Maritimer Terrorismus

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Tanker "Limburg" nach einem Sprengstoffanschlag, 2002, Quelle: www.wired.com/dangerroom/2007/05/navy_said_to_pa/, 7.7.2009
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USS Cole nach einem Sprengstoffanschlag, 2002, Quelle: www.foxnews.com/images/268992/2_61_031307_uss_cole1.jpg, 7.7.09


Begriff

Definition

Vom „Council for Security Cooperation in the Asia Pacific (CSCAP) Working Group” stammt die Definition von maritimem Terrorismus als “…the undertaking of terrorist acts and activities within maritime enviroment, using or against vessels of fixed platforms at sea or in port, or against any one of their passengers or personnel, against coastal facilities or settlements, including tourist resorts, port areas and port towns or cities.”

Abgrenzung zur Piraterie

Es gibt unterschiedliche Definitionen, welche Handlungen Piraterie darstellen und wie sie von anderen kriminellen Handlungen abgerenzt werden.

Das völkerrechtliche Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 (SRÜ, durch 157 Staaten unterzeichnet, Stand: Januar 2005) nimmt eine enge Definition der Piraterie vor. Es müssen folgende Voraussetzungen gleichzeitig vorliegen: Die Gewalttat muss (1) von der Besatzung oder den Passagieren eines anderen Schiffs (2) illegal zu privaten Zwecken (3) und auf hoher See oder einem Ort, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht, begangen werden.

Das Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt von 1988 (SUA-Konvention, dieser gehören 135 Staaten an, Stand: April 2006) definiert in Art. 3 illegale Handlungen gegen die Seeschifffahrt. Hierzu zählen (1) die unrechtmäßige Inbesitznahme von Schiffen (2) das Anbringen von Materialien an oder auf Schiffen, die sie zerstören oder beschädigen können (3) und die Tötung von Personen an Bord. Diese Definition soll in erster Linie politisch motivierte, terroristische Akte erfassen. Die Definition ist jedoch so weit gefasst, dass sie auch auf Piraterie anwendbar ist.

Neben den Definitionen des SRÜ und der SUA-Konvention existieren noch weitere Definitionsansätze für Piraterie. Eine politisch-rechtliche Abgrenzung von Piraterie und maritimen Terrorismus gestaltet sich deshalb schwierig. Vergleicht man Pirateriehandlungen und terroristische Handlungen unter Beachtung der Terrorismusdefinition von Henner Hess, ist festzustellen, dass sich Piraterie und Terrorismus hinsichtlich der Motivlage der Akteure unterscheiden lassen. Auch bei Pirateriehandlungen kann es das Ziel der Akteure sein, durch die Entführung eines Schiffes und seiner Besatzung psychische Wirkung auf Dritte (z.B. die Reederei) auszuüben, um ein Lösegeld zu erpressen. Das primäre Ziel einer Pirateriehandlung liegt jedoch im finanziellen Gewinn zu einem privaten Zweck. Bei Henner Hess Definition von Terrorismus kommt es darauf an, dass eine terroristische Handlung Teil einer politischen Strategie ist. Unterscheidungskriterium von Piraterie und (maritimen) Terrorismus kann also sein, dass bei der Piraterie der finanzielle Gewinn zu privaten Zwecken im Vordergrund steht, wohingegen der Terrorismus auf die Erreichung eines politischen Zieles im Rahmen einer Strategie ausgerichtet ist.

Bedingungen

Neben der Gelegenheit zur Ausführung terroristischer Akte mit maritimen Bezug spielen laut Martin Murphy (2007) weitere Faktoren für die Durchführung und für den Erfolg eines Anschlages eine Rolle:

(1) Fehlender rechtlicher und gerichtlicher Rahmen: Schwache Staaten mit mangelnden Möglichkeiten oder fehlender Motivation, terroristische Akteure zu verfolgen, liefern diesen eine Basis oder einen Hafen, von dem aus die Terroristen ihre Operationen starten können. Weiterhin können Terroristen die limitierten Eingriffsbefugnisse von Drittstaaten auf hoher See für Aktionen ausnutzen, denn die Hoheitsgewalt über ein Schiff auf hoher See übt ausschließlich der Flaggenstaat aus.

(2) geographische Möglichkeiten

(3) unzureichende Überwachung/ fehlende Sicherheit: Terroristische Gruppen können die fehlende Überwachung von Seegebieten ausnutzen, um unbeobachtet Personal und Waffen zu transportieren.

(4) sichere Operationsbasis: Terroristische Gruppen benötigen eine sichere Basis, um dort einen Anschlag planen, trainieren und logistisch vorbereiten zu können.

(5) maritime Tradition: Um einen terroristischen Anschlag durchführen zu können, benötigen die Akteure maritimes know how, um innerhalb von Gewässern agieren zu können.

(6) charismatische und effektive Führung

(7) staatliche Unterstützung: Staatliche Unterstützung wirkt in Bezug auf die Bereitstellung von Waffen und Operationsbasen begünstigend.

Szenarien

(1) Lähmung eines der rund 30 großen Seehäfen (mega-ports) der Welt (z.B. Anschlag gegen die Hafenanlagen; Zerstörung eines größeren Schiffes in der Hafenzufahrt, um diese zu blockieren).

(2) Lähmung/Blockierung einer der wichtigsten Meerengen/ Kanäle/ Zufahrten (choke points) wie Malacca, Gibraltar, Bosborus, Suez- oder Panamakanal. Jede mehr als kurzfristige Unterbrechung der choke points würde sich in massiven Versorgungsengpässen, Preissteigerungen und negativen Börsenreaktionen auswirken. Ähnliche Auswirkungen hätte die Lähmung eines der großen Seehäfen.

(3) Angriff auf ein „sensibles“ Schiff mit hohen Verlusten an Menschenleben und/ oder der Herbeiführung von Großschäden (z.B. durch den Anschlag gegen einen Gastanker oder ein Kreuzfahrtschiff).

Einzelfälle

(1)"Achille Lauro", Mittelmeer, 1985: Entführung eines italienischen Kreuzfahrtschiffes im Mittelmeer durch die palästinensiche PLF. Es wurde damit gedroht, die Passagiere einen nach dem anderen zu töten, angefangen bei den US-Bürgern, falls der Staat Israel nicht umgehend 50 inhaftierte, des Terrors bezichtigte Palästinenser bzw. „Gesinnungsgenossen“ freiließe.

(2)"USS Cole", Aden/ Jemen, 2000: Im Hafen von Aden/ Jemen detonierte ein mit Sprengstoff beladenes Speedboot am Rumpf des US-Zerstörers "USS Cole", 17 Soldaten kamen ums Leben. Zu dem Anschlag bekannte sich die Al-Qaida.

(3)Tanker "Limburg", Jemen, 2002: Vor der Küste von Jemen rammte ein mit Sprengstoff beladenes Boot den französischen Tanker "Limburg". Ein Seemann starb durch den Anschlag, es kam zu einer Ölverschmutzung. Zu der Tat bekannte sich die jemenitische Extremistengruppe "Islamische Armee von Aden-Abjan"

(4)Super Ferry 14, Philippinen, 2004: Die muslimische Terrorgruppe Abu Sayyaf deponierte an Bord des Schiffes eine Bombe, welche explodierte und 116 Passagiere tötete.

(5)Basra/Irak, Ölterminal, 2004: Beim Beladevorgang des Tankers VLCC Takasuza kam es zu einem versuchten Sprengstoffanschlag mit einem Speedboot. Drei US-Soldaten starben.

Erfolgsaussichten

Der Anschlag auf die Achille Lauro und al-Qaeda’s Angriff auf die USS Cole fanden sowohl in den westlichen Medien als auch bei Regierungen und der Schifffahrtsindustrie Beachtung. Allerdings sind die Effekte auf die Bevölkerung bei Attacken auf See begrenzt. Der Bevölkerung wird hierdurch die eigene Verletzbarkeit weniger konkret vor Augen geführt, als es bei Anschlägen in Städten der Fall wäre. Viele terroristische Gruppen sind nicht in Küstenregionen ansässig und besitzen auch nicht die notwendigen Mittel, um maritime Attacken durchführen zu können. Terroristische Akte auf See, wie das Versenken eines Kreuzfahrtschiffes, ein Angriff auf ein Kriegsschiff oder ein Angriff auf das internationale maritime Transportsystem sind planerisch, logisitisch und finanziell schwieriger auszuführen, als vergleichbare Szenarien an Land. Ebenso verfügen die meisten Terroristen nicht über die notwendigen Qualifikationen, also Erfahrung mit den Bedingungen auf See, Navigation sowie in der Handhabung eines Schiffes, um einen solchen Anschlag durchzuführen. Nur 2% aller belegten terroristischen Vorfälle in den letzten 30 Jahren sind dem maritimen Terrorismus zuzuordnen (Quelle: RAND Corporation’s terrorism database; welche Definition von Terrorismus den Zahlen zu Grunde liegt, wird nicht genannt).

Bekämpfungsstrategien

ISPS-Code (The International Ship and Port Facility Security Code)

Der International Ship and Port Facility Security Code (ISPS-Code) besteht aus einem umfangreichen Paket von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr bei Schiffen und Häfen. Auslöser für die Schaffung des Regelwerks waren die Terroranschläge am 11. September 2001 in New York. Der ISPS-Code wurde weitestgehend von der International Maritime Organization (IMO), die eine Sonderorganisation der UN ist, konzipiert. Diese definiert den ISPS-Code wie folgt:

The International Ship and Port Facility Security Code (ISPS Code) is a comprehensive set of measures to enhance the security of ships and port facilities, developed in response to the perceived threats to ships and port facilities in the wake of the 9/11 attacks in the United States.

Laut der IMO ist der ISPS – Code die notwendige erste Stufe eines globalen maritimen Sicherheitsrahmens, der geeignet ist, Schiff, Ladung und Besatzung vor rechtswidrigen Akten zu schützen. Entgegen vieler Annahmen wurde der ISPS – Code nicht ausschließlich zur Verhütung terroristischer Akte konzipiert. Der ISPS – Code dient theoretisch auch dazu, das Risiko von Piraterie und bewaffneten Überfällen auf See zu verhindern.

Der ISPS-Code verpflichtet die weltweiten Hafenbehörden zu umfassenden Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen. Diese umfassen Risikobewertungen sowie Gefahrenabwehrpläne für Hafenanlagen und Schiffe, Zugangsbeschränkungen zum Hafengelände, auch für die Besatzungen einlaufender Schiffe. Schiffe ab einer Größe von 500 BRZ müssen, bevor sie einen Hafen anlaufen, explizit ihre Ladung übermitteln.

Von Experten wird die Wirksamkeit des ISPS-Codes zur Bekämpfung des Terrorismus kritisiert. Laut der Experten ist das Maßnahmenbündel nicht geeignet, Anschläge zu verhindern.

SUA-Konvention (Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt von 1988)

Der Grund für die Verabschiedung der Konvention war die Entführung des italienischen Kreuzfahrtschiffes „Achille Lauro“ 1985. Mitglieder der PLF hatten das italienische Schiff in Besitz und die Passagiere als Geiseln genommen, ein Passagier wurde dabei getötet. Neben der Definition von illegalen Handlungen gegen die Seeschifffahrt (siehe oben: Abgrenzung zur Piraterie) legt die SUA-Konvention fest, zu welchen Maßnahmen die Staaten berechtigt sind. Die Definition von illegalen Handlungen ist in der SUA-Konvention so weit gefasst, dass sie nicht nur auf Terrorismus, sondern auch auf Piraterie anwendbar ist. Grundsätzlich übt der Flaggenstaat die ausschließliche Hoheitsgewalt über seine Schiffe auf See aus. Die Einwirkung dritter Staaten ist eigentlich ausgeschlossen, es gibt jedoch Ausnahmen. Wenn Gründe für den Verdacht einer illegalen Handlung gegen die Seeschifffahrt vorliegen, ermächtigt die SUA-Konvention Kriegsschiffen aller Staaten, innerhalb internationaler Gewässer gegen die Akteure vorzugehen. Nach der SUA-Konvention sind Kriegsschiffe berechtigt, die Akteure festzunehmen und das Schiff zu beschlagnahmen. Dabei ist nur ein Einschreiten innerhalb von internationalen Gewässer zulässig, eine Verfolgung oder Maßnahmen in den Hoheitsgewässern von Staaten sind nicht zulässig. Dies nutzen Terroristen oder Piraten aus, indem sie grenzübergreifend operieren oder von hoher See in die Hoheitsgewässer eines Staates ausweichen, dem es aufgrund fehlender und schlechter Ausrüstung nicht möglich ist, die Akteure zu verfolgen. Problematisch ist, dass die SUA-Konvention keine Regelung zum strafrechtlichen Umgang mit festgenommmen Akteuren enthält, da es insgesamt keine international einheitliche Regelung zum strafrechtlichen Umgang mit festgenommenen Terroristen oder Piraten gibt. Die strafrechtliche Verfolgung richtet sich nach den Rechtsvorschriften der einzelnen Staaten, die ein Schiff aufgebracht haben.

Quellen

http://www.maritimeterrorism.com/definitions/, 7.7.09

http://www.maritimeterrorism.com/wp-content/uploads/2008/01/al-qaedas-maritime-threat.pdf, 7.7.09

http://www.imo.org

http://www.rand.org/research_areas/terrorism/, 7.7.09

Anger, Elke, 2007: Terrorismus zur See - Annäherung an ein sperriges Thema. HANSA International Maritime Journal Nr.3/2007: 95-97

Berg, Dieter, Thomas Artmann, Tillmann Kratz, Katja Lührmann, Edwin Mast und Anja Millberg, 2006: Piraterie – Bedrohung auf See. Eine Risikoanalyse. München: Münchner Rückversicherungsgesellschaft.

Booth, Liz, 2005: Can the ISPS Code help crack piracy?. Maritime Risk International. Volume 19: 9,10

Gebauer, Matthias, John Goetz, Clemens Höges, et all., 2009: Ruf nach Rache. DER SPIEGEL 17/2009: 100-102

Hess, Henner, 2006: Die neue Herausforderung. S.103-122. in: Wolfgang Kraushaar (Hg.). Die RAF und der linke Terrorismus. Hamburg: Hamburger Edition.

Murphy, Martin, 2007: Contemporary Piracy and Maritime Terrorism, London: Routledge

Raymond, Cathrine Zara und Arthur Morrien, 2009: Security in the Maritime Domain and its Evolution Since 9/11. S. 3-11 in: Lloyd’s MIU Handbook of Maritime Security. London: Tylor & Francis Group

Scheerer, Sebastian, 2002: Die Zukunft des Terrorismus - Drei Szenarien. Lüneburg: zu Klampen Verlag

Stehr, Michael, 2004: Piraterie und Terror auf See. Nicht-Staatliche Gewalt auf den Weltmeeren 1990 bis 2004. Ein Handbuch. Berlin: Verlag Dr. Köster

Stehr, Michael, 2005: Terror auf See 2004 - Anschläge und Bedrohungsszenarien. Schifffahrt & Häfen 4/2005: 13-18

Tophoven, Rolf, 2008: Maritimer Terrorismus. Internationales Magazin für Sicherheit 1/2008: 23-26