Bindungstheorie: Unterschied zwischen den Versionen

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PAULUS bezieht sich in einer Arbeit '(Entwicklungs-)Psychologische Erklärungsansätze zur Genese einer extrem gewalttätigen Persönlichkeit' aus dem Jahr 1998 auf desorganisierte Muster. Er schildert Aggression (aggressive Phantasien, spontan aggressive Verhaltensbereitschaften) als wesentliches Ergebnis einer Desorganisation von Bindung. Er beschreibt Übereinstimmungen zwischen den familiären Lebensumständen interviewter Gewaltstraftäter und solchen Lebensbedingungen, die geeignet sind, Desorganisation von Bindung zu begünstigen (besonders: abweisendes Elternverhalten). Er weist darauf hin, dass die von ihm beschriebenen Serientäter auch keine Chance hatten, in späteren Lebensphasen günstigere Bindungserfahrungen zu machen.
PAULUS bezieht sich in einer Arbeit '(Entwicklungs-)Psychologische Erklärungsansätze zur Genese einer extrem gewalttätigen Persönlichkeit' aus dem Jahr 1998 auf desorganisierte Muster. Er schildert Aggression (aggressive Phantasien, spontan aggressive Verhaltensbereitschaften) als wesentliches Ergebnis einer Desorganisation von Bindung. Er beschreibt Übereinstimmungen zwischen den familiären Lebensumständen interviewter Gewaltstraftäter und solchen Lebensbedingungen, die geeignet sind, Desorganisation von Bindung zu begünstigen (besonders: abweisendes Elternverhalten). Er weist darauf hin, dass die von ihm beschriebenen Serientäter auch keine Chance hatten, in späteren Lebensphasen günstigere Bindungserfahrungen zu machen.


Darüber hinaus gibt es bisher wenig Forschungsergebnisse, die Verbindungen zwischen Bindungsmuster und Kriminalität nachgehen. Eher zeigt sich, dass aus Bindungsvoraussetzungen zwar Risiken abgeleitet werden können, nicht aber konkrete Verhaltensdispositionen in bestimmten Situationen. KINDLER & LILLIG empfehlen daher auch auf Grundlage bisher vorliegender Forschung vorsichtige Aussagen über Diagnose, Ätiologie und Folgen einer Bindungsstörung (2004, S. 379).
Ohnehin sind geeignete Untersuchungsdesigns für Fragestellung zu diesem Themenbereich nur schwer vorstellbar: Experimentalstudien, womöglich mit Kontrollgruppen, dürften kaum zu konstruieren sein, da eine Unmenge an möglichen intermittierenden Variblen kontrolliert werden müsste. Auch aus dem Material vorliegender Längsschnittstudien ließen sich wiederum allenfalls Korrelationen berechnen, nicht aber Kausalitäten ableiten.


Ein ganz anderer Ansatz einer Verbindung zur Kriminologie könnte sich aus entwicklungspsychologischen Überlegungen zur Entwicklung von 'Moral' und Normverständnis ergeben: Dazu vorliegende Stufenmodelle (vgl. HEIDBRINK 1991) gehen mindestens implizit davon aus, dass die Entwicklung moralischer Urteilskraft eng zusammenhängt mit der Beziehungsqualität zu emotional bedeutsamen erwachsenen Bezugspersonen. Eine Annahme wäre dann, dass Kinder, die keine Beziehung solcher Qualität finden, Schwierigkeiten haben, Normen anzuerkennen.
Ein ganz anderer Ansatz einer Verbindung zur Kriminologie könnte sich aus entwicklungspsychologischen Überlegungen zur Entwicklung von 'Moral' und Normverständnis ergeben: Dazu vorliegende Stufenmodelle (vgl. HEIDBRINK 1991) gehen mindestens implizit davon aus, dass die Entwicklung moralischer Urteilskraft eng zusammenhängt mit der Beziehungsqualität zu emotional bedeutsamen erwachsenen Bezugspersonen. Eine Annahme wäre dann, dass Kinder, die keine Beziehung solcher Qualität finden, Schwierigkeiten haben, Normen anzuerkennen.
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====Die Sicht der Kriminologie====
====Die Sicht der Kriminologie====
Auf Seiten der Kriminologie arbeiten Theorien mit der Annahme, dass Bindung in der Lage sei, ein Individuum von kriminellem Handeln abzuhalten (Hirschis "social bonds", zu denen er auch "attachment to others" rechnet; zu fragen wäre, ob er hier den exakten verhaltensbiologischen Bindungsbegriff meint). Hirschi und Gottfredson gehen in ihrer General Theory of Crime davon aus, dass vor allem "parenting" geeignet sei, die "criminology" des Kindes so einzudämmen, dass es zu keinem kriminellen Verhalten kommt. Auch hier lässt sich annehmen, dass Operationalisierungen des "parenting"-Begriffs nicht ohne Aspekte elterlichen Bindungsverhaltens auskommen können. Schließlich ist in der General Strain Theory eine deutliche Ähnlichkeit des Konzeptes der Belastungen mit den Merkmalen zu erkennen, die laut Bindungstheorie das Bindungssystem aktivieren (insbesondere: Verlust als Belastung).
Auf Seiten der Kriminologie arbeiten Theorien mit der Annahme, dass Bindung in der Lage sei, ein Individuum von kriminellem Handeln abzuhalten (Hirschis "social bonds", zu denen er auch "attachment to others" rechnet; zu fragen wäre, ob er hier den exakten verhaltensbiologischen Bindungsbegriff meint). Hirschi und Gottfredson gehen in ihrer General Theory of Crime davon aus, dass vor allem "parenting" geeignet sei, die "criminology" des Kindes so einzudämmen, dass es zu keinem kriminellen Verhalten kommt. Auch hier lässt sich annehmen, dass Operationalisierungen des "parenting"-Begriffs nicht ohne Aspekte elterlichen Bindungsverhaltens auskommen können. Schließlich ist in der General Strain Theory eine deutliche Ähnlichkeit des Konzeptes der Belastungen mit den Merkmalen zu erkennen, die laut Bindungstheorie das Bindungssystem aktivieren (insbesondere: Verlust als Belastung).
====Mögliche Forschungsinteressen====
Es gibt bisher wenig Forschungsergebnisse, die Verbindungen zwischen Bindungsmuster und Kriminalität nachgehen. Psychologisch motivierte Forschung zeigt bisher eher, dass aus Bindungsvoraussetzungen zwar Risiken abgeleitet werden können, nicht aber konkrete Verhaltensdispositionen in bestimmten Situationen. KINDLER & LILLIG empfehlen daher auch auf Grundlage bisher vorliegender Forschung vorsichtige Aussagen über Diagnose, Ätiologie und Folgen einer Bindungsstörung (2004, S. 379).
Ohnehin sind geeignete Untersuchungsdesigns für Fragestellung zu diesem Themenbereich nur schwer vorstellbar: Experimentalstudien, womöglich mit Kontrollgruppen, dürften kaum zu konstruieren sein. Entweder sind Unmengen an möglichen intermittierenden Variblen zu kontrollieren oder Settings sind nicht realisierbar (etwa zu einer vergleichenden Untersuchung des Stresshormonspiegels bei aktiven Gewalttätern). Auch aus dem Material vorliegender Längsschnittstudien lassen sich allenfalls Korrelationen berechnen, nicht aber Kausalitäten ableiten.




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