Piraterie

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Das Phänomen der modernen, maritimen Piraterie umfasst Gewalttaten, Eigentumsdelikte oder Freiheitsberaubungen aller Art, welche zu eigennützigen Zwecken unter Gebrauch eines Seefahrzeugs auf hoher See oder in anderen Gebieten verübt werden. Hierzu zählen Einzeldelikte wie Diebstahl, Raub, Freiheitsberaubung, Geiselnahme, Erpressung, Körperverletzung, Mord, Vergewaltigung u.a..

Piraterie ist seit jeher verflochten mit der Handels-, Kriegs-, Sozial- und Rechtsgeschichte und sie erlebt im Zeitalter der Globalisierung von Handel, Finanzen und Informationen völlig neue Formen und Dimensionen. (vgl. 2010 Beatrice Kathert, Piraterie auf See: Risikomanagement und Versicherung)

Etymologie / Bedeutung des Wortes

Der Begriff der Piraterie leitet sich vom griechischen "πεĩρα" peira, „Wagnis, Unternehmen, Überfall“ über "πειρατής", peirātḗs und lateinischen "pirata", „Seeräuber“ her. Alternativ wird die Piraterie auch als Freibeuterei oder Seeräuberei bezeichnet.

Rechtliche Einordnung / Definition

Die völkerrechtliche Klassifizierung einer Tat als Piraterie kann aufgrund Artikel 101 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the law of the sea (UNCLOS)) erfolgen.

Nach Art. 101 SRÜ ist Piraterie die von der Besatzung oder Fahrgästen eines Schiffes oder Luftfahrzeuges auf hoher See oder herrschaftslosem Gebiet unerlaubt begangene und dem persönlichen Vorteil dienende Gewaltanwendung gegen ein anderes Schiff oder Luftfahrzeug oder der dort befindlichen Personen oder deren Habe. Als Piraterie gilt auch die Teilnahme einer Besatzung, die zwar nicht unmittelbar an den Gewaltakten teilnimmt, sie aber durch ihre freiwillig geleisteten Dienste erleichtert; auch jede Form der sonstigen Beihilfe sowie die Anstiftung und die Begünstigung sind Piraterie. (Vgl. Beckert, Breuer (1991) „Öffentliches Seerecht“, S. 107)

Demnach sind Piratenangriffe nur solche, die auf hoher See durchgeführt werden. Küstengewässer und Häfen fallen nicht unter die Definition. Zudem bedeutet die Begrenzung auf „private Zwecke“, dass Angriffe, die ausschließlich oder überwiegend politisch motiviert sind ebenfalls nicht in den Anwendungsbereich der Definition fallen.


Ergänzend hierzu kann daher die Definition der International Maritime Organisation (IMO) für bewaffnete Raubüberfälle auf Schiffe gesehen werden (lt. IMO RESOLUTION A.922(22) (CODE OF PRACTICE FOR THE INVESTIGATION OF THE CRIMES OF PIRACY AND ARMED ROBBERY AGAINST SHIPS), die auch solche Gewalttaten erfasst, die nicht unter die Definition der Piraterie fallen: “Armed robbery against ships” means any unlawful act of violence or detention or any act of depredation, or threat thereof, other than an act of piracy, directed against a ship or against persons or property on board such a ship, within a State’s jurisdiction over such offences .

Ziele der Piraten

Bei einem Angriff durch Piraten verfolgen diese in der Regel eines oder mehrere der genannten Ziele:

  • Raub der Ladung oder Teile der Ladung
  • Raub der Schiffe (ggf. auch zur weiteren Verwendung als Mutterschiff)
  • Raub der persönlichen Habe von Crewmitgliedern oder Gästen (Bargeld, Schmuck, hochwertige Elektronik)
  • Raub von Treibstoff, Kleidung und Nahrungsmitteln
  • Raub von hochwertigem Schiffsequipment (z.B. Navigationsgeräte)
  • Geiselnahme / Erpressung von Lösegeld für Schiffe, Crewmitglieder oder Passagiere
  • Vergewaltigung / Mord oder Folter an Crewmitgliedern oder Passagieren

Geschichte

Ein Auszug aus: Goethe, Johann Wolfgang, "Faust" (2001, 5. Akt, Szene »Palast«, gesprochen von Mephisto) mag die geschichtliche Existenz und Bedeutung der Piraterie verdeutlichen:

„Ich müßte keine Schifffahrt kennen: Krieg, Handel und Piraterie. Dreieinig sind sie, nicht zu trennen“.


Bereits seit den Anfängen der Seefahrt ist Piraterie ein bekanntes Phänomen. Erste Piratenberichte reichen zurück bis zum Bau der Pyramiden, bei denen Piraten es auf Getreidelieferungen von Ägypten in das Römische Reich abgesehen hatten. So wurde bereits im Jahre 101 v.Chr. das erste Antipiratengesetz durch den römischen Senat erlassen. Einer der ersten großen Piratenstützpunkte bildeten um 70 v.Chr. die Insel Kreta und Kilikien. Häufig waren Piraten nützliche Gehilfen religiöser und territorialer Expansion im Mittelmeerraum. Nordeuropa litt hingegen seit dem frühen Mittelalter unter den Raubzügen der Wikinger.

Im Mittelalter zeigte sich ein zunehmender Zusammenhang zwischen Krieg, Handel und Piraterie, bei dem Kriege nicht nur mit Kriegsflotten sondern auch mit Hilfe von Seeräubern (unter Kaperbriefen) geführt wurde. Diese stellten ihre Tätigkeit jedoch nach Ende der Kriege nur selten ein. Selbst Störtebeker betrieb die Piraterie zunächst „rechtmäßig“ auf Grund eines Kaperbriefes des schwedischen Königs. Ein weiteres Beispiel sind die Vitalienbrüder, welche in der Ostsee vornehmlich Schiffe der Hanse angriffen.

Im 16.-19. Jahrhundert erlebte die Piraterie im Zeichen der Entdecker und Eroberer, und z.T. im Auftrag von Staaten wie England, Spanien oder Portugal, eine weitere Blüte (z.B. Captain William Kidd und Henry Avery). Betroffen war vor allem das sogenannte Handelsdreieck zwischen Europa, Afrika und den amerikanischen Kolonien. Aufgrund der instabilen politischen Lage kam es in der Karibik (Captain Blackbeard) und den Gewässern der amerikanischen Atlantikküste zu den schlimmsten Auswüchsen. Später verlagerte sich die Piraterie in Richtung der westafrikanischen Küste, wo in erster Linie Sklavenschiffe Opfer der Piraterie wurden.

Seit dem 19. Jahrhundert wurde weltweit gegen die Piraterie vorgegangen. Die Staatspiraterie in Form von Kaperbriefen an private Unternehmen wurde, zumindest in Europa, 1856 im Vertrag von Paris (Seerechtsdeklaration) rechtlich zur Kriegsführung geächtet. Komplett unterbunden werden konnte die Piraterie nicht, so dass die Gefahr der Piraterie auf See immer bestehen blieb. Noch in beiden Weltkriegen wurde die Kaperei (durch speziell ausgerüstete Hilfskreuzer) als Mittel der Seekriegsführung eingesetzt. (vgl. Kathert, Beatrice: Piraterie auf See: Risikomanagement und Versicherung, Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2010)

Aktuelle Lage

Schwerpunkte

Gemäß des Piraterieberichtes der Bundespolizei See (3. Quartal 2012) gingen weltweit die registrierten, absoluten Fallzahlen in den ersten neun Monaten 2012 gegenüber dem Vorjahresquartal erheblich zurück. Verantwortlich hierfür war der extreme Rückgang der Piraterieaktivitäten am Horn von Afrika, während die Fallzahlen im Golf von Guinea und in indonesischen Gewässern weiter stark ansteigen. Im südchinesischen Meer gehen die Fallzahlen ebenfalls deutlich zurück, während die Piraterielage in den Straßen von Malakka und Singapur auf niedrigem Niveau stagniert.

Die gestiegenen Fallzahlen in Südostasien sind alleine auf den starken Anstieg in indonesischen Gewässern zurückzuführen. Dort werden überwiegend klassische Raubdelikte verzeichnet; Entführungen von Schleppern mit Bargen beschränken sich auf wenige Einzelfälle. Im Golf von Guinea sind weiterhin steigende Fallzahlen zu verzeichnen.

Die Region am Horn von Afrika bleibt trotz des extremen Rückgangs der Fallzahlen, aufgrund der potentiellen Gefährdung sowie des Ausnahmecharakters bezüglich der Schwere der Vorfälle (lang andauernde Entführungen) der Brennpunkt der weltweiten Piraterielage.

Die relative Erfolglosigkeit der Piraten seit dem zweiten Halbjahr 2011 hat sich im Berichtszeitraum fortgesetzt. Die Gründe hierfür sind in dem Verzicht auf die Nutzung von entführten Handelsschiffen als Mutterschiffe, dem robusteren Vorgehen der internationalen Marineeinheiten gegen Piratenangriffsgruppen sowie dem verstärkten Einsatz von bewaffneten Sicherheitsteams an Bord der Handelsschiffe zu sehen.


Die tagesaktuelle IMB Piracy & Armed Robbery Map 2013 kann abgerufen werden unter:


Der tagesaktuellen IMB Live Piracy & Armed Robbery Report 2013 kann abgerufen werden unter:

Statistik

Versuchte und erfolgreiche Piratenangriffe im Vergleich 1.-3. Quartal 2011 zu 2012:

2011: Weltweit 352 davon entfallen auf: Ostafrika 199, Golf von Guinea 38 und Südostasien 54

2012: Weltweit 233 davon entfallen auf: Ostafrika 70, Golf von Guinea 43 und Südostasien 70

Mit 233 Vorfällen liegt der Wert aller registrierten Pirateriefälle in den ersten drei Quartalen 2012 weiterhin deutlich unter dem des Vergleichszeitraumes in 2011 mit 352 Vorfällen(-33%).

(Angaben lt. Pirateriebericht der Bundespolizei See 3. Quartal 2012)


Allerdings muss zu den angeführten Zahlen bemerkt werden, dass sie nur einen Richtwert darstellen: Zum einen werden nicht alle Angriffe gemeldet, weshalb weltweit von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Darüber hinaus zeigen sich unterschiedlichen Zuordnungen der Angriffszahlen zu bestimmten Ländern oder Regionen, so dass die geographische Verortung von Piratenangriffen eine große Herausforderung darstellt. Dies liegt zum einen an umstrittenen oder unklaren Grenzen von Territorialgewässern (beispielsweise vor Inselgruppen) sowie an der Schwierigkeit, Angriffe auf hoher See oder in internationalen Durchfahrtsstraßen wie der Straße von Malakka bestimmten Staaten oder Regionen zuzuordnen.

Ursachen

Zwar finden Angriffe durch Piraten weltweit statt, allerdings ist eine Konzentration in bestimmten Gegenden zu beobachten. Für die regionale Verteilung scheinen drei Faktoren ausschlaggebend zu sein: Erstens besteht eine Korrelation zwischen Piraterie und sozio-ökonomischen Strukturen an Land. Die Brennpunkte konzentrieren sich allesamt in den Regionen des Südens, in denen die Staaten ökonomisch schwach und politisch instabil sind und Sicherheitskräfte sowie Rechtssystem von Kapazitätsproblemen gezeichnet sind; hinzu kommen noch zwei begünstigende Faktoren: stark befahrene Seewege, die die Beutechance der Piraten erhöhen sowie geographisch, der Piraterie förderliche, Gegebenheiten wie zerklüftete Küsten, Inselgruppen oder Meerengen, die gleichzeitig Angreifern Schutz bieten und Schiffe zwingen langsam zu fahren. (Petretto, Kerstin (2008): Weak States Off-Shore. Piracy in Modern Times. Nairobi: Hanns Seidel Stiftung)


Als Ursachen der Piraterie können ergänzend und zusammenfassend genannt werden:

Labile Nationalstaaten in betroffenen Regionen, Fehlen zuständiger und entsprechend ausgestatteter Behörden (z.B. Küstenwache, Marine), Korruption in Behörden, fehlende regionale Entwicklung und Verlust von Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung (z.B. durch Umweltverschmutzung und Überfischung), hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Zukunftsaussichten der Bürger sowie die Verfügbarkeit von (Kriegs-) Waffen durch benachbarte Krisenherde oder mangelnde staatliche Kontrolle.

Prävention - Maßnahmen zum Schutz von Crew und Schiff

Weltweit gültige Empfehlung für Maßnahmen zur Abwehr von Piraterie können der aktuellen Fassung 4 der BMP (Best Management Practices for Protection against Somalia Based Piracy / United Kingdom Marine Trade Operations (UKMTO) sowie den aktuellen Empfehlungen der IMO (MSC.1/Circ.1443) entnommen werden. Eine weitere Quelle für Maßnahmen bildet der ISPS-Code (International Ship and Port Security Code)

Zu gängigen Maßnahmen gehören u.a.:

1. Technische Prävention zur Vermeidung und Überwindung der Gefahr

Zu den technischen Maßnahmen zur Vermeidung und Überwindung der Gefahr gehören lt. Sietz und Lubbadeh (2008) unter anderem:

Radar, softwareunterstützte Kamerasysteme, Bewegungsmelder, Automatic Identification System (AIS), Sonar, Long Range Identification and Tracking (LRIT), Long Range Acoustic Devices (LRAD), Stacheldraht, Elektrozäune, Wasserkanonen/Feuerlöschsysteme, Blendscheinwerfer und - laser, Sicherheitsräume / Zitadellen, Running Gear Entanglement Systems (Netzwerfer) sowie Taser und Signalmunition. Zunehmend eingesetzt, jedoch rechtlich fragwürdig sowie von vielen Institutionen (z.B. Bundespolizei und IMO) bisher nicht befürwortet, können auch bewaffnete Sicherheitsteams an Bord eine Maßnahme bilden.

2. Organisatorische Maßnahmen

Als organisatorische Maßnahmen kommen in Betracht:

Erhöhung der Mannschaftsstärken, Bildung von Stammmannschaften. Navigationsmanöver bei Angriff, Bildung von Konvois, Nutzung des Sicherheitskorridors im Golf von Aden (IRTC), Kooperation mit Behörden und Militär (z.B. Anmeldung über MSCHOA), Schulung der Mannschaft, Fahren mit maximaler Geschwindigkeit und das Umfahren von gefährlichen Gebieten.

Staatliche Maßnahmen / Empfehlungen für die Zukunft

Für die Zukunft wichtiger als Präventionsmaßnahmen im Einzelfall erscheinen jedoch, wie in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (Bundeszentrale für Politische Bildung, APuZ 34-35/2009) „Piraterie vor den afrikanischen Küsten und ihre Ursachen „/ 7.8.2009 von Edward A. Ceska, Michael Ashkenazi dargestellt wird, generalpräventive Maßnahmen der Staatengemeinschaft in Ländern, die durch Piraterie betroffen sind. Dies können im Einzelnen sein:

  • Erhaltung der Lebensgrundlage der einheimischen Bevölkerung und Fischerei
  • Unterstützung in unzureichend geschützten Hoheitsgewässer zum Schutz vor ausländischen Schiffen, die wilden Fischfang oder illegale Verklappung betreiben
  • Schutz der Umwelt und Fischbestände insgesamt
  • Unterstützung lokaler Regierungen in Bezug auf Effektivität und Rechtsstaatlichkeit
  • Förderung lokaler und regionaler Regierungsarbeit bei der Bereitstellung öffentlicher Dienste, der Durchsetzung von Gesetzen und Einrichtung einer Küstenwache zur Überwachung der Hoheitsgewässer
  • Einflussnahme auf multinationale Öl- und Fischfangkonzerne

Abgrenzung zu ähnlichen oder verwandten Begriffen

Von der maritimen Piraterie ist Maritimer Terrorismus aufgrund der völlig abweichenden Zielrichtung zu differenzieren.

Die Kaperei ist als "staatlich autorisierte Piraterie" ebenfalls abzugrenzen.

Ähnlich klingend aber inhaltlich stark abzugrenzen sind zudem die Begriffe der Produktpiraterie und der Markenpiraterie.

Links

Literatur

  • Hans-Georg Ehrhart, Heinz Dieter Jopp, Roland Kaestner, Kerstin Petretto (2013) Piraterie als Herausforderung. Europäische Antworten, globale Perspektiven. ISBN 978-3-8487-0247-3 [1]
  • Hans-Georg Ehrhart, Kerstin Petretto, Patricia Schneider, Thorsten Blecker, Hella Engerer, Doris König, Hg (2013) Piraterie und maritimer Terrorismus als Herausforderungen für die Seehandelssicherheit Deutschlands. Politik, Recht, Wirtschaft, Technologie. ISBN 978-3-8487-0249-7 [2]
  • Hans-Georg Ehrhart / Kerstin Petretto / Patricia Schneider (2010) Security Governance als Rahmenkonzept für die Analyse von Piraterie und maritimem Terrorismus
  • Doris König / Tim René Salomon (2011) Private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen – Rechtliche Implikationen
  • Kathert, Beatrice (2010) Piraterie auf See: Risikomanagement und Versicherung, Hamburg, Diplomica Verlag GmbH
  • Hella Engerer/Max Gössler (2011) Piraterie und maritimer Terrorismus aus Sicht deutscher Reeder - Ergebnisse einer Befragung
  • Henning Sietz / Jens Lubbadeh (2008) Piratenabwehr. Die wirkungslosen Hightechwaffen der Reeder
  • Stefan Mair (Hg.) (2010) Piraterie und maritime Sicherheit
  • Edward A. Ceska, Michael Ashkenazi (07.08.2009) „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (Bundeszentrale für Politische Bildung , APuZ 34-35/2009) „Piraterie vor den afrikanischen Küsten und ihre Ursachen"
  • UKMTO, BMP 4 - Best Management Practices for Protection against Somalia Based Piracy (Version 4 – August 2011)