Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht

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Während Jugendliche und Heranwachsende, die nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, bis zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung im Jahre 2008 maximal für zehn Jahre eingesperrt werden konnten, wurde die potentielle Haftzeit mit diesem Gesetz auch für Jugendliche auf lebenslänglich ausgedehnt, sofern sie wegen "schwerster Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder sie sexuelle Selbstbestimmung" zu wenigstens sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Das Gericht muss dabei das Verhalten während der Haftzeit würdigen und sich auf zwei Sachverständigenprognosen stützen, die besagen, dass der Täter oder die Täterin auch in Zukunft sehr gefährlich sein wird.

Definitionen

Jugendstrafrecht

Unter Jugendstrafrecht versteht man die Normen, vor allem die des JGG, welche die Anwendung des Strafrechts auf Jugendliche (14 bis 18 Jährige) und unter Umständen auf Heranwachsende (18 bis 21 Jährige) regeln. Das deutsche Jugendstrafrecht baut auf dem Erziehungsgedanken auf. Für Einzelheiten vgl. Jugendstrafrecht und Maßregeln

Sicherungsverwahrung

Sicherungsverwahrung, eine der strafrechtlichen Maßregeln der Besserung und Sicherung, die vom Gericht neben der Strafe von mindestens zwei Jahren zum Schutz der Allgemeinheit gegen besonders gefährliche Täter angeordnet wird, wenn 1) der Täter wegen vorsätzlicher Straftaten, die er vor der neu abgeurteilten Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, 2) er deswegen schon mindestens zwei Jahre im Freiheitsentzug verbracht hat oder er sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel befunden hat und 3) die Gesamtwürdigung ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten (Hangtäter) für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 Absatz 1 StGB). Die Sicherungsverwahrung kann gemäß § 66 Absatz 2 StGB auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung angeordnet werden, wenn der Täter als gefährlich im Sinne des § 66 Absatz 1 Nummer 3 StGB eingestuft wird, drei vorsätzliche Straftaten begangen hat und deswegen zu zeitiger Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird. Wird jemand wegen eines Verbrechens oder wegen bestimmter Sexualdelikte zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, kann das Gericht Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden war. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Gericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66 a StGB) oder gemäß § 66 b StGB die Sicherungsverwahrung auch nachträglich anordnen (nach der Verurteilung wegen bestimmter Verbrechen und vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe). Die Sicherungsverwahrung wird nach der Freiheitsstrafe vollzogen. Das Gericht kann jederzeit prüfen, ob die Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen ist; diese Prüfung muss spätestens vor Ablauf von zwei Jahren erfolgen (§ 67 e StGB). Sind zehn Jahre Sicherungsverwahrung vollzogen worden, erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt werden (§ 67 d). Gegen Jugendliche und Heranwachsende, auf die Jugendstrafrecht angewandt wurde, durfte die Sicherungsverwahrung bislang (bis zum 20.06.2008) nicht angeordnet werden. Der Gesetzgeber hat aber für Heranwachsende, die nach Erwachsenenstrafrecht bestraft werden (§ 106 Abs.3-6 JGG), die vorbehaltene und die nachträgliche Sicherungsverwahrung bereits im Jahr 2002 bzw. 2004 eingeführt. Das österreichische StGB kennt eine analoge Maßregel in Form der Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfalltäter (§ 23 StGB). Das schweizerische Recht lässt in Artikel 42 StGB die Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern anstelle einer verwirkten Freiheitsstrafe zu. Die Sicherungsverwahrung wird künftig im Anschluss an eine Freiheitsstrafe vollzogen (revidierter Artikel 64 StGB). Das deutsche Jugendstrafrecht schloss von seinen Anfängen die Maßregel der Sicherungsverwahrung für Jugendliche aus und erklärte sie für Heranwachsende nur dann für anwendbar, wenn diese nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wurden. Vgl. Sicherungsverwahrung.

Geschichte

Die Sicherungsverwahrung ist kein statisches Konstrukt, sondern vielmehr ein dynamischer Versuch nach Sicherheit, der ständig einem Veränderungsprozess unterzogen ist. So sind nicht nur die Geschichte relevant für das Verständnis der Sicherungsverwahrung, sondern auch der vermeintliche Zweck und die jeweils aktuelle Situation einer Gesellschaft. Die Sicherungsverwahrung wurde mit anderen Maßregeln der Besserung und Sicherung durch das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsbrecher“ am 24.11.1933 von den Nationalsozialisten eingeführt. Überlegungen zur Einführung so genannter sichernder Maßnahmen wurden jedoch bereits vorher getroffen. In diesem Zusammenhang sind die Publikationen von Franz von Liszt aus dem Jahre 1982 zu nennen, der als Begründer des modernen humanen Strafrechts gilt, so dass die Sicherungsverwahrung von herrschender Meinung kein nationalsozialistisches Gedankengut darstellt. (Pieroth 2002, 123). Schaut man sich die Formulierungen von Franz von Liszt im „Marburger Programm“ genauer (Naucke 1982, 525ff) so stellt man fest, dass Liszt die Aufnahme des Zweckgedanken in das Strafrecht forderte. Er sprach sich für ein Täterstrafrecht aus, dass unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher unschädlich machen sollen. Diese Unschädlichmachung sollte bereits damals nach der dritten Verurteilung durch eine Einschließung auf unbestimmte Zeit erfolgen. Er nannte dies die Sicherungshaft. (Liszt, Franz von, 1905, 126, 199, 170). Daraus folgert Naucke, dass Teile des NS-Strafrechts konsequente Kriminalpolitik im Sinne des Marburger Programms Liszts sind. Während der NS-Zeit wurden über 15.000 Menschen zur Sicherungsverwahrung verurteilt. Dennoch haben sich die Nationalsozialisten auch im Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933 sich gegen eine Sicherungsverwahrung für Jugendliche ausgesprochen (Kinzig 2007). Allerdings änderte sich diese zunächst restriktive Haltung mit der Herausbildung des nationalsozialistischen Unrechtsstaats. Die Verordnung zum Schutz gegen jugendliche Schwerverbrecher aus dem Jahr 1939 sah vor, dass auch gegen Jugendliche über 16 Jahre unter bestimmten Vorraussetzungen Sicherungsverwahrung angeordnet werden konnte. Im Jahr 1943 wurde die Möglichkeit der Unterbringung in einem Jugendschutzlager eingeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Unrechtsgesetze aus den Jahren 1939 und 1943 aufgehoben, so dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Jugendliche nicht mehr anzuwenden war. 1953 wurden die Heranwachsenden in das JGG einbezogen. Der § 106 JGG bestimmte zunächst, dass der Richter von der Anordnung der Sicherungsverwahrung bei Heranwachsenden absehen konnte. Festgestellt wurde, dass 1967 von den bundesweit über 800 Sicherheitsverwahrten keine Person jünger als 25 Jahre war. In der Konsequenz nahm der Gesetzgeber 1969 alle Heranwachsenden aus dem Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung heraus. Ende der 60 er Jahre sollte die Sicherungsverwahrung nur noch auf Fälle von Anlasstaten nach Vollendung des 25. Lebensjahres beschränkt werden. (Kinzig 2008).

Nachträgliche Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht

Das JGG ließ bis zum 20.06.2008 im § 7 als Maßregeln der Besserung und Sicherung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Erziehungsanstalt, die Führungsaufsicht oder die Entziehung der Fahrerlaubnis zu. Der Bundestag verabschiedete am 20.Juni 2008 nun die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafrecht. Eine nachträgliche Sicherungsverwahrung soll künftig auch bei nach Jugendstrafrecht Verurteilten angeordnet werden können. Der Bundestag hat dazu ein Gesetz beschlossen, das auf einen Vorschlag von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zurückgeht. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist im § 7 JGG eingefügt worden. Unstrittig ist, dass die Sicherungsverwahrung eine der schärfsten Sanktionen ist, die das deutsche Strafrecht vorsieht. Sie verhindert, dass ein Straftäter in Freiheit kommt, obwohl er seine gerichtlich festgesetzte Strafe voll verbüßt hat. Vor diesem Hintergrund darf die Sicherungsverwahrung immer nur ultima ratio sein, also nur angewendet werden, wenn es kein anderes Mittel gibt, um die Allgemeinheit zu schützen. Das gilt umso mehr bei jungen Menschen, die ihre Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen und ihr ganzes Leben noch vor sich haben. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Delinquenz bei jugendlichen Straftätern oft nur eine Episode während ihrer Entwicklung hin zum Erwachsenen darstellt und sie später ein gänzlich straffreies Leben führen. Auch schwere Verbrechen, die die Ausnahme darstellen, werden nicht selten aus einer einmaligen Konfliktlage oder einer ganz spezifischen Situation heraus begangen. Allerdings gibt es - wenn auch nur sehr wenige - junge Täter, die nach einer verbüßten langen Jugendstrafe wieder schwerste Delikte begehen. Mit entsprechendem Gefährdungspotential können solche Extremfälle eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit darstellen (BMJ 2008). Bislang gab es – anders als im Erwachsenenstrafrecht – keine Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht. Das wurde nun im Jahr 2008 geändert. Das neue Gesetz sieht bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht die Möglichkeit vor, am Ende einer verbüßten Haftstrafe gerichtlich die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen. Möglich ist, dies

  • bei schwersten Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung sowie in Fällen von Raub- oder Erpressungsverbrechen mit Todesfolge,
  • wenn deswegen eine Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verhängt wurde und
  • die Anlasstat mit einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung oder Gefährdung des Opfers verbunden war und
  • das Gericht aufgrund einer Gesamtwürdigung nach Einholung von zwei Sachverständigengutachten die Gefährlichkeit des Täters mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für die Zukunft annimmt.

Bei jungen Menschen, die über eine kürzere Lebensgeschichte verfügen und deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, ist eine ausreichend sichere Gefährlichkeitsprognose nur sehr schwierig zu treffen. Das Fehlerrisiko ist bei Ihnen besonders hoch. Deshalb beschränkt sich das Gesetz darauf, die nachträgliche Sicherungsverwahrung einzuführen (anders bei Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht: dort kann im Strafurteil selbst unmittelbar die Sicherungsverwahrung angeordnet oder ein Vorbehalt aufgenommen werden, der eine Anordnung am Haftende ermöglicht). Wegen der besonderen Entwicklungssituation und der Aussichten für eine positive Einwirkung im Vollzug der Jugendstrafe soll bei jungen Menschen über die Anordnung der Sicherungsverwahrung immer erst aufgrund einer Gesamtwürdigung am Ende des Strafvollzugs entschieden werden können, auch wenn wesentliche Anzeichen für eine künftige Gefährlichkeit bereits anfänglich erkennbar waren. Wegen des erhöhten Prognoserisikos sind die „formalen“ Anordnungsvoraussetzungen zudem enger gefasst, als bei Erwachsenen (BMJ 2008).

Argumente der Befürworter an der Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht

Experten machen aber auch immer wieder deutlich, dass das Interesse der Allgemeinheit am effektiven Schutz vor hochgefährlichen Straftätern zu respektieren sei. Ferner sei auch anzumerken, dass das Gesetz sich bemühe, die Voraussetzungen für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung bei Anwendung des Jugendstrafrechts so einzuengen, dass diese als „Ultima Ratio“ verstanden werden können (Schäfer 2008). Auch werde eine Lücke im Strafsystem geschlossen, die angesichts steigender Gewaltbereitschaft sowie teilweise beobachtete Gleichgültigkeit im Hinblick auf das feststehende Strafende bei jugendlichen Tätern im Vollzugsverhalten dringenden Handlungsbedarf offenbarte (Konopka 2008). Befürworter weisen darauf hin, dass es immer wieder junge Menschen gebe, die in ihrer Art und ihrem Verhalten keinerlei Respekt vor dem Leben und der Freiheit anderer Personen hätten und sich diese Eigenschaften auch nicht während der Verbüßung einer Jugendstrafe aneignen würden. Wenn während des Vollzuges einer Jugendstrafe nun erkannt werde, dass der Gefangene nach wie vor gefährlich sei, weil er eben nicht über die für eine positive Prognose erforderlichen Eigenschaften verfüge, müsse es dem Staat möglich sein, dieser Gefahr durch geeignete Maßnahmen zu begegnen (Pütz 2008).

Argumente der Kritiker an der Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht

Die meisten Kritiker lehnen die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht ab, weil sie schwerwiegende Bedenken aus jugendstrafrechtlicher, verfassungs- und menschenrechtlicher Sicht haben, die sich insbesondere nach dem Stand der kriminologischen Forschung begründen lassen.

Bedenken aus verfassungs-, menschen- und jugendstrafrechtlicher Sicht

Ungeachtet der grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung widerspricht die Einführung der nachtäglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht möglicherweise den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sowie den Besonderheiten des Jugendstrafrechts. (Ullenbruch 2006). Es drohen Verstöße gegen das allgemeine Vertrauensschutzgebot, gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und gegen das Prinzip des „ne bis in idem“. Das gilt umso mehr, als dass das Gesetz das Erfordernis der „Nova“, der neuen erheblichen Tatsachen, aufgibt (Kinzig 2008). Der geplante Verzicht auf das Erfordernis eines „Hanges“ führt in die rechtsstaatliche Irre (Ullenbruch 2008). Auch andere Experten bewerten die Einführung der nachträgliche Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen wie auch gegen die für Heranwachsende bereits eingeführte nachträgliche Sicherungsverwahrung (§ 106 Abs 3 JGG) überwiegend negativ. Die beiden Zielvorstellungen von dem Gedanken des Jugendstrafrechts einerseits und der Sicherungsverwahrung andererseits sind nicht mit einander vereinbar (Kinzig 2008). Das Jugendstrafrecht und die ihm eigenen Rechtsfolgen gründen im wesentliche auf dem Erziehungsgedanken und setzen damit die Erziehungsfähigkeit des Jugendlichen voraus. Hingegen ist das primäre Ziel der Sicherungsverwahrung, den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren gefährlichen Straftaten zu gewährleisten. Die Kritiker sind der Überzeugung, dass die rechtsstaatlichen Probleme die behaupteten Vorteile für die Sicherheit der Allgemeinheit deutlich überwiegen. Die Ausweitung der Sicherungsverwahrung wird zudem die Sicherheit der Allgemeinheit nicht maßgeblich verbessern. Die Sicherungsverwahrung ist der schärfste und einschneidendste Eingriff des Staates in die Grundrechte der Person. Er vollzieht an dem Betroffenen (in der Regel langjährigen) Freiheitsentzug in einer Justizvollzugsanstalt.

Bedenken aus kriminologischer Sicht

Ferner wird davor gewarnt, dass die nachträgliche Sicherungsverwarnung bei Jugendlichen in die Richtung der „selektiven Incapacitation“ geht (Graebsch 2008). Es wird die Frage aufgeworfen, inwieweit eine erfahrungswissenschaftliche Basis des gesetzgeberischen Vertrauens in Gefährlichkeitsprognosen existiert. Des Weiteren wird kritisiert, dass ein theoretisches Fundament der Prognoseinstrumente fehlt. In den jüngeren kriminologischen Forschungen wurde widerlegt, dass es eine persönlichkeitsbedingte Neigung zur Kriminalität gibt. Heute werden nicht mehr kriminelle mit nicht kriminellen Jugendlichen verglichen, sondern Lebensphasen einer Person mit und solche ohne strafbares Handeln. Dies angenommen, erklärt, weshalb eine Prognose bezogen auf ein Individuum nicht zielführend ist. Die geforderte Prognose bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen ist rein persönlichkeitsorientiert und nicht auf intra- personelle Entwicklungen angelegt (Graebsch 2008). Der Freiheitsentzug beruht nicht mehr auf der Schuldverbüßung, sondern alleine auf einer Gefährlichkeitsprognose. So wird formuliert, dass bei jungen Menschen die geforderte Beurteilung der Gefährlichkeit nicht verlässlich festgestellt werden könne. Gegenwärtig liegen für Deutschland keinerlei kriminologische Forschungen vor, aus denen sich eine Einschätzung des Risikos derartiger Fehlurteile ableiten ließe. Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl der unnötig Inhaftierten beträchtlich ist. Teilweise wird in der kriminologischen Literatur davon ausgegangen, dass schon gegenwärtig 60 bis 90% der Sicherungsverwahrten aufgrund derartiger Fehlprognosen inhaftiert sind. Bemerkenswert ist, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung gleich im Ausgangsurteil (derzeit noch) nicht möglich ist, denn Jugendliche und Heranwachsende befinden sich aufgrund ihres Alters i.d.R. in einer Phase starker Persönlichkeitsentwicklungen. Man geht davon aus, dass hier noch bessere Möglichkeiten zur Einflussnahme, Veränderung und positiven Entwicklung gegeben sind. Daher sieht das Gesetz bislang davon ab, bereits in diesem Alter langfristige Gefährlichkeitsprognosen zu erstellen. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht fußt auf Erkenntnissen, die wesentlich aus der Begehung der Ausgangstat gewonnen werden, sowie auf einer „Gesamtwürdigung des Verurteilten“. Diese Gesamtwürdigung, soweit sie tatsächlich weitere Aspekte beinhaltet, kann sich auch nur auf den Verurteilten zur Zeit seiner Verurteilung beziehen. Beide Erkenntnisse sind jedoch wegen der alterstypischen Entwicklungsphase noch wenig belastbar. Zum anderen soll „ergänzend“ auch die Entwicklung während des Vollzuges zur Beurteilung herangezogen werden. Auch diese Schlüsse sind wenig belastbar, da die Situation im Vollzug eine grundsätzlich andere ist als die in Freiheit. Zudem ist die Entwicklung im Vollzug nicht nur von dem Gefangenen, sondern in hohem Maße auch von den staatlich zu verantworteten Bedingungen abhängig, unter denen der Vollzug stattfindet. Positiv ist die in § 7 Abs.4 JGG normierte jährliche Überprüfung, ansonsten der sonst zwei Jahre betragenden Frist, zu erwähnen. Andere Experten halten die nachträgliche Sicherungsverwahrung für junge Menschen zwar rechtstheoretisch begründbar. Allerdings sei sie nicht rechtspraktikabel und darüber hinaus könnte sie sich kontraproduktiv für den Opferschutz auswirken. (Laubenthal/Baier 2006). Dies aus folgenden Gründen: Die kriminelle Entwicklung junger Menschen verläuft nicht linear nach unten in die Unverbesserlichkeit, sondern sie ist wellenförmig mit Abbrüchen und Neuanfängen. Die Dauer der wellenförmigen Delinquenzperiode endet meistens im Alter von 20- 27 Jahren. Häufig sind es zufällige, äußere Umstände, die zu einer Umkehr in die kriminelle Karriere oder aus ihr heraus führen. Hierzu zählen Schicksalsschläge in der Familie, Erkrankungen, eine neue Partnerschaft oder ein neuer Job. Eine zuverlässige Prognoseentscheidung ist daher bei jungen Menschen noch schwieriger als bei Erwachsenen. Um dem Rechnung zu tragen, wird auf die Einführung der Sicherungsverwahrung im Erkenntnisverfahren und die Möglichkeit der Anordnung zur vorbehaltenen Sicherungsverwahrung verzichtet. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung eines nach Jugendstrafrecht Verurteilten könnte frühestens mit 21 Jahren angeordnet werden (wenn sie mit 14 zu einer 7-jährigen Jugendstrafe verurteilt wurden) und spätestens mit 31 (wenn sie mit 21 als Heranwachsende zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt wurden). Im Ergebnis dürfte die Möglichkeit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vor allem junge Verurteilte im Alter von Mitte bis Ende 20, im Einzelfall aber auch darunter, betreffen.

Bedenken hinsichtlich der zu erstellenden Gefährlichkeitsprognose unter Vollzugsbedingungen

Festzuhalten bleibt ferner, dass sich die Betreffenden zum Zeitpunkt der Begutachtung seit langem im Jugendstrafvollzug befunden haben. Das Leben im Strafvollzug ähnelt bei weitem nicht der realistischen Welt, in der gelernt wird, wie mit Konfliktsituationen umzugehen ist, sondern vielmehr handelt es sich um eine künstliche Welt in einer totalen Institution der totalen Reglementierung. Ausgehend davon, dass zum Zeitpunkt der Verurteilung zu einer Jugendstrafe im Hinblick auf die sich noch vollziehende Entwicklung des jungen Straftäters eine Prognose zu unsicher erscheint, kommt daher bei der Begutachtung der Entwicklung des Betreffenden im Vollzug besondere Bedeutung zu. Das Vollzugsverhalten kann kaum eine ausreichende Grundlage für die zu treffende Prognoseentscheidung bilden. Das phasentypische oppositionelle Verhalten oder Imponiergehabe des jungen Verurteilten und Konflikte zwischen Inhaftierten und Personal können als negativer Vollzugsverlauf gedeutet werden, obgleich es sich eher um ein jugendtypisches Verhalten unter Haftbedingungen handelt. Ist damit die Basis für eine individuelle Prognose bei nach Jugendstrafrecht Verurteilten noch schlechter, als bei erwachsenen Verurteilten, so ist zugleich nach dem Ergebnis einer neueren Studie die statistische Rückfallgefahr, und damit auch die Gefahr einer ungünstigen Prognose, erhöht, da statistisch das junge Alter bei der ersten Unterbringung sowie die im Hinblick auf die Gesamtlebenszeit relativ lange Unterbringungsdauer als aussagekräftige Prädikatoren für eine Rückfallprognose angesehen werden (Kaletta, 2006). Um eine Entlassung auf Bewährung zu bekommen, ist es denkbar, dass sich die Inhaftierten anpassen. Einige lehnen sich auf und entgleisen. Neue Tatsachen im Sinne einer akuten Rückfallgefahr beruhen nicht selten auf diesen Haftbedingungen. Es schwebt die Möglichkeit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung wie ein Damoklesschwert über dem Gefangenen, dessen Verurteilung die formellen Voraussetzungen für ihre Anordnung erfüllt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Entwurf anders als im Erwachsenenstrafrecht keine "formellem Barrieren" wie das vorliegen "neuer Tatsachen" für die Anordnung vorsieht. Der junge Gefangene, dessen Verurteilung die formellen Voraussetzungen für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung erfüllt, muss vom ersten Tag des Vollzuges an mit der Anordnung rechnen und kann mangels formeller Barrieren die Einleitung eines solchen Verfahrens nicht verhindern, etwa in dem er sich darum bemüht keine "neuen Tatsachen" zu schaffen. Der für ihn daraus resultierende Zwang zur Scheinanpassung kann seiner Entwicklung nicht förderlich sein. Diese Scheinanpassung verhindert die Einsicht in die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung und das Lernen von Sozialverhalten. Wer selbst seine gefährlichen Neigungen erkennt, wird diese nicht offenbaren, somit sind sie nicht therapierbar. Die wirklichen Gefährlichen werden nicht erkannt. Die Produktion von unverbesserlichen Wiederholungstätern durch das System der nachträglichen Sicherungsverwahrung könnte die Folge sein. (Eschenbach, 2005). Zu prüfen wäre an dieser Stelle, ob die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegenüber jugendlichen Straftätern im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art 20 Abs 3 GG, sowohl ungeeignet als auch unangemessen erscheint (Ostendorf 2007). Empirische Untersuchungen haben bereits im Erwachsenenbereich gezeigt, dass mit der nachträglichen Sicherungsverwahrung zahlreiche negative, womöglich gar der Intention des Gesetzgebers widerstreitende Auswirkungen auf den Strafvollzug verbunden sind (Kreuzer 2008). Hinzukommt, dass das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 31.05.2006 zum Jugendstrafvollzug klargestellt hat, dass erstens der Erziehungsgedanke im Jugendstrafvollzug Verfassungsrang hat und zweitens der Gesetzgeber gehalten ist, dafür Sorge zu tragen, dass die finanziellen Mittel für einen erzieherisch-behandlerischen Jugendstrafvollzug bereitzustellen sind. Dahinter steht die richtige Einsicht, dass die beste Prävention gegen einen Rückfall in einem auf Einsicht und Erziehung beruhenden Behandlungsvollzug liegt (BVerfG NJW 2006, 2093, 2095.) Dies setzt allerdings voraus, dass der junge Gefangene die Behandlungsangebote, insbesondere Therapien in Anspruch nehmen kann, ohne befürchten zu müssen, durch seine Mitwirkung Sachverhalte zu offenbaren, die bei der Prüfung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gegen ihn verwendet werden können. Bei der Würdigung des zu erwartenden kriminalpolitischen Ertrages der Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung gegenüber Jugendlichen stellen Kritiker die These auf, dass einer Kriminalpolitik, die jede schwere Straftat durch eine vorbeugende Inhaftierung mittels Sicherungsverwahrung zu verhindern glaubt, jegliches Maß fehlt.

Weitere Empfehlung von einem Experten

In einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am 28.05.2008 zum Gesetzentwurf der Regierung (16/6562) empfahl Ullenbruch der Bundesregierung, eine interdisziplinär (Straf-, Polizei- und Verfassungsrechtlern sowie psychiatrischen und kriminologischen Sachverständigen) besetzte Kommission einzusetzen, die den staatlichen Handlungsbedarf zum Schutz von Wiederholungstätern aller Altersgruppen prüfen soll, ähnlich der „Antigewaltkommission“ in den 90 er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Literatur