landeskriminalamt, 2008, S.47ff).   
Bei [[Cesare Lombroso]] findet sich zum ersten Mal in der Literatur der [[geborene Verbrecher]], also ein Menschen, der schon böse und kriminell geboren wird und an körperlichen Merkmalen wie Kopfform, Kieferstellung, Augenbrauen etc. erkannt werden kann. Dieser Gedanke wurde in mehreren nachfolgenden Theorien und Strömungen aufgegriffen, weiter ausdifferenziert, aber auch widerlegt und kritisiert. Nach Begründung der Chicagoer Schule in den 1930er Jahren wurde die Untersuchung der Lebensläufe von Straftätern forciert, um Strukturen und Änderungen im zeitlichen Ablauf einer delinquenten Karriere zu verfolgen, dies war der Anfang der [[Karriereforschung]]. Das Ehepaar Glueck untersuchte unter anderem Faktoren, denen die größtmögliche prognostische Bedeutung zukommen, und identifizierte insbesondere drei davon: a) Beaufsichtigung der Kinder durch die Mutter b)Strenge der Erziehung und c)Ausprägung des Zusammenhalts der Familie.(vgl. Hessisches Landeskriminalamt, 2008, S.47ff).   
[[Chronic offenders]]oder auch persisters oder career criminals genannt (vgl. Kammigan, Masterarbeit, 2009, S.6ff))wurden zum ersten Mal in der Philadelphia Cohort Study diejenigen Täter benannt, auf die pro Kopf fünf oder mehr polizeiliche Registrierungen erfolgten und die für mehr als die Hälfte aller begangenen Delikte verantwortlich waren. Ende des 19. Jahrhunderts erfolgt die Unterteilung in Gelegenheits- und Gewohnheitsverbrecher. [[Moffits]] unterscheidet 1993 in [[adolescence-limited-offenders]], deren delinquentes Verhalten sich auf die Jugendzeit beschränkt, und [[life-course-persistent-offenders]], deren antisoziales Verhalten im Kindesalter beginnt und sich bis hin zum Erwachsenenalter fortsetzt.   
[[Chronic offenders]]oder auch persisters oder career criminals genannt (vgl. Kammigan, Masterarbeit, 2009, S.6ff))wurden zum ersten Mal in der Philadelphia Cohort Study diejenigen Täter benannt, auf die pro Kopf fünf oder mehr polizeiliche Registrierungen erfolgten und die für mehr als die Hälfte aller begangenen Delikte verantwortlich waren. Ende des 19. Jahrhunderts erfolgt die Unterteilung in Gelegenheits- und Gewohnheitsverbrecher. [[ Terri Moffit]] unterscheidet 1993 in seiner [[Two-Path-Theory]] [[adolescence-limited-offenders]], deren delinquentes Verhalten sich auf die Jugendzeit beschränkt und dann verwächst, und [[life-course-persistent-offenders]], deren antisoziales Verhalten im Kindesalter beginnt und sich bis hin zum Erwachsenenalter fortsetzt. Sie beschreibt damit, dass Kriminalität entweder kontinuierlich oder phasenweise geschehe, jedoch beides nicht möglich sei.   
===Theoretische Erklärungsansätze===
===Theoretische Erklärungsansätze===
Neben den hier kurz aufgeführten Theorieansätzen, beschreiben auch [[Edwin H. Sutherland]] in der [[Theorie der differentiellen Assoziation]], [[Richard A. Cloward & Lloyd E. Ohlin]] in der [[Theorie der differentiellen Gelegenheiten]] und [[Ronald A. Akers]] in seiner Theorie des sozialen Lernen uvm. dass kriminelles Verhalten nicht angeboren, sondern erlernt wird. Im Nachfolgenden wird auf drei Entwicklungstheorien kurz eingegangen.
====[[Wechselwirkungstheorie von Thornberry]]====
====[[Wechselwirkungstheorie von Thornberry]]====
Thornberry beschreibt in seiner Theorie die Wechselwirkung von Kriminalität als Ergebnis schwacher Bindung an die Gesellschaft mit eingergehender mangelnder Selbstkontrolle (vgl. [[Theory of crime]],[[Gottfredon & Hirschi]]) mit den Bedingungen, die es möglich machen, kriminelles Verhalten in der Interaktion mit anderen zu lernen (vgl. [[Lerntheorie]] nach [[Akers]]). Besonders wichtige Bindungsfaktoren sind Eltern, Schule und konventionelle Werte.
Thornberry beschreibt in seiner Theorie die Wechselwirkung von Kriminalität als Ergebnis schwacher Bindung an die Gesellschaft mit eingergehender mangelnder Selbstkontrolle (vgl. [[Theory of crime]],[[Gottfredon & Hirschi]]) mit den Bedingungen, die es möglich machen, kriminelles Verhalten in der Interaktion mit anderen zu lernen (vgl. [[Lerntheorie]] nach [[Akers]]). Besonders wichtige Bindungsfaktoren sind Eltern, Schule und konventionelle Werte.
Zeile 20: Zeile 20:
====[[Lebenslauftheorie]] oder [[age graded theory of informal control]] von [[Sampson & Laub]]====
====[[Lebenslauftheorie]] oder [[age graded theory of informal control]] von [[Sampson & Laub]]====
Störungen und Auffälligkeiten führen nicht unmittelbar zu Delinquenz, sondern indirekt über ihre Auswirkungen auf die Einbindung in die informelle Sozialkontrolle. Störungen und Auffälligkeiten aus vorangehenden Lebensphasen haben Auswirkungen auf Bindungskonstellationen in späteren Lebensphasen. Eine kumulative Anhäufung von Problemen im Jugendalter erschwert auch das Bindungsverhalten im Erwachsenenalter. Informelle Bindungen werden besonders betont, turning points wie Ehe, Arbeit oder Elternschaft können Wendepunkte für den Ausstieg aus der Delinquenz-Karriere bedeuten.
Störungen und Auffälligkeiten führen nicht unmittelbar zu Delinquenz, sondern indirekt über ihre Auswirkungen auf die Einbindung in die informelle Sozialkontrolle. Störungen und Auffälligkeiten aus vorangehenden Lebensphasen haben Auswirkungen auf Bindungskonstellationen in späteren Lebensphasen. Eine kumulative Anhäufung von Problemen im Jugendalter erschwert auch das Bindungsverhalten im Erwachsenenalter. Informelle Bindungen werden besonders betont, turning points wie Ehe, Arbeit oder Elternschaft können Wendepunkte für den Ausstieg aus der Delinquenz-Karriere bedeuten.
====[[Gottfredson & Hirschi]]====
====[[general theory of crime]]von[[Gottfredson & Hirschi]]====
Nach der [[general theory of crime]] erklärt sich persistente Delinquenz, also andauernde Delinquenz, vor allem dadurch, dass die Täter über ein geringes Maß an Selbstkontrolle verfügen. Sie geht davon aus, dass geringe Selbstkontrolle eine stabile Persönlichkeitseigenschaft ist, die über alle Lebensphasen zu einem devianten, aber nicht immer delinquenten Lebensstil führt. Sie erklärt die Entstehung der geringen Selbstkontrolle durch Störungen in der Primärsozialisation.
Nach der [[general theory of crime]] erklärt sich persistente Delinquenz, also andauernde Delinquenz, vor allem dadurch, dass die Täter über ein geringes Maß an Selbstkontrolle verfügen. Sie geht davon aus, dass geringe Selbstkontrolle eine stabile Persönlichkeitseigenschaft ist, die über alle Lebensphasen zu einem devianten, aber nicht immer delinquenten Lebensstil führt. Sie erklärt die Entstehung der geringen Selbstkontrolle durch Störungen in der Primärsozialisation.
==Empirie==
==Empirie==
Zeile 72: Zeile 72:
===Gesetzliche Bestimmungen===
===Gesetzliche Bestimmungen===
==Kriminologische Relevanz==
==Kriminologische Relevanz==
Intensivtäter treten immer wieder pressewirksam durch sehr gewalttätige Straftaten in Erscheinung. Auch die Erkenntnis, dass ein kleiner Anteil an Kriminellen für einen großen Anteil an Straftaten verantwortlich ist und dass die [[Resozialisierung]] dieser Gruppe von Intensivtätern die verschiedenen beteiligten Professionen vor eine große Herausforderung stellt, macht das Thema kriminologisch relevant.
Intensivtäter treten immer wieder presse- und medienwirksam durch sehr gewalttätige Straftaten in Erscheinung. Dies schürt die sogenannte [[Kriminalitätsdurcht]] in der Bevölkerung und kann politisch und wahlkampfunterstützend genutzt werden. Auch die Erkenntnis, dass ein kleiner Anteil an Kriminellen für einen großen Anteil an Straftaten verantwortlich ist und dass die [[Resozialisierung]] dieser Gruppe von Intensivtätern die verschiedenen beteiligten Professionen vor eine große Herausforderung stellt, macht das Thema kriminologisch relevant. (fünf bis zehn Prozent aller Jugendlichen in Deutschland sind für 30-60 Prozent aller Straftaten dieser Altersgruppe verantwortlich, vgl. Berliner Kriminologische Studien, 2009, S.8)
===Grenzen und Risiken===
===Grenzen und Risiken===
Es gibt bisher keine verbindliche bzw. allgemein anerkannte Definition für Intensivtäter. Auch gibt es keine einheitlichen Kriterien zur Eingrenzung des Begriffs "Intensivtäter". Diese unterscheiden sich sowohl in den Bundesländern Deutschlands als auch im weltweiten Ländervergleich. In fast allen Bundesländern ist die Anzahl der begangenen Straftaten entscheidend und meist werden bei der Beurteilung weitere Faktoren wie Art und Weise der Begehung, Art des Delikts oder eine Negativprognose des Sachbearbeiters hinzugezogen.  
Es gibt bisher keine verbindliche bzw. allgemein anerkannte Definition für Intensivtäter. Auch gibt es keine einheitlichen Kriterien zur Eingrenzung des Begriffs "Intensivtäter". Diese unterscheiden sich sowohl in den Bundesländern Deutschlands als auch im weltweiten Ländervergleich. In fast allen Bundesländern ist die Anzahl der begangenen Straftaten entscheidend und meist werden bei der Beurteilung weitere Faktoren wie Art und Weise der Begehung, Art des Delikts oder eine Negativprognose des Sachbearbeiters hinzugezogen.  
29

Bearbeitungen